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Interview: Jörg Schaaf, von Quasimidi bis Radikal Technologies

Synthesizer-Visionär "Made in Germany"

12. April 2015

Jörg mit einer seiner Quasimidi-Schöpfungen

Es muss Ende der 90er gewesen sein, als ich Jörg Schaaf erstmals traf. Damals war ich auf dem Weg zu Klaus Schulze, um ihn zu interviewen.  Mitten in einem Wald lag ein einsames Häuschen, in dem Klaus Schulze sich mit Frau und Studio niedergelassen hatte. Einfach wunderbar – Idylle ohne Ende. Und genau dort traf ich zum ersten Mal auf Jörg Schaaf, der mit Klaus zu dieser Zeit eine gemeinsame CD produzierte.

Zwei Gemeinsamkeiten fielen mir bei den beiden sofort auf: die Lust am Kettenrauchen und das Talent für großartige Synthesizer-Kompositionen.

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AMAZONA.de gab es noch nicht und Jörgs Schaffensdrang setzte diese damals noch für Quasimidi ein, war maßgeblich an der Entwicklung neuer Synthesizer und deren Sounddesign verantwortlich. Viele werden Quasimidi-Synthesizer wie Raven oder Polymorph heute noch kennen, doch dann verschwand Quasimidi von der Bildfläche und auch Jörg verlor ich aus den Augen.

Bis eines Tages eine Firma Namens RADIKAL TECHNOLOGIES mit einer kleinen Music-Production-Station und dem geheimnisvollen Namen SPECTRALIS am Markt erschien und sich eben jener Jörg Schaaf erneut für die Entwicklung verantwortlich zeigte.

Nun, wieder einige Jahre und Synthesizer-Generationen später, haben Jörg und ich endlich die Zeit gefunden, die vielen zurückliegenden Ereignisse in einem Interview Revue passieren zu lassen:

JoergFun

Peter:
Hallo Jörg. Die Zeit vergeht – und inzwischen dürfen wir unsere Generation auch schon als Old School bezeichnen. Irgendwie bist auch Du schon Urgestein der deutschen, wenn nicht gar internationalen Synthesizer-Szene. Wie hat bei Dir alles angefangen?

Jörg:
Ich muss so um die 13 Jahre alt gewesen sein, als ich begann, mich für Synthesizer zu interessieren. Von allen Seiten wurde ich damit konfrontiert. Meine ältere Schwester hörte Pink Floyd, in der Schule wurde mir Mussorgskis „The Gnome“ von ELP vorgestellt und auf einer Klassenfahrt in Erlangen hörte ich zum ersten Mal Kraftwerks Autobahn. Ab dem Moment war es im Grunde bereits um mich geschehen – spätestens mit 14 Jahren hätte ich für ein Moog Prospekt eine Tagesreise mit dem Rad in Kauf genommen.

Peter:
Was waren Deine musikalischen Helden, wer hat Dich inspiriert?

Jörg:
O Gott – was für eine Frage.  Eigentlich habe ich mein ganzes Leben viel Musik konsumiert und davon gibt es kaum etwas, was mich nicht inspiriert hätte – im positiven wie auch im negativen Sinne. Von daher ist eine Festlegung schwierig – vor allem wenn man all den Einflüssen gerecht werden will. Es gibt eine große Prog-Rock Komponente: Genesis, Pink Floyd, Camel etc. Das ist so der Soundtrack zu meinem Leben. Zeitlose Musik, die ich eigentlich immer gehört habe und die von daher sicherlich den größten Einfluss hat.
Daneben in den Siebzigern und Anfang der 80er natürlich Tangerine Dream, Kraftwerk und Klaus Schulze. Diese Musik hatte ihre Zeit und lebte von der Unverbrauchtheit ihrer damals für mich revolutionären Klangfarben. Mich hat diese Klangästhetik entscheidend geprägt und hinterlässt heute noch ihre Spuren in meiner eigenen Klangwelt.
Im Grunde begeistere ich mich aber für fast alles, was gut produziert ist und eine Seele hat. Es gibt zum Beispiel keine schlechten Produktionen von Quincy Jones oder Trevor Horn. Es gibt so ein paar Namen, bei denen der Musikstil keine große Rolle spielt. Die Qualität der Produktion ist einfach so gut, dass sie alles andere überstrahlt. Wenn ich heute rein elektronisch erzeugte oder verfremdete Musik höre, dann sind das auf der einen Seite Psychodelic Dub Abenteuer von OTT, die Klangmagie von Boris Blank oder die düsteren Dub-Beats von Lulu Rouge, Neo Jazz von Nils Petter Molvaer etc., um ein paar aktuellere Beispiele zu nennen.

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Peter:
Quasimidi war einer der großen Meilensteine. Zu der Zeit habe ich Dich ebenfalls kennengelernt, bei einer Kooperation, die ich mit AKAI ins Leben gerufen hatte. Wann bist Du damals bei Quasimidi eingestiegen?

Jörg:
Die beiden Hauptakteure habe ich eigentlich bereits Ende der 80er Jahre während meiner Tätigkeit als Musikalienhändler kennengelernt. Die kamen eines Tages in die Synthesizer- Abteilung des Musikhauses Schönau hier in Gießen und baten um ein günstiges Angebot für drei Roland MT-32. Sie wollten eine alternative Firmware für diese Geräte schreiben. Irgendwie traute ich den beiden zu, dass sie das hinbekommen würden. Sie bekamen einen Vorzugspreis und ein paar Wochen später hatte ich dieses „QM-TOOL“ im Vertrieb. Die Erweiterung bestand nicht nur aus einer neuen Firmware mit vielen neuen Funktionen, sondern erschien im Set mit einer Klangeditor Software für Atari ST Computer. Mit einer sogenannten „Easy Edit“ Page konnte man mit wenigen Handgriffen den Klang des MT-32 stark verändern. Entgegen der Roland Firmware konnte man veränderte Klänge dauerhaft abspeichern.
Außerdem gab es bereits erste Quasimidi Geräte zu dieser Zeit. Das waren heute fast unbekannte Geräte, die nur in sehr kleinen Stückzahlen verkauft wurden. Das aufwändigste Gerät war das „Masterkit“ – eine Masterkeyboardverwaltung im 19’’ Format, deren Bedienung komplett per Atari Computer erfolgte. Hatte man die Programme editiert, konnte man den Computer selbstverständlich abkoppeln. Das Masterkit hatte mehrere mergebare MIDI Eingänge und mehrere unabhängige Ausgänge, konnte Keyboard Splits und Velocity Splits erzeugen, Controller umwandeln und alle angeschlossenen MIDI Geräte auf Knopfdruck umschalten. Der Verkaufserfolg dieser Geräte blieb trotzdem weit hinter den Erwartungen zurück. Der Name war noch nicht etabliert und die unangefochtenen Platzhirsche im MIDI Bereich waren zu der Zeit EES und Miditemp.

