Im Gespräch mit der ersten Geschäftsführerin in der Musikbranche
Petra Husemann-Renner ist mit allen Wassern gewaschen. Die Westfälin trägt ihr Herz auf der Zunge und lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Und genau mit diesen Eigenschaften hat sie es geschafft, 1999 zur ersten Frau in der Geschäftsführung eines Musik Majors zu werden.
Inhaltsverzeichnis
- Der Weg zur ersten weiblichen Geschäftsführung in der Musikbranche
- Die Musikwelt im Wandel der Zeit: Wer macht wie Musik?
- Musik statt Journalismus
- U96 und Rammstein: Von Teldec über Polydor zu Motor
- „Die erste Krise begann ja mit den illegalen Downloads, also mit Napster 1999.“
- Motor Entertainment: Ein Rundum-Label-Service mit der Rent-A-Recordcompany
- Jeder Künstler hat seine eigene Persönlichkeit
- Petra Husemann-Renner: Tue niemals etwas um der Karriere willen
- 25 Jahre Musikbusiness: Pleiten, Pech und Pannen
Sie arbeitete mit U96, Kylie Minogue, Rammstein, Dr. Dre, Tocotronic, Muse, Sportfreunde Stiller und zahlreichen anderen Stars der Musikbranche. Sie weiß, wie es hinter den Kulissen aussieht und ist ihrem Stil stets treu geblieben. Gerne ein bisschen „Out Of The Box“ und größtmögliche Unabhängigkeit.
Heute ist sie die Geschäftsführerin von Motor Entertainment, mit den Bereichen Rent-A-Recordcompany, der Künstlern einen Label-Service bietet, der sie bei der Selbstvermarktung an die Hand nimmt. Das Team von Motor Entertainment realisiert die Veröffentlichung, steuert Herstellung & Vertrieb, koordiniert Marketing & Promotion-Maßnahmen und berät bei Social-Media-Aktivitäten. Der Verlag Motor Songs bietet flexible Verträge an und übernimmt für Künstler sämtliche Verlagsarbeiten, vom Administrieren, Reklamieren nicht gezahlter Gema Tantiemen, bis zum Akquirieren von Synchronisationen.
Ich habe die Powerfrau in Berlin zum Gespräch gebeten und mich wunderbar von den Anekdoten aus über 25 Jahren Berufserfahrung unterhalten gefühlt.
Also, kommt mit auf eine Reise!
Der Weg zur ersten weiblichen Geschäftsführung in der Musikbranche
Sonja:
1999 wurdest du Geschäftsführerin des Labels Motor GmbH. Erzählst du uns, wie es dazu kam?
Petra:
Also, das passierte im Rahmen des Mergers. Zuvor gehörte Motor Music zur PolyGram und die gehörte zu Philips. PolyGram wurde damals von der Universal gekauft. Philips hatte gerade die CD-R erfunden und erwartete einen Einbruch des CD Verkaufs. Noch bevor sie die CD-R Brenner auf den Markt warf, wurde der Recorded Music Bereich, also die PolyGram, verkauft. Das Management wusste Bescheid, also den etwas höheren Angestellten, war klar, dass das passieren würde.
Der ehemalige Geschäftsführer von Motor, Tim Renner, wurde zum Musik-Präsident ernannt, um den Merger mit Universal umzusetzen. Der Präsident der PolyGram, Wolf D. Gramatke, hat mich als Gründungsmitglied der Motor Music GmbH gefragt, ob ich bitte erst einmal kommissarisch die Geschäftsführung übernehmen würde. Ich habe dann gesagt, dass ich es mal versuchen würde und nach einem halben Jahr hat dann das Office in London, über das die Personalangelegenheiten in meinem Fall liefen, gesagt, dass es doch super läuft und sie mich gerne behalten wollen würden.
