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Alles über MPE Controller wie Linnstrument, Eigenharp & MPiano

Neue Horizonte für Klangdynamik

23. Mai 2018

Zu Beginn der elektronischen Keyboard-Ära waren bereits das Modulations- und Pitch-Wheel zwei Controller zur dynamischen Beeinflussung der gespielten Klänge, die geradezu euphorisch gefeiert wurden. Schon bald kamen neuen Controller hinzu wie Aftertouch oder der berührungsempfindliche Ribbon-Control. Doch die Suche nach immer noch mehr Eingriffsmöglichkeiten in den gespielten Klang hat bis heute nicht nachgelassen. Das neue Zauberwort lautet MPE-Controller und steht für Multidimensional Polyphonic Expression. Zwei Vertreter dieser Gattung haben wir bereits in einem eigenen Special mit Anwender-Erfahrungen, Soundbeispielen und Interviews vorgestellt:

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ALLES ÜBER ROLI SEABOARD & CONTINUUM FINGERBOARD“ (Bitte anklicken um den Artikel zu lesen)

In dem folgendem Artikel möchten wir das Thema um weitere Vertreter der Gattung MPC-Controller ergänzen. Und auch hier lassen wir wieder Anwender im Interview zu Wort kommen und liefern zahlreiche Klangbeispiele. Wir beginnen mit dem außergewöhnlichen LinnStrument. Die großer Variante des LinnStrument haben wir übrigens bereits HIER getestet. Ein Test der kleinen LinnStrument 128 folgt demnächst, das aktuell für 999,- Euro zu haben ist.

Ausgedacht und entwickelt wurde es von keinem Geringeren als Industrielegende Roger Linn. Seine berühmte LinnDrum hat ihn schon in den 80er Jahren rund um den Globus bekannt gemacht und seit einiger Zeit widmet er sich der Konzeption und Entwicklung völlig neuartiger Instrumente. Herausgekommen ist dabei bislang das LinnStrument.

LinnStrument von Roger Linn

Ganz neue Wege beschreitet Roger in Sachen Look, Spielfeld sowie Handhabung und sämtliche Aspekte sind vor allem eins: Anders! Wer sich also für diesen Controller interessiert, sollte zunächst alle möglichen Informationen darüber beschaffen und sich mit den Features befassen. Da hier kein Software Synthesizer mitgeliefert wird, ist diese Info-Phase von besonderer Bedeutung. Es spielt nämlich eine Rolle, ob Sie alle Systemvoraussetzungen von der Computerplattform bis zum Tonerzeuger bereits besitzen oder noch mal in die Tasche greifen müssen für entsprechende Zukäufe. Allerdings gibt es zumindest eine kleine Hilfestellung herstellerseits in Form von Bitwig 8-Track. Die Nutzungslizenz fordert man bei ihm via Website per Email an. Dort finden Kaufinteressenten und LinnStrument Besitzer auch jede Menge Zusatzhinweise und FAQ Infos. Das ist auch nötig, denn intuitiv erschließt sich einem das LinnStrument nicht gerade.

Als Gesprächspartner habe ich diesmal zwei Musiker ausgewählt, beide hatten sich schon in der Kommentarstrecke beim LinnStrument Testbericht geäußert.

Über das LinnStrument habe ich mich zunächst mit dem Österreicher Robert Kastler unterhalten. Er ist Musiker, Arrangeur und Komponist, spielt mehrere Instrumente, ist klassisch ausgebildeter Pianist und hat eine lange Referenzliste mit Bands und Musikprojekten. Bei Interesse lesen Sie einfach mal die Info Seite auf seiner Homepage, den Link finden Sie am Ende des Artikels.

Robert Kastler

Klaus:
Welche Instrumente spielst du außer dem LinnStrument noch und was war der Anlass, es zu kaufen?

