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Interview: Bertolt Meyer, Synth-Nerd und DJ mit einzigartigem Controller

Zwischen Patch-Kabeln und Prothetik: Wie ein Künstler mit dem Körper moduliert

7. Juni 2025
Bertolt Meyer SynLimb

Bertolt Meyer mit seiner ersten SynLimb (Foto: Brix & Maas)

Bertolt Meyer ist Synthesizer-Musiker, Modularexperte, DJ, Club-Performer und Professor für Psychologie mit einem Faible für Cyborg-Ästhetik. Seine Musik entsteht nicht nur im Kopf, sondern auch buchstäblich durch den Körper: Mit der eigens entwickelten SynLimb – seiner gehackten Armprothese, die Muskelimpulse in Steuerspannung (CV) für sein Modularsystem übersetzt – steht er für eine außergewöhnliche Verschmelzung von Mensch und Maschine.

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Ich habe Bertolt Meyer auf der Superbooth getroffen. Im Interview sprechen wir über seine Anfänge im Berliner Nachtleben, sein Leben zwischen Club und Campus, die Herausforderung von Live-Sets ohne Netz und doppelten Boden und darüber, warum der Club für ihn mehr ist als ein Ort zum Feiern.

Sonja:
Nimmst du uns mit auf eine Reise durch deine musikalische Entwicklung?

Bertolt:
Ich bin 2000 nach Berlin gezogen und habe natürlich das Nachtleben intensiv ausgekostet. Das war für mich eine Zeit, in der Techno, Elektro und House in meiner Feierblase ineinander übergingen. 2005 habe ich dann damit angefangen, auf ein einer queeren Indie-/Elektro-Party aufzulegen.

Bertolt Meyer

Nachdem wir 2014 nach Leipzig gezogen sind, begann ich, auch Songs zu produzieren. Ich fand Anschluss an eine kleine Szene von Leuten, die DAWless Techno gemacht haben. Zu der Zeit habe ich auch das Modularsystem als Instrument für mich entdeckt. Die unendlichen Möglichkeiten einer DAW überfordern mich tendenziell; der beschränkte Parameterraum des Modularsystems erleichtert mir das Jammen ungemein.

Ich denke, dass es auch daran liegt, dass ich immer einen eher technischen Zugang zur Musik hatte. 2020 sind wir zurück nach Berlin gezogen und ich hatte dann im Jahr 2021 das große Glück, auf Tom Peters Label DESSERT unterzukommen. Auf der gleichnamigen Party im about:blank war ich Resident, bis sie 2024 zunächst ins Watergate umzog und dann leider geschlossen wurde. Seitdem konzentriere ich mich – auch aus Zeitgründen – auf meine Liveperformances und freue mich, wenn ich pro Saison einen oder zwei kleine Festival-Gigs bekomme, auf denen ich mit meinem Modularsystem ein Stündchen live spielen kann.

Sonja:
Wer hat dich musikalisch am meisten beeinflusst?

Bertolt:
Musikalisch bin ich ein Kind der 90er. Ich war Fan von The Prodigy und Faithless. Shit Robot, Trentemoller, Hannes Bieger und Mala Ika bewundere ich auch sehr. Was Live-Auftritte mit Hardware-Techno betrifft, sind Trovarsi und Lady Starlight große Vorbilder.

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Die Verschmelzung von menschlichem Körper und Technik

Sonja:
Du benutzt ja einen „Controller“, der vermutlich absolut einzigartig ist. Magst du uns die Geschichte und Funktionsweise der SynLimb näherbringen?

Bertolt:
Ich bin ohne den linken Unterarm zur Welt gekommen und trage deshalb eine myoelektrische Prothese. Elektroden auf der Haut des Armstumpfes messen die Muskelspannung und übersetzen diese Signale in Steuerungsimpulse für meine elektrische Hand.

Bertolt Meyer Superbooth 2025

Ich habe Bertolt Meyer auf der Superbooth 2025 vor seinem Auftritt getroffen

2019 saß ich vor dem Modularsystem und habe mich wieder darüber geärgert, dass ich mit der Prothese die ganzen kleinen Potis nicht gut bedienen kann. Beim Modularsystem gibt es aber neben jedem Poti eine Buchse, über die das dazugehörige Poti mit einer analogen Steuerspannung von 0-10 V ferngesteuert werden kann. Da kam mir die naheliegende Idee, einen Hack zu bauen, der die Muskelsignale in der Prothese direkt in Steuerspannung konvertiert. Also warum den umständlichen Umweg Muskelsignal -> Strom -> Handbewegung -> Synthesizer gehen, wenn ich auch Muskelsignal ->Strom -> Synthesizer bauen kann?

Ich habe dann eine alte Prothesenhand, die ich noch in der Schublade hatte, so weit auseinandergenommen, bis ich darin die Kabel fand, an denen ich das schwache Elektrodensignal messen konnte. Und ich hatte ein Field Kit von KOMA Elektronik, das unter anderem ein beliebiges analoges Signal in eine modulare Steuerspannung konvertieren kann.

