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Interview: Reinhold Heil, Teil 4

Music for "Cloud Atlas"

11. Januar 2014

Hier nun der vierte und letzte Teil unseres ausführlichen Treffens mit Reinhold Heil im Januar 2013 in Downtown Los Angeles. Zu Teil 1 gelangt ihr HIER.

RH 4 Quad

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Peter:
Und wie ging es dann weiter, bevor der nächste große Tykwer Film anstand?

Reinhold:
Dummerweise gab es da eine lange Pause. 2000 gab es „Der Krieger und die Kaiserin“, an den wir ähnlich rangingen wie an Lola Rennt, nur eigentlich noch ein bisschen popmusikalischer.

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Weil wir vom Lola Soundtrack so viele CDs verkauft hatten, dachten wir uns, es wäre auf jeden Fall gut, für den Nachfolger eine richtige Popmusik-CD zu produzieren Wir machten das zu unserer Spezialität. Das heißt, wir entwickelten aus dem Score Popmusiktitel und arbeiteten für jedes Stück mit verschiedenen Leuten, wie z.B. Skin, die zu dieser Zeit mit ihrer Bank Skunk Anansie sehr erfolgreich war. Das funktionierte super und machte extrem viel Sinn, aber die Industrie erkannte das nicht wirklich. Es gibt nur wenige Filmemacher, die die sogenannte Source-Musik und den Score organisch miteinander verbinden. Die Coen Brothers sind ein gutes Beispiel.

Peter:
Da kam der Popmusikproduzent in dir hoch.

Reinhold:
Auch in Johnny, der war ja auch mal Popmusiker. Tom ist ein enzyklopädischer Mensch, was Musik in jeder Form angeht, auch im experimentellen und im Pop-Bereich. Der ist auch immer sein eigener Musiksupervisor. Dem braucht keiner zu erzählen, welcher Song irgendwo passt. Das ist ähnlich wie bei Quentin Tarantino. Also gibt’s bei seinen Filmen keinen Musiksupervisor. Ich kann mir niemanden vorstellen, der mehr weiß als Tom oder ein besseres Gefühl dafür hat, was passt. Man denke nur an Dinah Washington’s „What a Difference a Day Makes“, was in Lola Rennt Verwendung findet. Für das Album für „Der Krieger und die Kaiserin“ verfolgten wir unser Konzept noch deutlicher als bei Lola Rennt. Es gibt sieben Titel aus dem Score auf der CD und die entsprechenden 7 Popstücke mit verschiedenen Künstlern, die dazu Texte und Gesangsparts beisteuerten.

Peter:
Ging das auch als CD?

Reinhold:
Die CD war kein kommerzieller Erfolg, weil der Film halt nicht so ein Transportmedium für Musik war wie Lola. Im Endeffekt verkaufst du halt nur so viele CDs wie der Film begeisterte Leute nach Hause geschickt hat. Wenn du  Popmusik anbietest, die zwar konzeptionell perfekt zum Filmscore passt, die du aber zum größten Teil im Film gar nicht drin hast, hast du dann auch mal Pech.

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Peter:
Ja, ich kenn so viele, wo es dann heißt „inspired by“… das gab’s auch bei Matrix …

Reinhold:
Ja, das wollten wir natürlich nicht, es war ja wirklich nicht „inspired by“, es waren wirklich die Filmmusiktitel, auf denen die Songs aufbauten, nicht der übliche Etikettenschwindel. Allerdings wurden die Songs nicht im Film präsentiert, außer „You Can’t Find Peace“ mit Skin als Sängerin. Bei Lola Rennt war es die Filmmusik selbst, die die Leute haben wollten. Wie gesagt sahen ungefähr 1 Mio Amerikaner diesen Film und davon sind 25% sofort aus dem Kino in den nächsten Plattenladen gegangen und wollten die CD haben. Dort wurden sie dann allerdings gefragt: „Lola who?“. Kein Tower Records und kein Virgin, niemand hatte diese Platte da. Aber Schwein gehabt, 1999 konnten diese Leute nach Hause gehen und die CD auf Amazon.com suchen. Sie gaben den Titel ein und zack, da war’s.

Im Jahre 1999 wurden ja noch CDs verkauft, aber bei 1 Mio Zuschauer, 250.000 Soundtrack Alben. Das ist wahrscheinlich der Rekord, was die Rate von Movieticket zu Soundtrack angeht. Bei Matrix das Zigfache an Movietickets – 1 Mio verkaufte CDs.

