Peter Grandl über 25 Jahre AMAZONA-Geschichte
AMAZONA.de-Gründer Peter Grandl verabschiedet sich Ende des Monats als Chefredakteur, um mehr Zeit für das Schreiben von Romanen, Drehbüchern – und ja, auch für die Musik – zu haben.
Im Frühjahr habe ich Peter in Berlin bei den Hörbuchaufnahmen seines vierten Romans RESET – Die Wahrheit stirbt zuerst getroffen, in dem die Gefahr durch Deepfakes thematisiert wird, die die Welt an den Rand des Abgrunds bringen.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Während es im ersten Teil des Interviews um Peters Durchbruch als Schriftsteller ging, geht es in der Fortsetzung unseres Gespräch um die Entstehungsgeschichte von AMAZONA.de und die künftigen Herausforderungen für das Magazin, das er vor fast 26 Jahren ins Leben gerufen hat. Und natürlich haben wir uns auch viel über Musik und Equipment ausgetauscht.
Inhaltsverzeichnis
- „AMAZONA ist nicht wie Joghurt oder Weißbier“
- Die Anfänge von AMAZONA – reichen 6 Artikel im Monat?
- Als die Musikwirtschaft ihr Geld noch für Print ausgab
- Darum gab es AMAZONA.de auch als Printmagazin
- Thomann: Ganz oder gar nicht
- Printmedien: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben
- „Ich interviewte alle meine musikalischen Heroes“
- Einladung von Hans Zimmer nach London
- Wie Uli Behringer auf die Synthesizer kam
- Der Behringer Deep Mind
- Peter Grandls Herz schlägt für Vintage
- Peter Grandls Lieblings-Gear
- „Wenn ich Begriffe höre wie Work-Life-Balance, dreht sich mir der Magen um“
- Hitzige Diskussionen auf AMAZONA um analoge Wärme
Costello:
Du gibst Ende des Monats den Posten als Chefredakteur bei AMAZONA.de auf und leitest dann nur noch die Vintage-Redaktion. Bei deiner Werbeagentur hast du diesen Schnitt bereits zuvor gemacht.
Peter Grandl:
Genau, die Werbeagentur PROXENOS (heute Hertz6) hatte ich kurz nach AMAZONA – im Jahr 2000 – gegründet. AMAZONA war ursprünglich allerdings mehr so eine Schnapsidee, um meine Leidenschaft für Synthesizer auszuleben. Printmagazine wie Keyboards oder Keys hatten ihren Zenit meiner Meinung nach bereits überschritten und an die Veröffentlichung von Tests im Internet traute man sich nicht heran – aus Furcht die Auflagen zu verlieren, die letztendlich damals auch den Anzeigenverkauf und damit das Einkommen der MI-Verlage sicherten. Eigentlich hatte ich vor, das mit dem Musik-Media-Verlag oder dem PPV Verlag gemeinsam zu starten, aber das Interesse war verhalten und so startete ich eben allein damit. Da ich aber wusste, dass ich davon nicht leben können würde, gründete ich gleichzeitig auch eine Werbeagentur, die mir mein Einkommen sichern sollte – aber auch das war natürlich ein Risiko.
Costello:
Wobei die „Schnapsidee“ AMAZONA sich ja prächtig entwickelt hat.
Peter Grandl:
Ja, schon verrückt, dass sowohl die Agentur als auch das Magazin erfolgreich wurden. Das hätte ich nie erwartet. Nach dem Durchbruch als Autor musste ich mich schließlich entscheiden, weshalb ich mich zunächst nur aus der Werbeagentur verabschiedete und meine Anteile verkaufte, während ich noch die Hoffnung hatte, AMAZONA weiterhin nebenbei stemmen zu können. Aber das war ein Trugschluss, daher nun auch der Cut bei AMAZONA.
„AMAZONA ist nicht wie Joghurt oder Weißbier“
Costello:
AMAZONA ist schon dein Baby, da ging es auch emotional nicht ganz so schnell.
Peter Grandl:
Die Trennung von der Agentur ist mir tatsächlich nicht so schwer gefallen, wie die Trennung jetzt von AMAZONA. Als Musiker und leidenschaftlicher Fan von Synthesizern hänge ich natürlich auch an dieser ganzen Welt und an der Community. Mit der Zeit habe ich ja alle kennengelernt: über die Kommentarfunktion, auch auf entsprechenden Events, bei der Superbooth oder früher bei der Musikmesse. Da bist du persönlich viel stärker involviert. In einer Werbeagentur ist das doch eher abstrakt. Da macht man heute Weißbier und übermorgen Joghurt. Das ist einfach ein klassisches „Business as usual“.
Costello:
Einen Moment möchte ich noch bei deiner Agentur bleiben. Denn ohne deinen langjährigen Co-Chef Günther Sonderwald wärst du vielleicht gar nicht so schnell ins Musik-Business gekommen.
Peter Grandl:
Günther führte in München gemeinsam mit seinem Bruder Werner den Musikladen Zitrone Musik. Neben dem damals gängigen Gitarrensortiment wollte er aber auch Synthesizer und Sampler anbieten und merkte schnell, dass manche namhaften Hersteller gar keinen Vertrieb in Deutschland besaßen. So zum Beispiel AKAI Professional aus Japan, die mit dem S900 Sampler zu der Zeit gerade Furore machten. Günther konnte auf einer Messe die Japaner schließlich davon überzeugen, für sie einen deutschen Vertrieb zu gründen und wurde so mit seinem Bruder Inhaber von AKAI Professional Deutschland.

Agenturübergabe an die nächste Generation: Günther Sonderwald, Jan Sonderwald, Florian Fischer und Peter Grandl beim Notar
Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich noch in der Filmbranche. Nach einer erfolglosen Karriere als Regisseur und der Pleite meiner Filmproduktion DIVA FILM war ich als Marketingleiter bei SENATOR FILM gelandet und für die Vermarktung großer Spielfilme verantwortlich, aber glücklich wurde ich damit nicht. In der Filmbranche wurdest du damals behandelt wie ein überbezahlter Leibeigener – im Prinzip gab es da kein Privatleben mehr – da musstest du 24 Stunden erreichbar sein und warst mehr auf Reisen als zu Hause. Noch dazu war mein damaliger Chef ein echter Misanthrop und furchtbarer Choleriker. Absurde Anrufe mit gebrüllten Vorwürfen um zwei Uhr Nachts waren nicht selten. Hartes Brot. Sehr hartes Brot.
Costello:
Und deshalb bist du vom Film zur Musik gewechselt?
