Sternstunde der Musik
Es war definitiv nicht sein Tag: übermüdet von der langen Anfahrt im Auto von Lausanne nach Köln und enttäuscht, dass der gestellte Flügel entgegen der Absprachen zu klein war, so dass Keith Jarrett das angesetzte Konzert in der Kölner Oper am liebsten kurzerhand absagen wollte. Schließlich ließ er sich von der damals 18-jährigen Konzertveranstalterin Vera Brandes erweichen, doch zu spielen; die Absage wäre für sie ein finanzielles Desaster gewesen. Und dass das Konzert aufgezeichnet wurde, hing nur damit zusammen, dass die Techniker schon alles vorbereitet hatten und Keith sie nicht unverrichteter Dinge nach Hause schicken wollte. Ein Konzert zum Abhaken.
Doch es kam alles anders: Keith Jarretts Köln Concert wurde zum Kassenschlager, begeisterte Zuhörer aller möglichen Genres und war in vielen Plattensammlungen das einzige „Jazz“-Album, wenn denn diese Bezeichnung überhaupt zutreffend ist.
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Vom Wunderkind zum Meister der freien Improvisation
Keith Jarrett, geboren am 8. Mai 1945, begann mit drei Jahren mit dem Klavierspiel und stand bereits mit sieben Jahren auf der Bühne. Er galt damals als Wunderkind. Mit 18 wurde er Mitglied bei den Jazz Messengers des amerikanischen Schlagzeugers Art Blakey – eine der wichtigsten Jazz Formationen überhaupt. Zu hören ist Keith Jarrett auf dem Album Buttercorn Lady.
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1969 berief ihn Miles Davis in seine damalige Jazz-Rock Formation, wo er vor allem Fender Rhodes und Hammond spielte. 1971 folgte sein erstes Solo-Album Facing You, produziert von Manfred Eicher, der mit seinem Label ECM (Edition of Contemporary Music) zu einem der wichtigsten Impulsgeber im Jazz werden sollte. Die Zusammenarbeit hielt über Jahrzehnte an. Schon damals spielte Jarrett frei improvisierte Solokonzerte, 1973 wurden zwei Mitschnitte aus Bremen und Lausanne veröffentlicht. Über die Jahre kamen viele weitere dazu: Bregenz, München, Paris, Wien, La Scala (Mailand), London, Rio, Budapest. Und natürlich auch Köln.
Durch Manfred Eicher entstand der Kontakt zu skandinavischen Musikern: zusammen mit den beiden Norwegern Jan Garbarek (Saxophon) und Jon Christensen (Schlagzeug) sowie dem schwedischen Bassisten Palle Daniellsson entstand ein Quartett, das man später das „nordische“ oder „europäische“ nannte. Herausragende Alben sind z. B. Belonging (1974), My Song (1977) und Nude Ants (1979).
Parallel interessierte sich Keith auch für Instrumente, die im Jazz bisher kaum vorkamen und spielte ein Album an einer Kirchenorgel ein: Hymns and Spheres (1976), sowie 1986 ein Solo-Album auf dem Clavichord (Book of Ways).
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Außerdem pflegte er auch den Trio Jazz und nahm ab 1983 zusammen mit Gary Peacock (Bass) und Jack DeJohnette (Schlagzeug) zahlreiche Alben auf, auf denen sie vor allem Standards spielten. Teils komplexe Kompositionen aber auch vermeintlich einfache Stücke wie Autumn Leaves oder Somewhere over the Rainbow. Das Trio setzte neue Maßstäbe und bewies, dass das traditionelle Jazz-Trio mit Klavier, Bass und Schlagzeug keineswegs veraltet war, sondern zeitlos.
Keith Jarretts Stil
Was ist denn das Besondere an seiner Art, Klavier zu spielen? Zunächst ist Jarrett ein technisch höchst versierter Pianist, dem anscheinend alles mühelos gelingt und der in verschiedenen Genres tätig ist, auch in der klassischen Musik. So hat er unter anderem das gesamte Wohltemperierte Klavier von Bach eingespielt – schon dies allein ist für viele andere, auch professionelle Pianisten – beinahe eine Lebensaufgabe, da die 24 Präludien und Fugen technisch sehr anspruchsvoll sind.