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Robert:
Ich komme vom Klavier und Akkordeon, dann ging’s über Fender Rhodes und Minimoog D zu allen Tasteninstrumenten. Spiele auch gerne Drums. Die Entwicklung vom LinnStrument habe ich von Anfang an verfolgt, da ich schon immer sämtliche Saiteninstrumentalisten um ihre Tonbearbeitungsmöglichkeiten beneidet habe. Es gab ja anfangs mehrere Designstudien, unter anderem auch eine Variante mit wechselbaren Layouts mit Tasten, Pads, Grid, die mir sehr gut gefallen hätte, aber Roger Linn hat sich dann auf das Grid-Layout festgelegt. Sein Video mit einem Prototypen hat mir gut gefallen, das LinnStrument war eine konsequente Weiterentwicklung davon und ich suchte eine Herausforderung und Inspiration.

Klaus:
Bitte erzähle ein wenig über Deine Erfahrungen mit dem LinnStrument, und auch über die Lernkurve.

Robert:
Die Lernkurve für einen Keyboarder wie mich ist schon sehr steil und ich muss mir eigentlich immer noch jedes Stück einzeln erarbeiten, übe aber auch nicht wirklich. Ich verwende das LinnStrument am liebsten ohne Y- und Z-Achse, also nur polyphones Pitch Bend auf der X-Achse und normale Anschlagsdynamik. Das funktioniert wirklich super und ermöglicht ausdrucksstarkes Spiel mit unabhängigen Bends und passenden Vibratos mit beliebiger Frequenz. Sehr schön. Sobald ich aber Y- und Z-Achse aktiviere, ist es mit der Kontrolle vorbei. Dann spielt das LinnStrument mehr mit mir als umgekehrt. Durch die bauartbedingt geringen Wege schaffe ich es kaum, die Y-Achse für Auf/Ab, zum Beispiel für Filter Cutoff, oder die Z-Achse mit Druck für Aftertouch oder auch Volume musikalisch sinnvoll zu steuern. Das geht mir dann meist alles zu ruckartig, ganz zu Schweigen von einer unabhängigen Kontrolle der 3 Achsen. Also etwa ein Vibrato ohne Cutoff- oder Lautstärkeänderung. Für diese zusätzlichen und lediglich monophonen Echtzeitsteuerungen verwende ich dann doch lieber die Last Row Function beim LinnStrument, also die unterste Reihe sendet dann einen MIDI-Controller oder ein externes ModWheel. Zusätzlich zum Pitch Bend funktioniert für mich noch am ehesten die Drucksteuerung mit Poly oder Channel Pressure von Synthparametern, Distortion etwa, oder das Hinzufügen von Intervallen. Release Velocity funktioniert gut, ist mir aber nicht ganz so wichtig.

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Klaus:
Wo setzt Du das LinnStrument ein: Bühne, Studio, oder beides?

Robert:
Zuhause. Ab und zu ein kleiner Gig mit Keith Emerson Moog-like Solo oder so.

Klaus:
Gibt es Dinge, die Du beim LinnStrument besonders magst und auch welche, die Dir weniger gefallen? Hast Du Tipps für potentielle Käufer?

Robert:
Das meiste habe ich ja schon erwähnt. Dass das LinnStrument keine eigene Tonerzeugung besitzt und man einen Rechner dafür braucht, dürfte ja klar sein. Es funktioniert aber auch perfekt mit einem iPad, mit Kabel. Nur vier Presets, um die gesamten Einstellungen inklusive Splits abzuspeichern, sind mir eindeutig zu wenig. Es lässt sich zwar schnell umkonfigurieren, trotzdem hätte ich gerne viel mehr. Und man sollte sie auch benennen können, das wird aber schwer zu realisieren sein. Grundsätzlich macht mir das LinnStrument aber sehr viel Spaß, obwohl ich von den 3D-Funktionen, also gleichzeitige Kontrolle der verschiedenen Achsen, mehr erwartet habe. Vielleicht liegt es aber auch an mir und andere Musiker können besser damit umgehen.