Peter:
Quasimidi ist – zumindest hatte man von „außen“ betrachtet den Eindruck – förmlich über Nacht zu einem großen Unternehmen geworden. Erinnerst Du Dich an die Zeit ?

Jörg:
Selbstverständlich. Der Erfolg kam mit dem Roland Keyboard E-20. Das E-20 war ein Arranger Keyboard mit einer Klangerzeugung, die der des MT-32 sehr ähnlich war. Ausgerichtet war dieses Keyboard auf Alleinunterhalter. Betätigte man einen Akkord, erklang ein komplettes Arrangement als „Begleitband“. Es gab mehrere Variationen zu jedem Style, Intros, Fills und Endings, alles passend zum Grundarrangement. Die internen „Styles“ waren allerdings für den typisch deutschen Alleinunterhalter Markt nicht sehr geeignet. Eine Stylecard mit 4 Styles von Roland kostete 140 DM. Ich empfahl Quasimidi, Stylecards mit typisch deutschen Styles zu produzieren und den Preis zu unterbieten. Das war die Geburtsstunde der QM-E-Card. Diese Cards kosteten das Doppelte wie die Roland Stylecards, hatten aber viermal so viele Styles an Board. Statt Funk und Boogie gab es nun Walzer und Polka für den deutschen Keyboardmarkt. Für Quasimidi hatten die Karten eine recht gute Gewinnspanne und der Verkaufserfolg war riesig. In ganz kurzer Zeit wurde damit aus der Bastelstube ein Unternehmen.

Jörg_im_Gespräch
Du hast sicherlich eine andere Antwort erwartet – aber genau das war der Startschuss. Der Gewinn aus den QM-E-Cards wurde geschickt reinvestiert. Mit der Einführung von Diskettenlaufwerken bei Keyboards war der Spaß aber eigentlich wieder vorbei. Die zahlreichen kleinen MIDI Helfer, die Quasimidi zur Zeit der QM-E-Cards im Programm hatte, waren allesamt nur in kleinen Stückzahlen absetzbar. Aber mit den Erlösen der Stylecards konnte die Entwicklungsabteilung vergrößert werden. Ich war ab 1990 mit an Bord – zunächst im Außendienst, aber kurze Zeit später dann glücklicherweise im Innendienst. Schon während des Geschäfts mit den Roland Keyboards hatte QM den Wunsch, sich selbst an Klangerzeugern zu versuchen. Es war letztlich auch genau der richtige Moment, sich mit einem so mächtigen Brocken zu beschäftigen, schließlich gab es ja Umsätze, die eine Entwicklungsabteilung finanzieren konnte. Arbeitete man zunächst an einem halbmodularen Analogsynthesizer, gab man dieses Konzept aber wieder auf, als Burkhard Beneke zum Entwicklungsteam stieß. Burkhard hatte in seiner Diplomarbeit Erfahrungen mit Dream DSPs gemacht und sorgte dafür, dass QM auf eine digitale Klangerzeugung umsattelte. Die Entwicklung des Quasars wurde begonnen. Kurz vor der Vorstellung des Quasars wäre Quasimidi fast noch untergegangen. Quasimidi hatte ein Produkt – die Gigacard – die vom Fachhandel nicht angenommen wurde. Wir hatten sehr viele Anfragen von Kunden, aber unsere Händler empfanden das Produkt als zu teuer und zu speziell. Die Gigacard hatte 512 Styles – das gesamte QM-E Programm plus 256 komplett neue Styles. Wir hatten nur wenige Wochen Zeit zu überlegen, wie wir auf diese Situation reagieren können und entschieden uns für den Direktverkauf und ein Loslösen vom Fachhandel. Es ist leider so, hätten wir diesen Schritt nicht gemacht, wäre der Quasar wahrscheinlich gar nicht herausgekommen.

Peter:
Ich weiß noch, dass plötzlich deutsche Synthesizer-Schmieden den Japanern mächtig Feuer unter dem Hintern gemacht haben. Waldorf, Creamware, Doepfer und natürlich nicht zuletzt auch Quasimidi. Was meinst Du, warum ausgerechnet Deutschland?

Jörg:
Wie Du vielleicht weißt, stammen selbst die Vorfahren von Bob Moog aus Deutschland – er hatte mir diese Geschichte von seinen Vorfahren aus Marburg mal während eines gemeinsamen Abendessens in London erzählt. Schaue ich mir weitere bekannte Namen des amerikanischen Synthesizerbaus an, haben wir mit Tom Oberheim und Dave Smith weitere Vertreter mit möglicherweise deutschen Ursprüngen. Das legt den Schluss nahe, dass es etwas mit den Genen zu tun haben könnte. Die Vorfahren deutscher Synthesizerbauer waren vielleicht nur zu heimatverbunden, in die neue Welt auszuwandern….
Aber Spaß beiseite. Ich denke, es lag vor allem am Timing. Die deutschen Synthesizer Firmen stiegen auf, als die japanischen Synthesizer Hersteller in einer Krise steckten. 1990 wurden kaum noch Synthesizer im herkömmlichen Sinne gebaut, sondern eher samplebasierte Workstations. Analogsynthesizer waren weitgehend ausgemustert und digitalen Geräten gewichen. Analogsynthesizer bekam man hinterher geschmissen. Ich erinnere mich, im Jahre 1988 im Musikhaus Schönau eine TB-303 für 50.- DM verkauft zu haben. Dann schwappte plötzlich die Techno-Welle nach Deutschland und entwickelte gerade hier eine rasante Eigendynamik. Die Nachfrage nach echten Synthesizern war ganz plötzlich wieder da. Es entstand ein Vakuum, die Preise für analoge Geräte stiegen ins Unermessliche und es gab einen großen Bedarf an echten Synthesizern ohne Saxophon, Akkordeon und Panflöte. Darauf reagierten die deutschen Hersteller schneller, weil bei uns dieser Trend deutlicher zu spüren war als in Japan oder den USA.