Im Zuge des Mergers wurden alle Companies, auch Motor Music, dann ein bisschen anders aufgestellt. Ursprünglich bestand das Artist Roster aus Bands der Indie-Szene wie Element of Crime, Phillip Boa, Tocotronic, Sportfreunde, Rammstein und so weiter und das Sublabel Urban, wo nahezu ganz Techno Deutschland unter Vertrag stand und aufgebaut wurde. Durch Universal bekamen wir internationale Labels dazu und dann wurde das Ganze neu geordnet. Das Sublabel Urban wurde eine eigene Firma unter der Leitung von Konrad von Löhneysen. Und ich habe diese Indie-Rock-Geschichten übernommen und bekam unter anderem das Label Interscope dazu.
Das war schon sehr aufregend mit Bands wie Nine Inch Nails, Mason,Gwen Stefani, Faith No More und viel Hip-Hop wie Dr. Dre, Tupac und Eminem. Das war schon toll und es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Aber wir zogen dann relativ zügig von Hamburg nach Berlin. Zur gleichen Zeit wurde ich dann auch noch zum zweiten Mal schwanger.
Ich hätte gerne auch eine Babypause gemacht. Das konnte ich nämlich schon beim ersten Kind nicht und ich wusste, dass es doch relativ anstrengend ist. Aber bei meiner ersten Tochter hatten wir kein Geld. Bei meiner zweiten Tochter hatte sich die Gesetzeslage geändert und ich hätte eigentlich einen Anspruch auf drei Jahre Erziehungsurlaub gehabt, aber das für mich zuständige Personal-Office in London hat mir mitgeteilt, dass eine solche Regelung in UK nicht existiert. Auf den Hinweis, dass ich doch in Deutschland arbeiten würde und auch einen deutschen Arbeitsvertrag habe, hieß es dann: Klar kannst du das machen, aber dann bist du raus.
Mein Gedanke war: Ich habe das jetzt angefangen, jetzt will ich es auch noch ein bisschen weitermachen. Also habe ich alles irgendwie organisiert. Es war ja nicht nur, dass ich ein zweites Kind bekommen hatte, sondern die ganze Firma ist während dieser Zeit auch noch nach Berlin umgezogen.
Die Musikwelt im Wandel der Zeit: Wer macht wie Musik?
Sonja:
Du warst damals die erste weibliche Person in der Geschäftsführung eines Musik Majors, ist das richtig?
Petra:
Ja, das ist richtig. Also, bei der Universal kam, glaube ich, ein oder zwei Jahre später eine Spanierin dazu. Sie hatte im International Office in London gearbeitet und wurde dann Geschäftsführerin in Spanien, aber sie hat das nicht so lange gemacht, denn es war ihr zu anstrengend.
Generell, also abgesehen von den Chefetagen der Labels, gab es in der Indie Musikszene, damals , sehr, sehr wenige Frauen, die im Indie-Rock-Bereich performt haben. Nur der Punkrock war sehr emanzipiert. Da gab es genauso viele Frauen-Bands oder Frauen in Bands. Aber von allen anderen Genres konnte man nicht wirklich behaupten, dass Frauen gleichgestellt waren.

Wenn Festival-Besuche zum Tagesgeschäft gehören: Petra Husemann-Renner auf dem Superbloom-Festival in München 2024.
In jüngerer Zeit habe ich den Eindruck, dass der Bereich der elektronischen Musik emanzipierter ist. Aber manchmal kann man das auch nicht mehr hören, weil alles programmiert ist und die Instrumente nicht live eingespielt sind. Andererseits ist es so, dass man die Unterschiede bei einigen Sounds gar nicht mehr hört. Das hört dann tatsächlich häufig nur jemand, der ein extrem geschultes Ohr hat. Christoph Israel, für den ich häufiger Klassikprojekte bei der DGG betreut habe, spielt meist alles vorher mit dem Computer ein, damit man sich das Endprodukt besser vorstellen kann. Und auch die Deutsche Grammophon hört nicht unbedingt den Unterschied zwischen Dosen-Geigen und echten Instrumenten. Das ist völlig verrückt.
