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Workshop: Recording und Mixing 4 – Raumklang, Räumlichkeit im Mix

Räumlichkeit im Mix herstellen

3. Juli 2020
Workshop- Recording 4 - Räumlichkeit im Mix

Workshop: Recording 4 – Raumklang, Räumlichkeit im Mix

Im vierten und letzten Teil unseres Recording-Workshops widmen wir uns einem interessanten, wie theoretisch vorbelasteten Thema: Räumlichkeit im Mixdown. Nun, wer Detroit Techno abmischt, dem dürfte das ziemlich kalt lassen, Effekte räumlicher Art sind hier geradezu verpönt. Umgekehrt gibt es jedoch den einen oder anderen Musikstil, der geradezu vom räumlichen Eindruck lebt.

Bevor wir uns den praktischen Beispielen zuwenden, ist es von Nöten, die Theorie der Räumlichkeits-Wahrnehmung darzustellen. Wie nimmt unser Gehör Räumlichkeit überhaupt wahr? Wenn das erklärt ist, können wir dieses Wissen auf unseren Mix anwenden.

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Der Raum

Befinden wir uns in einem beliebigen Raum, so haben wir immer auch eine Vorstellung von der Größe des Raums. Das liegt aber nicht nur an unserer visuellen Wahrnehmung des Raumes, sondern zum größten Teil an der akustischen Wahrnehmung.

Stellen wir uns eine U-Bahn Station vor: Wenn jemand auf unserer Seite des Bahnsteigs spricht, so hört sich das anders an, als wenn jemand auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnsteigs spricht. Warum eigentlich?

Wird Schall (in diesem Fall Sprache) erzeugt und man steht in unmittelbarer Nähe der Schallquelle, so hören wir überwiegend direkt diese Schallquelle. Man spricht deswegen auch von Direktschall. Ist die Schallquelle im selben Raum, aber weiter entfernt, so nehmen wir die Schallquelle zunächst einmal leiser wahr (der Schall verliert seine Energie bei seiner Ausbreitung), hinzu kommt dann aber noch ein anderes Phänomen.

hallraum tu dresden

Nicht jeder kann (bzw. muss) sich zu Hause einen Hallraum einrichten

Dadurch dass die Schallquelle weiter entfernt ist, legt nicht nur der Direktschall eine größere Strecke zurück. Auf dieser Strecke wird der Schall von verschiedenen Flächen des Raumes, also von Wänden, Decken, Böden, Gegenständen, reflektiert. Diese Reflektionen finden ihren Weg zu unserem Ohr und treffen entsprechend später ein als der Direktschall.

Dieser unmittelbar nach dem Direktschall (der ja den kürzesten Weg hat) eintreffende Schall wird als erste Reflektion (engl. early reflections) bezeichnet. Der Schall wird natürlich aber mehr als einmal reflektiert und bereits reflektierter Schall wird nochmals reflektiert usw. Daraus erwächst dann ein Schallfeld, das nicht mehr genau lokalisiert werden kann. Dieses wird deshalb auch als diffuses Schallfeld bezeichnet. Die Lautstärken und Verzögerungen dieser Phänomene: Direktschall, erste Reflektionen und Diffusschall sind für jeden Raum charakteristisch.

Beschaffenheit

Der Klang der ersten Reflektionen und des Diffusschalls hängen, außer von der Geometrie des Raumes, entscheidend von einem anderem Faktor ab: der Beschaffenheit des Raumes. Ein Raum mit Betonwänden hat z. B. andere Nachhalleigenschaften als ein gleichartiger Raum mit Holztäfelung. Jedes Material besitzt die Eigenschaft, dem Schall, den es reflektiert, Energie zu entziehen. Dabei sind die Frequenzen, die dem Schall entzogen werden, für jedes Material charakteristisch. So absorbiert Teppichboden auf Beton hochfrequenten Schall und reflektiert tieffrequenten Schall. Spiegelflächen z .B. reflektieren hingegen hochfrequenten Schall.

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Zu guter Letzt ist für den Nachhall in einem Raum noch entscheidend, ob in ihm Gegenstände stehen, wie groß diese sind und aus welchem Material sie bestehen. Ist die Ausdehnung eines Gegenstandes größer als die auf ihn treffende Wellenlänge (1/Frequenz) des Schalls, so reflektiert er diese und es entsteht ein Schallschatten auf der abgewandten Seite. Anderenfalls wird der Schall um den Gegenstand herum gebeugt. So muss ein Gegenstand z. B. mindestens 3,4 m (im Idealfall) hoch, breit und tief sein, damit er eine Frequenz von 100 Hz reflektiert.