Jörgs Studio 2015

Jörgs Studio 2015

Was beim Quasar noch halbherzig verfolgt wurde, die Ausrichtung auf Techno und Dancefloor, wurde spätestens mit den TRE- und HARDCORE-Modulen für den Quasar sowie dem Technox auf die Spitze getrieben. Da gab es plötzlich eine neue Zielgruppe, mit der sich noch niemand auseinandergesetzt hatte und wir konnten diese bedienen. Ein Technox ersetzte zwar keine teure Analogtechnik, aber man konnte für relativ wenig Geld komplette Techno-Tracks damit basteln. Klanglich mögen die Geräte rückblickend betrachtet vielleicht nicht auf dem letzten möglichen Stand der Technik gewesen sein – das Sample Angebot war aber eben zielgerichteter.
Ich glaube, es gibt kaum eine Musikrichtung, deren Produktion so unterschätzt worden ist wie Techno. Viele waren gerade in den 90ern der Meinung, die Produktion von Techno Musik wäre völlig einfach. Ein Trugschluss. Die meisten waren mit der Produktion von Techno Tracks überfordert. Programme wie Cubase oder Notator waren für Anfänger unglaublich schwierig zu bedienen. Eine 4/4 Kickdrum macht noch kein Techno Stück. Zumindest Quasimidi wollte aber auch diejenigen erreichen, die Ideen hatten, bei der Umsetzung aber noch Unterstützung brauchten. Jörg Reichstein sah die Hauptkonkurrenz für unsere Geräte nicht nur bei anderen Synthesizer Herstellern. Er sah jegliche Freizeitbeschäftigung als Konkurrenz. Kauft sich der Peter ein Surfbrett, eine 80er oder eben einen Synthesizer? Wir mussten dem potentiellen Kunden Letzteres schmackhaft machen. Also haben wir die Musik gleich mitgeliefert. Beim Raven hatte diese Entwicklung bereits seinen Höhepunkt erreicht. Das Vorurteil, dass von jeher der elektronisch erzeugten Musik angehaftet hat, haben wir mit Würfel-Funktionen bestätigt. Was in Vorurteilen versprochen wurde, konnten wir mit dem Raven halten.
Als ich damals die Idee einbrachte, das Würfeln eines kompletten Songs zu ermöglichen, haben mich damals selbst bei Quasimidi fast alle für verrückt erklärt. Zwei harte Tage mit endlosen Grundsatzdiskussionen waren nötig, das Team von dieser Funktion zu überzeugen. Aber die Diskussion hatte sich gelohnt. Wir bekamen nun haufenweise CDs von Kunden zugeschickt, die sich bei uns bedankten, zum ersten Mal seit langem wieder Musik produziert zu haben. Unsere Vorführungen auf der Messe musste ich im 20 Minuten Takt abhalten und die Vorführkabine war immer vollständig gefüllt.

Peter:
Genauso spannend ist aber auch die Antwort auf die Frage, warum der Großteil der genannten – und zuletzt auch Quasimidi – das Feld räumen und ihre Geschäft aus finanziellen Schwierigkeiten einstellen mussten. Hatten die Japaner die größeren Reserven oder die besseren Langzeitstrategien?

Jörg:
Ich glaube, die Japaner hatten eine Langzeitstrategie und wir hatten keine. Es gab keinen gelernten Betriebswirt bei Quasimidi. Entscheidungen wurden aus dem Bauch heraus gefällt und oft auch wieder verworfen.

Quasimidi Raven

Erster großer Erfolg, der Quasimidi Raven

Peter:
Um das Ende von Quasimidi ranken sich viele Gerüchte, aber genaues weiß keiner. Da ist nicht nur von finanziellen Engpässen die Rede, sondern auch von einer chaotischen Geschäftsleitung, die die Bodenhaftung verloren haben soll. Was ist dran an diesen Aussagen?

Jörg:
Ich glaube, wenn wir von der Quasimidi Geschäftsleitung sprechen, dann reden wir zunächst von zwei recht jungen Männern, die weder dem plötzlichen Erfolg, noch der plötzlichen Verantwortung gewachsen waren. Der eine von beiden zog sich im Grunde aus der Geschäftsleitung zurück und stürzte sich in Arbeit. Er hielt die Bestückungsautomaten am Laufen, entwickelte die Firmware für QM Geräte, richtete das Computer Netzwerk ein, war in allen Abteilungen der Problemlöser und einfach nur ein sehr smarter Alleskönner. Da konnte es noch so sehr brennen im Betrieb, dieser Typ machte stets den Eindruck, alles im Griff zu haben. Wurde es im Betrieb lauter, schloss er die Tür hinter sich und stürzte sich in seine Arbeit. Eine wirkliche Beteiligung an der Geschäftsführung war nicht wirklich zu erkennen. Da hielt er sich weitgehend heraus. Er hätte aber auch gar keine Zeit dafür gehabt. So blieb alles andere an der anderen Hälfte der Geschäftsführung hängen. Ich weiß nicht. Diese Verantwortung möchte ich nicht alleine tragen. Er war natürlich überfordert. Wenn alles gut lief, der Umsatz stimmte und die nächsten Zahlungen sicher waren, konnte er richtig gut gelaunt sein. Wenn es brenzlig wurde, irgendeine Teilniederlage eingesteckt werden musste oder ihm beim Händewaschen Wasser auf die Schuhe getropft ist, hatte er leider seine schlechten 10 Minuten. Mehr kann und möchte ich dazu jetzt nicht sagen. Meiner Meinung wurden gerade in den letzten zwei Jahren kapitale Fehlentscheidungen getroffen. Das führte zu einem wesentlich höheren Stressaufkommen. Die Situation wurde schwierige und wichtige Mitarbeiter gaben dem Stress nach und kündigten.
Das war alles in allem eine sehr unschöne Erfahrung, aber letztlich war sie auch vorhersehbar. Ich hatte zwei Jahre vor dem Ende schon einmal gekündigt, mich dann aber wieder breitschlagen lassen.

Peter:
Wie ging es bei Dir weiter nach der QUASIMIDI-Ära?

Jörg:
Radikal Technologies war eine gewisse Zeit lang der Vertrieb für QM Produkte in den USA gewesen. Zur Unterstützung der NAMM Show war ich einige Male in den USA und hatte dort Jurgen Korduletsch kennengelernt. Die Probleme bei QM waren natürlich auch dort bekannt und wir hatten bereits 1998 die Idee, vielleicht einmal etwas neues zusammen zu unternehmen. Von daher war der Übergang fließend. Ich hörte bei QM auf und fing direkt bei Radikal an.

Peter:
Noch mal ein kurzer Sprung zurück. Du hast ja während Deiner Zeit bei Quasimidi auch – zumindest hatte ich den Eindruck – intensiv mit und für Klaus Schulze gearbeitet. Wenn mich nicht alles täuscht, warst Du auch an einigen „Wahnfried-Produktionen“ beteiligt.

Jörg:
Ich hatte ihn kennengelernt, als ich ihm seine bestellten Quasare vorbeigebrachte. Er wollte unbedingt weitere Geräte kaufen, obwohl ich ihm sogar davon abriet – er hatte ja bereits zwei Stück. Da er die Geräte ausschließlich im Performance Mode einsetzen wollte, brauchte er möglichst viele davon. Ich bin hingefahren, um die Geräte ins Rack zu schrauben und anzuschließen. Mehr beiläufig spielte ich ihm ein paar Titel von einer Quasimidi Demo CD vor. Eines davon gefiel ihm richtig gut – das war der Titel „Schmollmund“ auf der ersten Quasar Demo CD. Wir verstanden uns recht gut und hatten eine Menge Spaß und Warsteiner, als er mir anbot, die Nacht sein Studio zu übernehmen. Ich durfte sein Studio benutzen und sollte ihm am nächsten Tag vorspielen, was ich die Nacht über produziert hatte. Wow – was für eine Chance. Ich habe bis morgens um halb sieben daran gearbeitet und mich dann sehr müde ins Bett gelegt.

