Overdrive Pedale und ihre Geschichte!
Das Overdrive-Pedal gehört zu den prägendsten Gitarreneffekten der Musikgeschichte. Was einst als Übersteuerung in röhrenbetriebenen Verstärkern begann, entwickelte sich über Jahrzehnte zu einem Kult-Sound für Gitarristen in Blues, Rock und sogar Metal. Von den ersten unfreiwilligen Verzerrungen in den 1950ern bis hin zu legendären Pedalen wie dem Ibanez Tube Screamer und dem mystischen Klon Centaur – wir beleuchten die Ursprünge, die technische Entwicklung und die kulturelle Bedeutung des Overdrive-Pedals in Gitarrensound und Musik.
Ursprung: Röhrenverstärker und erste Verzerrerklänge
In den Anfängen der E-Gitarre galt ein klarer, unverzerrter Ton als Ideal. Doch mit dem Aufkommen des Rock’n’Roll entdeckten Gitarristen schnell, dass aufgedrehte Röhrenverstärker einen neuen, aufregenden Klang erzeugten. Wenn man einen Röhren-Amp bis an die Leistungsgrenze trieb, begann der Sound angenehm zu verzerren – ein warmer Vintage-Sound, der sich vom braven Klangbild der 50er-Jahre abhob. Tja – manchmal ist zu viel eben gerade gut genug!
Dieser übersteuerte Röhrensound gilt als Geburtsstunde des Overdrive: Gitarristen wie Eric Clapton nutzten 1966 auf dem berühmten “Beano”-Album mit John Mayall einen voll aufgedrehten Marshall-Verstärker, um einen saftigen, singenden Overdrive-Ton zu erzeugen.
Gleichzeitig führten technische Defekte zu neuen Verzerrer-Ideen. 1961 sorgte ein kaputter Mischpultkanal bei Marty Robbins Song “Don’t Worry” zufällig für einen verzerrten Bassgitarren-Sound – ein Effekt, der so gut ankam, dass er die Entwicklung des ersten Fuzz-Pedals inspirierte. Dieses Pedal, das Maestro FZ-1 Fuzz-Tone, erschien 1962 und lieferte einen deutlich raueren Verzerrer-Sound. Gitarristen wie Keith Richards von den Rolling Stones machten 1965 mit “(I Can’t Get No) Satisfaction” den aggressiven Fuzz-Klang weltberühmt. Doch der Fuzz-Effekt klang absichtlich dreckig und kratzig – anders als der weiche Overdrive eines übersteuerten Röhrenamps. Viele Musiker suchten deshalb nach einem Weg, die Verzerrung eines angezerrten Verstärkers in Pedalform zu kopieren, um den begehrten Vintage-Sound auch bei moderaten Lautstärken zu erzielen.
Die ersten Overdrive-Pedale in den 1970ern
Ende der 1960er-Jahre kamen erste Lösungen auf, um Amps gezielt in die Übersteuerung zu treiben. Beispielsweise boten Booster-Pedale wie der Sola Sound Power Boost oder der Electro-Harmonix LPB-1 (Linear Power Booster) ab 1969 die Möglichkeit, das Gitarrensignal anzuheben und Röhrenamps damit anzuschieben. Diese einfachen Booster lieferten zwar selbst noch keine eigene Verzerrung, konnten aber einen Amp zum Overdrive bringen. Es wurde laut – und kratzig!
Erst Mitte der 1970er erschienen tatsächlich dedizierte Overdrive-Pedale auf dem Markt. Als Pionier gilt hier der BOSS OD-1, den Roland 1977 vorstellte. Dieses in Japan gefertigte gelbe Pedal war eines der ersten Geräte, das gezielt eine gemäßigte, röhrenartige Verzerrung erzeugte – warm, dynamisch und ohne den Sound komplett zu verändern. Schon eine ziemlich legendäre Leistung von Boss, wenn man so will. Interessanterweise hatte der OD-1 nur zwei Regler (Level und Overdrive) und keine Klangregelung, bot dafür aber ein sehr natürliches Klangverhalten. Fast gleichzeitig erschien in den USA der DOD Overdrive Preamp 250, der ähnlich arbeitete und bis heute für seinen transparenten Klang geschätzt wird. Beide frühen Overdrive-Pedale hoben sich von den zuvor dominierenden Fuzzboxen dadurch ab, dass sie eben weichere Verzerrung (“Soft Clipping”) produzierten und den Charakter des Verstärkers bewahrten.