Hans Studio Berlin 1978

Hansa Studio im Jahr 1978

Kommen wir noch einmal auf die Geometrie des Raumes zurück. Während bei Räumen mit parallelen Wänden oder Decken der Schall hin und her springt (sog. Springschall), so können bei Räumen mit Kuppeln oder schrägen Wänden Streuungen und Bündelungen des Schalls erfolgen (man denke an das Prinzip einer Satellitenschüssel, die die parallel eintreffenden Signalwellen auf den Empfänger bündelt).

Kopfbezogene Räumlichkeit und technische Realisierung

Jetzt wissen wir um den Einfluss des Raumes auf unsere Wahrnehmung. Nun haben wir bei der Wiedergabe einer Klangsituation im Studio jedoch eine grundsätzlich andere Verfahrensweise. Dabei klingt das aufgenommene Schallereignis ja nicht aus dem Raum, in dem es aufgenommen wurde, sondern es wird über zwei Monitorboxen abgespielt. Diese Wiedergabe ist also nur eine Simulation des Schallereignisses (es hat sich jedoch in der Praxis bewährt). Wie können wir dann feststellen, aus welcher Richtung ein Signal ursprünglich stammt?

Das Prinzip der Wiedergabe beruht dabei auf einer Täuschung des Gehörs. Im realen Schallfeld kommt der Schall direkt von der Schallquelle und kann unmittelbar lokalisiert werden. Bei der Wiedergabe auf einem Stereo-Lautsprecher-System scheint sich die Schallquelle, wenn sie ursprünglich aus Blickrichtung stammt, zwischen den Boxen zu platzieren, obwohl sich dort doch gar keine Schallquelle befindet. Da das Signal zur selben Zeit mit der gleichen Lautstärke auf beiden Boxen wiedergegeben wird, entsteht in der Mitte die so genannte Phantomschallquelle.

Es zwei Möglichkeiten, diese Phantomschallquelle zu verschieben: Zum einen kann man das Signal auf einem Kanal leiser oder lauter machen (Intensitäts- Stereophonie), zum anderen besteht die Möglichkeit, auf einer Seite die Wiedergabe des Signals zu verzögern (Laufzeit-Stereophonie). Daraus wird jetzt auch ersichtlich, wie unser Gehör im realen Schallfeld die Richtung lokalisiert, aus der ein Schallereignis kommt.

  • 1) durch Pegelunterschiede
  • 2) durch Laufzeitunterschiede

Dabei gilt das Gesetz der „ersten Wellenfront“. Die Schallwellen, die als erstes das Gehör erreichen, bestimmen die Wahrnehmung der Richtung.

Praxis bitte!

Gerüstet mit dem theoretischen Hintergrundwissen können wir uns endlich konkreten Beispielen widmen. Bei dem Beispiel soll darauf geachtet werden, die Aufnahme natürlich klingen zu lassen, der Live-Charakter soll also nicht verloren gehen. Zusätzlich wird in einem zweiten Beispiel gezeigt, wie extrem man eine Aufnahme durch den Einsatz von Hallräumen verfremden kann.

Das Beispiel besteht aus einer kleinen Sequenz, die aus einer Drumspur (1), einer Percussion-Spur (2), einer Bassspur (3), einer E-Piano- (4) und einer Gitarrenspur (5) sowie einer Lead-Gitarren-Spur (6) besteht. Zusätzlich ist ein Gitarren-FX am Anfang vorhanden (7). Das erste Beispiel zeigt den Mix, wenn alles auf gleiche Lautstärke gemixt ist und keine andere Bearbeitung außer Entzerrung und Kompression erfolgt ist.