Peter:
Lass uns über „Cloud Atlas“, den letzten Film mit Tom Tykwer reden, da gab es ein gigantisches Budget.

Reinhold:
Na eben nicht, das war ein 100 Mio Lowbudget Film.

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Peter:
Weil der Aufwand so groß war?

Reinhold:
Weil der Film eigentlich auf 200 Mio, so viel hätte er in Hollywood gekostet, angesetzt war. In Europa hätte er mindestens 135-150 kosten müssen. Wenn er auf diesen Preis, in Dollar ausgepreist ist und dann für 100 gemacht wird, dann ist es ein Lowbudget Film, das heißt jede Abteilung arbeitet für weniger Geld. Für Jahre. Das weiß natürlich keiner. Die Leute schauen auf Cloud Atlas und sagen: Wow, ein 100 Mio Dollar Film, die sind alle super reich. Keiner versteht die Liebe und Hingabe, die alle Beteiligten da reinbuttern.

Peter:
In Europa kam der ja gut an, wie war es in Amerika?

Reinhold:
In Amerika war er sehr umstritten, also wenn du dir Rotten Tomatoes anguckst, ist ja bei 63% positiv, er ist also noch nicht „rotten“, wird aber auch nicht einhellig als Meisterwerk gepriesen.

Peter:
Und Box Office?

Reinhold:
Ich glaube 26 Mio, also nicht so dolle. Kein totaler Flop, aber nicht, was wir uns erhofften. Der Release war am letzten Oktoberwochenende. Ein „großer“ Film wie Cloud Atlas steht und fällt mit dem Resultat des Startwochenendes. Dummerweise koinzidierte Hurricane Sandy mit selbigem Startwochenende. Jetzt siehst du dir an, was für eine Demographie so ein Film hat. Cloud Atlas ist eindeutig ein Film für die Blue States, also die Staaten mit etwas mehr fortschrittlich gesonnener Bevölkerung.

Reinholds Logic Workstation. HELIX ist das aktuelle Projekt an dem er gerade arbeitet.

Reinholds Logic Workstation. HELIX ist das aktuelle Projekt an dem er gerade arbeitet.

Es  geht unter anderem um ein schwules Paar, für beide ist es die Liebe ihres Lebens, der eine stirbt, der andere liest in seinen späten 60ern noch seine Briefe. Das ist natürlich im christlich-fundamentalistischen Flyover Country (die sogenannten Red States) nicht so angesagt. Und natürlich auch die Message, dass man gut zueinander sein muss und die Kritik am ausufernden Kapitalismus, wie sie in Zukunft in Korea stattfindet. Das sind alles Dinge, die in den Red States nicht so populär sind. Christentum ist da eher gnadenlos drauf und die Bibel wird als Rechtfertigung für die gruseligsten Dinge herangezogen. In den Red States hat Cloud Atlas dann zum Beispiel 4 Tickets pro Theater am gesamten Wochenende verkauft. In New York und in Washington oder Philadelphia und auch hier drüben an der Westküste waren es Rekorde. Aber dadurch, dass dann Hurrikane Sandy genau diese Ostküste lahm legte, war natürlich das erste Wochenende extrem davon betroffen, in der Gegend, die der Stützpfeiler gewesen wäre. Das erste Wochenende lag bei insgesamt 9,6 Millionen. Dann liest man die Presse „enttäuschende 9,6 von einem 100 Mio Film“.  Aber der ist auch noch kompliziert und fast 3 Stunden lang. Keiner hat mit einem 100-prozentigen Blockbuster gerechnet, aber etwas mehr Erfolg hat der Film schon verdient.

Peter:
Wie habt ihr denn das musikalisch gelöst? Der Film fängt ja in der Vergangenheit an und endet weit in der Zukunft. Habt ihr das über Instrumente gelöst?