Nachfolger & Varianten:
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BOSS SD-1 Super OverDrive (1981): Fügte dem OD-1 einen Tone-Regler hinzu und wurde ein absoluter Klassiker.
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BOSS OD-2 Turbo OverDrive (1985): Mit mehr Gain und zwei Modi – ideal für Rock & Metal.


Einen Quantensprung markierte dann der Ibanez Tube Screamer. Entwickelt von der japanischen Firma Maxon für Ibanez, kam 1979 der grüne TS-808 Tube Screamer auf den Markt (ganz recht – wird gerne vergessen, dass der Tubescreamer NICHT eine Inhouse-Idee von Ibanez war!). Dieses Pedal – offiziell Overdrive Pro genannt – besaß bereits den typischen Sound, den wir heute mit Overdrive verbinden: eine mild bis mittig fokussierte Verzerrung, die ideal ist, um einen Amp zu veredeln. Der Tube Screamer wurde schnell zum Liebling vieler Gitarristen. Blues- und Rock-Spieler wie Stevie Ray Vaughan schworen auf den TS-808 (bzw. dessen Nachfolger TS-9) für ihren singenden Texas-Blues-Ton. Bis heute gilt der Tube Screamer als einer der Referenz-Verzerrer für Overdrive-Pedale – sein geschmeidiger, mittiger Klang prägt unzählige Aufnahmen und er wurde unzählige Male kopiert.
Weitere Modelle:
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TS-9 (1982): Weniger rund als der TS-808, dafür etwas aggressiver.
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TS-10 (späte 80er): Kompakt, heute bei Sammlern beliebt.
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TS Mini: Moderne Miniatur-Version mit originalem Sound.
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Maxon OD-808: Das Original unter eigenem Namen.
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Boutique-Mods: JHS, Keeley und Analogman bieten modifizierte Varianten mit True Bypass, erweiterten Tonregelungen oder verbesserter Dynamik.
Wie – ihr habt den kleinen TS Mini noch nicht auf dem Board? Wird aber höchste Zeit. Bessere Zerre für weniger Geld und platzsparender findet ihr kaum:


Ikonische Overdrive-Pedale und ihr Sound
Über die Jahre sind einige Overdrive-Pedale zu wahren Klassikern geworden. Sie unterscheiden sich teils deutlich in Klangcharakter und Einsatzgebiet. Im Folgenden ein Überblick über ein paar ikonische Modelle und was sie besonders macht:
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Ibanez Tube Screamer (TS-808/TS-9, ab 1979): Der Tube Screamer steht synonym für den warmen, mittigen Overdrive. Er liefert einen weichen “Creamy” Sound mit betonten Mitten und moderatem Gain – perfekt, um einen bereits leicht verzerrten Amp weiter anzusättigen, ohne den Grundklang zu verfälschen. Berühmte Nutzer wie Stevie Ray Vaughan nutzten den Tube Screamer, um ihrem Fender-Verstärker mehr Biss und Sustain zu entlocken. Der TS-808 erzeugt den klassischen Vintage-Sound eines angezerrten Röhrenverstärkers und wird bis heute in Blues und Rock hochgeschätzt.
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BOSS OD-1 (1977): Als eines der ersten Overdrive-Pedale überhaupt gilt der gelbe Boss OD-1 bis heute als Meilenstein. Sein Schaltkreis nutzt unsymmetrisches Clipping (eine Erfindung, die Roland patentieren ließ), was zu einem sehr dynamischen Overdrive führt. Im Gegensatz zu manchem Verzerrer liefert der OD-1 einen offenen Klang, der gut auf Anschlagsstärke reagiert. Er war Grundstein für viele spätere Modelle – so basiert der populäre BOSS SD-1 (1981) im Kern auf dem OD-1, erweitert um einen Tone-Regler. Trotz der einfachen Bedienung hat der OD-1 den Gitarrensound in Rock und sogar Metal mitgeprägt, da viele ihn in den 80ern als Booster vor High-Gain-Amps einsetzten.