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Was MPE allgemein angeht, möchte ich noch die TouchKeys von Andrew McPherson erwähnen, die ich seit der ersten Kickstarter-Kampagne auch besitze. Es gibt sie als Bausatz oder fertiges Keyboard und sie ermöglichen auch ausdrucksstarkes Spiel. Pitchbend-mäßig zwar nicht ganz so flexibel wie das LinnStrument, aber sie bieten eine sehr gute Kontrolle auf der Y-Achse, und eingeschränkt auch Poly Pressure. Zusätzlich zum Aftertouch, also Channel Pressure, des verwendeten Keyboards. Keyboarder kommen damit sicherlich schneller zurecht. Der einzige Nachteil ist, dass die Kanten der aufgeklebten TouchKeys relativ scharf sind und das Keyboard dann für B3-mässiges Orgelspiel nur mehr bedingt geeignet ist.

Im Anschluss an meinen Amazona Test LinnStrument entwickelte sich in der Kommentarstrecke speziell mit einem Leser ein recht ausführlicher Dialog. Sein Nickname ist Chick Sangria, und es ergaben sich dabei einige interessante Aspekte, die in der Konsequenz letztlich zu diesem aktuellen Zweiteiler-Artikel führten. Da er selbst LinnStrument Besitzer ist, bat ich ihn ebenfalls zum Interview, zuvor unterhielten wir uns am Telefon über diesen Controller, MPE im Allgemeinen und tauschten noch weitere Gedanken zum Thema aus. Damit Sie bei Interesse den damaligen Dialog nachverfolgen können, erwähnen wir oben seinen Nickname und bleiben beim Interview auch dabei. Sein Klarname ist der Redaktion natürlich bekannt.

Klaus:
Welche Instrumente spielst Du außer dem LinnStrument noch und was war der Anlass, es zu kaufen?

Chick Sangria:
Ich bin Multi-Instrumentalist auf dem Gebiet Saiten-, Holz-, und Blechblasinstrumente und natürlich Elektronik. Da ich mich spieltechnisch am besten auf dem Griffbrett auskenne, reizte mich das isometrische Layout des LinnStrument, man kann es sich als 8-saitigen und 24-bündigen Fretless-Bass vorstellen. Mein Ziel war es, mit elektronischen Instrumenten eine ähnlich komplexe Ausdrucksstärke zu erreichen wie auf akustischen Instrumenten. Wie Florian Anwander in seinem Synthesizer-Buch richtigerweise immer wieder betont, ist die Klaviatur eines Klaviers oder Keyboards dazu überhaupt nicht ausgelegt. Das Roli Seaboard, das im Prinzip auf dem Ondes Martenot basiert, mag für Pianisten eine gute Wahl sein, aber für mich sind die Hürden hier zu hoch.

Für ein isometrisches MIDI-Layout gibt es auch weniger teure Möglichkeiten. Dazu hatte ich mir bereits einen Breath Controller von TEControl gekauft und ihn vorwiegend in Kombination mit MIDI-Gitarre genutzt, dazu dient die inzwischen im Tracking sehr genaue OSX-App JamOrigin Midi Guitar. Zunächst war ich mit der App Geo Synthesizer sehr zufrieden, da sie ein gitarrenähnliches Notenlayout hat und die MIDI-Ausgabe sehr gut funktioniert. Um einen Einblick in die LinnStrument Welt zu bekommen, habe ich mir die Logic Presets heruntergeladen. Die Pedal-Steel-Simulation zum Beispiel funktionierte mit Geo Synthesizer als Controller sehr gut. Allerdings fehlt beim iPad nicht nur die Touch-Dimension, sondern auch ein haptisches Feedback. Inzwischen habe ich die App Aftertouch auf einem iPhone 6s ausprobiert, die die 3D Touch-Technologie für Pressure Werte nutzt. Das war ganz nett, aber leider hat sie als MIDI-Controller nicht zuverlässig funktioniert bzw. bestimmte Werte nicht ausgegeben. Als Klangerzeuger alleine ist sie zu simpel, kostet aber auch nur 3,49 Euro.

Der konkrete Anlass, das LinnStrument anzuschaffen, war ein Angebot auf eBay Kleinanzeigen, übrigens das einzige Gebrauchtinstrument, das ich auf dem deutschen Markt jemals gesehen habe. Soviel zur Verbreitung des Instruments.