Aber abgesehen von der elektronischen Musik, erlebe ich doch, dass die Frauen sich auch generell auf den Weg gemacht haben: Es gibt Producer-Kollektive und Frauen dürfen mittlerweile Songs für Männer schreiben (lacht). Früher war es ja so, dass man eine Band hatte, wie beispielsweise Phillip Boa, Element of Crime oder auch Rammstein, da wäre man nie auf die Idee gekommen, eine Writing-Session zu organisieren. Heutzutage ist das völlig normal, dass die junge Szene viel mehr miteinander arbeitet und sich austauscht. Es gibt viel Self-Empowerment und man zeigt sich gegenseitig Dinge. Das war früher anders.
Der Markt ist einfach zu umkämpft, als dass man sich in seiner kleinen Blase auch noch Konkurrenz machen könnte. Man hilft sich lieber, man macht lieber Projekte zusammen. Und das finde ich gut. Und da gibt es auch viele, viele Frauen.
Musik statt Journalismus
Sonja:
Du wolltest ja ursprünglich mal Journalistin werden und bist eigentlich nur durch Zufall in der Musikbranche gelandet, oder?
Petra:
Ja, das stimmt. Ich komme ja tatsächlich so richtig vom Land, aus dem Teutoburger Wald. Eigentlich wollte ich Fotografin und Journalistin werden und als es dann darum ging, wo man denn so etwas studieren kann, fand ich heraus, dass in Hamburg die Journalistenschule von Gruner+Jahr die beste Empfehlung war. Dafür musste man aber zunächst ein Studium an der Universität in Hamburg absolvieren. Ich habe dann mit Kester Schlenz und Lukas Koch studiert. Sie sind dann zu Gruner+Jahr Journalistenschule gegangen und ich bin vorher in die Musikbranche abgebogen.
Das kam so: ein Freund von mir war Geschäftsführer von Antenne Berlin. Es war das erste Privatradio in Berlin von Holtzbrinck. Ich hatte gerade meine Zwischenprüfung abgegeben und dachte, ich könnte auch mal eine kurze Pause einlegen. Ich wurde von Antenne Berlin gefragt, ob ich nicht Lust hätte, nach Berlin zu kommen als Reporter für die Mittagssendung. Ich hatte zwar noch nie Radio gemacht, aber „Why Not“?
Ich hatte ja einige journalistische Erfahrungen. Neben dem Studium habe ich im Rahmen von Praktika, die ich brauchte, bei einem Hamburger Stadtmagazin namens Tango und beim Pinneberger Tageblatt gearbeitet. “Tango” wurde später an das Stadtmagazin Prinz verkauft.
Bei Tango bin ich sehr lange hängen geblieben und habe sozusagen als Zweitauswertung mit Tim zusammen einen Musikpresse-Dienst gemacht, über den wir Artikel angeboten haben. Gekauft wurden unsere Artikel vom Wiener, Tempo und anderen popkulturellen Publikationen der 80ger.
Auf jeden Fall bin ich dann erstmal nach Berlin zu „Antenne Berlin“ gegangen. Das war total absurd, das war ja Kabelradio. Man kämpfte für eine terrestrische Frequenz, auf die sich Holtzbrinck bewerben wollte. Die Frequenz hat man dann auch bekommen, aber nur partagiert. Das bedeutete, dass man sich die Frequenz mit einem anderen Anbieter teilen musste. Der andere Sender war die Zeitung “Die Zweite Hand”. Das war so ein gedruckter Second-markt.