Peter Grandl:
Günther suchte für AKAI Professional einen Marketing-Leiter. Da war ich sofort Feuer und Flamme. Synthesizer und Sampler waren seit jeher meine große Leidenschaft – und die Aussicht auf ein ruhiges Leben in der MI-Branche war sehr verlockend. Meine Hochzeit stand kurz bevor und alles was ich wollte, war wieder ein geregeltes Leben führen.
Als ich beim Vorstellungsgespräch schließlich Günther das erste Mal gegenübersaß und ihm meine Marketing-Budgetpläne für Senator Film zeigte, die pro Woche höher waren als das gesamte Jahresbudget von AKAI, hatte er mir sofort eine Absage erteilt. „Ich sei überqualifiziert und viel zu teuer“, war die Begründung.
Ich wollte aber unbedingt raus aus der Filmbranche. Und schließlich verzichtete ich auf auf einen Teil meines bisherigen Gehalts und überzeugte Günther doch noch. Für mich war das die richtige Entscheidung, die ich auch nie bereut habe. Quality of life before income war immer mein Motto.
Die Zusammenarbeit mit Günther bewährte sich dann auch bis heute. Gemeinsam mit ihm habe ich schließlich auch die Werbeagentur und eine Werbe-Filmproduktion gegründet. Aber nun trennen sich unsere Wege.
Die Anfänge von AMAZONA – reichen 6 Artikel im Monat?
Costello:
1999 hast du dann AMAZONA ins Leben gerufen. Das lief zunächst als Einmann-Betrieb?
Peter Grandl:
Ich habe am Anfang tatsächlich gedacht, dass es einen monatlichen Release geben muss. Ich gehöre ja zu der Generation, die einmal im Monat die Zeitschrift Keyboards im Abo erhalten hat. Meine Vorstellung für AMAZONA war daher, dass ich einmal im Monat fünf oder sechs Artikel veröffentliche. Wir reden von den Kindertagen des Internets. Das hat aber nicht gereicht, denn schon nach zwei Jahren hatten wir mehr Leser als Keyboards und Keys zusammen an verkaufter Auflage hatten.
Costello:
Hast du dir dann die Spezialisten dazu geholt?
Peter Grandl:
Das ist das Tolle am Internet: Viele haben sich von selbst gemeldet und gefragt: Peter, brauchst du noch einen Autor? Damals wurde ja noch nichts für den Job bezahlt. Ich habe nichts verdient und alle, die mitgearbeitet haben, haben auch nichts dafür bekommen. Das war wirklich von der Community für die Community. Und erst als es größer wurde, floss auch allmählich ein wenig Geld. Die Erlöse waren aber gering. Aus dieser Riege ging auch Thorsten Walter hervor, der schon bald die Chefredaktion übernahm. Er hat sich dann später mit einem Tonstudio selbständig gemacht, für uns aber hin und wieder immer noch Testberichte verfasst, bis er 2019 sehr überraschend verstarb, was uns damals tief getroffen hat.
Als die Musikwirtschaft ihr Geld noch für Print ausgab
Costello:
In den Anfangstagen vom AMAZONA war Thomann ja noch nicht mit an Bord?
Peter Grandl:
Genau, da gab es noch einen wichtigen Zwischenschritt. Auch das ist wieder das Interessante am Internet. Der Bannerverkauf ist nicht so gut gelaufen, wie ich mir das erhofft hatte. Die potentiellen Anzeigenkunden erklärten mir immer, dass sie ihr ganzes Geld für Print ausgaben. Manche haben mir geantwortet, dass sie ihre Budgets klar verteilen: Die Hälfte ist bei Musik Media, die andere Hälfte ist beim PPV Verlag. Und jetzt kommst du mit was? Mit einem Internet-Magazin?
Costello:
Ich merke schon, die Begeisterung hielt sich in Grenzen.
Darum gab es AMAZONA.de auch als Printmagazin
Peter Grandl:
Und da kam mir die Idee, auch eine DIN A6 Print-Ausgabe herzustellen. Ein kostenloses Magazin, das bei den Einzelhändlern ausliegt und das immer die neuesten Online-Artikel anteasert, ein Gewinnspiel enthält, Produkte empfiehlt und eben auch Anzeigen enthält. Die Auflage betrug 20.000 Exemplare und der Anzeigenpreis lag bei 500,- Euro pro Seite. Da praktisch alle Musikhändler das Heftchen auch auslegten, war gedruckte Auflage auch gleich verteilte Auflage.
Und siehe da – das lockte die Hersteller und Vertriebe schließlich aus der Reserve, da sie zusätzlich zu der Anzeige auch einen kleinen Banner im Online-Magazin erhielten. Da im Prinzip auf jeder zweiten Seite eine Anzeige platziert war, verdienten wir plötzlich genug Geld, um endlich auch die Autoren zu entlohnen.
Costello:
Und irgendwann kam dann das große Musikhaus und hat dir ein Angebot gemacht, bei dem du – wie man so schön sagt – nicht ablehnen konntest?
Peter Grandl:
Das war eine sehr witzige Begegnung! Irgendwann hat mich Hans Thomann über einen Mitarbeiter – das war Sven Schoderböck – kontaktiert. Wir hatten eine Rubrik eingeführt: Best Buy. Das empfehlenswerteste Gear aus einer Produktkategorie und Preisklasse wurde mit diesem BEST BUY gekürt – und tatsächlich erzeugten diese Empfehlungen bei Thomann im Shop einen leichten Peak. An den Statistiken, die Thomann penibel führte, war dadurch ein kausaler Zusammenhang zwischen Empfehlung und Verkauf nachweisbar. Im Prinzip war das der Auslöser für das erste Kaufangebot von Thomann. Und so wurde ich eingeladen. Allerdings bestand ich darauf, 51 Prozent der Anteile behalten zu wollen, um die inhaltliche Hoheit über das Magazin sicherzustellen.
Thomann: Ganz oder gar nicht
Costello:
Darauf hat sich Thomann aber nicht eingelassen?
Peter Grandl:
Überhaupt nicht! Wortwörtlich hat mir Hans gesagt: Ganz oder gar nicht. Daraufhin sollte ich einen Betrag auf ein Papier schreiben, wieviel mir der Verkauf von allen Anteilen wert wäre. In der Hoffnung, er würde zurückschrecken und sich wenigstens auf Fifty-Fifty einlassen, schrieb ich damals eine meiner Ansicht nach viel zu hohe Summe auf das Blatt – doch statt zu handeln, streckte er mir nur die Hand entgegen und sagte DEAL.
Costello:
Da wurde aber eine spezielle Klausel in den Vertrag geschrieben.