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Klaus:
Bitte erzähle ein wenig über Deine Erfahrungen mit dem LinnStrument, und auch über die Lernkurve.

Chick Sangria:
Ich schildere das jetzt mal aus gitarristischer Perspektive. Es funktioniert visuell wirklich intuitiv, die bekannten Skalen auf das LinnStrument Raster zu übertragen. In der Praxis gibt es leider einen bedeutenden Unterschied, denn die Greifhand, die ist bei den meisten links, ist es gewohnt „umgekehrt“ zu spielen, also auf einem Griffbrett, das vom Körper abgewandt ist. Leider ist das LinnStrument nicht so ergonomisch gebaut wie ein Gitarren-, Bass- oder Cellohals. Man kann es also vernünftigerweise nur spielen, wenn man es vor sich legt. Oder man hängt es sich um und tappt darauf nach Art eines Chapman Stick. So geht einiges von der Fingerfertigkeit verloren, die man auf dem Hauptinstrument besitzt. Läufe und Arpeggien mit der rechten Hand haben bei mir von Anfang an ganz gut geklappt, ich werde aber wohl nie so flüssig wie auf der Gitarre. Zum Test habe ich ein paar Abende lang die erste Minute von Coltranes Giant Steps Solo geübt. Bühnenreif ist es nicht geworden. Das liegt auch daran, dass man auf der Gitarre bei schnellen Saitenwechseln im gleichen Bund den Finger liegen lassen kann. Beim LinnStrument muss man schnell in einer Spalte nach oben oder unten rutschen, eine ziemlich ungewohnte Bewegung. Roger Linn hat die Struktur der Touch Oberfläche übrigens in Rows eingeteilt, also die Reihen entsprechen den Saiten, und in Columns, das sind Spalten, die für die Bünde stehen. Woran ich mich auch auf Deutsch halten möchte. Was noch mehr Übung benötigt, sind Bendings. Man muss die Kraft recht genau dosieren, um einen Ton nicht zu weit zu ziehen. Sonst klingt es schief, und das hört man auf jedem zweiten YouTube Video.

Weniger intuitiv als Melodien lassen sich Akkordmuster übertragen. Meine linke Hand ist ja die Griffe von der anderen Seite aus gewohnt, während meine rechte Hand mit Akkorden bisher wenig am Hut hatte. Zudem fällt die Barré Option weg. Da man auf dem LinnStrument mehrere Töne in einer Reihe spielen kann, ergeben sich aber völlig neue Akkordmuster, die ein bisschen an Tetris Klötze erinnern. Merken konnte ich mir bisher allenfalls die Grunddreiklänge. Für das mehrstimmige Spiel mit Akkord- und Melodiehand ist also eine Menge Übung notwendig. Mag sein, dass Tastenmenschen so etwas leichter fällt, aber gerade die müssen sich an völlig neue Figuren gewöhnen.

Noch weniger intuitiv sind natürlich die Einstellungen an Hard- und Software. Hat man das Instrument für ein paar Wochen aus der Hand gelegt, sind bestimmte Handgriffe wieder vergessen. Dieses Grundproblem elektronischer Instrumente kennt Roger Linn natürlich. Er hat deshalb auf Menüs weitgehend verzichtet und alle Parameter auf die Metalloberfläche gedruckt. Für den Step-Sequencer in der Firmware 2.X gibt es neue Beschriftungen, die auf meinem Instrument noch nicht gedruckt sind und als Aufkleber nachgerüstet werden können.