Holtzbrinck wollte das nicht machen und hat sich aus Berlin zurückgezogen. Die Redaktion sollte nach Stuttgart umziehen. Daraufhin habe ich gesagt: Nein, bitte, nach Stuttgart gehe ich nicht, dann studiere ich lieber weiter. Also bin ich nach Hamburg zurückgegangen und dort hat ein Freund mir eine Anzeige gegeben: Teldec sucht PR, also Promotion. Bis dahin hatte ich zwar schon Interviews mit Künstlern gemacht, ansonsten mit Musikern aber wenig zu tun. Ich fand es interessant tiefer in den Musikbereich einzusteigen und habe mich beworben.
Mein erster Job in der Musikindustrie war als PR Manager bei Teldec . Ich war dort relativ erfolgreich.
Damals habe ich auch meine erste goldene Schallplatte für Ofra Haza, “In Nim Alu” bekommen. Ich habe mit Falco gearbeitet, mit Kylie Minogue und Jason Donovan, Stock Aitken Waterman und so weiter und so fort. LaToya Jackson war auch meine Künstlerin.
Ich habe letztens ein paar alte Fotos gefunden, auf denen ich mit Kylie in Hamburg einkaufen war. Sie schuldet mir noch Geld. Sie wollte etwas kaufen, hatte aber kein deutsches Geld dabei. Es waren nur 20 Mark, das war mir auch egal.
Es war natürlich ein Fotograf dabei, weil wir das nicht nur einfach so gemacht haben, sondern weil die Bild-Zeitung darüber berichtet hat: „Kylie war shoppen in Hamburg“.
U96 und Rammstein: Von Teldec über Polydor zu Motor
Sonja:
Wie hat sich Motor Entertainment genau entwickelt?
Petra:
Motor Entertainment gibt seit über 30 Jahren und es hat sich total gewandelt.
Mein Freund und heutiger Mann, Tim Renner, war A&R Manager bei Polydor. Er war zuständig für den Indie Bereich, den Polydor als zusätzliches Repertoire aufbauen wollte. Er war sehr erfolgreich mit Signings wie Element of Crime, Phillip Boa, The Jeremy Days und so weiter. Und schon während ich bei Teldec arbeitete, half ich manchmal ein wenig bei der PR aus. Auch als “A&R Scout” habe ich ihm damals einen Künstler vermittelt. Der Freund einer meiner besten Freundin war U96 und er hatte den Song „Das Boot“. Damals habe ich zu Tim gesagt: „Man, Tim, das ist zwar nicht dein Geschmack, aber die Nummer hat wirklich kommerzielles Potential, veröffentliche das doch mal.“ Er machte ohnehin den ganzen Berliner Techno, wie Westbam, warum nicht auch mal Techno aus Hamburg?
Und er hat es dann auch tatsächlich gemacht und es wurde die erfolgreichste Techno-Platte ever. Meiner Meinung nach hing das auch damit zusammen, dass Alex Christensen im Song dieses “1-2-3-Techno” eingebaut hat. Vorher hatten ja schon einige Fanzine & Underground Journalisten angefangen, über Techno zu schreiben, aber niemand hatte dieses Phänomen verstanden. Nun gab es diesen Song, der sagte „Hallo ich bin Techno“.
Tim hat einfach die Erfolgswelle als Gelegenheit genutzt, zu sagen, dass er eine eigene Abteilung will. So entstand “Progressive Music“. Es gab eine Stellenausschreibung für die PR. Ich habe mich beworben und sie bekommen.
Für mich war das ein logischer Schritt. Die ganzen Künstler von Tim waren wir oft bei uns zu Hause. Während Ofra Haza, Kylie Minogue, Charlie Sexton oder die Pogues nie bei mir zu Hause waren. Das war einfach ein Job. Die Arbeit bei Progressive Musik war schon sehr persönlich. In der Abteilung Progressive Musik waren wir zunächst nur drei Leute. Progressive Music war sehr erfolgreich, nicht nur durch U96, sondern das gesamte Techno-Repertoire ging durch Decke mit Acts wie WestBam, Marusha, Mark Oh. Und auch durch Künstler wie Element of Crime, Phillip Boa & Voodooclub und nicht zuletzt Rammstein wuchs die Abteilung auf an die zwanzig Leute.