Peter Grandl:
Genau, wir haben dann – und das läuft bis zum heutigen Tag noch ganz genau so – einen Vertrag gemacht, bei dem zwar die Namensrechte und die Marke AMAZONA dem Musikhaus Thomann komplett übertragen wurden, aber – und das ist wirklich bindend – Thomann keinen redaktionellen Einfluss auf das Magazin hat. Auch sind die redaktionelle Arbeit und der Anzeigenverkauf, der über eine gesonderte Firma geschieht und nicht über die Agentur Hertz6 oder gar die Redaktion streng voneinander getrennt. Die Redakteure und Autoren können im wahrsten Sinne des Wortes schreiben und beurteilen, wie und was sie wollen. Das mag für viele unglaubwürdig klingen, aber andernfalls hätte ich AMAZONA.de damals niemals verkauft. Wer schon mal für das Magazin geschrieben hat, wird diese Unabhängigkeit bestätigen können.
Costello:
Das kann ich bestätigen, ich habe auch schon die „Finger weg“-Bewertung vergeben. Und da brachten dich Unterstellungen, AMAZONA wäre ein Werbemagazin natürlich auf die Palme?
Peter Grandl:
Oh ja und wie! Selbst zu den Produkten der Thomann Eigenmarken finden sich bei uns genügend kritische Tests. Hin und wieder drohen uns auch manche Hersteller nach negativen Tests mit der Marketing-Keule: Wenn ihr das nicht ändert, kriegt ihr halt keine Anzeigen mehr. In solchen Fällen hat uns Thomann aber immer den Rücken gestärkt und sich nicht einschüchtern lassen.
Costello:
Ich kann die Zweifler schon auch verstehen, denn in der Fachmagazinwelt ist das eher unüblich.
Peter Grandl:
Absolut, wir haben ja auch mit der Agentur schon Magazine, sogenannten Corporate Publishing-Content, produziert und da wird vom Auftraggeber jeder einzelne Text korrigiert und freigegeben. So wie das Thomann handhabt, ist das wirklich ein Novum. Sie haben einfach erkannt, dass die AMAZONA-Community nur dann treu bleibt, wenn wir zu keiner Werbeveranstaltung werden. Dass aber in den Artikeln Affiliate Links und Banner für Thomann werben, ist vollkommen legitim. Schließlich muss auch Thomann seinen Nutzen aus dem Magazin ziehen, dessen Produktion, im Vertrauen gesagt, nicht ganz günstig ist.
Costello:
Diese von Thomann garantierte Unabhängigkeit würde ich gerne mal ausreizen: Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass sich mit wenigen Ausnahmen die Musiker- und Equipment-Online-Medien praktisch alle in einer Hand finden: ob nun Bonedo, sequencer.de oder gearnews, djforum, Musiker-Board, clavio, recording und viele weitere. Es ist tatsächlich eine starke Konzentration, das kann man durchaus auch kritisch sehen.
Peter Grandl:
Um das zu beantworten, müssen wir einen Blick in die Vergangenheit werfen. Während wir damals die Konditionen zum Verkauf von AMAZONA verhandelt haben, hatte Thomann bereits einen Plan B entwickelt und ein eigenes Magazin an den Start bringen wollen – nur für den Fall, dass sich AMAZONA nicht kaufen ließ. Daraus ging Bonedo hervor und als ich Monate später davon erfuhr, war ich ziemlich überrascht und ehrlich gesagt auch nicht ganz glücklich, schließlich war Bonedo damit der erste Wettbewerber für uns am Markt und noch dazu ein wirklich ernst zu nehmender.
Für Thomann ging die Rechnung aber sofort auf, da Bonedo im Kern eine gänzlich andere Zielgruppe erreichte als wir und auch eher auf Rock- und Live-Musiker ausgerichtet war, während uns damals vorwiegend Studiomusiker und Elektronikliebhaber frequentierten. Und aus dieser Erfahrung heraus hat Thomann nach und nach auch andere Magazine gegründet oder übernommen und ist damit heute im Prinzip auch ein MI-Medienhaus. Allerdings sind sie ihrer Strategie dabei treu geblieben, die wir mit AMAZONA begonnen haben: Die Redaktionen sind allesamt inhaltlich unabhängig vom Thomann-Vertrieb oder Thomann-Marketing. Lediglich die Plattformen selbst dienen der Brand-Awareness von Thomann und bewerben den Thomann-Shop.

Nebenbei blieb Peter immer auch der Filmerei treu. Hier 2005 bei den Dreharbeiten zu DAS LETZTE WORT.
Costello:
Eine ziemlich geniale Marketing-Strategie.
Peter Grandl:
Ich glaube, das ist vor allem Sven Schoderböck zuzuschreiben, ein echter Online-Visionär. Er hat damals sehr früh erkannt, dass unabhängiges Corporate Publishing in der Musikbranche die einzige Möglichkeit ist, um Kunden zu gewinnen und auch zu halten.
Printmedien: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben
Costello:
Eng wird es halt für die Handvoll von Printmagazinen, die noch komplett auf Anzeigen setzen müssen. Und darauf, dass ihre Leser gewillt sind, für den Content auch zu bezahlen.
Peter Grandl:
Wie bereits kurz erwähnt, als ich dieses Magazin gegründet habe, bin ich als erstes zu den großen MI-Verlagen gegangen und wurde nur belächelt. Sie hatten alle ihre Chance, nur hatten sie das viel zu spät erkannt. Als die etablierten Musikfachmagazine dann endlich auf den Online-Zug aufgesprungen sind, war der schon abgefahren. Es ist zwar bedauerlich, aber ich glaube, wir sind nicht ganz unschuldig daran, dass es bestimmte Printmagazine heute überhaupt nicht mehr gibt. Aber wenn wir es nicht gewesen wären, hätte jemand anderes diese Bewegung in Gang gesetzt.
Costello:
Du hast ja vorhin mal Keyboards erwähnt. So ein Printmagazin ist natürlich auch was Schönes.
Peter Grandl:
Ich liebe Printmagazine – auch heute habe ich noch zwei im Abonnement, darunter auch das Magazin Synmag, mit denen ich seit jeher eine Promotion-Cooperation habe. Es ist einfach etwas ganz Besonderes, Papier in den Händen zu halten. Wenn das neue Synmag kommt, ist es immer eine wahre Freude, den Umschlag aufzureißen und das Heft in die Hände zu nehmen. Und wenn ich dann irgendwann auf der Couch liege oder am Wochenende Zeit habe, dann wird es gelesen. Das ist einfach etwas ganz anderes, als mal schnell etwas zu googeln.