Klaus Schulze & Jörg SChaaf

Klaus Schulze & Jörg Schaaf

Ich habe das Stück so geschrieben, dass viele Klaus Schulze Anleihen zu hören sind, aber trotzdem mein eigener Stil zur Geltung kommt. Ich verwendete für die Melodie so ein Shakuhachi Sample aus dem Fundus von Klaus Schulze. Das war eigentlich eine komplette musikalische Phrase. Für meine neue Melodie arbeitete ich mit kurzen Noten und kombinierte sie aber auch mit längeren Noten, die Teile der Phrase ablaufen ließen und zog die Noten mit dem Pitchbend nach, so dass die Phrasen dennoch zu meiner Melodie passten. Am nächsten Tag spielte ich ihm das „Werk“ vor und er war tatsächlich begeistert davon. Er meinte: „Ich glaube, wir beide machen eine Platte zusammen“.

Peter:
Ich erinnere mich da an Klaus Schulzes Studio, mitten im Wald – einfach faszinierend. Wie muss man sich so eine Produktion mit Klaus vorstellen?

Jörg:
Super! Klaus schafft eine unglaublich entspannte Atmosphäre und Elfie macht ein perfektes Catering. Man fühlt sich dort fast wie zu Hause. Unsere Arbeitsweise hat sich im Laufe der Zeit ziemlich geändert. Bei unserer ersten Wahnfried haben wir beide in unseren eigenen Studios vorproduziert. Jeder hat mehr oder weniger eine Hälfte der CD vorbereitet und wir haben das Ganze dann gemeinsam zusammengeführt. Nur ein oder zwei Stücke haben wir auf der Trance Appeal wirklich zusammen eingespielt.
Später gestalteten wir unsere Alben größtenteils als Live-Improvisationen. Wir haben ein paar Rhythmen und Sequenzen vorbereitet, Samples geladen und Sounds vorbereitet und danach den DAT-Recorder auf Aufnahme geschaltet. Nach ein paar Sessions dieser Art ist man ein eingespieltes Team.

Teamwork, Schulze & Schaaf

Teamwork, Schulze & Schaaf

Für Dosburg Online haben wir zum ersten Mal die Wand aus Rave-o-lutions und Polymorphs im Einsatz gehabt. Das ganze System wurde erst kurz vor unserer Abreise nach Duisburg fertiggestellt. Ich erstellte ein paar Sequenzen und Rhythmen für „The Art of Sequencing“. Danach wurde das System schon verladen. Wir hatten im Grunde nur ca. 20 Minuten für einen kurzen Testlauf – aber wir waren eben eingespielt und ich konnte Klaus davon überzeugen, dass wir das Konzert als Live-Improvisation bestreiten können. Ich glaube, es ist generell ein Vorteil, wenn man nicht ganz allein auf der Bühne steht. Man hat einfach mehr Freiheiten und kann sein Konzert im Grunde ohne große Vorausplanung bestreiten. Spielt einer von beiden ein Solo, kann der andere sich um die Sequenzen oder Begleitarrangements kümmern. Allein ist man auf wesentlich stärker an festgelegte Strukturen gebunden.

Peter:
Sorry, wieder zurück zu deinem Leben als Synthesizer-Entwickler. Du bist Gründer und alleiniger Gesellschafter?

Jörg:
Lustig. Ganz viele denken, ich wäre Gründer, alleiniger Gesellschafter oder gar Geschäftsführer der Radikal Technologies GmbH. Im Grunde bin ich nichts von alledem. Ich arbeite freiberuflich als Entwickler, Sounddesigner und Produktspezialist. Mein Hauptauftraggeber ist seit vielen Jahren die Radikal Technologies GmbH. Ich habe aber in all den Jahren auch zahlreiche andere Aufträge ausgeführt und war zum Beispiel für Korg, Access und Waldorf als Sound Designer tätig. Für Radikal habe ich viele weitere Aufgaben übernommen. So plane ich die Produktion, kaufe Bauteile ein und schreibe Handbücher. Natürlich schlägt mein Herz für Radikal, den Spectralis und den Accelerator, weil diese Instrumente stark von mir geprägt wurden.

Jörg Schaaf mit Spectralis & Accelerator

Jörg Schaaf mit Spectralis & Accelerator

Peter:
Mit RADIKAL hast DU nun sicher selbst am eigenen Leib erlebt, was es heißt, selbstständig zu sein und nicht mehr (nur) angestellter Entwickler. Bereust Du den Schritt oder überwiegen die Vorteile die Nachteile?

Jörg:
Ich habe bei Quasimidi erlebt, was es heißt, als Angestellter in einer ausweglosen Situation zu stecken. Du siehst Fehlentscheidungen und hast aber keinen Einfluss darauf. Du bist dem Wohlwollen der Geschäftsführung ausgesetzt und gehst oft mit einem mulmigen Gefühl an die Arbeit und weißt nicht, welche Katastrophen da auf dich zukommen. Ich fühlte mich am Schluss bei Quasimidi älter als jetzt. Ich hatte mit Mitte Dreißig heftige gesundheitliche Probleme und war heilfroh, als das vorbei war. Ich bin glücklich als Selbstständiger. Es ist nicht immer leicht, aber letztlich bin ich in erster Linie für mich selbst verantwortlich. Ich hatte eigentlich schon immer ein gewisses Urvertrauen und meine Liebe für Synthesizer und Musikmaschinen wird mich sicherlich auch nicht mehr verlassen.

Peter:
Wie beurteilst du heute im Rückblick den Sound der Quasimidi-Synthesizer?

Jörg:
Den Quasimidi Synthesizern fehlte vor allem der Glanz. Die Höhen waren limitiert. Deswegen habe ich sie bevorzugt für düstere und atmosphärische Klänge eingesetzt.

Peter:
Welcher der Quasimidis-Synthesizer war Deiner Meinung das spannendste Produkt?

Jörg:
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Bei Klaus Schulze im Studio befand sich unter seinen Quasaren einer, der einen Wackelkontakt im Daten- oder Adressbus des Sample Speichers hatte. Alle paar Minuten kam da völlig aus dem nichts ein völlig abgedrehter Klang raus. Das war spannend. Wir hätten den natürlich reparieren können. Klaus wollte den aber genau so lassen, weil die ”Effekte” ziemlich geil klangen;-)
Eine Kreuzung aus Raven und Sirius hätte ich wohl am interessantesten gefunden. Der Sirius hatte leider eine schlechte Tastatur, weil es bei dem Tastaturhersteller erst ab 5 Oktaven wertige Tastaturen gab. Ein Sirius mit 5 Oktaven Keyboard und Performance Modus wäre mein Lieblingsinstrument gewesen.