Ich habe dann Christian Zollner aka Chrisi von KOMA angeschrieben, ob er mir den Schaltplan dafür geben könne, weil ich gerne meine Prothese hacken würde. Er war begeistert. Ich habe die Schaltung auf eine Lochstreifenplatine gelötet, auf die alte Hand geschraubt und es hat zu meiner Überraschung funktioniert. Chrisi hat dann ein richtiges PCB designt und ätzen lassen.

Bertolt Meyer SynLimb

Mein Mann Daniel Theiler hat das Gehäuse dazu entworfen und 3D-gedruckt und fertig war die SynLimb. Ich kann jetzt meine Prothesenhand abnehmen und stattdessen die SynLimb aufstecken. Darauf sind zwei CV-Ausgänge, die auf die Muskelimpulse reagieren, die normalerweise meine Hand steuern. Für mich ist es dann so, dass ich das CV nur denken muss, weil ich es so sehr gewohnt bin, mit diesen Signalen meine Hand zu steuern.

Wir haben gerade den zweiten Prototyp fertig, der einige der Kinderkrankheiten der ersten Version behebt. Das Gehäuse dafür ist noch nicht final, deshalb sieht das Teil aktuell etwas roh aus. Ich habe auf der Superbooth 2025 erst zum dritten Mal mit der neuen Version gespielt.

Sonja:
Du bist ja nicht nur DJ, sondern auch noch als Professor an der TU Chemnitz tätig und kombinierst diese beiden Felder auf eine total spannende Weise. Erzählst du uns mehr darüber?

Bertolt:
Die SynLimb verbindet meinen Körper ja in gewisser Weise direkt mit Technik. In meiner Forschung untersuchen wir unter anderem, wie die Verschmelzung zwischen Mensch und Technologie – Prothesen, Exoskelette, Human Enhancement … – zwischenmenschliche soziale Prozesse beeinflusst: Wie Menschen sich gegenseitig wahrnehmen, was sie zueinander fühlen, wie sie sich verhalten. Kollegen aus der Informatik haben dazu ein Augmented-Reality-System gebaut, in dem wir technische Körpererweiterungen simulieren und schauen können, wie die Leute darauf reagieren. Großer Spaß.

Bertholt Meyer über sein Setup, seinen Workflow und Quellen der Inspiration

Sonja:
Wie sieht dein aktuelles Setup konkret aus?

Bertolt:
Für meine Live-Sets benutze ich ein modulares Case, das sechs Stimmen (Oszillatoren mit Hüllkurven und Filtern) und Effekte enthält. Dazu eine Ableton Push 3, die drei Rollen übernimmt: sie ist MIDI-Sequencer für die Stimmen im Case, Groovebox, die die Percussion-Samples triggert und Mixer. Die Synth-Stimmen gehen über ADAT als einzelne Spuren vom Case zurück in die Push.

Modular Synthesizer

Bertolt Meyer ist ein DJ, der am liebsten live performt, hier auf der Superbooth 2025. (Foto: Daniel Theiler)

Dazu noch ein kleines Extra-Case für die SynLimb mit der Stromversorgung für die eben jene, einem Make Noise Maths zur „Nachbearbeitung“ der SynLimb-Signale und ein Doepfer CV zu MIDI-Converter, mit dem ich einen Kanal der SynLimb in eine MIDI-Note konvertiere, die ich in der Push auf verschiedene Parameter mappen kann.

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Make Noise Maths
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Kundenbewertung:
(103)

Wenn ich in einer Club-Umgebung ein hybrides Set spiele, also das Live-System mit CDJs kombiniere, nehme ich noch einen Toraiz SP-16 Sampler mit, der das DJLink-Signal der CDJs in MIDI übersetzt – so bleibt alles im Takt.

Sonja:
Kannst du uns deinen Workflow etwas näher beschreiben?

Bertolt:
Wenn ich mit dem Modularsystem live spiele, liegt für mich die Herausforderung darin, trotz der begrenzten Anzahl an Stimmen und Effekten eine Stunde Musik zu machen, die dennoch abwechslungsreich ist und nicht langweilig wird. Ich bewundere Leute wie Mylar Melodies, die das spontan mit Improvisation und generativen Elementen hinbekommen.

Interview Bertolt Meyer

Bertolt Meyer im Interview: „Als Tom von DESSERT zu mir sagte, ja, ich nehme deinen Track und Hannes Bieger macht einen Remix dafür, war das wirklich krass.“

Ich bin aber im Herzen zu sehr DJ, als dass ich mich das trauen würde. Ich habe deshalb vielen Szenen auf der Push, die aus MIDI-Loops auf den unterschiedlichen Spuren bestehen. Im Set entscheide ich dann spontan, welche Szene wie lange läuft und welche Szene daran anschließt. Zusammen mit den Effekten entsteht so eine Art Mischung aus DJ- und Live-Set. Die Szenen bzw. die darin enthaltenen MIDI-Clips komponiere ich bereits zu Hause. Teilweise sind es Fragmente oder Themen aus meinen Tracks, zum Teil aber auch erste Ideen für neue Tracks, die ich so vor Publikum testen kann.

Sonja:
Was inspiriert dich?