„Ich interviewte alle meine musikalischen Heroes“
Costello:
Was waren für dich die Highlights in deiner Zeit bei AMAZONA?
Peter Grandl:
Ich habe mich, als AMAZONA richtig populär wurde, aus dem Produkttestbereich stark zurückgezogen – und zwar, um einen Jugendtraum zu verwirklichen. Ich wollte alle meine Heroes aus den Jugendjahren persönlich kennenlernen und interviewen. Also all die Musiker und Bands, die ich in den 80ern verehrt habe und die meine Stars waren. Und tatsächlich hat das funktioniert – von Toto bis Yello, von Harold Faltermayr bis Hans Zimmer und viele mehr. Das war einfach fantastisch.
Costello:
Auch Vangelis?
Peter Grandl:
Bei Vangelis dachte ich, den kriege ich nie. Die Problematik war, dass Warner keinen Kontakt herstellen durfte. Das letzte Interview lag damals fast 10 Jahre zurück und das hatte die New York Times geführt. Anfragen gab es bei Warner seitdem unzählige – und weiß Gott waren darunter manche mit klangvollerem Namen als unser regionales Online-Magazin AMAZONA.de, von dem man bei Warner noch nie etwas gehört hatte. Daraufhin haben wir auf unseren Social-Media-Kanälen und auch auf AMAZONA fette Suchanzeigen aufgegeben. „Wer kennt diesen Mann und hat Kontakt zu ihm“, stand da unter einem großen Bild von Vangelis.
Costello:
Und da kamen Reaktionen?
Peter Grandl:
Und ob – es schien fast so, als würden ihn unzählige Menschen kennen. Ein griechischer Koch hat uns zum Beispiel aus Athen geschrieben, dass er sein Stammkunde wäre. Ein anderer glaubte zu wissen, ihn soeben in Rom gesehen zu haben usw. – aber verwertbar war keine einzige Spur. Bis sich aus Holland ein Audiotechniker meldete, der schrieb, dass er regelmäßig Vangelis‘ Studio in Paris wartete und für ihn Spezialanfertigungen durchführte. Er war es auch, der dann einen gedruckten Brief von mir persönlich Vangelis in Paris übergab.
Costello:
Und dann kam tatsächlich eine Antwort?
Peter Grandl:
Über einen griechischen Freund ließ mir Vangelis schließlich ausrichten, dass er keinen persönlichen Kontakt wünscht, aber Fragen schriftlich beantworten wird. Immerhin hatten wir damit den E-Mail-Kontakt zu seinem Freund und schickten die Fragen. Und tatsächlich kamen schon bald auch die Antworten zurück, begleitet von seinem persönlichen Dank, da er an den Fragen großen Gefallen gefunden hatte.
Dass ich ihm trotzdem nicht persönlich begegnet bin, hatte mich natürlich gefuchst. Als mein jüngster Sohn sich zum Abi eine Paris-Reise wünschte, war das schließlich eine willkommene Gelegenheit, sich bei Vangelis‘ Freund zu melden, um unsere Parisreise anzukündigen. Denn von Vangelis selbst hatte ich weder Adresse noch irgendeine Kontaktnummer. Aber erst als wir schon in Paris im Hotel ankamen, rührte sich dieser Freund und – das kam dann doch vollkommen überraschend – lud uns noch am selben Abend zu Vangelis nach Hause ein.
Costello:
Und wurde es ein schöner Abend?
Peter Grandl:
Ich glaube, vier Stunden später habe ich mit meinem Sohn bei ihm und seiner Familie und Freunden am Tisch gesessen bei einem typisch griechischen Essen. Seine Frau hatte gekocht und der ganze Tisch war voller kleiner Schälchen mit typischen Spezialitäten. Dazu gab es reichlich griechischen Wein und gefühlt unzählige kleine Geschichten aus seinem Leben, die der Maestro entweder selbst zum Besten gab oder die unter viel Gelächter der Anwesenden, von seiner Frau hin und wieder ins richtige Licht gerückt wurden. Diesen Abend werde ich nie vergessen – und am Tag darauf hat er uns sein Studio und seine Synthesizer gezeigt.
Eigentlich war nochmals ein Treffen mit ihm geplant, da ich ihn zumindest fragen wollte, ob er nicht Lust hätte, die Musik für Turmschatten zu komponieren, aber bevor es soweit kam, verstarb er überraschend an einer Covid-Infektion. Das war damals ein richtiger Schock. Zu seinem griechischen Freund habe ich aber heute noch Kontakt.
Einladung von Hans Zimmer nach London
Costello:
Hans Zimmer hast du sogar mehrmals getroffen.
Peter Grandl:
Mit Hans Zimmer war es nicht so kompliziert wie mit Vangelis – aber im ersten Anlauf auch nicht gerade einfach. Ich glaube, es dauerte fast ein Jahr, bis ich mein erstes Interview mit ihm führen durfte, das war 2009 in Los Angeles in seinen Remote Control Studios. So richtig ist das Eis aber erst bei meinem zweiten Besuch 2013 gebrochen – danach hatten wir regelmäßig Kontakt. Mal ging es um Synthesizer, mal um seine Konzerte. Bei seiner ersten Welttournee lud er mich auch Backstage ein, um ihn zu besuchen. Und natürlich habe ich ihm regelmäßig von meinem Roman TURMSCHATTEN erzählt.
Im Oktober 2021 lud er mich dann nach London in seine Wohnung ein, das war der Morgen nach der Bond-Premiere. Er empfing mich im Bademantel, war noch verkatert vom Vorabend – und verschwand erst mal in der Dusche. Danach haben wir praktisch nur über den Roman gesprochen und die anstehende Verfilmung. Klar habe ich es mir nicht nehmen lassen ihn zu fragen, ob – wenn auch praktisch undenkbar – eine Möglichkeit bestünde, dass er die Filmmusik machen würde. Er schmunzelte dann nur und meinte „ … wieso nicht“. Das war so ein Moment, den du nie vergisst. Wir waren dann in seinem Londoner Studio und haben drüber sinniert, wie es wäre, wenn wir einen reinen Analog-Track machen würden, quasi als Hommage an Carpenters alte Filmklassiker. Und plötzlich sprach er von „wir“. Kannst du dir vorstellen, wie unfassbar das für mich war?
Costello:
Was ist dann daraus geworden?
Peter Grandl:
Die Sache wurde richtig ernst. Der Produzent war begeistert und gemeinsam mit Hans’ Manager fand man einen Weg, sich auch finanziell einig zu werden. Kaum war der Film abgedreht, hätte es losgehen können, doch dann geriet Paramount, die die Serie finanziert hatten, in Schräglage. Plötzlich wurde jeder Euro zweimal umgedreht. Für einige Monate stand sogar in den Sternen, ob TURMSCHATTEN überhaupt veröffentlicht werden würde. Der Begriff „Abschreibungsprojekt“ hing wie ein Damoklesschwert über uns.