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Klon Centaur (1994): Kein Overdrive-Pedal wird so mystifiziert wie der goldene Klon Centaur. Dieses in den 1990er-Jahren von Bill Finnegan handgefertigte Boutique-Pedal erreichte Kultstatus durch seinen “transparenten” Overdrive. Der Klon mischt dem verzerrten Signal einen Teil des Clean-Tons wieder bei, was zu einem äußerst klaren, definierten Klang führt, der den Charakter von Gitarre und Amp erhält. Gitarristen schätzen den Centaur als Boost-Pedal, um einem Röhrenamp gerade eben die richtige Menge an Verzerrung und Lautstärke zu geben, ohne matschig zu klingen. Da nur wenige tausend Exemplare gebaut wurden, erzielen original Klons astronomische Sammlerpreise – was den Mythos weiter befeuert. Sein Sound lebt in Form zahlreicher Nachbauten (sogenannten “Klones”) weiter.


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Marshall Bluesbreaker (1991): Inspiriert vom Klang von Eric Claptons 1960er Marshall (“Bluesbreaker” Amp), erschien dieses Pedal Anfang der 90er. Der Marshall Bluesbreaker liefert einen sehr milden Overdrive mit zurückhaltendem Gain und viel Transparenz – ideal für Vintage-Sounds im Blues und Classic Rock. Viele neuere Boutique-Pedale (z. B. der Analogman King of Tone) basieren auf diesem Schaltkreis. Gitarrenlegenden wie John Mayer nutzen Varianten des Bluesbreaker-Pedals, um einen mild angezerrten Gitarrensound à la Clapton zu erreichen.


Overdrive, Distortion oder Fuzz? Technische Unterschiede
Alle Verzerrereffekte beruhen darauf, dass ein Audiosignal übersteuert wird und dadurch Klangverzerrungen entstehen. Dennoch gibt es Unterschiede in der Art der Verzerrung:
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Overdrive: Ein Overdrive-Pedal zielt darauf ab, den Klang eines gerade in die Sättigung gefahrenen Röhrenverstärkers nachzuahmen. Die Schaltung erzeugt weiches Clipping, d. h. die Signalschwingungsform wird nur sanft “abgeschnitten”. Dadurch klingt Overdrive dynamisch und reaktiv – spielt man sanft, bleibt der Ton relativ clean, spielt man härter, setzt die warme Verzerrung ein. Overdrive-Effekte behalten viel vom originalen Ton bei und fügen eine angenehme Wärme hinzu. Typischerweise nutzt man Overdrive entweder, um einen cleanen Amp leicht anzuzerren oder um einen bereits leicht verzerrten Amp weiter in die Sättigung zu schieben.
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Distortion: Ein Distortion-Pedal liefert eine deutlich stärkere Verzerrung. Hier wird das Signal meist hart beschnitten (Hard Clipping), was einen aggressiveren, dichteren Klang ergibt. Distortion-Pedale klingen in der Regel weniger nuanciert – egal wie hart man anschlägt, der Zerrgrad bleibt hoch. Das Ergebnis ist ein durchgehend satter Crunch-Sound, der besonders in Rock und Metal beliebt ist. Distortion-Effekte (z. B. Boss DS-1, ProCo Rat) nehmen dem Signal mehr Dynamik, geben aber dafür sustainreiches, homogeneres Brett an Verzerrung.