Peter:
Eines Deiner ersten und sicher auch bekanntesten Produkte ist seitdem der Spectralis. Inzwischen gibt es diesen auch schon in einer zweiten Ausführung. Warum eine Groovebox – und warum mit einem analogen Filter?

Jörg:
Ich sehe den Spectralis nicht unbedingt als „Groovebox“, zumal mir Roland die Verwendung dieser Bezeichnung untersagt hat. Der Spectralis ist für mich eher ein kompaktes elektronisches Musikstudio zum Mitnehmen. Es gibt einen Drumcomputer, einen polyphonen Sample Player, einen quasi modularen Hybrid Synthesizer mit zwei analogen Filtern, eine digitale Fixed Filter Bank und jede Menge verschiedene Sequencer. Mit dem Spectralis kann man im Grunde beliebige Spielarten elektronisch produzierter Musik professionell erklingen lassen. Ich persönlich fand schon immer Musikmaschinen mit Sequencer interessanter als reine Synthesizer. Bereits die Modularsynthesizer in den 60er Jahren besaßen Stepsequencer und es macht Spaß, so einen elektronischen Mitstreiter beim Jammen dabei zu haben. Ich habe hier mal ein exemplarisches Beispiel als Youtube Link angehängt. Steps werden gemutet, geskipt, die Abspielrichtung wird zur Laufzeit geändert etc. Ich springe über verschiedene Pattern und improvisiere letztlich ähnlich wie bei meinen Ausflügen im Moldau Musikstudio (Klaus Schulze). Aber eben nicht mit einer riesigen Schrankwand, sondern einem kleinen Kasten, den ich unter dem Arm durch die Gegend tragen kann.

Vaterliebe!

Vaterliebe!

Peter:
Der Spectralis polarisiert ungemein. Manche sprechen gar von einer Hassliebe. „Klingt hammer“ ist eine der oft gehörten Aussagen, aber auch „den kannst du nicht bedienen“. Ähnliches erzählten mir User von Deinem Accelerator. Denken Ingenieure um die Ecke, wenn es um die Bedienungsfreundlichkeit geht?

Jörg:
Ich sehe mich nicht als reinen Ingenieur, sondern eher als Musiker. Wenn ich Ideen habe, wie ich etwas bereits Bekanntes zum Besseren verändern kann, versuche ich das. Es gibt dann immer Leute, die bereit sind, neue Wege einzuschlagen und andere, die das System als Ganzes nicht durchschauen.
Seit vielen Jahren sind Keyboarder zum Beispiel gewohnt, Klänge per UP/DOWN Taste anzuwählen – selbst wenn es völlig unsinnig ist, 20 mal auf Up zu drücken, um von Klang 5 zu Klang 25 zu kommen, erwarten die Leute genau das. Wir haben mehrere sogar parallel arbeitende Klangauswahl Prozeduren beim Accelerator eingeführt. Man kann Klänge nach Kategorien und Klangfarben per Regler auswählen und die Auswahl mit einem Druck auf den Regler bestätigen. Man kann den Klang über Bänke und Memory Slots auswählen, man kann mittlerweile per Up/Down durchsteppen und man kann sich die ganze Auswahl der Betriebsarten und Klänge auch komplett vor dem Auftritt vorprogrammieren und mit einzelnen Tasten oder einem Fußtaster durchsteppen. Dazu stehen 100 Song Chains zur Verfügung. Trotz all dieser Bemühungen höre ich von Kunden, dass sie nicht wissen, wie man Klänge auswählt. Zum Glück gibt es aber auch die eher stillen Kunden, die gerade von der Direktauswahlmöglichkeit begeistert sind.
Manchmal scheitert es aber an noch viel profaneren Dingen. So gibt es Kunden, die den Spectralis schon ein paar Wochen besitzen, aber noch nicht herausgefunden haben, dass alle Regler auch als Tasten fungieren und Untermenüs aufrufen können.
Der Spectralis besitzt eine gewisse Tiefe – würde man alle seine Parameter direkt mit einem eigenen Regler versehen, hätte man eine riesige Schrankwand vor sich. Die würde locker selbst die Ausmaße eines Keith Emerson Moog Systems übertreffen. So gibt es zum Beispiel 15 Hüllkurven, wenn man die Hüllkurven Möglichkeiten des Stepsequencers nicht einrechnet. Hat man den Spectralis gerade aus dem Karton gepackt, kann diese Parameterflut sehr abschreckend wirken. Aber es gibt generell bei keinem Synthesizer nicht eine Hüllkurve, die unnötig wäre. Für Phasenmodulationsklänge ist es zum Beispiel wichtig, dass jeder Oszillator seine eigene Lautstärke-Hüllkurve besitzt. Hätte ich stattdessen eine Modulationsmatrix vorgesehen, müsste man letztlich noch mehr Parameter editieren.

Peter:
Gibt es nichts, was Du verbessern würdest?

Jörg:
Natürlich gibt es Dinge, die man bei einem neuen Design des Spectralis verbessern könnte. Wir haben im Spectralis Funktionen implementiert, nachdem das Frontplattendesign bereits abgeschlossen war. Da hätten wir gerne den Luxus einer Software Implementierung, bei der man einfach ein weiteres Dialogfenster oder eine neue Schaltfläche anlegen kann. Aber die Möglichkeit haben wir leider nicht. Die Anzahl der Tasten liegt fest. Neue Funktionen erfordern von daher eine Erweiterung des Display Menüs.
Der Spectralis hat einen wesentlich größeren Funktionsumfang gerade im Synthesebereich als eine gewöhnliche Groovebox. Ich wollte gerade bei dem monophonen Synthesizer keine Kompromisse – ich wollte die gleiche Flexibilität wie bei einem offenen Modular-System. Das Routing von Oszillatoren und Filtern bestimmt man quasi selbst. Wenn man einen Oszillator als Modulationsquelle für einen externen Analogsynthesizer benötigt, kann man den Oszillator auch direkt auf einen einzigen Ausgang routen. Diese Flexibilität hat natürlich seinen Preis: die Einfachheit.
Ich höre aber gerade beim Spectralis auch immer mal wieder, dass die Bedienung im Grunde sehr durchdacht ist. Ich habe schon unzähligen Kunden bei mir im Studio die Angst vor dem Spectralis genommen. Hat man die wahre Kraft des Spectralis erlebt, ist die Motivation wesentlich höher, sich damit gründlicher auseinanderzusetzen. Wenn ich hier im Studio einen ultratiefen Sägezahn mit der Sequencer gesteuerten Festfilterbank rhythmisch in seine Bestandteile zerlege, sehe ich regelmäßig dieses Funkeln in den Augen meiner Kunden. Viele wissen bevor sie zu mir kommen nur zum Teil, was sie da eigentlich haben.