Reinhold:
Nein. Seit Parfum haben wir die Musik immer schon geschrieben, bevor der Film gedreht wird. Das heißt, die Hauptthemen existieren, werden mit Orchester aufgenommen und schon während des Drehs weiterentwickelt. Parfum war eine große Herausforderung, weil es ein großer, opulenter orchestraler Score werden musste. Wir hatten zwar schon Orchestersessions hinter uns, aber hielten uns nicht für die Meister der Orchestrierung. Also fingen wir schon sehr frühzeitig an zu experimentieren. Mittlerweile war es 2005/2006, da konnte Tom nicht mehr einfach einen Monat hier in LA oder in Santa Barbara verbringen. Also mussten Johnny und ich provisorische Setups in Berlin aufbauen bzw. bei „Das Parfum“ nicht mal im vertrauten Berlin. Von November 2005 bis Juni 2006 wohnte ich in München. Das war nicht das, was ich mir unter einer Auswanderung nach Amerika vorgestellt hatte. Es war aber eigentlich sehr schön, bis auf die Tatsache, dass ich meine Kinder kaum zu sehen kriegte.

Peter:
Ist Tykwer in München?

Reinhold:
Nein, aber Constantin Film ist in München und die Post-Production fand zum größten Teil dort statt. Die Schneideräume waren bei Digital Editors, das war damals direkt am Englischen Garten, also wunderschön gelegen. Ein Tykwer Film bedeutet für uns jetzt immer, dass wir hier rausgerissen werden und wieder Zeit in Deutschland verbringen. Das hat manchmal  auch etwas für sich. Ich mag Deutschland ja. Aber mein Lebensmittelpunkt ist nun mal hier.

Bei Cloud Atlas hatten wir unsere Methode bereits vervollkommnet. Wir experimentierten also bereits vor dem Dreh und fragten uns, welche Rolle der Musik zukommen würde. Die Struktur des Romans ist schon sehr unkonventionell, aber das Drehbuch verzahnt die sechs Geschichten miteinander, so dass die Handlung sehr oft von einer Ära zur anderen springt, mit unterschiedlichen Schauplätzen, anderen Protagonisten und in komplett verschiedenen Genres.

Reinholds Oberheim-Four-Voice. Aktuell nur Deko.

Reinholds Oberheim-Four-Voice. Aktuell nur Deko.

Das heißt, beim Lesen des Buches kann man sich noch auf jede Geschichte einlassen und kommt  dann auch klar, und am Ende verschmilzt das Ganze  zu einem großen Ganzen, wenn man fertig ist mit lesen. Das ist ein ganz interessanter Effekt, den bekommt man filmisch nicht zustande. Außerdem hast du natürlich visuell tolle Möglichkeiten, wirklich geniale Momente zu schaffen durch den Übergang, den Sprung von einer Geschichte in die andere. Also saßen die drei Filmemacher, Tom Tykwer und Lana und Andy Wachowski, dann irgendwann vor 2-3 Jahren zusammen, hatten Pappkarten auf dem Fußboden und entwarfen eine Struktur, in der die sechs Geschichten zunächst anerzählt werden und dann geht’s à la „Short Stories“ von Robert Altman oder auch „Crash“. Trotzdem gibt es einen erheblichen Unterschied: Du hast 500 Jahre Zeitspanne und hast zum Teil die selben Hauptdarsteller, die auch mal Rasse oder Geschlecht wechseln, hast verschiedene kulturelle Backgrounds, verschiedene Schauplätze und im Buch auch bereits vom Schreibstil her verschiedene Genres. David Mitchell verwendete auch unterschiedliche literarische Formen für diese sechs Geschichten und demzufolge sollte es auch filmisch ein jeweils anderes Genre sein. Das heißt, wir springen jetzt hin und her, auf jeglicher Ebene, die man sich filmisch nur vorstellen kann. Es hat tatsächlich so einen Film noch nicht gegeben. Es ist künstlerisches Neuland. Einer der Subtexte ist „all boundaries are conventions – Konventionen muss man durchbrechen“ und dann findet man etwas Neues.

Peter:
Und das habt ihr musikalisch auch gemacht?