Ein weltweiter Release hätte Marketing-Kosten in Höhe der gesamten Produktionskosten erfordert. Ließ man die Serie hingegen in der Schublade verschwinden, sparte man auf einen Schlag fünfzig Prozent und den Rest könnte man als Verlust abschreiben. Ein Schicksal, das schon so manche Hollywood-Produktion ereilt hat. Unser Produzent wollte dem zuvorkommen und TURMSCHATTEN auf Festivals zeigen, doch dazu musste die Serie erst einmal fertiggestellt werden. Das ließ sich zeitlich jedoch nicht mit Hans’ Terminkalender vereinbaren. Also platzte der Traum.
Für Hans kamen dann Martina Eisenreich und Michael Kadelbach, die die Filmmusik komponierten. Turmschatten wurde dann im Juni 2024 auf dem Münchner Filmfest gezeigt, war mehrere Tage hintereinander komplett ausverkauft, erhielt hervorragende Kritiken und war für den Bernd Burgemeister Fernsehpreis nominiert. Von da ab war klar, die Serie wird laufen. Zunächst startete sie dann in Deutschland auf Sky, ist aktuell bei amazon und Apple-TV zu sehen und wird im Laufe des Jahres auch weltweit zu sehen sein.
Wie Uli Behringer auf die Synthesizer kam
Costello:
Wenn ich es recht bedenke, ist doch Uli Behringers Einstieg in die Welt der Synthesizer auch über AMAZONA gekommen.
Peter Grandl:
Nein, so würde ich das nicht sagen, aber wir haben sicher einen Beitrag dazu geleistet. Ich fand die Person hinter der Marke immer schon sehr spannend, vor allem weil er schon in frühen Jahren stark polarisierte. Man erinnere sich nur an den Rechtsstreit zwischen Mackie und Behringer anlässlich einer Mischpultserie. 2009 bat ich ihn um ein Interview und er lud mich daraufhin auf die Philippinen ein.
Costello:
Da hätte ich auch nicht nein gesagt.
Peter Grandl:
Ich bin dann tatsächlich nach Manila geflogen und er hat mich vom Flughafen abgeholt. Die ersten Tage war von Arbeit keine Rede, nur Yoga, Sauna, Beach, schön essen. Und erst am dritten Tage sagte er, jetzt machen wir das AMAZONA-Interview, aber das machen wir in China.
Auf der Reise nach China zu seiner Fabrik hatten wir dann Gelegenheit, uns über alle möglichen Themen aus der Musikindustrie zu unterhalten. Da habe ich ihn natürlich gefragt, warum er keine Synthesizer herstellt. Er erzählte, dass er immer schon ein großer Fan von Synthesizern war, sogar selber mal einen Synthesizer entwickelt hat, aber darin kein Marktpotenzial sieht.
Hier das Rendering zum geplanten AMAZONA.de Tyrell-Hardwaresynthesizer
Costello:
Und da kam AMAZONA ins Spiel?
Peter Grandl:
Indirekt ja, denn um ihn zu überzeugen, schlug ich eine Umfrage auf AMAZONA vor zum Thema Nachbau von Vintage-Hardware-Synthesizern. Die Umfrage hat schließlich ergeben, dass Vintage-Synthesizer nach wie vor sehr gefragt sind. Nur dass sich die Originale kaum einer mehr leisten kann. Uli wollte unbedingt mit einem polyphonen Gerät anfangen. Ich schlug ihm den Juno-106 vor. Und er hat dann auch gleich einen kaufen lassen und mir Renderings geschickt zu seiner Synthesizerstudie – den Phat 108. Bei der Umsetzung haben ihm seine Experten aber dann davon abgeraten, da außer Dave Smith zu diesem Zeitpunkt niemand mehr Zugriff hatte auf Chips für polyphone Klangerzeugung und ein komplett diskreter Aufbau einfach zu kostspielig erschien. Damals haderte Uli noch damit, sich dem Risiko auszusetzen. Selbst bei gewagt hohen Verkaufsprognosen schien sich so ein Unterfangen nicht zu rechnen. Deshalb landeten die Ideen schließlich bei Uli in der Ablage links unten.
Costello:
Die AMAZONA-Umfrage hat aber trotzdem noch Früchte getragen, erinnere ich mich.
Peter Grandl:
Aufgeben war für mich keine Option und so machten wir weitere Erhebungen mit immer mehr Teilnehmern, bis es auch auf AMAZONA eine richtige Welle wurde. Aus der größten Schnittmenge der Umfragen hat dann Mic Irmer für uns einen Synthesizer konzipiert. Mit diesem Konzept bin ich zu Urs Heckmann gegangen, den mir übrigens Hans Zimmer empfohlen hatte, und schlug ihm vor, den Tyrell N6, wie ich ihn genannt hatte, als Plug-in umzusetzen. Und er war nicht nur sehr angetan von der Idee, er machte für uns sogar noch ein Freeware-Plug-in daraus, das es bis heute gibt und aktuell übrigens gerade wieder für neue Betriebssysteme aufbereitet wurde. Übrigens ein echter Knaller dieses Teil.
Der Behringer Deep Mind
Costello:
Die Synthesizer haben dem Uli aber keine Ruhe gelassen …
Peter Grandl:
Offensichtlich, denn fünf Jahre später meldete er sich überraschend bei mir und meinte nur „wir haben es nun doch getan“. Ende 2015 wurde ich dann nach Manchester eingeladen und durfte als erster Journalist der weltweiten Community den Prototypen des DeepMind 12 ansehen und auch anspielen. Entwickelt wurde der Synthesizer von Pete Sadler und Rob Belacham sowie einer Handvoll weiterer Mitarbeiter des Midas-Teams, einer Marke, die Uli kurz zuvor mit seiner Dachmarke Music Tribe Global Brands übernommen hatte. Das Spannende dabei: In Ermangelung entsprechender Chips hatte man tatsächlich jeder Stimme des DeepMind 12 eine eigene analoge Voicecard spendiert.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Dass heute ein Behringer UB-Xa für 900,- Euro angeboten wird, überrascht mich daher viel weniger, als dass der Deepmind 12 nur 700,- Euro kostet, obwohl er vom Aufbau viel aufwendiger herzustellen ist. Und noch ein Tipp: Schaltet mal die internen Effekte des DeepMind 12 aus, die fast jeden Werks-Sound verwaschen, dann hört ihr erst, was dieses Schätzchen wirklich draufhat. Nicht ohne Grund war der DeepMind 12 letztendlich der Grundstein für den Vintage-Hype, den Behringer ab 2016 ausgelöst hat.