Brutal! Alles knallt voll rein, also ob man sein Ohr direkt an die Line-Ausgänge des Mixers geschaltet hätte. Außerdem sind die Percussion viel zu weit in der Stereobasis verteilt. Nehmen wir uns jetzt vor, den MIX wie folgt zu staffeln:

  • (1) und (2) in den Hintergrund, wobei (1) ein wenig leiser sein soll.
  • (7) soll aus dem weitem Hintergrund kommen.
  • (5) soll aus der Mitte verlagert werden, um so mehr Platz zu schaffen für die Leadgitarre (6).
  • (3) Der Bass soll die Rhythmusgruppe tragen, aber nicht zu auffällig wirken.
  • (4) Das E-Piano positioniert sich dann hinter (6) und vor (1) und (2), jedoch auf gleicher Ebene wie (5)

Tatsächlich, im Vergleich zu vorher ist das Musikerlebnis genießbarer geworden. Was ist hier im Einzelnen genau gemacht worden?

a) Der trockene Charakter des Schlagzeugs sollte erhalten bleiben, deswegen wurden BS- und SN-Spur nicht verhallt. Stattdessen wurde die Overhead-Spur in einen Raum gestellt (virtuell gesehen) der in etwa die Größe 10 x 10 x 10 m aufweist, d. h. es wurde mit den AUX 1 Reglern ein Anteil der OH-Spur auf das Hallgerät 1 geleitet, das das verhallte Signal zurückgibt. Dadurch wird das Schlagzeug „angesaftet“, ohne dabei an Druck zu verlieren.

Die Percussions waren vorher auf maximale Stereobreite gemischt. Das ist unnatürlich, wenn man im Vergleich dazu das Schlagzeug relativ kompakt stehen hat. Außerdem wird der Eindruck erweckt, die Percussion ständen viel näher als das Schlagzeug oder wären gänzlich in einem anderen Raum. Die Panoramaregler wurden deshalb auf die Mitte zwischen voll links bzw. rechts und Center gestellt. Zusätzlich dazu werden die Percussion mit dem AUX 1 Regler demselben Hallraum wie die OH-Spur des Schlagzeugs zugeführt. So erreicht man, dass die Schlagfraktion wie aus einem Raum klingt, denn das entspricht auch der Situation einer Live-Aufnahme.

studio workshop mix

b) (7) soll aus dem weiten Hintergrund kommen. Dazu regeln wir den Pegel zunächst um ca. 8 dB herunter. Um den Eindruck zu erwecken, das Signal käme aus dem weiten Hintergrund, stellen wir uns eine riesige Lagerhalle vor, deren Wände aus Beton sind. Wir stehen auf der einen Seite der Halle und hören das Signal, das auf der anderen Seite der Halle erzeugt wird (früher wurden Verhallungen tatsächlich vorgenommen, in eigens dafür konstruierten „Hallräumen“ – wortwörtlich). Dazu geben wir mit dem AUX 2 Regler dieser Spur einen großen Anteil auf Hallgerät 2. Zu beachten ist, dass das trockene Signal so gut wie nicht mehr durchkommen soll, daher benutzt man den „Pre“-Schalter am AUX 2 Regler; damit wird das auf dem Kanal anliegende Signal VOR dem Kanalzug an AUX 2 geschickt. Man kann dann nur mit dem verhallten Anteil arbeiten, in dem man den Kanalzug ganz herunterregelt. Eingestellt ist ein Hallprogramm mit einer sehr langen Nachhallzeit und sehr diffusem Schallfeld, so dass es schön verschwommen klingt.

c) (5) soll aus der Mitte verlagert werden. Da die Gitarre auf einer Monospur liegt, ist das wieder mit dem Panorama-Regler zu bewerkstelligen, mit dem wir das Signal aus der Mitte der Stereobasis nach links regeln. Gleichzeitig wird die Gitarre dabei leiser, da man ja die Verlagerung dadurch erreicht, das Signal rechts leiser zu machen. Bei Bedarf kann man hier den Pegel nachregeln. Die Lead-Gitarre (6) soll als Effekt ein Delay bekommen. Dadurch wirkt sie prominenter. In diesem Beispiel wird dadurch auch erreicht, dass sich die Melodielinie verändert, da die Delay-Lautstärke nur wenig leiser ist als die Lead-Gitarre selbst und so Originalsignal und verzögertes Signal nicht mehr sauber auseinandergehalten werden können. Zusammen mit b) klingt das interessant.