Reinhold:
Das haben wir natürlich musikalisch versucht, so zu machen. Wir schrieben trotzdem Stücke, die erst mal in der Zeit der jeweiligen Story angesiedelt waren. Wir wussten aber natürlich, da das Drehbuch bereits vorhanden war, dass der Film strukturell komplett anders sein würde als das Buch. Das Buch hatten wir natürlich schon zwei Jahre vorher gelesen. Wir produzierten drei Stunden Musik mit ein paar Hauptthemen, mussten natürlich auch das Cloud Atlas Sextett schreiben, das im Roman vorkommt, also sozusagen eine Figur des Filmes ist. Es wurde am Ende ein Klavierstück, eingespielt von einer Konzertpianistin. Bestimmte Szenen sollten zu dieser Aufnahme dann schon gedreht werden. Das klappte dann aber nicht wirklich, weil alles zu lang geworden wäre. Plötzlich hätte man dann einen Film wie „Amadeus“ gehabt, bei uns war es aber nur eine Szene in einer kleinen Geschichte von sechsen. Daraus kann man keine 10-minütige oder auch nur 4-5-minütige Szene machen. Ich arrangierte aus dem Sextett ein zwischen Brahms und Rachmaninow angesiedeltes Klavierstück, worauf ich immer noch sehr stolz bin. Dummerweise hat’s keiner gehört, weil es erheblich gekürzt werden musste. Ich hab ein paar unbenutzte Fragmente auf meine Website gestellt. Es gab also schon vor der Postproduction irre viel Material, an das sich alle Beteiligten gewöhnen konnten. Ein problematisches Phänomen bei der Gestaltung von Filmmusik. Es gibt die sogenannte Temp-love. Aber bei uns findet die Temp-love zum Glück nicht statt mit Musik von James Horner, Hans Zimmer oder John Williams, sondern sie findet statt mit den Themen, die wir selbst schon geschrieben haben für den Film. Das heißt auch die Wachowskis konnten sich einhören, konnten sich bereits eine Meinung bilden darüber, was im Film wo funktionieren könnte etc.

Peter:
Die haben sich ziemlich stark eingebracht die Wachowskis?

Reinhold:
Eigentlich nicht, weil sie Tom sehr vertrauten. Die Drei sind wirklich auch eine super eingeschworene Gemeinschaft, es ist phantastisch, wie sie miteinander arbeiten. Tom ist quasi wie ein Bruder von denen. Wenn sie zusammenarbeiten, hat man wirklich das Gefühl. Aber die Wachowskis kamen ab und zu vorbei und brachten frische Ohren und ihr Gefühl für die Anwendung von Musik auf eine Geschichte mit.

Cloud Atlas

Peter:
Tom und die Wachowskis kennen sich aber auch noch nicht so lange?

Reinhold:
Die kennen sich seit 2003, seit Matrix Revolutions. Johnny, Tom und ich steuerten damals ein Stück Musik bei. Dabei lernten wir uns alle kennen. Seitdem haben Tom und die Wachowskis sich immer mehr miteinander angefreundet. Irgendwann sagten sie dann: „Lass uns doch mal zusammenarbeiten.“

Peter:
Zurück zu meiner Frage, habt ihr die Sachen in der Zukunft dann anders instrumentiert, vielleicht nur Synthesizer genommen oder ähnliches?

Reinhold:
Ja, es gab natürlich diesen Ansatz. Aber wir wussten, dass es die Musik die Brücke schlagen musste oder auch der Leim sein musste, der die Geschichten zusammenhält.

Peter:
Weil der Rest natürlich so extrem unterschiedlich ist?

Reinold:
Du kannst da nicht springen. Wo wir vorhin gerade von Atli Örvarsson sprachen: Atli ist der Komponist eines Films namens „Vantage Point“. Der Film erzählt eine  Geschichte aus den jeweiligen Perspektiven der unterschiedlichen Protagonisten. Es ist ein Actionfilm. Atli hatte Motive für jeden Protagonisten, ich glaube das waren drei oder vier Grüppchen, aus deren Perspektive diese Geschichte erzählt wurde. Und hatte wirklich immer die passenden verschiedenen Motive am Start. Am Ende wurde der Film natürlich zunehmend hektischer geschnitten und die Musik ging immer gnadenlos mit. Das hatte ich im Kopf, das war für den Film wirklich eine super Leistung.

Atli Örvarsson ist ein guter Freund von mir, den ich auf jeder Ebene schätze, auch als Composer. Aber für Cloud Atlas musste das Gegenteil der Fall sein. Ich sagte zu Tom und Johnny: Schaut euch diesen Film an, dann wisst ihr, wie wir das hier nicht machen dürfen. Da waren wir uns alle einig, inklusive der Wachowskis. Wir mussten für Cloud Atlas die Verbindung schaffen, weil die Gegensätze einfach zu krass waren. Natürlich war das Drehbuch dann auch so geschrieben, dass die Storys alle gleichzeitig ihren dramatischen Höhepunkt hatten, aber natürlich nicht wirklich gleichzeitig, sonst hätten wir ja sechs Split Screens haben müssen.

