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Green Box: Böhm Dynamic 4×9, FM-Synthesizer Expander

4 OP FM aus Deutschland

17. Oktober 2020

Alles beginnt mit einem Paket

Eine Mail von Peter Grandl, ob ich einen Bericht über einen Böhm X4 machen möchte, aber Hallo und wie ! Kurzer Austausch und as Gerät wurde unbesehen kurzerhand annektiert (kostenpflichtige Übernahme). Ein paar Tage später kommt ein Paket aus Karlsberg und die Freude ist groß. Vor mir liegt der X4 in seinem ganzen Elend, alle Kontakte an den Audioanschlüssen korrodiert und die Stimmenabgabe lässt auf Ausfälle schliessen (Ton Ton kein Ton Ton Ton kein Ton – wer kennt und liebt das nicht).

Also frisch ans Werk und siehe da, die Maschine kann Ihre Herkunft als Selbstbaumaschine zum damaligen Premiumpreis nicht leugnen. Nach Entfernen der oberen Gehäuseplatte schaut einem ein fülliges Innenleben mit drei senkrecht stehenden Klangerzeugerkarten ins Auge. Drei ? Ich habe doch einen X4 ! Wie es scheint ab jetzt einen X3. Die Karten rausgenommen und wir erfreuen uns an einem vorbildlichen Säureschaden einer ausgelaufenen Speicherbatterie, der auch vor den verbliebenen drei Klangkarten nicht halt gemacht hat. Soviel zum Thema der Artikel steht nächste Woche …. über zwei Monate später haben wir nun unseren X4 mit drei Karten, neuen Inputs hinten, bereinigten Säureschaden, instand gesetzten Klangkarten sowie einem neuen blauen LC Display, das alte grüne musste aus Ermattung des Kontrast weichen. Dank auch an eine langjährige englische Freundin, die mir ROMS besorgte, mit denen der Betrieb mit drei (oder zwei oder ….) Klangkarten möglich ist. Und natürlich wurden alle Kondensatoren getauscht – alle. Aber eigentlich begann alles viel früher als mit dem Paket von Peter:

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Der Böhm Dynamic 4×9 kam 1987 als Nachfolger des Expander 12/24 sowohl als Bausatz als auch als Fertiggerät heraus. Die Vollversion des FM-Expanders aus Minden mit Cartridge-Slot und Ensemble-Effekt kostete damals satte 4.800,- DM. 

Böhm 4×9 – ein FM-Multi-Orchester

Das Gerät beinhaltet bis zu vier unabhängige digitale Klangerzeuger, die getrennt angesteuert und das Audio betreffend abgenommen werden konnten. Die benutzte Klangerzeugung war eine Spielart der FM-Synthese, genannt Phasen-Modulation. Jede der einzelnen Klangerzeuger war neunstimmig polyphon, vierfache Multitimbralität wurde im Vollausbau durch Verwendung der vier Klangerzeuger erreicht, ein späterer Software-Stand ermöglichte bis zu neun verschiedene Klänge pro Klangerzeuger, was theoretisch 36 verschiedene (dann notgedrungen monophone) Klänge ermöglichte. Der Hersteller versprach 495 Speicherplätze, aber am Ende wurden es 200 feste vorgegebene Speicherplätze und weitere 200 vom Benutzer editierbare. Dazu konnte man 100 Soundeinstellungen auf der optional erhältlichen Cartridge abspeichern. Als weitere Option konnte in die Stereosumme aller vier Klangerzeuger ein Phaser/Chorus einbezogen werden – auch gegen Aufpreis versteht sich.

Die Anschlüsse des Böhm 4×9

An Anschlüssen mangelt es nicht, es gibt sechs Audioausgänge (1x je Klangerzeuger mono plus eine Stereosumme) plus zwei separate Effektausgänge, die alle in 6,3 mm Klinke beschaltet sind. Dazu gesellen sich ein MIDI-Ausgang sowie je zwei MIDI In und MIDI Thru Anschlüsse mittels klassischen DIN-Buchsen. Ein Anschluss für einen Fußschweller sowie zwei Fußtastern nebst einem Netzanschluss für 220 V runden das Anschlusspaket ab. Manche Modelle, die mit einem Cartridge-Slot ausgestattet sind, haben jeweils einen Slot an der Vorder- und einen an der Rückseite.