Peter Grandls Herz schlägt für Vintage
Costello:
Dein Herz hat immer für die Originale geschlagen. Du hast dir ja viele Vintage-Synthesizer wenigstens zeitweise mal zugelegt, auch diese Dickschiffe wie den Yamaha CS50 oder den Elka Synthex.
Peter Grandl:
Also ich habe da – zum Glück zu einer Zeit, als die noch bezahlbar waren – am Gebrauchtmarkt gekauft, getauscht, verkauft. Wie man das halt als wirklicher Nerd so macht. Für mich waren Autos, Uhren und Spielzeugeisenbahnen einfach nicht erstrebenswert – was bleibt dann noch (lacht).
Manche besonders schöne Synthesizer, zum Beispiel Oberheim OB-X, Emulator II und Yamaha CS30, habe ich dann in der Agentur ausgestellt. Natürlich anspielbar, auch weil ich in meinem Kellerstudio irgendwann keinen Platz mehr hatte und die Sammlerstücke so weit wie möglich nicht in Cases lagern wollte. Nach unserem Umzug – der für mich bedeutete, endlich ein großes Studio mit Synthesizern ausstatten zu können – habe ich dann auch alles enorm reduziert und besitze nun nur noch die Teile, die ich auch anspielbereit in meinem Studio stehen habe.
Peter Grandls Lieblings-Gear
Costello:
Was sind denn jetzt deine absoluten Schätze?
Peter Grandl:
Nach wie vor würde ich mich nie vom meinem Juno-60 trennen. Ich habe außerdem den Oberheim Xpander, den ich über alles liebe, genauso wie meinen Roland Jupiter-4. Das sind meine drei Lieblingssynthesizer. Sagenhaft gut finde ich aber auch das Evolver Keyboard von Dave Smith, den ich mit kompatiblen 19“Expander zu einem polyphonen System verknüpft habe. Bei den Samplern nutze ich nach wie vor am liebsten einen Emu IV St und einen umfangreich restaurierten Emax I.
Bei den Drumboxen ist es tatsächlich der Digitakt II, obwohl ich die ganzen Klassiker im Original besitze, aber am Ende landet dann alles im Digitakt. Und Modular nutze ich einen COTK Moog-Nachbau des Model 15 sowie ein originales System 100M. Klar gibt’s auch ein Eurorack, aber damit bin ich noch nicht warm geworden. Und mein Lieblingsdigitaler ist ein Roland V-Synth XT, der direkt vor meiner Nase unter meinem Bildschirm steht.
Costello:
Du hast ja in einer Schülerband gespielt. Hast du später auch noch Bands gehabt, oder warst du eher der Elektroniker, der im Studio getüftelt hat?
Peter Grandl:
In den 90ern war ich tatsächlich als Maschinen-Solist unterwegs in einschlägigen Technoclubs hier in München, hatte aber auch mit einem Freund eine Elektroformation mit dem Namen LE BIT gegründet. Da wurde von uns beiden auf der Bühne mit Unterstützung eines Atari 1040ST MIDI-Equipment angesteuert und durch einen Saxophonisten aufgepeppt, der auf die Lines improvisiert hat.
Später wurde daraus das Projekt SOLID KICK. Zu dem Saxophon gesellte sich dann noch ein Gitarrist und ein virtuoser Keyboarder, denn ich selbst bin eher kein sattelfester Spieler. Die Musik von Solid Kick war auch eher Fusion aus Rock und Elektro, kam aber gut an in den Clubs. Zu Beginn der Zweitausender beendete ich dann aber die Live-Gigs. Die Regenerierungsphasen nach einem Auftritt wurden einfach immer länger. Freitags Club, Samstag tot, Sonntag tot … Montag mit Augenringen in die Arbeit. Man wird ja auch nicht jünger.
Costello:
Nochmal zurück zu AMAZONA. Was wünschst du dir denn für deine Plattform?
Peter Grandl:
Es ist sicherlich richtig, dass AMAZONA sich nach einem Vierteljahrhundert in irgendeiner Form weiterentwickeln muss. Und ich bin ehrlich gesagt tatsächlich froh, dass ich jetzt auch den Schlussstrich gezogen habe. Wobei ich mindestens bis Jahresende noch immer die Vintage-Redaktion mache – mal sehen, vielleicht auch länger.
„Wenn ich Begriffe höre wie Work-Life-Balance, dreht sich mir der Magen um“
Costello:
Die Interessen der User verändern sich auch, verschiedene Social-Media-Plattformen verlangen unterschiedliches Storytelling, eine andere Ansprache.
Peter Grandl:
Exakt und ich denke, ich bin jetzt in einem Alter, wo ich auch nicht mehr alles verstehe – bzw. verstehen muss. Sprachlich bin ich zum Beispiel kein Freund vom Gendern, in Sachen Humor gilt plötzlich eine übertriebene Correctness, die jeden Spaß im Keim erstickt. Für das TURMSCHATTEN-Drehbuch saß ich in einem sechsstündigen Diversity-Meeting, bei dem der Roman gefühlt durch den Fleischwolf getrieben wurde, um die Filmserie den heutigen Bedürfnissen anzupassen.
Wenn ich Begriffe höre wie Work-Life-Balance, dreht sich mir der Magen um, weil ich das Gefühl habe, dass es nur ein Etikettenschwindel ist, um nicht mehr arbeiten zu müssen. Überhaupt keine Frage, so wie es früher lief, konnte es auch nicht weitergehen … aber jetzt kippt das nach und nach in ein anderes Extrem – und ich bin absolut kein Freund von Extremen.
Costello:
Vor der Redaktion liegt in jedem Fall eine große Aufgabe.
Peter Grandl:
Die gehen mit vollen Enthusiasmus an die Sache ran … endlich ist der Alte weg (lacht). Aber mal ehrlich, das ist alles gesund gewachsen, ohne große Fluktuation – das sind eingespielte Abläufe und nun kommt auch noch ein frischer Wind rein. Also ich denke, die werden das richtig gut meistern.
Costello:
Als ich Anfang 2010 AMAZONA für mich entdeckt habe, waren es vor allem die Berichte über Vintage-Synthesizer, wie sie Theo Bloderer damals geschrieben hat, die mich begeisterten. Aber ich habe das Gefühl, dass der Peak bei Vintage vielleicht auch schon überschritten wurde.