Während die Einstellungen am LinnStrument sehr logisch funktionieren, herrscht die meiste Verwirrung auf Softwareseite, zumindest am Anfang. Ich empfehle Logic Pro X, jedenfalls nach einigen Experimenten mit Bitwig 8-Track, das es zwar gratis dazu gibt, mir als DAW aber nicht liegt. Anhand der mitgelieferten Presets und der sehr schlüssigen Dokumentation auf Linns Homepage bekommt man nach zwei bis drei Sitzungen eine Vorstellung davon, wie die Zuweisungen funktionieren. Auch die Roli Tutorials helfen da. Meine MIDI-Kenntnisse wurden so stetig besser. Man tut gut daran, Logics eigene MPE-fähige Instrumente dafür zu verwenden, etwa Retro Synth, EXS24 und Alchemy. Hier lassen sich alle Parameter-Zuweisungen per Preset abspeichern. Mit Effekt-Plug-ins funktioniert das leider nicht. Denn hier werden MIDI-CC-Zuweisungen über die globalen Controller Assignments gespeichert. Und die sind nicht MPE-fähig. Ich kann also zum Beispiel keinen Filter polyphon steuern, wenn er ein Plug-in und nicht Teil des Instruments ist. Dieses Manko habe ich auch schon im KVR-Forum an verschiedenen Stellen bemerkt, aber dafür können die MPE-Entwickler nichts, das liegt bei Logic und Apple. Mein großer Traum wäre ja ein Audio Harmonizer Plug-in à la Eventide Octavox, das sich mit polyphonem Aftertouch und Pitch Bend steuern lässt. Man singt ins Mikrofon und produziert einen MPE Chor daraus. Damit wäre man Jacob Collier einen Schritt voraus!

Zur intuitiven Bedienbarkeit des Step-Sequencers kann ich nicht soviel sagen, da ich keine elektronische Musik live mache. Von der Sequencer Kundschaft scheint er bisher nicht sehr enthusiastisch aufgenommen worden zu sein, weil das LinnStrument für einen Sequencer allein ziemlich teuer ist.

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Klaus:
Wo setzt Du das LinnStrument ein: Bühne, Studio oder beides?

Chick Sangria:
Ich habe mich bisher hauptsächlich im Studio damit beschäftigt, ohne allerdings viel damit aufzunehmen. Da ich keine elektronische Musik produziere, sondern eher eine Art elektrischen Jazz mache, muss ich erst noch den Ort für MPE Sounds in Produktionen finden. Tatsächlich habe ich das LinnStrument schon bei zwei Gigs mit Band verwendet. Natürlich ist das Ding ein Hingucker, nach dem nicht nur die im Publikum anwesenden MusikerInnen fragen. Die Funktion von LED Lauftext setzt dem ganzen die Krone auf. Man hängt sich das Teil mit Gurt um und sendet obskure Botschaften ins Publikum. Leider ist mir einmal der Gurt vom Pin abgerutscht, aber das war vermutlich mein Verschulden. Den leichten Sturz hat das Instrument unbeschadet überstanden, es ist sehr stabil gebaut, Assembled in California. In letzter Zeit bin ich mangels Einsatzmöglichkeit wieder davon abgekommen, es live zu verwenden, und muss auch zugeben, dass ich es weniger als früher benutze. Das kann aber jederzeit wieder mehr werden.

Ich bin kein Profimusiker und kenne anderen keine LinnStrument User persönlich, kann also von ihren Erfahrungen nichts berichten. Generell ist mir jedenfalls noch nicht ganz klar, was das zentrale Einsatzgebiet des Instruments ist und wie verbreitet es tatsächlich schon ist. Da es bei Roger Linn sympathischerweise keine Endorser gibt, wird es vermutlich auch nicht dazu kommen, dass jemand wie Bill Laurance plötzlich live ein LinnStrument auspackt, wie das beim Seaboard geschehen ist: https://roli.com/article/bill-laurance-where-the-magic-is. Wo es im professionellen Bereich zum Standard werden könnte, ist mir daher absolut rätselhaft. Die meisten Youtube Videos scheinen eher aus dem Bereich Homestudio zu kommen. Mich würde auch interessieren, ob es für zeitgenössische KomponistInnen oder Musikhochschulen als Instrument spannend ist. Ich habe das LinnStrument allerdings noch in keiner Neue Musik Konzertankündigung erspäht. Das kann aber auch an meiner mangelnden Übersicht liegen.

Klaus:
Gibt es Dinge, die Du beim LinnStrument besonders magst und auch welche, die Dir weniger gefallen? Hast Du Tipps für potentielle Käufer?

