I’m Going Slightly Mad
Im folgenden Artikel präsentieren wir euch 10 verrückte Plug-ins für die DAW und rücken diesmal nicht den x-te Softwareklon, neue Wavetable-Synthesizer oder Studio-Kompressoren in den Fokus. Hier wollen wir uns bewusst einmal außerhalb der Norm umschauen, denn so ein Außenseiter kann durchaus mal die Inspiration für ein komplettes Lied sein.
Inhaltsverzeichnis
Verrückte Plug-ins für die DAW
Sind wir doch mal ehrlich, unsere Profession oder unser Hobby ist an sich schon recht verrückt. Wir drücken Knöpfchen und Tasten, zupfen oder streichen Stränge aus Metall oder Nylon, bewegen Kraft unserer Lungen Luftsäulen und kloppen auf allen möglichen Dingen herum, nur damit nachher Schallwellen entstehen, die dann, und das ist das wirkliche Verrückte, in der Lage sind, Emotionen zu erzeugen.
Und da die Bandbreite der Emotionen in etwa der des Geschmacks von Speisen entspricht, darf es auch mal etwas außerhalb von Brot und Butter sein. Und obwohl es nichts an einer Semmel mit daumendick Butter (oder Margarine) auszusetzen gibt, darf es manchmal auch etwas ausgefallener sein. So wie ich das sehe, setzen Emotionen sich, wie Geschmack, aus wenigen Grundzuständen zusammen und erst die genaue Mischung macht das Ergebnis. Und so sind viele der folgenden Plug-ins auch eine Zusammenstellung von altbekannten Zutaten, aber eben in ungewöhnlicher Kombination, Präsentation oder Art des Zugangs.
Falls wir eines der Plug-ins bereits getestet haben, ist der Artikel unter „Weitere Artikel zu diesem Beitrag“ verlinkt.
Sonic Charge Synplant 2
- Preis: 149,- Euro
Dieser Software-Synthesizer bietet gleich alle drei der o. g. genannten Punkte und qualifiziert sich so locker für unsere Übersicht der zehn verrückten Plug-ins.
Unter der Haube von Sonic Charge Synplant 2 steckt ein vollwertiger polyphoner Synthesizer, der auf einer 2 OP-FM-Architektur beruht, bei dem aber die Klänge nicht an Knöpfen geschraubt werden. Die Erstellung eines Klangs beginnt mit dem Klonen eines Samples. Der Algorithmus von Synplant 2 versucht dann, diesen Klang möglichst gut mithilfe der KI-Engine nachzubilden. Dazu wird ein Oprimierungsverfahren genutzt. Und tatsächlich, je Synth-ähnlicher der Ausgangsklang ist, desto besser gelingt das. Sprach- oder Drum-Samples gehen auch, führen aber eher zu experimentellen Ergebnissen – was durchaus wünschenswert ist.
Die Klänge werden in einer mäandernden Struktur angenähert und es kann jederzeit Einfluss auf den Findungsprozess genommen werden, um den Klang in eine bestimmte Richtung zu lenken. Ist das gemacht, präsentiert sich die Oberfläche, die jeder chromatischen Note einen Sound zuweisen kann. Dies wird als eine Art Wasserpflanze dargestellt, an der auch gezogen werden kann. Dieses Ziehen entspricht dann dem Verstellen der Dutzenden Synth-Parameter und ergibt mitunter seltsame außerweltliche Klänge. Ganz schön verrückt, wenn ihr mich fragt.
Dawesome Love
Dieses FX-Plug-in kombiniert eine Granular-Engine mit einem Filter, einem Shimmer-Reverb, einem Chorus, einem Cloud-Reverb und einem Phaser – in dieser festen Reihenfolge. Die Effekte sind einfach zu bedienen (je vier Parameter pro Effekt) und die Granular-Engine von Dawesome Love bietet drei verschiedene Modi (Chop, Robot, Swarm), die das Signal jeweils anders zerstückeln.
Dawesome Love eignet sich einfach hervorragend, um aus allem und jedem eine bauschige Ambient-Wolke zu machen. Die Effekte sind zwar nicht intern modulierbar aber alle Parameter lassen sich über die DAW-Automation knacksfrei ansteuern.
- Preis: 56,- Euro
AudioThing Hainbach Bundle
Wenn der deutsche Go-To-Guy für ungewöhnliche Apparaturen (die auch Töne von sich geben) und eine locker-flockige britische Software-Schmiede ihre Köpfe zusammenstecken, kann dabei ja nur ein Kandidat für unsere Übersicht der 10 verrückten Plug-ins herauskommen.