Aber natürlich ist Jarrett in erster Linie Jazzpianist mit einer wunderbaren Phrasierung. Er groovt mit jeder noch so kleinen musikalischen Figur, seine Soli bleiben stets transparent und nachvollziehbar. Eine weitere Besonderheit von Jarretts Spiel sind seine komplexen Begleit-Patterns, auch Ostinato genannt. Wie kaum ein Zweiter beherrscht er eine absolute Unabhängigkeit beider Hände: Die linke Hand spielt eine komplexe Figur, die für sich alleine schon die meisten Pianisten überfordern würde, während seine rechte Hand frei darüber improvisiert.
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Die Kunst der Improvisation
Das Besondere an Jarrett ist, dass er seine Solokonzerte komplett frei spielte. Eigenen Angaben zufolge hatte er jeweils keinen festen Plan, was er an einem Abend spielen werde, sondern entwickelte seine Musik aus dem Moment heraus. Somit war jedes Konzert ein einmaliges Ereignis. „Es ist immer wieder, als würde ich nackt auf die Bühne treten. Das Wichtigste bei einem Solokonzert ist die erste Note, die ich spiele oder die ersten vier Noten. Wenn sie genug Spannung haben, folgt der Rest des Konzerts daraus fast selbstverständlich. Solokonzerte sind so ziemlich die enthüllendste psychologische Selbstanalyse, die ich mir vorstellen kann.“ (Zitat Keith Jarrett, in Peter Rüedi: Keith Jarrett, die Augen des Herzens. In: Siegfried Schmidt-Joos, Idole. 5 Nur der Himmel ist Grenze. Berlin, Verlag Ullstein 1985.)
24. Januar 1975: eine Sternstunde der Musik
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Die Voraussetzungen für das Konzert waren denkbar schlecht: Keith Jarrett war müde von einer langen Autofahrt zusammen mit seinem Produzenten Manfred Eicher von Lausanne bis Köln. Zudem wurde entgegen der Absprachen der falsche Flügel gestellt: Anstelle eines Bösendorfer Imperial, mit einer Länge von 290 Zentimetern und 97 Tasten ein wahrlich beeindruckendes Instrument, stand lediglich ein 170er Bösendorfer Stutzflügel auf der Bühne. Der ansonsten nur für Proben genutzte Flüge war zudem in schlechtem Zustand mit klemmenden Pedalen und Tasten und einem hörbar verstimmten Diskant.
Die Veranstalterin Vera Brandes konnte zwar in letzter Minute einen größeren Flügel organisieren, der jedoch vom Transport bei kalten Temperaturen derart gelitten hatte, dass trotzdem der kleine Bösendorfer zum Einsatz kam.
Die bereits vorbereitete Live-Aufnahme sollte gestrichen werden, schließlich schnitten die Tontechniker das Konzert doch für interne Zwecke mit. Verantwortlich dafür zeichnete sich Martin Wieland vom Tonstudio Bauer in Ludwigsburg. Für die Aufnahme nutzte er zwei Neumann U-67 und eine mobile Telefunken M5-Bandmaschine.
Vom Pausengong bis zu orchestraler Fülle
Das Konzert konnte allen widrigen Umständen zum Trotz beginnen, pünktlich um 23:30; das Konzert war so spät angesetzt, weil zuvor eine Opernvorstellung auf dem Programm stand.