Chick Sangria:
Zunächst einmal ist das LinnStrument eine großartige Erfindung und dient hoffentlich als nachhaltige Pionierleistung für Leute, die Musik machen und genauso für welche, die Musikinstrumente herstellen. Der Support von Roger Linn und seinem Entwickler Geert Bevin im KVR-Forum ist vorbildlich, man fühlt sich wie der Teil eines auserwählten Kreises von Leuten, die es mit der Weiterentwicklung von Musikinstrumenten wirklich wissen wollen.

Ein oft geäußerter Kritikpunkt ist das mangelnde haptische Feedback. Die harten Silikonpads lassen sich nicht eindrücken und geben daher kein richtiges Gefühl für die Anschlagstärke. Mich stört auch das hohle Klopfgeräusch, das man beim Hämmern auf dem LinnStrument produziert. Auf der anderen Seite haben die leuchtenden Punkte, deren Farben sich einstellen lassen, etwas Hypnotisches und man ist schnell im Spiel versunken. Vielleicht ist es tatsächlich eher etwas für Impressionisten als für expressive Typen.

Zum Thema Intuitivität oder Expressivität gibt es noch einen allgemeinen Punkt, der sich auf alle Instrumente bezieht. Je weniger man sich auf Griffe, Finger, Saiten, Tasten, Klappen oder Ventile konzentrieren muss, desto expressiver spielt man. Auf dem LinnStrument ist es im Gegensatz zum Seaboard bisher nicht möglich, blind zu spielen, weil jegliche Markierungen fehlen. Eine Verbesserung gibt es in der neuen Version bereits: Alle C-Noten haben Braille-Punkte erhalten. Das konnte ich leider noch nicht testen. In jedem Fall ist das LinnStrument nichts, was man einfach so in die Hand nimmt und loslegt. Der Spaß ist bisher ein eher intellektueller, was man auch an den verfügbaren Performance Videos sieht. Die Typen sitzen an Brettern und fingern darauf herum. Es wird niemals so cool aussehen wie eine Keytar und wird die Kids schwerer dazu animieren, neue Musik damit zu erfinden, als Leute, die auf einem Ableton Push herumhämmern oder an Doepfer Knöpfen schrauben.

Ein Problem für alle, die mit MPE beginnen, ist die Neuheit des Themas. Während die LinnDrum vieles im Hip-Hop erst möglich gemacht hat, fehlt bisher noch die Stilistik, mit der MPE verbunden wäre. Wie klingt MPE? Bisher hauptsächlich nach wabernden Pads und seltsamen Bendings. Oder nach Simulationen akustischer Instrumente, die dem Original zwar recht nahe kommen, aber im Detail eben doch nicht so artikulieren wie ihre Vorbilder. Es gibt natürlich auch noch keine Literatur zu diesem Instrument, also weder bekannte Stücke zum Nachspielen noch Lehrbücher. Immerhin produziert Roger Linn regelmäßig neue Tutorials, und eine Online-Skalentabelle gibt es auch.

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In einem sehr lesens- bzw. hörenswerten Interview auf Synthtopia sagt Keith McMillen, dass neue elektronische Controller die Tradition integrieren müssen. Es sei aussichtslos, neue Instrumente zu erfinden. Was gerade auf Synthtopia lustig klingt, da dort jede Woche mindestens ein Artikel über ein sogenanntes „neues Instrument“ erscheint. Stattdessen solle man an die technische Expertise andocken, die für Instrumente wie Gitarre, Klavier, Saxophon oder Geige in den letzten Jahrhunderten entwickelt wurde. Das ist im Fall der vorhandenen MPE Controller aus meiner Sicht noch nicht ganz gelungen. Ein mainstreamfähiges Instrument müsste die haptischen Eigenschaften des Griffbretts von Gitarre oder Bass zumindest so weit reproduzieren, dass Instrumentalisten nicht wesentlich umlernen müssen. Sie sollten das Instrument mehr oder weniger blind spielen können.