Und gesenkten Hauptes muss ich hier auch zugeben, dass die Überschrift, sagen wir mal nicht ganz der Realität entspricht. Denn das AudioThing Hainbach Bundle enthält gleich sieben verschiedene Plug-ins, die allesamt Nachbildungen jener obskuren Gerätschaften sind, die Herr Hainbach in seinem Klanglabor hortet. Darunter befinden sich motorbetriebene Tremolo-Generatoren (AudioThing Things Motor) genauso wie Draht-Recorder (AudioThing Wires) und die Nachbildung eines Gerätes, das ursprünglich als Testgerät für Telefonleitungen (AudioThing Lines) gedacht war.
Mit AudioThing Noises findet sich auch ein Plug-in im Portfolio, mit dem sehr einfach acht Klänge nahtlos überblendet werden können.
- Preis: 199,- Euro
Cable Guys Shaper Box 3
Shaper Box 3 ist ein Kombi-Plug-in und macht damit die Prämisse unserer Überschrift noch unwahrer (falls man davon absehen möchte dass 16 ≠ 10 genauso ungleich ist wie 25 ≠ 10 ist, jedenfalls in bestimmten Feldern der Mathematik).
Alle acht Effekte der Shaper Box öffnen sich in der selben Umgebung und besitzen bis auf eine farbliche Unterscheidung dasselbe GUI. Im Bild könnt ihr den Time-Shaper sehen, der wohl auch mit die verrücktesten Klangbverbiegungen ermöglicht. Die Möglichkeit, alle zehn Shaper miteinander kombinieren zu können, kann mit unter extrem abwegige Sounds erzeugen. Die Effektverläufe können händisch eingezeichnet oder aus Presets ausgewählt werden.
Über eine MIDI-Funktion können dann Presets über Note-on-Befehle on-the-fly ausgewählt werden, falls die komplexen Verläufe noch nicht verrückt genug sind.
- Preis: 99,- Euro
Daniel Gergely Emergence
Dieses Plug-in bietet eine recht nüchterne Oberfläche und beherbergt vier identische Granular-Engines.
Wie die Granulen entstehen, kann in dem grafischen Fenster eingesehen werden. Das allein kann schon recht crazy klingen; der Spaß beginnt aber erst, wenn die vier LFOs zum Einsatz kommen, die jeden Granluar-Parameter steuern können.
Für eine gezielte Manipulation mehrer Parameter kommen dann die vier Makro-Regler zum Einsatz. Wer es nun ganz durchgeknallt mag, bedient sich der ausgefuchsten Random-Funktion, die jedem zugewiesenen Parameter eine genau dosierbare zufällige Einstellung verpasst. Aber Vorsicht, der CPU-Verbrauch kann in manchen Einstellungen verrückt hoch sein.
- Preis: 18,- Euro
Fazertone Neural Drumkit
Beinahe normal erscheint da schon Fazertone Neural Drumkit. Warum hat es das Plug-in dann trotzdem in unsere Übersicht geschafft? Das Verrückte ist, dass es eine unendliche Anzahl an Drum-Sounds erzeugen kann, namentlich Kick, Snare, Tom, Percussion, Clap, OHH, CHH und Cymbals. Wie macht Fazertone Neural Drumkit das? Indem es „gelernt“ hat, wie Drum-Sounds aufgebaut sind – ihr ahnt es sicher schon, hier sind DNN (Deep Neural Networks) im Spiel.
So können immer wieder neue Drums offline erzeugt und im Drum-Set gespeichert werden. Dabei kann es völlig zufällig losgehen, aber falls etwas Klick macht, kann dieser Sound auch über den „Neural Editor“ feiner eingestellt werden. Die Bandbreite an möglichen Drum-Sounds ist wirklich absurd groß.
- Preis: 90,- Euro
Glitchmachines Cataract 2
Ein Hersteller, der schon Glitchmachines heißt, scheint prädestiniert für unsere Übersicht von 10 verrückten Plug-ins zu sein. Und so bietet der Glitchmachines Cataract 2 mit seinen Dual-Sample-Scanners, X-MOD Morpher, Global Parameter Sequencer, Scan Sequencers, Effects Sequencers, Effects & Dynamics Processors, LFOs, Global Randomizer, einer wohl reiflich ausgewählten Factory-Sample-Bank und 100 Factory-Presets, wirklich exzentrische Möglichkeiten, Samples zu verarbeiten, zu verbiegen und zu zerstören.