Jarretts erste vier Noten in Köln ließen einige Zuhörer kurz auflachen, handelte es sich doch um die Melodie des Pausengongs, der kurz vor Konzertbeginn die Leute in den Saal rief. Er spielt die Melodie zweimal ehe er sie auf die fünfte Stufe in Moll transponiert und zu anderen Harmonien weiterentwickelt. Keith nimmt sich Zeit und seine Zuhörer mit auf eine Reise ins Ungewisse. Sie werden Zeuge einer Suche nach Klängen, Melodien, Harmonien und rhythmischen Figuren. Der nur leidlich spielbare Flügel zwang Jarrett, seine Musik an das Instrument anzupassen, so dass er sich weitgehend auf die mittleren und tiefen Lagen konzentrierte.
Ganz im Sinne der freien Improvisation tragen die Stücke keine Namen, sondern wurden nur durchnummeriert. Part IIa beginnt mit einem synkopischen Ostinato in strahlendem D-Dur, dem er über lange Zeit treu bleibt. Über den Grundton D spielt er D- und abwechselnd G-Dur Dreiklänge in rhythmisch komplexen Mustern, die er weiter zu einer vollen Klangwolke steigert, groovig und voluminös – um plötzlich (bei Minute 7:58) auszuklingen und Raum zu schaffen für zarte Harmonien. Er wechselt das Tongeschlecht zu d-Moll und lässt ein neues Thema entstehen, das er durch die Harmonien entwickelt.
Das klemmende Pedal, das laute Geräusche erzeugte, nutzt er für rhythmische Akzente als Kontrast zu den dunklen Harmonien (ab 8:52). Improvisationskunst in Höchstform. Jarrett wandelt zwischen den Stilen, die Stimmung ändert sich, wird meditativer. Das Stück endet leise und verhalten.
Part IIb (eigentlich die Fortsetzung von IIa, jedoch musste für das Vinyl-Albumg das Stück unterteilt werden) ist elegischer und teils orchestral (um 13:00), um mit einem expressiven Lauf und ein paar verhaltenen Tönen auszuklingen. Ein offenes Ende, kein fulminanter Schlussakkord, eher eine Frage, die in eine Stille mündet und erst nach einer Weile vom Applaus durchbrochen wird.
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Als Zugabe („Part IIc“) spielte Jarrett sein Stück „Memories of Tomorrow“, das im ersten Real Book Band veröffentlicht wurde. Ein eingängiges Thema, harmonisch klar strukturiert mit einfachen Modulationen. Mit einem zarten C-Dur Dreiklang entlässt er seine Zuhörer in die Nacht, die dies mit begeistertem Applaus quittieren.
Es ist immer wieder beeindruckend, welch unterschiedliche Klänge Jarrett aus dem eigentlich zu kleinen Flügel herausholte, der sich zudem in bedenklichem Zustand befand. Mit zarten, gehauchten Tönen über dunkle Akkorde bis zu orchestralen Akkorden bringt er den kleinen Bösendorfer zum Strahlen.
Etwas seltsam wirkt, dass Jarrett seine Melodien manchmal mitsingt, in – nun ja – nicht der besten Intonation, nicht dominant aber oft dezent im Hintergrund zu hören. Oft wünschte ich mir, er hätte dies sein lassen, aber irgendwie gehört Jarretts leicht schiefer Gesang zu seinem Stil.
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Musik aus dem Moment
Die Faszination dieses Albums liegt auch im Unperfekten. Zu einer Zeit, da die Musik dank damals neuer Synthesizer, Effektpedale, verfeinerten Aufnahmetechniken und immer größeren Verstärkern einen zunehmend technischen und ausgeklügelten Charakter bekam, war ein frei improvisiertes Klavierkonzert eine beinahe provokante Antithese zu den perfekt produzierten Alben von Pink Floyd, Genesis, Kraftwerk, Jean-Michel Jarre, Carlos Santana etc.
Auch im Jazz experimentierte man damals mit komplexen Kompositionen und Arrangements, z. B. John McLaughlins Mahavishnu Orchestra, Chick Coreas Return to Forever, Herbie Hancocks Headhunters oder auch die Band Weather Report mit Joe Zawinul und Wayne Shorter. Fusion, Jazz Rock, Funk und Free Jazz waren angesagt, während Keith Jarrett seinen ganz eigenen, vermeintlich traditionellen Weg ging.