Im Fall von Blascontrollern ist eine solche Emulation übrigens Roland mit dem kürzlich eingeführten Aerophone ganz gut gelungen. Hier wurde die Lücke gefüllt, die Yamaha mit der Einstellung der WX-Serie hinterlassen hat: Es gibt wieder einen Controller mit Blattmundstück und Tasten, die das Gefühl von Klappen wenigstens simulieren. Bei Akais EWI-Serie, die bisher den Markt dominiert hat, ist die Haptik so reduziert, dass sie nur noch abstrakt mit einem Saxophon zu tun hat, außerdem gibt es keine Palm Keys.

Beim LinnStrument ist das intuitive Spiel durch die verkehrte Handhaltung leider erschwert – was nicht heißt, dass man darauf nicht wunderschöne Melodien und Harmonien spielen könnte. Gerade die Optionen schneller Slides über Reihen und Spalten hinweg ermöglichen neue Solotechniken, die noch gar nicht erkundet sind. Ich empfehle übrigens nicht, die Demonstrationsvideos nachzuspielen, wie wir sie etwa von Dream Theater Keyboarder Jordan Ruddess kennen, sondern etwas Eigenes zu entwickeln. Um wirklich fit auf diesem Instrument zu werden, sollte man unbedingt Soli anderer Instrumente nachspielen, raushören, transkribieren und die Artikulation nachempfinden.

LinnStrument 128

Wenn ich vor der Entscheidung stünde, würde ich die kleine Version des LinnStrument kaufen. Für die meisten Anwendungen reicht diese Größe, die in Quartenstimmung einem 49-Tasten-Keyboard entspricht. Beim großen sind es 61, also 5 Oktaven. Sie passt außerdem in viele Gigbags.

Weitere MPE Controller

Neben den Instrumenten Seaboard, Continuum Fingerboard und LinnStrument gibt es noch ein paar weitere Ambitionen. Demo Clips dazu finden Sie in der Linkliste unten.

Eigenharp Modell Tau

Eigenharp etwa, wird seit 2009 von einem britischen Hersteller namens Eigenlab angeboten. Sein Look ist ziemlich ungewöhnlich, ähnelt am ehesten einem Chapman Stick. Man kann unter einigen Versionen aussuchen, sie unterscheiden sich vor allem in der Größe und den Funktionen. Eine Besonderheit: Wind Controller und Ribbon als ergänzende Artikulationsmöglichkeiten neben den multi-expressiven Tasten.

MPiano wird von Alpha Keys hergestellt und erinnert auf den ersten Blick zwar an ein Piano im Future Look, hat aber wie das Seaboard lediglich das Prinzip Tastatur mit 12 Halbtönen pro Oktave gemeinsam. Es handelt sich jedoch um einen MIDI-Controller, der per Computersoftware zum Klingen gebracht wird.

Die Tasten haben eine Nanotech Oberfläche, Sensoren erfassen in hoher Auflösung jede horizontale und vertikale Bewegung, und auch das Taste loslassen ist zu Modulationszwecken dynamisch möglich. Auf der Musikmesse hatte ich Gelegenheit zum Probespiel und war überrascht, wie schnell die Einarbeitung auf diese Technologie klappt: Innerhalb von nur Minuten akkurate Melodielinien, rhythmische Grooves und Akkorde – überhaupt kein Problem. Das Oberflächenmaterial fühlt sich zudem auf Anhieb gut an und der Spielspaß stellte sich ebenfalls sofort ein.

Doepfer LMK2 4 ausgerüstet mit TouchKeys

Das von Robert Kastler erwähnte System TouchKeys geht einen anderen Weg. Zwar orientiert sich der Hersteller ebenfalls am Prinzip Keyboard, jedoch lassen sich die TouchKeys auf eine beliebige Tastatur montieren, sogar im DIY Verfahren. Hinterher ist das Instrument multi-expressiv, zumindest solange das die Tonerzeugung auch ermöglicht. Prinzipiell arbeitet TouchKeys mit jedem MIDI-Instrument, ganz gleich ob Hard- oder Software, und hat natürlich auch USB. Der Hersteller hat neben den DIY Kits auch damit bereits ausgerüstete Masterkeyboards von Doepfer und Novation im Programm.

Touch Keys DIY Kit

Auch fürs iPad wurden entsprechende Apps entwickelt, davon und über weitere MPE Instrumente berichten wir in einem künftigen Artikel.