Spectralis Hands on

Peter:
Dein Synthesizer Accelerator gehört ja zur Familie der „Virtuell Analogen Synthesizer“. Was ist Deine Meinung zum Thema Analog bzw. Virtuell Analog?

Jörg:
Beide Gerätegattungen haben ihre Berechtigung. Ein Virus oder ein Accelerator wird keinen Moog Voyager ersetzen können, aber noch schwieriger wird es für einen Moog Voyager sein, einen Virus oder einen Accelerator zu ersetzen. Alle drei Gerät können niemals einen guten Musiker ersetzen, der die Geräte einzusetzen weiß. Die verschiedenen Instrumente haben allesamt ihre Eigenarten, Stärken und Schwächen. Ein guter Arrangeur wird alle drei Systeme zusammen im besten Licht erscheinen lassen und einen Klangkörper schaffen, der einzigartig ist.

Peter:
Laut Christoph Kemper hat sich seit der Erfindung des Access Virus vor fast 20 Jahren an der VA-Synthese des Virus kaum etwas geändert. Gut, es sind Features dazu gekommen, aber der Klang ist derselbe geblieben. Hat sich denn in den letzten 20 Jahren wirklich in Sachen VA keine Besserung ergeben?

Jörg:
Naja – die Algorithmen haben sich vielleicht nicht grundlegend geändert – sehr wohl aber die Performance und Rechengenauigkeit bei modernen DSPs. Zwischen dem Spectralis und dem Accelerator liegen bereits wieder zwei DSP Generationen. Vor 20 Jahren arbeitete ich noch bei Quasimidi und der Polymorph befand sich bereits in der Entwicklung, wurde aber zu Gunsten des Sirius zunächst noch einmal zurückgestellt. Wenn ich diese Technik mit der heutigen vergleiche, hat sich da ein ganze Menge getan. Wenn man sich allein die Effekte im Accelerator genauer anhört, wird man ziemlich überrascht sein. Ian Hultquist, Keyboarder von Passion Pit und Musikproduzent hat sich bei mir persönlich für die Qualität des Hall-Effektes im Accelerator bedankt. Die Effektsektion wird dort im Studio für alles Mögliche benutzt. Vor 20 Jahren hätte man im Studio die eingebauten Effekte von Synthesizern eigentlich immer ausgeschaltet, weil sie nicht professionell genug klangen. Ich benutze den Chorus und das Delay häufig für meine Gitarre. Gerade diesen Chorus Sound bekomme ich mit meinen Plug-ins im Rechner so nicht hin.
Wir hatten zwischenzeitlich zu Testzwecken mal die Rechentiefe reduziert, um Performance zu gewinnen. Das ging ganz furchtbar in die Hose. Nach Wochen des Wohlklanges hatte ich den Eindruck, ein anderes Instrument vor mir zu haben. Es hieß dann: „Kommando zurück – das geht gar nicht.“ Mir persönlich sind dann 8 gute Stimmen wichtiger, als eine möglichst hohe Polyphonie.

Peter:
… und stattdessen die Effekte verbessert?

Jörg:
Das Digital Delay im Accelerator ist ein Musikinstrument für sich. Damit lassen sich unglaubliche Feedback Effekte erzeugen. Karplus Strong Synthese ist aufgrund der befilterten Feedback Schleife ebenfalls möglich. Wir waren von den Klangmöglichkeiten so angetan, dass wir ein weiteres Delay pro Stimme in die Tonerzeugung eingeführt haben. Damit lassen sich zum einen Saiteninstrumente simulieren und zum anderen sehr realistische Flötenklänge programmieren – die Möglichkeiten gehen also über normale VA-Synthesizer hinaus. Diese Anordnung haben wir noch um ein „Attack Pitch-Bending“ ergänzt, um Saiten realistischer simulieren zu können und haben diese Anordnung dann Stringfilter genannt. Phasenmodulation für typische Yamaha FM-Klänge beherrscht der Accelerator ebenfalls. Ich würde ihn nicht als reinen VA-Synthesizer bezeichnen. Der Accelerator besitzt viele Features, die auf analogem Wege nicht möglich sind. Ergänzt man seine Sound Engine um eine Expansion, erhält er eine zusätzliche 61-stimmige Zugriegelorgel Emulation, die parallel zum Synthesizer erklingen kann, dem Synthesizer also keine Stimmen wegnimmt. Schwachpunkt des Accelerators ist sein unscheinbares Aussehen. Man traut ihm die Klänge nicht zu, die er erzeugt. Deswegen haben wir bei den Verkaufszahlen sicher noch Potential nach oben. Gerade in jüngster Zeit ist die Nachfrage aus dem Ausland deutlich angezogen. Da spielt uns natürlich der günstige Euro in die Hände.

Spectralis-Hand

Peter:
Was ist inzwischen aus dem Musiker Jörg Schaaf geworden?

Jörg:
Zur Musikproduktion fehlt mir leider oft die Zeit. Wenn ich in den letzten Jahren Musik produziert habe, waren es meist Demos für meine Geräte oder meine Klangprogrammierung. In der letzten Zeit habe ich mal wieder mein Studio umgerüstet, meinen Minimoog restauriert, den Format repariert und den ganzen Aufbau für das Produzieren optimiert. Aber generell ist es schwierig, Zeit dafür frei zu schaufeln.

Peter:
Und wie geht es nun weiter? Was sind Deine nächsten Projekte? Dürfen wir vielleicht auf der Musikmesse mit etwas „Neuem“ rechnen?

Jörg:
Vielleicht hast Du es bereits mitbekommen – aber aufgrund der häufigen Nachfragen nach unserer analogen Filtertechnik haben wir uns entschlossen, Teile des Spectralis als Eurorack Module herauszubringen. Erstes Modul ist das RT451 Dual Multimode Filter. Es ist aber bereits jetzt sicher, dass weitere Module folgen werden. Da wird es noch die eine oder andere Überraschung geben. Zur Musikmesse soll aber zunächst das RT451 lieferbar werden.

Der neue Schaaf: RT451-Multimodefilter

Der neue Schaaf: RT451-Multimodefilter

Peter:
Das war wirklich alles hoch interessant – und wahrscheinlich fallen mir noch tausend weitere Fragen ein, aber an dieser Stele übergebe ich einfach mal an die Leser, die die sicher noch über die Kommentarfunktion löchern werden. Also nochmals vielen Dank für dieses tolle Interview.

PS:
Ach – und das Rauchen hat sich Jörg inzwischen abgewöhnt. Dazu gibt es auf seinem Blog übrigens eine spannende Anleitung und ein künstlerisches Triptychon.