d) Der Bass (3) soll die Rhythmusgruppe tragen, aber nicht zu auffällig wirken. Die Möglichkeit besteht, den Bass in denselben Raum zu stellen wie die Schlagfraktion, so dass die ganze Rhythmusgruppe „aus einem Guss“ klingt. Tiefe Frequenzen machen aber den Hallraum undurchsichtig und „mumpfig“, die erfrischende Wirkung für das Schlagwerk wäre dahin. Also begnügt man sich damit, den Bass in der Lautstärke so anzupassen, dass er nicht überbetont wird, im Vergleich zum Schlagwerk. Möchte man den Bass unbedingt verhallen, gibt es eine andere Möglichkeit: Man nimmt den Bass am ‚direct out‘ des Kanals ab und patcht ihn auf einen freien Kanal des Mixers. Hier regelt man nun die tiefen Bassfrequenzen heraus und schickt dann von diesem Kanal einen Anteil mit AUX 1 auf Hallgerät 1.

e) Das E-Piano (4) positioniert sich dann hinter (6) und vor (1) und (2), jedoch auf gleicher Ebene wie (5). Das E-Piano ist entscheidend, da durch dieses die Staffelung eindeutig getrennt wird. Wir hatten ja bereits die Rhythmusgitarre etwas auf die linke Seite des Stereobilds gelegt. Das E-Piano soll nun von der Mitte mehr auf die rechte Seite gebracht werden. Da das E-Piano aber auf einer Stereospur liegt, verfährt man hier anders. Man regelt den LINKEN Panoramaregler mehr in die Mitte und fährt dann den Pegel zur Kompensation der erhöhten Lautstärke (dem Signal wird in der Mitte und links durch die Panorama-Regelung mehr Pegel gegeben) herunter. Alternativ kann man auch den Pegel des linken Kanals herunterregeln, wodurch das Panorama ebenfalls zur rechten Seite verlagert wird. Jetzt achtet man darauf, dass der Gesamtpegel (am besten mono kontrollieren) von E-Piano (4) und Gitarre (5) auf gleicher durchschnittlicher Aussteuerung sind.

Da man die beiden Instrumente räumlich (durch die Panorama-Verschiebung) getrennt hat, ist es nun möglich, sie in gleichen Pegeln zu fahren, ohne dass sie verschwimmen (zusätzlich zur Entzerrung mit dem EQ).

Die Lead-Gitarre ist eine Pegelstufe über (4) und (5). Die Rhythmusgruppe darf in Pegelspitzen ruhig über (4) und (5) schlagen, aber eben nicht im durchschnittlichen Pegel darüber liegen. Man kann (4) und (5) auch noch in einen anderen Hallraum stellen, in dem man Hallgerät 3 benutzt, man muss sich aber im Klaren sein, dass die Natürlichkeit darunter leidet. Es ist ja dann so, dass die Instrumente (4) und (5) aus einer anderen räumlichen Umgebung kommen als die Rhythmusgruppe (1, 2 und 3). Wem das aber dann doch zu trocken klingt, kann mit Hallgerät 3 (falls vorhanden) einen Raum simulieren, der ähnliche Eigenschaften in Geometrie und Beschaffenheit hat wie der simulierte Raum in Hallgerät 1.

Voilà – damit haben wir einen Mix gemacht, der natürlich klingt und dabei auch noch knackig ist.

Um zu sehen, wie sehr man die gleiche Sequenz verfremden kann, wurde im zusätzlichen Beispiel Hallgerät 1 und 2 vertauscht und es wurde auch die Snare auf das Hallgerät gegeben. Darüber hinaus wurde noch eine Panorama-Bewegung des Gitarren FX (7) hinzugefügt. Das Ganze klingt dann wie Szenen einer Unterwasserwelt …

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Klangbeispiele
Forum
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    AMAZONA Archiv

    Super geschrieben! Knapp aber sehr treffend.
    Da verzeihe ich sogar die Fish&Chips-feindlichen Äusserungen aus dem 1. Teil :)

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    0gravity

    Ich schließe mich da an. Wieder was gelernt. Speziell die separate Verhallung der Bassspur und der Drum-Overheads könnten das ein oder andere Matschproblem das ich hatte beheben.

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    AMAZONA Archiv

    Interessanter und informativer Artikel!

    Das Wort „Springschall“ habe ich hier zum ersten Mal gelesen.
    Die deutschsprachige Google-Suche nach diesem Wort ergab 2 Treffer.
    Als zusammengesetztes Wort ist „Springschall“ vermutlich eine Weltpremiere.
    Herzlichen Glückwunsch zum „Neologismus“ ;-)

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      Ich kenne das beschriebene Phänomen unter dem Begriff „Flatterecho“.

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