Klangerzeugung und Technik im Böhm 4×9

Das Innenleben jedes einzelnen Klangerzeugers basiert auf dem Yamaha YM-2203 Chip, auf dem sich jeweils drei Chips pro Klangerzeuger/Karte befinden. Jeder einzelne YM-2203 verfügt über eine dreistimmige Polyphonie. Die Klangerzeugung ist der FM-Klangerzeugung näher als der PD-Synthese, die zum Beispiel von Casio verwendet wurde. Der Chip fand vor allem in Asien breite Verwendung in Home- und Personalcomputer des Herstellers NEC sowie in einige Spielhallen-Automaten. Der Chip erzeugt (digital) Sinus-, Rechteck- oder Dreieckschwingungen, die mit bis zu vier verschiedenen Operatoren gleichzeitig bearbeitet werden können, die sich acht verschiedenen Algorithmen bedienen können. Jeder Operator hat eine eigene ADSR-Hüllkurve, Parameter für Keytracking, Levelscaling und Tuning. Dazu kommt ein weiterer ADSR für Pitch pro OP. Dies geschieht in 13 Bit Auflösung (!) durch den Yamaha YM-3014 DAC. Dieser Chip gehört daher noch zu der Generation, wo FM-Chip und Wandler getrennt sind. Für weitere Details der FM-Klangsynthese empfehlen sich Artikel oder Bücher des AMAZONA.de Autors Klaus-Peter Rausch.

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Wie klingt der Böhms FM-Synthesizer?

So ab jetzt kann sich der Autor nur auf Glatteis bewegen. Wird die Sprache zu blumig, kommt der Vorwurf der Esoterik auf. Wird man zu sachlich, fehlen die Beispiele und sowieso hat man ja keine Ahnung. Ja, der Ton ist rauer geworden. Da der Autor dieses Berichts aus vorgenannten Gründen keine Chance hat, nutzt er diese jetzt erst recht: Der Klang erinnert an andere Yamaha 4-OP FM-Klangerzeuger dieser Zeit, klingt aber im Vergleich zu denen wesentlich voller. Die Ansteuerung der Dynamik (vulgo Anschlagsdynamik) wurde vorbildlich umgesetzt, was für Böhm zu diesem Zeitpunkt (Ende 1987) ein Novum war. Vor allem das Vorhandensein der vier Sektionen – in unserem vorliegenden Testgerät leider nur drei – lädt zum Layering von Sounds ein, die aufgrund der sehr ordentlichen Audiosektion (hochwertige Operationsverstärker) auch recht druckvoll klingt.

Dynamischer als ein Yamaha FB-01 oder DX21/27 aus dieser Zeit. Aber es bleibt eine 4-OP Maschine, das in manchen Sounds Filigrane eines Yamaha DX7 fehlt, in der Dynamik kann er aber (locker) mithalten. Und auch der optional damals erhältliche Ensemble-Effekt sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass die Ausgabe jedes Klangerzeugers nur mono geschieht. Nachfolgend ein paar kleine Audiobeispiele, mono ohne Effekte im WAV-Format aufgenommen (für die Freunde ausgelassener Demos gibt es am Ende des Artikels einen Link zu einem YouTube Video mit zwei Demosongs).

Die Bedienung

Auch der Böhm 4×9 folgt in Sachen Bedienbarkeit den Kindern dieser Zeit, es gibt keine Regler, sondern es werden Parameter aufgerufen und numerisch mittels der Taster auf der Vorderseite editiert. Die Parameter werden auf einem 2×16 Zeichen großen LC-Display dargestellt, im Original grün, in diesem Modell wegen der besseren Lesbarkeit nun im modischen Blau. Wenig intuitiv wie viele FM-Synthesizer, aber Hilfe naht im Form des …

Der Stereoping Böhm Hardware-Controller

Diese kleine hervorragend verarbeitete „Wunderschachtel“ macht das Leben mit dem 4×9 deutlich einfacher. Auf der Front finden wir 16 Regler und drei Taster. Die Parameter für Keyscale/Tuning, Schwingungsform, jeweilige ADSR, OP-Frequenzen und/oder Feedback lassen sich direkt einstellen. Dem Ahnungslosen in Sachen FM eröffnet dieser Controller das Spielfeld der Improvisation, welcher sich im Spielball der Emotionen befindet, da eine kleine Änderungen eine große Wirkung haben kann wie bei allen FM Synthesizern. In einer Sekunde noch den Wunschklang in der Fläche, in der nächsten ein Häufchen Elend … man liebt es oder hasst es. Alternativ hat man Ahnung von FM und dabei ist besonders diese kleine Kiste eine wirklich Bereicherung und Freude in der Benutzung!