Alleine die Cross-Modulation zweier Samples und das sequenzierbare Cross-Fading der Sample-Zellen lässt eure alte Sample-Bibliothek neu aufleben. Fracture und Hysteresis sind übrigens auch zwei nette Klangverbieger, die sogar Freeware sind. Aber auch die anderen Plug-ins von Glitchmachines sind keine Leisetreter und verorten in der experimentellen Ecke.
- Preis: 72,- Euro
Puremagnetic Devices
Puremagnetic produzieren ungewöhnliche Plug-ins am laufenden Band und ich habe hier mal drei Devices aus über 50 herausgesucht. Dabei ist der Aufbau immer recht ähnlich, wie hier bei Puremagnetic Innervelt. Ein grafisches Hintergundbild, das thematisch zum Effekt passt, wird von einer Handvoll Reglern ergänzt, deren genaue Funktion im GUI beschrieben wird.
Die Bandbreite ist dabei enorm groß und es gibt Glitch-Plug-ins genauso wie Kombinationen aus Hall, Frequency-Shifter und Reverb. Jedes Plug-in bewegt sich dabei außerhalb der Norm und bringt einen leicht derangierten Touch in das bearbeitete Audiomaterial.
- Preis: 23,- Euro
Sugar Bytes WOW2
Schon etwas älter, aber deswegen auch umso wunderlicher, ist WOW2 von Sugar Bytes. Dieses Plug-in bietet eine Kombination aus über 20 Filter- und verschiedenen Distortion-Typen, die alle mit einem internen Sequencer im Takt der DAW manipuliert werden können. Ein Vocal-Filter gehört ebenso dazu wie Bit-Crush oder Sample-Reduction-„Verzerrer“.
Über MIDI kann das Chaos beherrscht werden und so rückt Sugar Bytes WOW2 auch der Optik wegen in die Kategorie des verrückten Wissenschaftlers und deswegen wiederum in unsere Übersicht der zehn verrückten Plug-ins.
- Preis: 99,- Euro
Freakshow Industries Pocket Dimension
Das durchgeknallteste zuletzt, nicht wahr? Freakshow Industries präsentiert schon auf der eigensinnigen Website ein verschrobenes Image und die Plug-ins enttäuschen wahrlich nicht. Ich habe hier Freakshow Industries Pocket Dimension herausgepickt, aber auch Freakshow Industries Dumpfster Fire, Mishby, Backmask und ****smasher bieten Unerhörtes und bilden quasi schon eine eigene Meta-Kategorie in unseren Übersicht.
Denn nicht nur der Klang von Pocket Dimension, eine Mischung aus Granular-, Ringmodulations- und Echo-Effekten (und mehr) verdreht einem das Ohr; der Untertitel „Visual Cortex Abrasion“ trifft den optischen Effekt ganz gut. Denn um das allsehende Auge kreist ein UFO mit variabler Flugbahn, das in schnell wechselnden dystopisch-verstörenden Bildern im Vergrößerungsglas auf Pixelebene in X/Y-Manier die Effekt-Parameter verstellt. Klingt verrückt – ist auch so. Ach ja, und die Position des Auges kann ebenfalls über MIDI-Noten verstellt werden. Je länger diese gehalten werden, desto mehr entwickelt sich der Effekt.
Die Parameter „Dose“, „Void“ und „Secret“ können zudem auch über die UFO-Flugbahn automatisiert werden.
Zum Glück können die ständig wechselnden Bilder auch von irritierend schnell auf 3-Sekunden-Intervalle gestellt werden. Die Plug-ins sind keine Freeware und Demos gibt es auch – wer es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, hat die Möglichkeit, ganz offiziell eine Lizenz zu „stehlen“. Aber die feine Art ist das nicht.