Parallel gab es Umstrukturierungen im Konzern. Das Label Metronom wurde komplett geschlossen. Tim hat die Gelegenheit genutzt und unserem damaligen Chef gesagt, dass er Geschäftsführer einer neu zu gründenden Firma werden möchte. Und absurderweise hat er sie bekommen.
Anfang 1994 wurde die Motor Music GmbH unter dem Dach der PolyGram gegründet. Motor Music arbeitete in erster Linie mit Techno und Indie-Rock. Rammstein war die einzige Ausnahme. Rammstein war für mich damals eine Metal Dark Wave-Band. Das gab es dann natürlich auch Berührungen mit der Metalszene. Michael Möller vom Breakout war Hardcore Fan und durch seine Tätigkeit im Einzelhandel wahnsinnig hilfreich für den Durchbruch. Das wurde später auch mit einer goldenen Schallplatte für ihn gewürdigt.
1998 wurde die PolyGram von Seagram/Universal gekauft. In den USA war Universal sehr groß, aber in Europa war die PolyGram sehr viel größer. Auch wenn Universal der Käufer war, wurde der Merger in Deutschland vom PolyGram Management durchgeführt. Durch den Merger mit Universal bekam Motor Music viele relevante Ami-Labels dazu. Davor gab es bei Motor Music kein US Repertoire. Dadurch wurde die Firma ganz anders. In der Neuaufstellung verzichteten wir komplett auf die traditionelle Trennung national/ international, sondern gliederten die Firma nach Genres Rock (Indie), Dance, Hip-Hop. Und dann nahm alles wahnsinnig große Fahrt auf. Motor war in dieser Zeit im Bereich Indie und Wave lange richtig groß. Wir haben mit Interscope, neben vielen guten Alternative-Gitarrenbands von Manson über Nine Inch Nails, Bush, Gwen Stefani, Beck usw., auch einen sehr guten Hip-Hop-Katalog bekommen.
Künstler wie Dr. Dre, Eminem, Tupac, 50 Cent wurden von Motor in Deutschland vermarktet. Dr. Dre hat von uns sogar seine erste europäische Gold Auszeichnung für “2001” bekommen, weil Jan Delay eine persönliche Empfehlung an die Beginner Fans geschrieben hat. Jan Delay durfte Dre dann auch auf der Goldverleihung in München persönlich kennenlernen. Es ergaben sich auch musikalisch viele schöne Synergien zwischen unseren nationalen und internationalen Künstler in Form von Remixen und sogar gemeinsame Auftritte wie Rammstein & Manson.
In Deutschland hieß unsere Muttergesellschaft nun Universal, aber die Personen und Künstler wechselten zu uns in das Team. So landeten zum Beispiel die Beginner bei Motor Music. Die Neuaufstellung der Firmen war gut durchdacht und der Merger wurde ein Erfolg. Motor Music war extrem erfolgreich mit nicht auf den Mainstream ausgerichteter Musik. Mainstream wie Helene Fischer passte nicht ins Repertoire. Dafür war die Polydor zuständig. Mit dem Merger änderte sich auch die Unternehmenskultur.
PolyGram und Universal gehörten beide zu börsennotierten Aktiengesellschaften.
In beiden Fällen erstellten die Geschäftsführer zusammen mit den Controllern ein Jahresbudget. Aber der Umgang damit war deutlich unterschiedlich. Bei der PolyGram wurde das Budget zwar hier und da kritisiert, aber ernst genommen. Bei Universal wurden die Planungen zur Kenntnis genommen und dann, sagen wir mal sechs Wochen später, kam das verabschiedete Budget vom Headquarter, welches unter Umständen nichts mit dem zu tun hatte, was vorher im Plan stand. Also das war schon ein ganz, ganz anderer, deutlich gewinnorientierter Stil.