Die letzten Rauchschwaden.

Die letzten Rauchschwaden.

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Forum
  1. Profilbild
    Tai AHU

    Gutes Interview, Peter, gute Infos, Jörg.

    Ich hatte seit den Neunzigern immer den Eindruck mit virtuell analog ist nur eine kleine Teilmenge der möglichen Klänge abgedeckt. Die wahrscheinlich einfachste und vor allem eine, zu der man klangliche Vergleiche machen kann, das brauchen wir Musiker doch offensichtlich.

    Ursprünglich war doch da, zumindest in meinem Empfinden, der Hintergedanke NEUE Klänge zu finden, eine Zeit ging das gut, dann waren immer mehr Klänge, deren Namen uns wohl vertraut waren in den Kisten: Kla4, Flöte, Geige, you name it.
    Ich empfinde das als eine Kapitulation vor dem ursprünglichen Ansatz. Zwanzig Jahre später gehören der Sound von Lucky Man, Jump und Co. in genau die gleiche Kategorie.

    Deshalb ist der Ansatz weg von reiner VA begrüssenswert. Lasst uns endlich wieder neue Klänge hören.

  2. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Das Interview war längst überfällig. Klasse weiter so!

  3. Profilbild
    MattZazzles

    Ist zwar nicht wichtig, aber Ott ist nicht rein elektronisch generierte Musik, da stecken ne Menge akkustische Instrumente mit drin.

    • Profilbild
      Jörg Schaaf

      @MattZazzles Klar – ich sprach ja auch ganz bewusst von elektronisch erzeugter oder verfremdeter Musik. Zum Glück hat Ott auch herkömmliche Instrumente am Start. Das gleiche gilt auch für Boris Blank, Lulu Rouge und Molvaer.

      • Profilbild
        MattZazzles

        @Jörg Schaaf Stimmt, wenn man richtig liest, ist man im Vorteil.

        „Zum Glück…“ :D meine Meinung, sonst wäre das Ganze wahrscheinich nur halb so gut.
        Wenn dir Ott so gut gefällt kennst Du bestimmt auch Shpongle, oder? Wenn nicht, unbedingt mal reinlauschen.

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            MattZazzles

            @Jörg Schaaf OMG Jörg!
            Danke für den Link!!!
            Das ist mit Abstand das Geilste seit Wochen, könnte auch fast hier in der „Death Disco“ (Konzert-Party) in Berlin laufen.
            Wenn Du sehr auf Dub stehst, kann ich vllt auch helfen: https://www.youtube.com/watch?v=PxmZdrNNBS4
            Solltest Du irgendwo eine Onlineveröffentlichung mit deinem persönlichen Musikgeschmack haben, ich bin ganz Ohr. Ich komm kaum noch zum Plattenwühlen.
            LG
            Matt

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              Jörg Schaaf

              @MattZazzles Danke für deinen Link – das ist mir jetzt allerdings zu „ethnisch“? Das lustige an meinem Musikgeschmack ist, dass ich Reggae eigentlich immer gehasst habe und mein „Dub“ Geschmack von daher nur ein schmaler Grat ist. Rechts und Links davon gefällt es mir ganz schnell nicht mehr. Ich denke für mich sind es die sounds und die delays – ich tendiere also eher zu so einer Art Psycho Ambient-Dub. Ruhig auch mal richtig chillig wie hier:

              https://www.youtube.com/watch?v=v85ZjvEzRSQ

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    0gravity

    Schönes Interview. Die erste Demo CD vom Quasar lief bei mir damals gleichberechtigt neben Yello, DM, JMJ, usw. Die fand ich echt gelungen.
    Den Quasar hatte mein Studiopartner und war so für ca. 1 Jahr unser Hauptsynth, bevor wir dann hauptsächlich mit Sampler und mehr analog gearbeitet haben.

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      c.hatvani RED

      @0gravity Bei mir war’s die Quasar Demo CD Vol. 2, die habe ich sehr oft gehört. Titel, wie „Frühlings Erwachen“ und anderen Songs von Jörg Schaaf habe ich geliebt ;-) Habe mich seitdem von vielen CDs getrennt, aber diese CD habe ich noch..

  5. Profilbild
    ahs

    @jörg
    schöner Bericht. Hab mir auch gleich den Accelerator bzw. das Handbuch angeschaut. Leider finde ich keine Osc moduliert Osc Möglichkeit oder habe ich da was übersehen ?

  6. Profilbild
    richard AHU

    Schönes Interview und schon überfällig gewesen. Für mich war Quasimidi damals Wegweisend, keine Ahnung ob ich ohne Geräte wie den Raven bei der Musik geblieben wäre. Mein damals erster Startversuch mit einem Profiinstrument (ein D-50) war eher frustrierend.
    Die „vorgefertigten“ Pattern des Raven wurden zwar im Profilager allgemein belächelt, aber für Neueinsteiger waren sie ideal um einfach mal ein wenig Dampf zu machen und auch zu lernen wie Dance Musik strukturell aufgebaut war.

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    der jim RED

    Oh ja QM, da werden Erinnerungen wach. Ich hatte seinerzeit in einem der wenigen Läden gearbeitet, die QM verkauften und deswegen einiges „hinter den Kulissen“ mitbekommen…
    Jörg, vielleicht sollten wir doch mal zusammen ein (Lehr)-Buch darüber schreiben? ;-)

    Bin sehr darauf gespannt, wie es mit deiner Modulreihe weitergeht!

    • Profilbild
      Jörg Schaaf

      @der jim Das Filter geht leider gerade jetzt erst in die Produktion. Ich kann mich gerade noch nicht entscheiden, was ich als nächstes Modul in’s Auge fasse…

  8. Profilbild
    medusaland

    Tolles Interview :-)

    Jörg.., für mich immer noch einer der ganz großen Visionäre und Sounddesigner!

    Liebe Grüße,
    Kurt
    KApro Kurt Ader Productions

  9. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    hallo,
    ja cooles und auch sehr ehrliches interview
    ich mag einfach den sound der QMs (immernoch)

    viele schimpfen ja wirklich darauf, vorallem auf die fehlende ‚brillianz‘ den schwachen filtern und den abgeschnittenen höhen
    jedoch richtig eingesetzt kann man damit auch welthits produzieren, siehe Snap! :)

    ich nenne den Raven Maxx, den Technox, den Quasar, u. Cyber6 mein eigen und mag es
    einfach da Rumzubasteln

    Qm 4ever also :P

    gruß

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    Stephan Merk RED

    Hallo und danke für dieses sehr informative und vor Allem lehrreiche Interview. Ich habe hier auch noch eine Demo-CD von QM, das war glaube die zum Quasimidi.