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Fuzz: Fuzz ist die Urform des künstlichen Verzerrers und klingt am extremsten. Fuzz-Pedale nutzen häufig Transistoren, um das Signal beinahe rechteckig zu verzerren – man spricht von gesättigter Verzerrung. Der Sound ist sehr fuzzig, oft wild und komprimiert, mit viel Sustain und einem beinahe Synth-artigen Klangcharakter. Ein Fuzz kann wie ein kaputter Verstärker klingen, was in den 60ern bewusst von Gitarristen eingesetzt wurde (siehe z. B. Jimi Hendrix’ Fuzz Face). Im Vergleich zu Overdrive wirkt Fuzz weniger natürlich und reagiert empfindlich auf Gitarren- und Amp-Einstellungen. Für bestimmte Vintage-Sounds (Garage Rock, Psychedelic) ist Fuzz jedoch unerlässlich.
Einfluss auf Musik: Gitarristen, Genres und legendäre Sounds
Im Laufe der Zeit hat das Overdrive-Pedal unzählige Gitarrensounds geprägt. Besonders im Blues und Rock ist der warme Overdrive nicht wegzudenken. Gitarrenlegenden wie Stevie Ray Vaughan erzeugten ihren markanten Ton, indem sie einen Tube Screamer vor einen laut aufgedrehten Fender-Verstärker schalteten – der resultierende Klang verband klare Artikulation mit cremiger Verzerrung und definierte den Texas-Blues-Rock der 1980er maßgeblich. Auch Eric Clapton setzte später in seiner Karriere Overdrive-Pedale ein, um seinen bereits angezerrten Röhrensound noch satter klingen zu lassen, ohne die musikalische Dynamik zu verlieren.
In der Rock-Musik generell sorgte Overdrive für den archetypischen “Crunch”. Ob in den rifflastigen 70ern oder im Stadion-Rock der 80er – ein angezerrter Rhythmus-Sound und singende, mit Overdrive geboostete Soli gehören zum Genre. Viele Gitarristen der Classic-Rock-Ära (etwa Angus Young von AC/DC) erzielten Overdrive zunächst einfach durch voll aufgedrehte Amps, später nutzten sie Pedale wie den Tube Screamer oder den Boss SD-1, um bei geringerer Lautstärke ähnliche Ergebnisse zu erzielen.
Auch im Metal findet Overdrive seinen Platz, obwohl hier oft High-Gain-Distortion dominiert. Metal-Gitarristen verwenden Overdrive-Pedale gern als Boost vor einem bereits verzerrten Amp, um dem Klang mehr Attack und Straffheit zu verleihen. Ein bekanntes Beispiel ist der Einsatz eines Tube Screamers (oder Klon) in modernen Metal-Rigs: Das Pedal schneidet etwas Bass weg, betont Mitten und fügt Gain hinzu – so wird ein hoch verzerrter Amp noch definierter und durchsetzungsfähiger.
Overdrive-Pedale – zeitlose Klangwerkzeuge
Vom Vintage-Röhrensound der frühen Rock-Ära bis zum modernen Boutique-Pedal hat das Overdrive-Pedal einen langen Weg hinter sich. Historisch entstanden aus lauten Röhrenamps und ersten Experimenten mit Verzerrung, hat es sich zu einem unverzichtbaren Werkzeug für Gitarreneffekte entwickelt. Overdrive-Pedale ermöglichen es Musikern, den begehrten warmen, dynamischen Verzerrer-Sound auf Knopfdruck abzurufen – sei es im Wohnzimmer bei Zimmerlautstärke oder auf der großen Bühne.
Durch ikonische Modelle wie den Ibanez Tube Screamer, den Boss OD-1 oder den Klon Centaur hat jeder Gitarrist heute Zugang zu einer Palette klassischer Overdrive-Klänge, die einst mühsam durch Zufall oder hohe Lautstärke erreicht wurden. Ob für Blues-Licks, rockige Riffs oder als Geheimwaffe im Metal-Brett – Overdrive-Pedale prägen den Gitarrensound seit Jahrzehnten und sind aus der Musik nicht mehr wegzudenken. Der Siegeszug des Overdrive-Pedals zeigt: Ein guter Gitarrensound braucht manchmal einfach nur das richtige Maß an Verzerrung – und genau das liefert ein Overdrive, auf Knopfdruck.
Unten findet ihr noch ein paar Overdrive-Pedale, die ihr auf eure Liste setzen solltet und die uns in den letzten Jahren sehr beeindruckt haben.