Guitar Summit Reportage zu Amps
Einer der Gründe, warum ich die Zeit aus den Augen verlor: Die Verstärker-Lounge der Guitar Summit 2019. Man ist ein bisschen abgeschottet vom Rest der Messe, da unten im Erdgeschoss und befindet sich in erster Linie unter spielfreudigen Gleichgesinnten. Und man glaubt es kaum: Back in Black wurde kein einziges Mal angezockt, auch nicht Smells like Teen Spirit. Stattdessen wurde vor allem geshreddert und das eine oder andere Tool- und King Crimson-Riff angezockt. Der Altersdurchschnitt auf der Guitar Summit 2019 ist generell, fällt mir auf, recht jung. Vor allem im Erdgeschoss bei den Verstärkern fanden sich viele Jugendliche ein und spielten sich durch die Verstärker-Riege.
Rein von der Anzahl waren die Hersteller von Verstärkern am wenigsten auf der Guitar Summit 2019 vertreten – trotzdem ausreichend, sodass man die Messepräsenz einiger großer Namen mitnehmen konnte. Auffällig war im Vorfeld, dass einer der wichtigsten Namen des Jahres auf der Liste der Aussteller fehlte – Kemper. Christoph dürfte viel zu tun haben und entsprechend ist die Zeit für die Guitar Summit 2019 wahrscheinlich nicht vorhanden gewesen. Trotzdem gab es in einigen Booths zu Demonstrationszwecken Kemper Heads und Racks anzutreffen.
Die Atmosphäre war wie gesagt um einiges spielfreudiger als in den Stockwerken oben drüber. Bei jedem zweiten Kurzbesuch im Erdgeschoss war gerade eine Jam-Session entbrannt. Wahrscheinlich sollte die Guitar Summit daraus Kapital schlagen – ich kann mich entsinnen, dass es letztes Jahr nicht anders war. Würde also Sinn machen, in den nächsten Jahren eine feste Jam-Lounge im Erdgeschoss zu integrieren.
Guitar Summit 2019, Amp / Verstärker – Orange
Ein bisschen länger her, dass Orange mit großen, einschlägigen News aufwarteten. Zuletzt war das 2017, als die Firma mitunter den Orange Acoustic Pre, den Rocker 15 und Rocker 32 vorstellten. Was jedoch auch passierte und von uns immer noch im Rahmen eines ausführlichen Reviews näher untersucht werden sollte: Die Weiterentwicklung des All-Time-Favourites Rockerverb MK-II.
Der Rockerverb 50 MKIII ist – das ist der erste Höreindruck, ungemein mächtig. Ich persönlich spiele unter anderem einen Rockerverb 50 MK II und bin immer noch der Meinung, dass der Amp einen der stärksten Clean-Kanäle überhaupt besitzt. Der dicke, crunchige Sound des Zerrkanals ist zugegebenermaßen nicht jedermanns Sache, doch besitzt er Kultstatus im Stoner-, Doom-, Sludge- und Metal-Bereich. Eine weitere Stärke war der integrierte Hall, der durch die zusätzlichen ECC83 Preamp-Röhren stets massiv rüberkam – das ist hier sogar einen Tick besser. Generell hat sich bei den Preampröhren was getan. Hier finden sich beim MKIII im Gegensatz zum MKII nun vier ECC83 und keine 12AX7 mehr. Der Rest ist deckungsgleich mit dem MKII, der Charakter des Rockerverbs also unverfälscht. Besserer Reverb, verbesserter FX-Loop – ein Upgrade wert? Muss jeder für sich entscheiden. Ich jedenfalls spiele mit dem Gedanken.
Guitar Summit 2019 Amp / Verstärker – Hughes & Kettner
Eins der absoluten Highlights der Verstärker-Riege war zweifelsohne der Black Spirit 200 Combo, den sich unser Mann Axel Ritt ausführlich angesehen hat. Vor Ort war der Andrang groß. Es ist auch interessant zu beobachten, wie Hughes & Kettner viele Gitarristen der älteren Garde mit dieser neuen Verstärker-Bauweise überzeugen will. Denn der Bionic Tone Generator, anzusiedeln zwischen Röhren- und Transistorverstärker, hat den Charakter eines Vollröhrenverstärkers, besitzt eine analoge Modellierung und – das ist auch besonders: Analoge Speicherwege. Hinter jedem Poti steckt ein aus 256 Wegen bestehendes Widerstandsnetzwerk.