Jarrett ist keiner, der mit seiner präzisen Technik irgendjemandem etwas beweisen will. Natürlich spielt auch er schnelle Läufe, dennoch gelingt es ihm, durch einfache Melodiebögen die Zuhörer abzuholen. Bei ihm folgt nicht einfach ein schneller Lauf den anderen, viel eher spielt er ein Motiv, lässt eine Pause, wiederholt das Motiv in einer Variation und beantwortet es mit einem neuen. Call and Response. Das alte, bewährte Muster, das sich zum Beispiel auch in einem Gospelchor findet, wenn sich Solist und Chor musikalisch die Bälle zuspielen.
Jarrett trat den Beweis an, dass freie Improvisationen nicht automatisch dissonant sind, wie es der Free Jazz vorlebte. Sein Köln Concert klingt harmonisch, beinahe poppig, mit Akkordfolgen, wie sie auch von den Beatles stammen könnten – mitunter ein Grund, weshalb das Köln Concert in Jazzkreisen auch kritisch betrachtet wird. Manchen Jazzmusikern ist diese Musik beinahe zu banal. Andere sind fasziniert von Jarretts Gabe, seine Musik langsam und vor allem nachvollziehbar zu entwickeln.
Ich selbst halte andere seiner Solo-Alben für gelungener, z. B. das Paris Concert. Doch unabhängig davon hatte das Köln Concert eine Wirkung wie kaum ein anderes Jazz-Album der letzten 50 Jahre. Verkauft wurde es um die vier Millionen mal und gilt damit als erfolgreichstes Jazz-Solo- und auch Klavier-Solo-Album.
Gute Musik mit mangelhaftem Instrument
Trotz aller Unwägbarkeiten wurde Keith Jarretts Auftritt in Köln vom 24.1.1975 legendär, was natürlich auch Ausdruck seiner Professionalität ist. Ich denke aber auch, dass gerade die Tatsache, dass schon alles verloren schien, seine Kreativität beflügelte. Wenn es nicht mehr schlimmer werden kann, fühlt man sich freier und weniger an Konventionen gebunden und so ist es zumindest denkbar, dass eine gesunde „Jetzt ist eh alles egal“-Einstellung Jarrett zu kreativen Höhen beflügelte. Außerdem ist dieses Konzert der beste Beweis dafür, dass man auch mit mangelhaften Instrumenten gute Musik spielen kann.
Ich hatte eine fantastischen Kunstlehrer, der leider sehr früh an einer Krankheit verstarb. Wir mochten beide Sting. Eines Tages lieh er mir die Schallplatte vom Köln Concert. Ich war 16/17 Jahre alt. Ich war völlig hin und weg. Mein Einstieg in die Jazz Musik. Danke für die Erinnerung!
Ich liebe dieses Album. Erst mit dieser Performance wurde mir wirklich klar, was freie Improvisationskunst bewirken kann. 😍
Die Kölner Philharmonie ist erst 1986 eröffnet worden.
Da wäre dann nicht nur der Flügel ein Absagegrund gewesen ;-)
Das Konzert fand in der Kölner Oper statt, am 24. Januar 1975.
@zm33 Ich weiß noch, wie wir mit den Fahrrädern zur Eröffnung gefahren sind, nur, um dann festzustellen, daß wir uns im Tag geirrt haben…
@zm33 Danke für diese Klarstellung.
Danke auch für die Links, besonders für den zu Wikipedia. Wie so oft sind die größten Kritiker diejenigen, die selbst gar nicht können, was sie kritisieren.
Wer’s kann, der tut’s, wer’s nicht kann, der kritisiert’s 😉
Mein Lieblings-Konzert unter den Piano-Solo Aufnahmen Jarretts ist das frühe Bremen-Konzert von 1973. Ich verstehe aber auch, wieso viele wohl das Köln-Konzert des bis 1975 deutlich bekannter gewordenen Jarrett als noch zugänglicher empfunden haben.