    Allerdings möchte ich mal das Thema Synthesizer von einer anderen Seite beleuchten, denn so ein ganz klein wenig neidisch werde ich dann doch, wenn ich so lese, wie bei vielen die Musik und Schöpfungskraft im Blut liegt. Da ich hochgradig sehbehindert bin, laufe und lief ich bei vielen Geräten immer vor Barrieren, weshalb ich diese ganzen tollen Synths der letzten Dekaden kenne, mir aber nie getraut habe, mir einen zu leisten. Analog wäre zumindest eine Teillösung, sprengt aber mein Budget, weil ich dadurch auch etwas ideenmüde geworden bin. Jetzt versuche ich es mit VSTs und Bildschirmvergrößerung, aber auch das ist kein Weg. Na mal sehen, vielleicht wird es doch noch ein JD-XI oder so.

    Was ich damit meine ist, dass – wenn auch absolut nachvollziehbar – die Barrierefreiheit bei Musikinstrumenten kein Thema ist. Das iPad bringt hier zumindest in Ansätzen Licht ins Dunkle, fast wörtlich gemeint. ;-)

    • Profilbild
      Jörg Schaaf

      @Stephan Merk Ich möchte mir nicht einmal vorstellen müssen, wie unvollständig das für mich erfahrbare Abbild der Wirklichkeit ohne meine visuellen Sinneseindrücke wäre. Aber ich habe bei meiner Arbeit im Musikladen einen Menschen kennengelernt, dessen übrige Sinne gegenüber uns Sehenden enorm geschärft waren. Der konnte mühelos die verschiedenen Beckenhersteller in der Schlagzeugabteilung am Klang der Becken sicher differenzieren. Es ist sicherlich ein schwacher Trost – aber vielleicht hast Du beim Abmischen und Mastern aufgrund einer besseren Konzentration auf das Hören wesentlich Vorteile gegenüber dem Sehenden. Ich wünsche Dir alles Gute. Neue Arbeitsmittel wie große Touch Tablets erlauben heute zum Glück Benutzeroberflächen, die aufgrund der freien Skalierbarkeit von Fonts und Bildern ein großer Schritt nach vorne sind.

      • Profilbild
        Stephan Merk RED

        @Jörg Schaaf Ja, da hast Du ein sehr gutes Beispiel angeführt, das kenne ich in ähnlicher Weise von mir auch. Nur muss man zwei Dinge trennen: Das vielleicht deutlich bessere Gehör sorgt ja nicht für einen anderen Workflow. Überlege mal, ob Du den Raven mit abgeklebtem Display von einer Idee bis zum fertigen Song bedienen kannst. Meinen microKORG und meine Monotribe beispielsweise haben eine klar strukturierte Bedienung, da kannst DU abzählen und eine abgeschriebene Parameter-Matrix lässt mich zumindest eine Funktion ohne Lupe auffinden. Was aber machst Du mit einem menü-überfrachteten Gerät oder einer nicht zugänglichen DAW? Mit der MPC Renaissance habe ich zumindest jetzt eine Lösung, die ich ansatzweise einsetzen kann. Aber hier blockiert mich einfach das ständige Überlegen, wo nochmal welche Funktion liegt. Und dann verbringe ich so manche Zeit mit Suchen, dass ich irgendwann die Idee aufgebe. Wenn andere ihre Instrumente nach Spielbarkeit und Klang beurteilen, achte ich auf ein vernünftiges (oder besser kein) Display und Haptik. Ich dachte vor einigen Jahren, die KORG microSTATION wäre mein Gerät, weil eben kleines Display. Aber dies kann ich leider nur schlecht ablesen, hell auf dunkel geht eben besser. Der Raven hatte mich seinerzeit total interessiert, aber das Display war die K.O.-Entscheidung.

        • Profilbild
          Jörg Schaaf

          @Stephan Merk Klar – weder der Raven, noch meine übrigen Instrumente sind dafür konzipiert. Es gibt für diese Art der Displays aber Braille Reader, die direkt über den Display Anschluss angesteuert werden können. Aber diese Lösungen kennst Du sicher bereits. Die Displays lassen sich in der Regel mit kleinen Modifikationen auch gegen welche mit positiver Darstellung – heller Fonts auf dunklem Hintergrund austauschen. Beim SAC Hardware Controller SAC2K hatten wir solche Displays im Einsatz. Mit diesem Controller ließen sich DAWs ansteuern. Ein kompletter Ersatz für all das, was von einer DAW an visuellem Feedback geboten wird, kann das aber natürlich nicht sein.

  11. Profilbild
    Stephan Merk RED

    Das gab es tatsächlich früher mal und war aber eher eine Notlösung bzw. preislich einfach nicht bezahlbar. Heute gibt es zumindest theoretisch über VST und Software eine Möglichkeit, aber die Hersteller bauen diese grundsätzlich grafisch auf, so das diese über die MSAA-Schnittstelle oder andere Auslesemethoden nicht zu erfassen sind. Ausnahmen gibt es zwar, für Reaper kann man ein Skript nachinstallieren und die VSTs in einem Textfenster bearbeiten. Aber da verlierst Du Dich im Parameter-Dschungel und darfst für jedes PlugIn neu lernen. Das Elektronik-Labor der Blista in Marburg hat mal einen Poly800 so modifiziert, dass ein sprechender Panasonic-Taschenrechner als Sprachausgabe hergehalten hat und die 6 Display-Ziffern über sechs Taster ansagen konnte. Das war richtig cool. Dennoch bin ich guter Dinge, das iPad bringt zumindest in Ansätzen eine Lösung. Nur nach den sage ich mal vielen Fehlinvestitionen habe ich auf Versuche keine Lust mehr. Der Roland JD-XA könnte aber irgendwann nochmal ein Versuch werden, mal sehen… ;-)

  12. Profilbild
    Stephan Merk RED

    Hallo Jörg, anknüpfend an die Diskussion, aber eh ganz unabhängig davon geplant, habe ich ein YouTube-Video erstellt, auf dem ich exemplarisch an Musikinstrumenten die Probleme bei der Gerätebedienung beschreibe. Wen das interessiert, kann es hier finden, aber seid nachsichtig, ich bin absolut kein guter Filmer:

    https://www.youtube.com/watch?v=Mu1O_aBfuYA

    Im Kern denke ich werden die Probleme deutlich, man muss sich einfach vorstellen, dass ich selbst bei der Bedienung weder Display, noch LEDs erkenne und mich einfach auf die fehlerfreie Funktion der Bedienelemente und meiner Schritte im Kopf verlassen muss. Dass das ein Kreativitäts-Killer ist, wird denke ich auch gut nachvollziehbar sein. Ich hoffe, dass dies auch von Entwicklern/Herstellern gesehen wird, vielleicht erkennt hier ja einer Potential, bezahlbare Lösungen zu entwerfen. Für Rückfragen stehe ich natürlich gerne zur Verfügung.

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