Peter Grandl:
Ich glaube auch, dass dieser Hype seinen Zenit überschritten hat. Dazu kommt, dass vermutlich all jene, die für echte Vintage-Schätze die hohen Preise zahlen können, die gerade am Markt rumgeistern, nach und nach weniger werden … wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten. Und ich glaube auch, dass dieser Gear-Porn die Musiker von morgen, die vor allem mit Software und KI aufwachsen, kaum mehr packen wird. Und damit meine ich jegliche Form von Hardware-Klangerzeugern. Das Traurige dabei ist vermutlich, dass das gesamte Konsumverhalten bei Musik sich so drastisch ändern wird, dass es überhaupt fraglich sein wird, ob man in Zukunft Musiker überhaupt noch brauchen wird. Ich habe da ein ziemlich düsteres Bild vor Augen.
Hitzige Diskussionen auf AMAZONA um analoge Wärme
Costello:
Noch wollen wir die Musik nicht abschreiben. Was AMAZONA in meinen Augen immer ausgezeichnet hat, war die lebhafte Beteiligung der Community. Oft wurde auch handfest gestritten. Am Anfang Plug-in gegen analoge Wärme. Oder eben halt Uli Behringers Klone gegen die Originale. Ich habe aber das Gefühl, dass sich da die Wogen langsam etwas glätten.
Peter Grandl:
Da bin ich übrigens ganz froh, dass ich nichts mehr mit der Kommentarfunktion auf AMAZONA zu tun habe. Da waren ja einige Kommentare schon unter der Gürtellinie und wenn man das moderiert hat, gab es oft den Aufschrei: Zensur! Zum Glück hat meine Moderation in den letzten Jahren aber auch dazu geführt, dass die Diskussionen inzwischen sehr gesittet ablaufen.
Costello:
Als Chefredakteur hattest du nicht nur angenehme Aufgaben. Aber ich glaube ja, dass dich nach deinem Rückzug Ende des Jahres schnell die große Sehnsucht packt, doch wieder in der einen oder anderen Form mitzumischen.
Peter Grandl:
Die Sehnsucht packt mich sicher, aber ich bin auch voller neuer Ideen und Projekte. Als Leser werde ich aber sicher regelmäßig auf AMAZONA.de sein und hin und wieder auch einen Gastbeitrag schreiben – so viel ist sicher.
Wer Peter einmal live erleben möchte, hat ab Ende Juli die beste Gelegenheit dazu: Dann startet seine große Lesetour durch Deutschland und Österreich. Alle Termine der Tour findet ihr HIER.
Hier noch eine Übersicht zu Peters bisheringen Romanen:
- 2020
- 2022
- 2024
- 2025
Danke Peter und Costello für die beiden Interviews, die auf so schöne und sympathische Art, Persönliches und Fachliches beleuchten. Typisch Amazona, würde ich sagen :-).
Und an dieser Stelle nochmals großen Dank an Dich Peter, dass ich irgendwann Anfang der 2010er Jahre als Autor bei Euch anfangen konnte. Amazona ist aus meiner Sicht ein einmaliges Magazin, das zu einem festen Teil meines (Musiker-) Lebens wurde. Die Zusammenarbeit mit Dir als Chefredakteur war immer inspirierend, natürlich auch sehr fordernd und gleichzeitig erfüllend.
Für Deine weiteren Projekte wünsche ich Dir von Herzen nur das Beste. Turmschatten halte ich – ganz unabhängig von aller freundschaftlichen Verbundenheit – für eines der gesellschaftlich relevantesten und gleichzeitg spannendsten Bücher, die ich je gelesen habe. Jetzt freue ich mich auf Reset.
Machs gut und alles Gute,
Martin
Danke für das schöne Interview. Sehr spannend, für mich auch der Teil mit dem Filmbusiness.
Dass die Print-Magazine allesamt das Internet verschlafen haben und um Himmels Willen nichts am Status Quo rütteln wollten … tja, das hat auch der Videospiele-Branche der Garaus gemacht. Klar, inzwischen sind »GameStar«, »PC Gamer« und wie sie alle heißen auf’s Internet umgestiegen. Aber durch YouTube und die Masse an teilweise sehr guten Spiele-Testern haben es auch die sehr schwer, eine bezahlte Redaktion aufrecht erhalten zu können (ganz brutal: keiner braucht die noch).
Das ist, glaube ich, das Geheimnis von Amazona: Dass hier Leute schreiben, die zum einen Ahnung und Bock haben (und sich nicht »notgedrungen« in irgend etwas einarbeiten müssen) und zum anderen mit einer persönlichen Note schreiben und sich gar nicht erst den trügerischen Anstrich von absoluter (!) Objektivität geben wollen. Ich als Leser bin intelligent genug für mich selber Argumente zu bewerten (deswegen mag ich auch den Plus/Minus-Kasten am Ende der Artikel).
Noch einmal: Alles Liebe und Gute lieber Peter und ganz ganz viel Erfolg als Autor. ❤️🙂
Auch Teil 2 des Interviews war wieder sehr lesenswert. Vielen Dank Costello und Peter! Die Einblicke in 25 Jahre Amazona und gerade auch in die Anfänge waren mega interessant für mich. Ich bin ja leider erst sehr spät auf Amazona aufmerksam geworden (ca. 2019) und hab daher weder damals miterleben können, wie der U-he Tyrell ins Leben gerufen wurde, noch wie Peters Anstrengungen mit Vangelis in Kontakt zu treten endlich Früchte trugen. Das ist schon Wahnsinn, wenn man seine Jugendhelden Auge in Auge trifft und es sich herausstellt, dass sie durchaus angenehme Zeitgenossen sind und selbst Leute wie Hans Zimmer oder eben Vangelis, der ja super zurückgezogen lebte, offen und freundlich und herzlich waren. Wunderbar! Auch die Entwicklung Amazonas hin zu einem Thomann Unternehmen, das aber redaktionell komplett unabhängig bleiben konnte – und das merkt man auch – finde ich fantastisch. Der Deal war wohl das beste, was Amazona passieren konnte. Gerade auch die ganzen Zusammenhänge machen es umso dankenswerter was Peter Grandl hier geleistet hat! Ich wünsch dir nochmal alles Gute, Peter! Ich bin sicher, wir werden noch viel von dir hören, sehen und lesen!
Noch besser als der erste Teil, ihr baut ja richtig Wehmut auf.
„Wenn ich Begriffe höre wie Work-Life-Balance, dreht sich mir der Magen um“
Ich bin sehr milde geworden. Außerdem, was heißt eigentlich „Work Life Balance“?