Wer die in Wiki genannten negativen Kritiker-Zitate dazu liest, kann nur amüsiert den Kopf schütteln.
Joachim Ernst Behrendt war nicht nur Jazz-gebildet, sondern konnte auch auch Jazz-verbildet sein. Er kam offensichtlich nur schwer damit zurecht, dass man als Jazz-Pianist haufenweise simple Dur- und Moll-Akkrode und schlichte melodische Motive verwenden kann, um sie dann frei zu entfalten.
Wie vorher bei electric Miles (Scheuklappen-Bewahrer Stanley Crouch und Wynton Marsalis) oder später Pat Metheny (der per interview ernsthaft mit easy listening in Verbindung gebracht wurde), sind das bloß Perspektiven der unfreiwillig komischen „jazz police“, die gern möchte, dass Jazz zwar nicht tot ist, aber zumindest streng riechen sollte, um ernstgenommen zu werden. Sowas gibt’s auch im Rock: Steely Dan werden seit 2005 von einem musikalischen Vollpfosten unter der frei erfundenen Rubrik „Yacht Rock“ eingruppiert.
Und Wiglaf Drostes Schülerniveau-Gedicht regt sich über die Jarrett zuhörende sogenannte „Innerlichkeit der 70er“ nur deshalb so geringschätzig auf, weil so etwas wie offenes, unvoreingenommenes Zuhören für einen selbsternannten ideologischen Dauerwutredner gegen Papa (und deshalb) die ganze Welt keine Option gewesen wäre.
@defrigge Welche Rubrik wurde denn NICHT „frei erfunden“?
Dieses Prädikat ist genauso wie „selbsternannt“ einfach sinnlos. Als gäbs eine Behörde für sowas, die Rubriken oder was-auch-immer offiziell benennt oder erfindet…
@mort76 Benennungen für Musik-Genres entstehen normalerweise zeitgleich oder zeitnah im Zusammenhang mit der Kultur und der Musikkultur der betreffenden Musik. Meist machen sie so auch Sinn.
Was im Fall von Steely Dan passiert ist, war etwas völlig anderes: J. D. Ryznar u. a. brachten 2005 eine von bizarren Zuschreibungen, dümmlichen Klisches und musikhistorischem Nonsense nur so strotzende Online-Serie namens „Yacht Rock“ heraus, in der sie über verschiedene, musikalisch nicht wirklich in eine Kategorie gehörende West-Coast Bands der 70er und 80er ablästerten. Das war nichts als die Erfindung eines zur Zeit dieser Bands und ihrer Musikkultur nicht existierendes Genres, mit dem einzigen Zweck ignoranter Herabsetzung aller dort genannten Bands. Auch im Rückblick macht diese willkürliche, von Hatern 30 Jahre später frei erfundene Genre-Erfindung mit ihren vielen falschen Zuschreibungen keinen Sinn. Falls Dich interssiert, welche Art Unsinn da verbreitet wurde, ist ein Rick Beato Video zum Thema Yacht Rock ein guter Einstieg.
Auch „selbsternannt“ ist nicht sinnlos. Wenn Leute keinen Schimmer von was haben, aber möglichst öffentlichkeitswirksam großspurig darüber reden, als wären sie Kenner, nenne ich sie selbsternannte Fachleute, Gurus, oder was auch immer.
@defrigge Das macht aber keinen Sinn, wenn es von vornherein niemanden gibt, der einen für etwas bestimmtes ernennt. Bei Fachleuten ist es ja klar, wer die ernennt. Aber meistens liest man diesen Begriff ja eher in einem Zusammenhang wie „selbsternannter Umweltschützer“.
Da frage ich mich dann: Wer ernennt denn offiziell einen Umweltschützer, oder in dem Fall einen „ideologischen Dauerwutredner gegen Papa“? Gibts da ein Diplom, eine Ausbildung mit Abschluß, oder sowas?