Personaleinsparungen standen natürlich auch sofort auf der Agenda. Knapp 3 Jahre nach dem Merger wurde der Umzug nach Berlin bekannt gegeben. Tatsächlich sind viele Mitarbeiter nicht mitgekommen. Angekommen in Berlin wurde als nächstes das Label Mercury, unter anderem Heimat von Subway to Sally, InExtremo und Yello, geschlossen und mit den anderen Repertoire Firmen fusioniert. Hier ging es um Effizienz. Die interne Fusion wurde von der Boston Consulting Group begleitet. Es konnten kaum Künstler übernommen werden. Das war einfach ein ganz neuer Stil. Motor sollte 2 nationale Acts übernehmen und mit dem Rest Aufhebungsverträge schließen. Auch das eigene nationale Repertoire kam auf den Prüfstand. Für die Vertragsauflösungen habe ich mit fast Künstlern/ Managements persönlich gesprochen und es waren Horrormonate.
Unter diesen Künstlern war auch der Pate meiner älteren Tochter, Phillip Boa. Er hat zwar eine gute Abfindung bekommen, aber er hat fünf Jahre nicht mit mir geredet.
Sonja:
Wie hat die Digitalisierung deine Arbeit beeinflusst?
Petra:
Die erste Krise begann ja mit den illegalen Downloads, also mit Napster 1999. MP3-Files wurden im Netz getauscht und keiner verdiente irgendetwas daran. Die Musikindustrie hatte aber ehrlicherweise auch kein Interesse daran, zum Beispiel Napster zu kaufen und daraus ein legales Angebot zu entwickeln. Es gab damals Vorstöße von Bertelsmann Manager Thomas Middelhoff, Napster zu kaufen und mit allen Major Companies Lizenz-Deals abzuschließen. Er ist an den Cheftagen gescheitert, denn jede Major Company wollte eine eigene Plattform gründen. Bei Universal hieß die “MP3.com”. Die Aktivitäten haben viel Geld verschlungen und schon bald hat man die Erfahrung gemacht, dass Plattformen nur eine Chance haben, wenn sie das gesamte Markt Repertoire anbieten können.
Als Gegenmaßnahme zu Napster wurde das Netz mit Datenmüll geflutet, so dass es schwierig war, über die Tauschbörse den richtigen echten Track zu finden. Das spielte sich Ende der Neunziger Jahre auf der Software-Seite ab. Es war ein Desaster. Und dann kam Ende 2001 die Erfindung des iPods und damit iTunes. Eigentlich viel zu spät, aber DAS legale Angebot für digitalen Musikkonsum. Ein Lichtblick für die Branche.
Für Künstler war es der erste Downer, da sie für Downloads die gleichen Tantiemen bekamen , wie für physische Tonträger. In den Verträgen mit Künstlern waren immer die Grenzkosten abgebildet. Sprich, was zahle ich für das Lager, was zahle ich für die Produktion, was zahle ich an GEMA und was an Vertriebskosten? Das sind ungefähr 40 Prozent vom Verkaufspreis der physischen Tonträger. Daraus resultieren relativ geringe Beteiligungen für Künstler , da ja zunächst einmal die Grundkosten gedeckt sein müssen.
Petra Husemann-Renner im Interview:
„Die erste Krise begann ja mit den illegalen Downloads, also mit Napster 1999.“
Und dann war da plötzlich der digitale Download ohne Herstellungs-, Vertriebs- und Lagerkosten. Zudem führte Apple direkt an die GEMA ab. Die meisten Grenzkosten fielen beim digitalen Download weg. Dennoch wurden die Verträge nicht geändert und Künstler haben sich das gefallen lassen. Sie hatten und haben zum Teil immer noch die gleichen Konditionen, egal ob für digital oder physisch. Das ist ein Grund, warum es der Musikindustrie so unglaublich gut geht und den Künstlern nicht. Natürlich gab es erstmal einbrechende Umsätze. Zunächst konnten die Margen, die CDs gemacht haben, nicht durch digitale Downloads aufgefangen werden. Aber das hat man dann noch so einigermaßen überlebt.