Es gab doch letztens die Meldung, daß dieser WLB-Style oft mehr Stress macht als ein geregelter Arbeitstag. Weißt du wie anstrengend das ist seine Kids mit dem Lastenrad morgens zur Kita zu fahren und dann peergroupkonform und durchgestylt sich in eine angesagte Kaffeebar zu setzen und sein Gesicht Richtung Sonne für den Whatsapp-Status zu strecken? 😂
@Kazimoto Peter hat ja laut interview, selbst früh die entscheidung getroffen, sich nicht im filmbusiness verbrennen zu lassen und eine schlechter bezahlte aber lebenskompatiblere anstellung angenommen.
nichts anderes meint meiner meinung nach work-live-balance und hat meine volle anerkennung, bzw. ich habe für die gegenwärtige verächtlichmachende haltung gegenüber solcher entscheidungen kein verständnis.
ich selber arbeite in einer ähnlich krassen branche mit hohem termindruck und hoher kostenverantwortung und psychopatischen weltkünstlern als auftraggebern und habe leider beizeiten den stecker vergessen zu ziehen und merke inzwischen massiven mentalen verschleiss. das wünsche ich keinem (oder zumindest nur wenigen…)
@Schneum Und: da ich in berlin neukölln lebe und das an mindestens 4 beispielen im umkreis von 200m ganz konkret belegen kann:
die geschichte geht weiter, denn nachdem die kinder in der kita sind und die latte geschlürft gehts ins office und es werden die eurorack-module entwickelt, die ihr alle so toll findet…
daher auch mein motto: einfach mal andere lebenskonzepte respektieren und machen lassen…
Vielen Dank für dieses tolle Interview! Hab mal die Termine für die Lesungen gecheckt… 24.9. in Bremen..passt 😊.
Danke für das Interview!
Nett, einen S6000 im Betrieb zu sehen.
Hatte ich auch schon mehrmals – immer wieder verkauft wegen Nichtnutzung und dann wieder angeschafft aufgrund der von anderen immer noch nicht erreichten Features.
Das Gerät sollte Behringer mal nachbauen. In Vollausstattung. Mit einem Elektron-Sequenzer und aktuellen Effekten. Ohne Lüfter.
Toller zweiter Teil des Interviews.
Was bleibt nun zu sagen:
Dankeschön!
Ein ganz großes Dankeschön für all die vielen vielen lehrreichen, informativen, inspirierenden und befriedigenden Stunden, die man bis jetzt und ich hoffe auch noch bis in ferne Zukunft auf Amazona.de erleben durfte.
frage bzgl der verkaufssumme an thomann.
wie kommt man den generell zu solchen summen? woher weiß man was eine seite etc zb wert ist? peter wie bist du denn da vorgegangen?
Vielen Dank an Peter Grandl für Amazona!
Seit Jahren lese ich sehr gern, was hier passiert, sobald ich wach werde. Super Gestaltung des Portals, generell sehr unterhaltsame und informative Artikel. Danke dafür und viel Spaß+Erfolg als Buchautor jetzt!
An Costello vielen Dank für dieses zweiteilige Interview und sonst für alle Artikel, die zwar oft sehr lang (im Sinne von „Aaargh, krass! So viel Zeit zu lesen habe ich grade nicht!“) aber super recherchiert und informativ sind.
Und allerseits: viel Spaß beim Fête de la musique!
Wow, der zweite Teil war ja sogar noch spannender als der Erste! Viele Tolle Menschen hat er getroffen, der Peter! Mir war nie klar, wie tief Herr Grandl schon in anderen Gewässern unterwegs war. Da wird schon klar, dass man das alles nicht gleichzeitig handlen kann. Ist auf jeden Fall eine echt abgefahrene Vita.
Danke für das coole Interview und auch für Amazona! Auch wenn ich als Saitendehner und Trötenbläser nicht direkt in der Zielgruppe bin, schaue ich immer wieder gerne vorbei.
Peter, DANKE und „verneig“ !
Nochmal vielen Dank Peter für deine Wegweiser in die Weiten der elektronischen (Vintage) Musiktechnik!
Persönliche Meinungsäußerung:
Amazona hat sich schon verändert, und wird sich jetzt noch mehr verändern! Der alte Fokus lag gefühlt für „mich“ mehr auf der elektronischen Seite der Musik, nun spreizt er sehr weit in Gitarrengeschrammel – und „Ich“ kann Gitarren nicht ab.
Ob Markus seine NGL Wurzeln hier als Kompass nimmt oder nicht, wird man sehen. Ich habe für diese beiden weltweit agierenden Sekten, die sich alleinige Stellvertreter Gottes auf dieser Welt nennen, nur Verachtung übrig.
Somit neigt sich ein Kapitel zu Ende, und meine Prognose für Amazona ist dankbar, aber nicht positiv. Die Seite wird ihre Synth Leser verlieren, und die Schrammelfraktion nicht gewinnen, alles andere gehört ins Kirchenforum – so mein Fazit.
P.S. Unterstützt euren lokalen Musikalienhandel – Monopole sind nie gut !!!
Urbi @ Orbi
@Anjin Sun Den Endteil unterschreibe ich so! (Sitze hier seit 1,5 Jahren in einem eigentlich recht großen Musikfachhandel und kann die Kunden die ich dieses Jahr hab an den Fingern zählen… das war letztes Jahr noch 10x besser)
Zum Rest: Wandel ist organisch, alles durchgeht einen Wandel früher oder später. Was daraus wird, können wir ja nun alle selbst beobachten und auch (wenn nur geringfügig) selbst formen.
Ich bin hier noch ein absoluter Newbie und weiß, dass ich da nicht groß mitreden kann, aber ich für meinen Teil freue mich trotzdem auf das was noch kommt, auch wenn ich mich so wie du mehr auf elektronisches fokussiere als auf Gitarren. Da wird bestimmt noch genügend für unseren Geschmack dabei sein, ist ja ein recht bunter Haufen hier (im positiven Sinne versteht sich😄).
So genug geplaudert, ich warte jetzt mal wieder gespannt ob wir heute Kunden bekommen..
Gehabt euch wohl!
Vielen Dank lieber Peter für deine unermüdliche Arbeit, die du über die vielen Jahre in DEIN Amazona gesteckt hast!
Aber manchmal ist es Zeit sein Leben umzuswitchen, ein Kapitel hinter sich zu lassen und etwas Neues zu beginnen.
Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute und ganz viel Erfolg!
Bernie
Vielen Dank für diese wundervolle Plattform mit einer der besten Communitys die ich in den letzten Jahren für mich entdecken konnte..
Wahrlich eine meisterliche Arbeit Herr Grandl!