Eigentlich ist es Unsinn, darüber zu diskutieren, aber du triggerst da meine Abneigung gegen jene Medien, die solche Wörter prinzipiell gegen Leute verwenden, die ihnen einfach nicht in den Kram passen…Umweltschützer, Tierschützer, Menschenrechtler und so weiter. Deswegen konnte ich mir die Bemerkung nicht verkneifen.
@mort76 Bei selbsternannt denke ich gar nicht an so was wie deutsche Diplome oder einen Hauptmann-von-Köpenick-Effekt, sondern eher an das, was im Englischen „entitled“ genannt wird: wenn Leute sich öffentlich geben, als hätten sie eine Art übergeordnete Richtlinien-Kompetenz und man sich verwundert fragt, basierend auf was? Das ist etwas anderes, als mit einer eigenen Meinung zur Diskussion beizutragen.
Damit lasse ich’s dann auch gut sein…
Ich kann dieses wirklich gute Interview von Rick Beato mit Jarrett empfehlen: https://youtu.be/xgL30jDhoQU?si=V6rBZjikYkdcVtk9
Leider kaum vorstellbar, dass wir ihn noch mal mit neuem Material hören werden nach seinem Schlaganfall.
Mir gefallen auch wunderbar die Duo Alben zusammen mit Charlie Haden („Last Dance“ und „Jasmine“)…
Die Geschichte kannte ich anders: Der zur Verfügung gestellte Flügel war ein Bösendorfer und kein Steinway. Er weigerte sich zuerst und verbot eine Aufnahme. Sie haben es trotzdem aufgenommen.
ich sah Keith Jarrett in Brüssel als Kind. Es war grauenhaft. Improvisation kann auch ganz in die Hose gehen. Er war wütend auf sich, weil es nicht geklappt hatte. Kein Vergleich zum Jahrtausendkonzert in Köln. Kein Album habe ich öfter gehört.
@smoo Im Text steht ja auch nichts von Steinway…
Vielen Dank für den Artikel Martin.🧡
Und wenn irgendwann ein Artikel zu den Solo Sessions Vol. 1+2 von Bill Evans erscheint, werde ich wieder so glücklich sein 😀!
Unlängst ist auf WELT ein ausführlicher und offensichtlich gut recherchierter Artikel veröffentlicht worden, in dem der Autor mit den ganzen hier aufgezählten, bekannten Mythen um das Konzert abrechnet:
-> die junge Veranstalterin wäre gar nicht finanziell ruiniert worden, weil sie von Beruf mehr oder weniger Tochter war.
-> ein Fachmann von Bösendorfer äußert sich zu den Legenden um Jarrett vs. Köln vs. Bösendorfer U.a. Anhand der Datenbank des Herstellers und auch aufgrund der eigenen Expertise. So soll der gestellte Bösendorfer überhaupt nicht die ihm zugeschriebenen Macken (Höhen u Tiefen putt etc.) besessen haben, vielmehr sehr gut im Schuss und exakt in vom Hersteller empfohlenen Intervallen gewartet gewesen zu sein.
-> usw.
Den Link hab ich gerade nicht zur Hand, die Suche auf WELT scheint mit iPad derzeit nicht zu funktionieren; es ist sowieso eventuell ein nur für Abonnenten abrufbarer Artikel. Trotzdem fand ich den Text spannend, insbesondere weil sich außer der damaligen Impressario-Dame und dem Bösendorfer-Mitarbeiter aus Wien niemand bei der Zeitung äußern wollte, noch nicht einmal Manfred Eicher (dem in dem Artikel freilich seine ihm zustehende Ehre gebührt!).
Wie passt das alles zusammen? Egal:
Das Album ist trotz allem immer noch sowas von saugeil, eben weil es alles andere als perfekt ist.
Der Artikel hier wie üblich kurzweilig und informativ, danke dafür!
Alles andere fällt wohl unter „Si non e vero, e molto bene trovato!“.
Lang leben Legenden!