Das heißt, du hast so eine Art Zeitmultiplex: In einer Geschichte trifft die Scheiße den Ventilator, dann schneidest du auf die andere Story, dort ist es genau so und so weiter, bis du dann einmal ganz durch bist. Das schaffst du allerdings nicht mit allen sechs Geschichten, das heißt, es wird in Gruppen von drei Geschichten abgehandelt. Da geht es dann für 10 Minuten zwischen den drei Geschichten hin und her, aber die dramatische Kurve ist dieselbe. Die Musik muss dann diese 10 Minuten am Stück klar machen. Da kann es schon sein, dass wir von 1936 zu 2150 und dann zurück zu 1973 schneiden und dann kurz zurück zu 1936 usw. und im Prinzip wird alles mit dem selben Stück Musik unterlegt.

Es gibt eine Stelle, das ist der sogenannte „Skiff Chase“, eine wilde Verfolgungsjagd auf futuristischen schwebenden Motorrädern, da geht es echt heiß her, das ist ein Actionstück, das alles Mögliche beinhalten muss. Außerdem gibt es eine Screwball Comedy, die in 2012 in London stattfindet. Da findet auch eine Menge Action statt, also musste das musikalische Material verwandt sein mit dem, was eine richtige Science Fiction Actionnummer war. Das heißt, die Motive waren auch schon so ausgesucht, dass sie miteinander kompatibel waren. Es ist wirklich ein strategisches Layout gewesen, weshalb es absolut unabdingbar war, frühzeitig an der Musik zu arbeiten. Und dann gab es Musiken, die sich einfach ineinander verzahnten, die man auch übereinanderschichten konnte, ohne zu krass umzuschwenken. Dadurch konnten wir den Fluss der Handlung und natürlich auch die Spannung erhalten und trotzdem den Charakter so angleichen, dass es passte. Das heißt, wir machten den Leim, der die Collage zusammenhielt.

Peter:
Wie hast Du Dich auf dieses Projekt vorbereitet?

Reinhold:
Zu der Zeit, im Juni 2011, ging ich mal zu Dussman in Berlin, diesem riesengroßen Buch- und CD-Laden und kaufte Musik des 20. Jahrhunderts, weil wir natürlich auch die 1930er halbwegs in den Griff kriegen mussten. Dabei fiel mir ein Stapel mit einer CD-Neuauflage von Pink Floyds „Ummagumma“ auf. Und das war, als ich 15 war, eines meiner Lieblingsalben. Nun bin ich ja etwas älter als die anderen beiden. Tom kannte es das Album natürlich trotzdem, aber Johnny hatte es nie gehört. Ich spielte den beiden das zweite Stück vor: „Careful With That Axe, Eugene“.

Es fängt mit einer Hammond Orgel an, die es nur für ein paar Jahre gab, also nicht die klassische B3. Wie es der Zufall wollte, hatte ich eine T-200, das Spinett-Modell selbiger Hammond Generation, als ich 16 war. Ich wusste also genau wie das gemacht war. Und meine alte Hammond gibt es auch noch, mein Neffe hat sie in meiner Heimatstadt Schlüchtern, im Hessischen. Das Ding steht jetzt wieder im selben Keller, in dem es bereits in den späten 60ern, frühen 70ern stand. Johnny fand diesen Song-Anfang mit der Hammond super. Das Besondere an dieser Generation von Hammond Orgeln war die Perkussion. Sie hat eine „Reiterate“ Funktion, bei der du einfach nur am Knopf drehst und die angeschlagenen Noten werden mit stufenlos regelbarer Geschwindigkeit wiederholt.

Das war sensationell in der Zeit vor den Sequencern, aber natürlich in keiner Weise mit etwas anderem synchronisierbar. Frei-fliegend, sozusagen. Und passt wie die Faust aufs Auge für einen 70er Jahre Krimi. Es hat etwas Lalo Schifrin-mäßiges, ohne dass es Lalo Schifrin ist. Ich fuhr also nach unserer Orchester-Session in Leipzig nach Schlüchtern und sagte zu meinem Neffen: „Lass mal die alte Hammond mit deinem Macbook aufnehmen.“ Also machten wir eine Stunde lang ne Session mit genau diesen Effekten. Die reichte ich dann an Johnny weiter und er benutzte sie für „Chasing Luisa Rey“. Das ist an zwei oder drei Stellen prominent im Film drin, zum Beispiel in der Szene, in der Luisa Rey durch den Spion einer Hoteltür linst und der Killer auf der anderen Seite die Knarre auf ihr Auge richtet. Wir haben also nicht Pink Floyd gesampelt, sondern mit dem selben Equipment gearbeitet. Ich fand den Effekt immer schon geil. Zum jazzigen Spielen ungeeignet, aber vorsintflutlich psychedelisch.