Bertolt:
Einerseits Musik: Ich höre viel und quer durch alle Genres, Hauptsache Synths. Andererseits Musikelektronik: Ich habe einen eher technischen Zugang zur Musik und liebe es, mir neue Module, Sequencer oder Effekte im Netz anzuschauen und dabei darüber nachzudenken, was ich damit anstellen könnte.

https://youtu.be/xEgiIyzdNjM?si=0txsmCd94o5kcODA 

Und ohne die vielen tollen Video-Tutorials aus der Synth-Community (Mylar Melodies, DivKid, Monotrail …) hätte ich nie etwas zustande gebracht.

Sonja:
Welches Gerät hättest du unheimlich gerne und warum?

Bertolt:
Den Komplex Sequencer von KOMA. Für mich das ultimative modulare Performance-Tool im Sweet Spot zwischen Komposition und Improvisation. Preislich leider eine echte Ansage.

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Erica Synths Perkons HD-01 Black
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Sonja:
Welche drei Geräte würdest du mit auf eine einsame Insel (mit Stromversorgung) nehmen?

Bertolt:
Meine Push, mein modulares Live-Case und eine Perkons HD-01 (die auch noch auf meinem Wunschzettel steht).

Label-Vertrag, ein Remix von Hannes Bieger, der erste Gig und Pläne für die Zukunft

Sonja:
Was war der schönste Moment deiner musikalischen Laufbahn?

Bertolt:
Bei einem Label unterzukommen. Als Tom von DESSERT zu mir sagte, ja, ich nehme deinen Track und Hannes Bieger macht einen Remix dafür, war das wirklich krass.

Sonja:
Gibt es etwas, das du aus heutiger Sicht anders machen würdest?

Bertolt:
Früher mit dem Produzieren anfangen und wenn es nur zu Hause im Schlafzimmer auf dem Laptop ist. Man braucht kein Hardware-Equipment im Gegenwert einer Luxuskarosse, um ein Gefühl für Beats, Melodien und den eigenen Stil zu entwickeln.

Sonja:
Hast du konkrete Pläne für die Zukunft?

Bertolt:
Aus den vielen halbfertigen Tracks endlich ein komplettes Album produzieren.

Sonja:
Was war der beste Tipp, den du jemals bekommen hast?

Bertolt:
Ich hatte meinen ersten Live-Gig vor Berliner Club-Publikum im about:blank und habe mir vor Lampenfieber fast in die Hose gemacht. Lady Starlight war auch im Lineup und meinte zu mir: Bei der Live-Performance geht immer was schief, das ist normal.

Bertolt Meyer Live

Egal, was passiert, du stehst immer mit der Einstellung hinter den Knöpfen, dass es das Geilste ist, was es gibt und sagst dir: Ich mache hier den Shit und habe Spaß dabei.

Sonja:
Was war das Skurrilste, Lustigste oder Beeindruckendste, was du bisher im Zusammenhang mit deinem musikalischen Schaffen erlebt hast?

Bertolt:
Schwer zu sagen … Das Gefühl, als die SynLimb zum ersten Mal funktioniert hat, war auf jeden Fall skurril.

Beeindruckend: Ich habe mal The Egyptian Lover im IfZ in Leipzig gesehen, der nur mit zwei Turntables und einer 808 eines der besten Sets gespielt hat, die ich je erlebt habe. Er hat beispielsweise eine Platte mit der Hand so tight rückwärts gedreht, dass daraus zusammen mit der 808 ein stabiler Groove wurde, unglaublich.

Sonja:
Möchtest du den Menschen in der Welt noch etwas sagen?

Bertolt:
Ich glaube, dass gerade in diesen konfliktträchtigen und politisierten Zeiten der Club einer der wenigen Orte ist, an dem so etwas wie eine gesellschaftliche Utopie noch erlebbar ist. Es ist ein Ort, an dem im Idealfall alles Trennende für eine Nacht mit guter elektronischer Musik verschwinden kann. Diese Orte sollten wir uns bewahren.

Vielen, vielen Dank an dich, lieber Bertolt für unser Treffen auf der Superbooth 2025 und dieses wundervolle Interview! 

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Forum
  1. Profilbild
    TBS

    Das ist doch mal ein kreativer Umgang mit einer Behinderung und man kommt auf so eine tolle Idee am Ende.

  2. Profilbild
    CDRowell AHU

    Sonja!

    Vielen dank für diesen leichten Artikel und interessanten Menschen, der in der Tat „etwas anders“ ist. Kein Schnickschnack, keine Mone-Maker-Allüre… Ein Mensch der mit seiner Freude, sich zu erweitern, um Musik zu machen. Das begeistert mich. Content ohne Schnörkel! Das, so finde ich, habt ihr richtig gut gemacht…
    🤩

  3. Profilbild
    Lumm

    Das mit der Prothese ist echt saucool! Und auch einn tolles Beispiel dafür, dass „Behinderte“ faszinierende Dinge tun können, von denen „perfekte“ Menschen nur träumen können. Vielen Dank für den Artikel 👍

  4. Mehr anzeigen
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