Der Floorboard für den Black Spirit Combo 200 ist ebenfalls übersichtlich und lässt ein direktes Umstellen der Parameter des Amps zu, was – und das wurde mir vor Ort bewusst, tatsächlich wenige Floorboards für ihre dazugehörigen Amps können. Also: Digital gesteuerte, analog aufgebaute Röhrenmodule und -schaltkreise, die das Zusammenspiel der Verstärkerstufen, Trafo und des Lautsprechers optimiert handhaben – der Black Spirit ist ein dynamisches Ungetüm.
Die IPad-App konnte vor Ort auch entsprechend angetestet werden – Presets und eine differenzierte Handhabe, um alles aus dem Bionic Tone Generator rauszuholen, sind dadurch gegeben.
Guitar Summit 2019, Amps / Verstärker – Mesa Boogie, Eich.
Einen eigenen Stand hatte die kalifornische Firma Mesa Boogie strenggenommen nicht – trotzdem war hier ein kleines Arsenal an Bass-Amps aufgefahren worden, das vor allem zur Nachmittagsstunde Schauplatz ausgedehnter Sessions wurde. Ich persönlich hätte mich darüber gefreut, endlich vor Ort einen Mark V oder einer andere geschätzte Rarität anspielen zu können. Den Bass Strategy mal von der Nähe zu hören, war trotzdem eine erfreuliche Erfahrung. Der äußerst preisstarke Mesa Boogie Bass Strategy gilt, soweit ich das beurteilen kann, als einer der Bass Amps überhaupt. Am späten Nachmittag jedenfalls war die Riege vor Ort überlaufen.
Auch Eich Amplification aus Herborn hatten ein paar ihrer T1000-Topteile und unterschiedliche Amp-Boxen vor Ort.
Guitar Summit 2019, Amps / Verstärker – VOX
Ein bisschen enttäuschender / überschaubarer waren die Neuerungen bei Vox. Die Firma scheint prinzipiell in jüngster Vergangenheit endlich einen Schritt in Sachen Innovation gehen zu wollen. Doch das passiert alles irgendwie zaghaft. Auf der diesjährigen NAMM im Januar noch wurden die VX15GT- und VX50GTV-Amps vorgstellt – hochflexible Modelling-Amps in der Federgewicht-Klasse. Im Vorfeld habe ich mich tatsächlich darauf gefreut, die ersten echten Innovations-Schritte von Vox seit Jahren von der Nähe betrachten zu dürfen, doch Fehlanzeige. Ein handwired VOX AC15C1 durfte angespielt werden – das war’s. Die neue VX Serie war nirgendwo anzutreffen.
Stattdessen wurde man auf die Vox Beetle-Amps hingewiesen, die … nun ja, ganz süß aussehen und für die heimische Stube sicherlich Sinn machen. Trotzdem hatte man sich da im Vorfeld ein bisschen mehr erhofft.
Guitar Summit 2019, Amp / Verstärker – Hiwatt
Bei den anderen britischen Kollegen von Hiwatt ging durchaus mehr. Jeder, der sich mal in einen Hiwatt verguckt hat und jetzt nicht bei den Ebay-Kleinanzeigen shoppen gehen will, weiß, wie schwierig es sein kann, so ein schönes Stück in die Hände zu bekommen. Den Vertreter der Firma vor Ort sprach ich darauf an: Die Masse an deutschen Fans, die statt zu Hiwatt zum deutschen Hersteller Mywatt oder alte Laneys greifen müssen, wenn sie den Hiwatt-Sound wollen. „We are working on it. We know this needs to change.“ Daumen gedrückt halten für die Zukunft – die legendären Einkanäler besitzen nämlich einen ganz eigenen, unwiderstehlichen Charakter. Neu bei der Firma ist unter anderem der Custom Super-HI 50: Ein High Gain-Amp aus dem Hause der Briten, der sich beim kurzen Anspielen als ungemein cremig erweist – old-schoolig und ganz klar britisch, mit diesem offenen, kompromisslosen Sound.