Wir erkennen also, dass es eine Experimentierszene gibt mit Lust auf Weiterentwicklung in Sachen dynamische Klangartikulation mit elektronischen Tonerzeugern und dafür passenden Controllerinstrumenten. Vielleicht steckt das alles noch ein bisschen in den Kinderschuhen und den Erfahrungsberichten der Musiker zufolge, die solche Sachen bereits enthusiastisch einsetzen, ist man zwar noch auf der Suche nach dem Heiligen Gral. Weil es hier und dort etwas hakt, umständlich erscheint oder Erwartungen nicht ganz erfüllt werden. Doch das Licht am Horizont ist durchaus erkennbar. Wir jedenfalls bleiben dran und beobachten das. Eine gute Idee ist auf jeden Fall, sich Zeit zu nehmen und ganz spielerisch diesen Instrumenten zu widmen. Um herauszufinden, für welche musikalischen Vorhaben sie besonders gut geeignet sind. Und wo es noch was zu verbessern gibt. Wir jedenfalls werden diese Entwicklung weiterhin sorgsam beobachten und Ihnen berichten, sobald es Neuheiten und Updates für schon realisierte MPE Controller und deren Sound Engines gibt.

Mein ganz besonderer Dank geht an die Interviewpartner, die sich ambitioniert mit meinen Fragen beschäftigt und ausführlich ihre Gedanken dargelegt haben. Und mit ihren musikalischen Beiträgen das Bild vervollständigten.

Im Anhang finden Sie zahlreiche Audiobeispiele die auch grundsätzlich MIDI-Controller beschreiben, die in den meisten MIDI-Keyboards vorhanden sind. Und auch hierzu können wir Einsteigern diesen Artikel empfehlen HIER KLICKEN:

„Aftertouch, Ribbon, Breath, Mod-Wheel, Joystick. Was genau steuern all dieser Controller? Und das sind längst nicht alle MIDI-Controller. Wir haben einen ausführlichen Überblick für euch erstellt.“

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Klangbeispiele
Forum
  1. Profilbild
    fritz808

    „MPE-Controller und steht für Multidimensional Polyphonic Expression“
    … braucht man das wirklich? die standard-controller wie wheels, aftertouch, fußpedale etc. müssen erst mal richtig beherrscht werden und sorgen am ende bereits für sehr ausdrucksstarke darbietungen.

    • Profilbild
      k.rausch AHU 1

      @fritz808 Der Hinweis ist völlig berechtigt. Dieser Artikel war ursprünglich ein 2-Teiler über MPE und die entsprechenden Instrumente. Im Outro wurde als Diskussionsbasis für den musikalischen Gegenentwurf das komplette Arsenal Standard Controller Wheels, Ribbon, Foot Control usw. thematisiert. Dieser Teil wurde jedoch kürzlich abgetrennt, weil er bei MPE etwas untergegangen ist und nicht die angemessene Aufmerksamkeit bekam. Hier findest Du also „MIDI: Aftertouch, Ribbon, Breath, Mod-Wheel, Joystick und mehr“ samt zugehöriger Audio Tracks: https://www.amazona.de/midi-aftertouch-ribbon-breath-mod-wheel-joystick-und-mehr/

    • Profilbild
      Panta Flux

      @fritz808 Ja, natürlich braucht man MPE! Alleine schon, weil ich es gerne hätte. :-D … im Gegensatz zu den ganzen Standard-Controllern, auf die ich liebend gerne verzichte, weil sie beim Spielen eine eigentlich ganz einfache Sache unnötig verkomplizieren.

      Die Frage hieße auf Gitarrenspieler übertragen: „Verschiedene Spiel-, Anschlag- und sonstwas-Techniken … braucht man die? Kann man nicht jede Saite einfach durch einen Mechanismus gleichmäßig zupfen (Cembalo) und dann durch externe Controller für Ausdruckstärke sorgen?“ ;-)

      Wenn das Haken Continuum nicht so preisintensiv wäre, hätte ich das hier schon längst im Einsatz.

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