- Preis: 27,- Euro
Als ich das erste Mal ein Produktvideo von Synplant 2 gesehen habe, konnte man erst überhaupt nicht einordnen ob das Video real ist oder ein gut gemachter PC-Scherz! Selbstverständlich war es echt! Dies zeigt aber, was für ein außergewöhnliches Plugin das ist. Gekauft habe ich es nicht, weil es nicht ganz meiner Musik entspricht. Aber in Sachen innovative Plugins wirklich ein knaller Highlight schlechthin! Eine außergewöhnliche Firma die hier meines Erachtens noch fehlt ist ‚Cymatic Form‘. Diese haben z.B. den Kinetic Metal für Native Instruments erstellt. Optisch ein absoluter Steam-Punk-Traum an Plugin mit metallischem Klang. So sensationell das Plugin erscheint gilt auch hier: Für (klanglich saubere) Produktionen etwas schwierig, einzufügen. Dennoch bin ich fast ein wenig neidisch über solche kreativen Kreationen und deren Mut zur Umsetzung. Toll! Solch ein Beitrag hat definitiv noch gefehlt und ich freue mich auf Teil 2, den es bestimmt irgendwann geben wird. 🙂
Tolle Idee für einen Beitrag! Vielen Dank! Die Plugins von AudioThing sind teilweise sehr interessant. Dials, Noises, Things Motor und Wires habe ich bereits gestetst und vor allem Wires fand ich super. Mit den Puremagnetic Plugins habe ich keine guten Erfahrungen gemacht, empfand ich auch als wenig inspirierend (ist aber schon ’ne Weile her). Hab mir eben mal das Produktvideo zu Pocket Dimension angesehen, irgendwie cool aber nicht so aussagekräftig leider. Werde mir die aber alle nochmal in Ruhe ansehen :)
Für VCV Rack gibt es auch allerhand verrücktes Zeug. Um auf, wie du es beschreibst, außerweltliche Klänge zu kommen, können auch Spektraleditoren wie Izotope RX ganz interessant sein.
Hallo t.goldschmitz
Gut geschriebener, interessanter Bericht, danke.
Ich muss unbedingt ein paar dieser PlugIns ausprobieren.
Kann es sein, dass du bei „Fazertone Neural Drumkit“ im Text
2mal anstatt Neural, Neutral falscherweise getippt hast ?
Gruss masterBlasterFX
@masterBlasterFX Lol, ja Du hast recht! Obwohl „Deep Neutral Networks“ etwas sehr wünschenswertes wären, da diese normalerweise so viel Bias mitbringen, dass da auch grober Unfung rauskommen kann.
Man könnte als nächstes dieses Thema mit Hardware gestalten. Als typisches Beispiel fallen mir die Teenage-Engineering Holz,-Chorpuppen CH-8 ein. Wobei: Wenn man Kinder hat ist das bestimmt nicht schlecht, wenn auch saftig im Preis.
Danke für den Artikel:)
Einige Sachen kannte ich schon aber es ist immer schön Neues zu entdecken.
Was noch gut zu dieser Liste an speziellen Plugins passt, sind die Sachen von Unfiltered Audio.
Die Glitchmachines gibt es immer mal wieder im Sale bei Plugin Boutique für kleines Geld👍
Schöne Liste.
Ich würde noch die Plugins von Goodhertz hinzufügen.
Sie machen zwar nicht wirklich viel neues aber die Interpretation von GUI plus Funktion kann den Blickwinkel ändern wie man bisher über Effekte gedacht habt.
Die Grafik ist bestimmt nicht jedermanns Sache, aber sie wächst einem umso mehr ans Herz über die Zeit in denen man mit den Plugins arbeitet oder vielleicht auch spielt.
Oh je … OH JE!!! Was hast Du getan?!? Das ist ja wieder der PERFEKTE Grund zum Prokrastinieren. Du Schlimmer, Du!
Nein, natürlich nicht ernst gemeint, Spässl! 😉
Vielen Dank für die Übersicht. Es ist echt selten, dass mich fast alle PlugIns in der Übersicht interessieren. »Love«, »Hainbach Bundle«, »Emergency«, »Cataract 2« … ja, doch, da zuckt das Experimentier-GAS! 😃
@Flowwater Es tut mir leid. Aber das war genau die Absicht 😁!
Die Freakshow Plug-Ins können durch die „stolen licence“ praktisch umsonst ausgiebig getestet werden. Nachher kann ja immer noch eine Lizenz gekauft werden.
Sehr gut sind auch die „destroyfx“, die noch aus den Nuller Jahren stammen. Sie wurden vor einiger Zeit auf 64 bit upgedatet, leider aber nicht auf VST3. Es gibt sie gratis hier:
http://destroyfx.org/
Besonders erwähnenswert sind „skidder“ und „transverb“, „Skidder ist ein detailliert editierbarer random-Tremoloeffekt das man z. B. für morsesignalartige Effekte aber auch für subtiles Aufrauhen von Flächen einsetzen kann. Super finde ich das sehr durchdacht angelegte Bedienfeld!
Transverb ist ein Random-Delay, geignet für regen- oder popcornartige Effekte.
Beide Plugins habe ich schon auf Tracks eingesetzt und es gibt für sie leider keine adäquaten Alternativen.
Und dann kann ich auch noch „soundhack“ empfehlen. Auch die haben ein Freeware-Bundle im Angebot, mit sehr vielen Verrücktheiten. Die kostenpflichtigen Plugins habe ich nicht getestet, die Beschreibungen klingen aber auch hier abgefahren:
https://www.soundhack.com/