Auch ein kleiner Custom 20-Amp ist auf der Tagesordnung der Hiwatt-Neuerungen. Der Hiwatt SA2012 Custom, ein Einkanäler mit 20 Watt und hochwertigen EL84- und ECC83-Röhren – ein simplifizierter, pedalfreundlicher Combo.
Guitar Summit 2019, Amp / Verstärker – ENGL
ENGL hatten einiges an Neuheiten am Stand vor Ort, an dem sie auch persönlich vertreten waren. Martin Zimmermann ist ein freundlicher Kerl, der mir Rede und Antwort stand. Für die nähere Zukunft werden wir uns den Neuheiten von ENGL in ausführlichen Reviews widmen, aber vor Ort konnte man sich schon mal der enormen Wucht vergewissern, die beispielsweise der Savage 120 bereithält. Ich dürfte ungefähr eine dreiviertel Stunde dort verbracht und die Zeit vergessen haben – der neue Savage ist einer der brachialsten Amps, die ich auf der Messe spielen durfte. Auch dabei und zweifelsohne für viele interessant: Der Screamer II Combo. Der Vorgänger gehört mit seiner Celestion Vintage Röhre und den 5881-Endstufen-Röhren zu den beliebtesten Combos überhaupt – zumindest habe ich die guten Teile in unzähligen Proberäumen stehen sehen. Schön dass einer der Topseller der Firma einen Nachfolger bekommen hat. Des weiteren war es für Martin und ENGL sicher wichtig, dass die Cab-Loader der Firma endlich verstärkt auf dem Radar erscheinen. Die IR-Loader und DI Boxen der Firma mit Preset-Speicherungen und zwölf Lautsprecher-Simulationen brauchen sich in keinster Weise vor der Konkurrenz zu verstecken und werden von uns zukünftig auch unter die Lupe genommen.
Guitar Summit 2019, Amp / Verstärker – JPTR FX
Jptr FX bei den Amps? Ja, richtig gelesen. Chris Jupiter hat eine neue Mission gefunden und will der Welt sein entfesseltes Fuck-Your-Ears-Prinzip auf Amp-Wegen näherbringen. Das heißt konkret: Der große Apollo kommt näher. In Serie geht das gute Stück noch nicht, aber das dürfte sich in naher Zukunft ändern. Ich jedenfalls bin äußerst gespannt. In seinen eigenen Worten meinte Chris, dass er sich im Grunde einen klassischen London City vorknöpfte, Schaltkreise und Bauweise bis ins letzte Detail durchleuchtete und im Anschluss alles entfernte, was das Signal irgendwie dämpfte, drosselte oder bremste. Der türkise London City ist bereits ein eigenwilliger, ungemein bissiger Marshall-Plexi-Nachbau. Wenn er die Blaupause bzw. Grundlage des Apollo darstellt, stellt sich durchaus die Frage, was Chris mit dem Jupiter genau vorhat. Ein Noise-Biest, das auch leise Töne anschlagen kann oder ein apokalyptisches One-Trick-Pony? Wenn es jedenfalls soweit ist und der Apollo getestet werden kann, werden wir uns brav in die Schlange stellen.
Guitar Summit 2019 Amp / Verstärker – Boss
Boss haben zweifelsohne einen guten Lauf. Wer so ein reiches Erbe hat, darf sich gut und gerne darauf ausruhen und es dabei belassen beispielsweise, die digitalen Delay-Pedale ein bisschen zu überarbeiten und die preisliche Mittelklasse der Pedalwelt mit der 200 Series anzugreifen. Doch was die Firma in Sachen Verstärker mit der Katana-Reihe getan hat, dürfte die Firma selbst überrascht haben. Die Verkaufszahlen der Boss Katana-Reihe sind in den letzten Jahren in die Höhe geschossen. Das super-einfache Prinzip erobert die Wohnzimmer weltweit.