Shoppen mit Kylie Minogue in Hamburg. Bis heute schuldet die Pop-Ikone Petra Husemann-Renner 20,- DM.
Und dann kam 2008 das Streaming. Die Industrie wollte es eigentlich die ganze Zeit krampfhaft verhindern, obwohl es beispielsweise in Schweden schon lange normal war. Dort gibt es schon lange überhaupt gar keine CDs mehr. Deutschland war ja eines der letzten Länder der ersten Welt, in denen Spotify 2012 eingeführt wurde, weil man sich vorher mit der Industrie nicht einigen konnte. Offenbar war Streaming ein echter Game Changer, denn seit 2015 geht es steil bergauf mit Umsätzen und Gewinnen der Musikindustrie.
Interessanterweise wird auch im Streaming-Zeitalter noch an alten, aus der physischen Welt stammenden Verträgen festgehalten. Zumindest für Künstler, die schon länger unter Vertrag stehen. Ich bin aber schon lange aus der Industrie raus und nehme an, dass es mittlerweile auch viele Ausnahmen gibt, insbesondere für erfolgreiche Künstler.
Ich habe Universal 2004 verlassen. Im Grunde wegen unterschiedlicher Auffassungen bezüglich digitalem Musikkonsum. Der Universal Präsident Tim Renner wollte einen eigenen Streamingdienst gründen. Das war im Konzern unpopulär, zumal man ja schon viel Geld versenkt hatte, beim Versuch ein eigenes Download-Portal aufzubauen. Als deutscher Präsident hat er es gegen alle Widerstände einfach gemacht.
2002 eröffnete Gerhard Schröder in Berlin eines der ersten deutschen Download-Portale für Musik namens Popfile.
Unser Europa-Chef hat das gehasst. Er war sehr technologiefeindlich und hat seine E-Mails von der Assistentin ausdrucken lassen und wollte auch die USA (Headquarter) nicht vor den Kopf stoßen. Hier gab es einen unheilbaren Interessenkonflikt und man hat sich Ende 2003 getrennt. Nachdem Tim Renner gegangen ist, folgte 2004 quasi die gesamte Führungsebene.
Motor Entertainment: Ein Rundum-Label-Service mit der Rent-A-Recordcompany
Sonja:
Wie ging es dann für dich weiter?
Petra:
Ich war vierzig Jahre alt, hatte zwei Kinder, das erste war schon in der Pubertät, aber das zweite war zwei Jahre alt und ich war noch im Mutterschutz. Und ich fragte mich, wo ich mich in dieser Situation denn bewerben sollte. Und dann dachte ich: Ich mache mich jetzt selbstständig und mache alles anders. Dahinter stand die Idee eines 360°-Grad-Angebotes für Künstler.
Ich habe mit Tim als Partner ein Label, Management und eine Verlagsedition gegründet und wir sind in das Radiogeschäft eingestiegen. Bereits im Herbst 2004 ging Motor-FM in Berlin auf Sendung. Parallel entwickelte ich mich mit einem Team motor.de als unabhängiges Musikmagazin im Netz. Und stellte die ersten beiden Mitarbeiter an.
Den Namen Motor durfte Tim nach längeren Verhandlungen übernehmen. Unser Katalog von Boa, Element of Crime, Muse, Sportfreunde Stiller bis Rammstein blieb allerdings bei Universal, da die Verträge natürlich im Auftrag der Holding gemacht wurden.
Wir mussten komplett neu starten und fingen unter anderem mit Künstlern wie Dorfdisko, Peterlicht, Phillip Boa, Polarkreis 18, Jan Blomqvist, Klee, Super700, Selig, Emigrate und Westernhagen in unterschiedlichen Funktionen an zu arbeiten.