Böhm Dynamic 4×9 FM-Synthesizer im Studio

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Fazit

Der Böhm 4×9 klingt anders als viele andere FM/PD-Erzeuger. Seine Dynamik in Verbindung der Einladung zum Überlagern von Sounds bietet viel Raum für Neues und Bewährtes. Dazu kommt der Aufbau in DIL-Technik des Innenlebens, da die Maschine hauptsächlich für Selbstbauer angeboten wurde. Für die Erhaltung und Reparatur einer solchen Maschine nach dem Motto „Jetzt helfe ich mir selbst“ eine gute Voraussetzung, was diese Maschine von anderen Produkten dieser Zeit heutzutage wohltuend abhebt (vorausgesetzt, man verfügt noch über die Originalunterlagen mit Schaltbild). Und in Verbindung mit einem Stereoping Synth Controller wird die Klangbearbeitung sogar zu einer Freude im Rahmen der FM-Klangsynthese.   

Plus

  • Gebrauchtpreise noch moderat
  • Stereoping Editor erhältlich
  • gebaut in DIL-Technik, was relativ servicefreundlich ist, auch für erfahrene Amateure

Minus

  • man muss nach dem Gerät schon ein wenig suchen

Preis

  • Gebrauchtpreise ca 150,- €
  • Stereoping-Editor liegt bei 245,- Euro für ein Fertiggerät
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Klangbeispiele
Forum
  1. Profilbild
    Soundreverend AHU

    Die Firma Böhm war nie auf meinem Radar, wahrscheinlich weil man eher an Bontempi und Wersi denkt als an Synthesizer :-D Heutzutage ist man wahrscheinlich mit einem Digitone besser bedient als mit diesem – wie ich finde – doch etwas dünnen Sound. Vielleicht fehlt ja auch nur ein schöner Chorus und schon macht es mehr Spass…danke für den Bericht!

    • Profilbild
      swissdoc RED

      @Soundreverend Es ist ein Phasing (eher so Orgel-Leslie) und Ensemble-Effekt an Board. Zumindest bei Vollausbau. TDA-1022 basiert. Im Video wird das vorgestellt.
       
      Die Service-Unterlagen gibt es bei Elektrotanya.
       
      Es gibt noch den recht ähnlichen Böhm Expander 12/24 mit 1HE.

  2. Profilbild
    Tai AHU

    Freut mich, dieser Bericht. Ich hatte zwei 12/24 bestückt und gelötet und bei einem dritten mitgemacht. Ich fand sie eigentlich ganz witzig. Ich hatte einen Editor für Atari ST, als ich Ende der 80er auf Mac umgestiegen bin, habe ich die Dinger aus den Augen verloren. Es gab noch eine zweite Firma, ich glaube es war Orla, die bauten das auch. 12/24 war sehr ähnlich wie FB 01, hatte aber dynamische Stimmverteilung wenn ich mich nicht irre und mehr Stimmen.

  3. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Jo, der Böhm-FB-01. Interessantes Teil und gut aufgebaut. Böhm brachte über die Jahre noch andere Synth-ähnliche Geräte raus, die gut klingen (darunter ein echt nettes Drum-Modul), aber in der Bedienung und Einbindung ins Setup etwas eigenwillig sind. Das kommt wohl daher, daß sie als Erweiterungen für ihre Orgeln gedacht waren.

    Seit die Firma von Keyswerk übernommen wurde, hat man konsequent auf neue Technologie gesetzt, Selbstbau-Kits wie früher gibts wohl auch nicht mehr, neue Module werden heute in Softwareform angeboten.

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