Peter:
Du verwendest also nach wie vor gerne Hardware?

Reinhold:
Damit hat sich meine Nostalgie aber schon erledigt. Ich arbeite heute vorzugsweise mit Logic und Plug-ins, hauptsächlich den Synthis von U-He, also Zebra und Diva, und NI’s Kontakt. Die alten Synthesizer hier sind mehr Verzierung. Ausnahmen sind der alte CS-80 und der Oberheim Matrix-12, die gelegentlich zum Einsatz kommen, und  natürlich die Hammond B3 und der Bechstein Flügel. Ich sammle lieber akustische Percussionsinstrumente und Gitarren. Die kann ich zwar nicht wie ein Profi spielen, aber sie sind ein unendlicher Quell für inspirierendes Sampling und Sound Design. Da spielt die Musik!

Peter:
Vielen Dank Reinhold für diesen ausführlichen Einblick in Dein – vor allem – musikalisches Leben. Wir wünschen Dir vor allem den großen Durchbruch in Hollywood. Du hast es verdient!!!

Nachtrag der Redaktion:
In Reinholds „Living Room“ befinden sich tatsächlich eine Vielzahl an großen und kleinen Percussion-Instrumenten. Von Tambourines bis zu großen Gongs und derlei mehr.

Aktuell arbeitet Reinhold an der Science-Fiction TV-Serie HELIX, die am 10. Januar 2014 in USA Premiere feierte.

Helix

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Forum
  1. Profilbild
    micromoog AHU

    Eine tolle Serie, danke dafür!

    Scheint ein knallharter, sehr anspruchsvoller Buisness zu sein in dem sich der reinhold da bewegt – Respekt!
    Ich gönne ihm da ein wenig mehr kommerziellen Erfolg, den hat er sich verdient.

    Es wurde von Reinhold mehrfach von „auf meiner Hompage“ gesprochen.
    Gibt’s dazu auch einen Link?

  2. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Sehr interessante Reihe! Irgendwann muss ich noch mal alle 4 am Stück lesen. Interessant finde ich (mal wieder), dass auch Reinhold sehr auf die U-he Plug-In’s setzt und nur noch den CS-80 und Matrix 12 dazu nimmt. Ich frage mich nun, ob die beiden auch wegfallen würden, wenn sie in DIVA emuliert wären :-D Achtung: das war mit einem Augenzwinkern gemeint ;-) Sehr interessant auch, wie die Musik in „Cloud Atlas“ umgesetzt wurde. Den Film an sich, fand ich nicht wirklich umwerfend, die Musik aber schon!

  3. Profilbild
    moogist

    Ja, wirklich ein tolles Interview mit einem hochinteressanten Mann, der in seinem Leben schon viele Höhen und Tiefen erlebt hat (künstlerisch und persönlich). Dennoch bin ich ein wenig enttäuscht, dass der Keyboarder und Popmusiker Heil („Ich steh nun mal auf Jazz und Funk, bei Wagner muss ich kotzen und bei Mozart werd ich krank“) hinter dem Filmkomponisten Heil zurückgetreten ist, der von Techno (Lola rennt) bis Klaviermusik a la Rachmaninoff (Cloud Atlas) alles komponiert. Dennoch: Mit dem „immer wieder neu erfinden“ hat der ehemalige Nina Hagen- und Spliff-Keyboarder ja eine große Erfahrung. Insofern bin ich höchst beeindruckt von seiner Zweit- (oder Dritt-?) Karriere in Amerika…

  4. Profilbild
    swissdoc RED

    Reinhold Heil sagt, er wolle sein Soloalbum zum Download anbieten, leider ist es auf seiner Page nicht verfügbar. Wird dieser Plan noch in die Tat umgesetzt werden und wo genau wir der Download verfügbar sein?

    Das wäre super!!! Danke im Vorraus an Reinhold Heil.

  5. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Unvergesslich sind mir auch die 7:54 Minuten „Reinhold Heil und der Yamaha VP1“ auf der Keys CD von Dezember 1994 :) Irgendwann lasse ich mir von Yamaha einen VP1 bauen (gleich nach dem Lottogewinn).

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