Ein Prinzip, das im Kern einer Design- und Lifestyle-Frage geschuldet ist. Nicht jeder ist Berufsmusiker, nicht jeder hat die Musik im Mittelpunkt des Lebens und entsprechend im Wohnraum Kapazitäten für ein Kabel-Ungetüm oder einen in der Ecke stehender Combo über. Die Stärke des Boss Katana Airs ist neben seinem sehr guten Klang und der Verlässlichkeit, dass er sich nahezu in jedes kleine Regal ins Wohnzimmer stellen lässt. Es ist die perfekte, elegante Kompaktlösung für den Hobbymusiker, der mit der Gitarren umgeschnallt durch die Wohnung laufen können will, ohne über Kabelsalat stolpern zu müssen – Funksystem sei Dank. Vor Ort jedenfalls kamen die Boss-Jungs nicht aus dem Schwärmen raus. Und auch ich muss zugeben, dass mich die Kombination aus Klangqualität und unkomplizierter Handhabe überzeugt hat. Vielleicht stell ich mir so ein Ding auch mal ins Schlafzimmer über das Bücherregal – you never know.
Guitar Summit 2019 Amps, Verstärker – Marshall
Na, was war das denn? Eher Schau als Booth oder Lounge, auf jeden Fall. So weit ich das beurteilen kann, diente der Marshall-Stand auf der Guitar Summit einzig und allein einem Zweck: Präsenz zu zeigen. Hatte dann doch eher etwas von einer Kulisse. Rechts in der Ecke konnten ein paar JVMs angespielt werden, doch bei meinen Visitationen wirkte der Marshall-Stand zumeist menschenleer.
Schön sehen sie aus, alle Male – die Marshall 1987X Topteile, taugen aber bekanntlich zu mehr als zu bloßen Schaustücken. Dass man als große Firma seinen Stand nicht auf Kulissen-Niveau reduzieren muss, zeigten mitunter Boss. Schade also – hoffentlich geht da nächstes Jahr mehr.
Guitar Summit 2019, Amps / Verstärker – Neural DSP
Strenggenommen handelt es sich natürlich um ein anderes Segment – aber so zahlreich waren die Gitarren- und Amp-Plugins dann auch nicht vertreten, um eine eigene Rubrik zu rechtfertigen. Doch beim Besuch des HAPAS-Guitar Booth fiel mir neben dran der Neural DSP-Booth auf. Man hat es im Vorfeld immer wieder gehört – Neural DSP haben das Plugin-Game gewonnen. Das klingt entsprechend hochtrabend und alles andere als bescheiden, doch die Firma selbst hat diesen Hype klug aufgebaut: Große Namen wurden an die Plugins gekoppelt und die Social Media-Kampagne der Jungs war zeitgemäß und geschickt. Auch in unserem Gitarren-Plugin-Feature wurden Neural DSP erwähnt – doch da musste man sich mit den Höreindrücken zufrieden geben, welche die Firma der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat.
Doch nun, vor Ort, nachdem ich mich eine ganze Stunde durch das Neural DSP Plini – und das Nolly-Plugin gezockt habe, war ich tatsächlich ein bisschen hin und weg. Die Resonanz und Klangdynamik der Plugins sind für diesen Preis ziemlicher Wahnsinn. Dass im Feature die Scuffham-Plugins nicht erwähnt wurden, war einer ehrlichen Wissenslücke meinerseits geschuldet, die ich seitdem ausgeglichen habe – Neural DSP kommen an die Scuffham Qualität in meinen Augen heran, mehr noch: Das Nolly-Plugin im speziellen klingt sagenhaft organisch, warm und natürlich. Plugins-Test werden wir uns in naher Zukunft verstärkt zuwenden – und Neural DSP werden da auf keinen Fall fehlen.
Schöner Bericht, nur eine kleine Anmerkung: Mesa/Boogie ist keine britische Firma, sondern durch und durch kalifornisch. :-)
@OscSync Ein Vertipperli – korrigiert. Danke für den Hinweis!