Im Bereich Recorded Music zunächst als Label. Wir haben aber nach ein paar Jahren festgestellt, dass das für uns nicht funktionierte. In einer physischen Welt, die es damals noch war, wurden viele CDs gepresst und das Geld dafür kam erst sehr viel später und manchmal auch nur zur Hälfte zurück. Für eine kleine Firma war das Risiko schlicht zu groß. 2010 haben wir umgestellt und nur noch “rar – rent a record company” angeboten. Wir haben unsere Leistung als bezahlte Dienstleistung angeboten. Das war wohl die Geburt des Label Services. Für die erste rar-Veröffentlichung haben wir wieder mit Bobo in White Wooden Houses gearbeitet.

Es ist leider nicht immer alles nur Glanz und Glamour – auch die Büroarbeit will in der Rent a Record Company getan werden.
Die Rent-A-Record Company Idee funktionierte gut. Neben vielen Newcomern, die auf diese Weise ihre ersten Schritte in die Professionalisierung gingen, hat auch Richard Kruspe von Rammstein sein erstes Emigrate Album bei rar weltweit veröffentlicht und mit Westernhagen nutzte dann gleich ein weiterer deutscher Superstar den Service.
Tatsächlich hatten wir, als wir rar gestartet haben, ein paar richtig große Acts. Es war auch einfach für diese Künstler Geld, das zum Beispiel für die Produktion benötigt wurde, von den Vertrieben zu bekommen. Das funktionierte sehr gut für eine gewisse Zeit. Aber so nach und nach ist es dann so gewesen, dass beispielsweise Westernhagen mit MTV wieder zurück zur Industrie gegangen ist, was ja auch okay war.
Richard war es auch zu anstrengend, sich um viele Dinge selbst zu kümmern. Und mit BMG Rights entstand ein Konkurrent, der definitiv über wesentlich mehr Kapital verfügte und auch Dienstleistungsverträge bevorschussen konnte.
Motor – rar betreut eher Leute, die einen Break in ihrer Karriere hatten oder die am Anfang stehen. Wie beispielsweise L’aupair, Max Giesinger, Kamrad, Jan Blomqvist, Moka Efti oder Alice Phoebe Lou, die ihre ersten Veröffentlichungen bei RAR hatten. Aber auch, wenn jemand zu uns kommt, der – was weiß ich – christliche Lieder für Kinder macht, dann können wir das übernehmen. Klar, die Dienstleistung geht jetzt nicht so weit, dass die Böhse Onkelz veröffentlichen würden.
Wir müssen die Musik verstehen können und mit der Haltung einverstanden sein. Für rechtes Gedankengut ist bei uns kein Platz. Und ein Mainstream Schlager-Act würde bei uns sicher auch nicht glücklich, da wir keine Beziehungen zu dieser Szene, diesem Netzwerk haben.
Wenn wir mit Künstler im raren Bereich zusammenarbeiten, dann bedeutet das, dass wir ein Promotion-Team zusammenstellen. Wir übernehmen das Online-Marketing und Indie-PR im Blog- und Radio-Bereich. Dafür gibt es ein Team.
Trotzdem ist es so, dass wir natürlich einen bestimmten Geschmack haben und dementsprechend auch ein Stück weit spezialisiert sind. Teilweise hängt das dann sogar mit den agierenden Personen zusammen. In den Anfängen der Selbstständigkeit spielte zum Beispiel Hip kaum eine Rolle. Heute ist der Verlag Motos Songs sogar etwas HipHop lastig und wir haben mit BHZ, Soho Bani, Zombies oder PA69 recht erfolgreiche Künstler unter Vertrag, weil zwei Verlagsmanager aus diesem Bereich kommen.
Sonja:
Und wie komme ich als Künstler zu euch? Schreibe ich euch einfach an?
Petra:
Ja, meistens ist es tatsächlich so, dass wir angeschrieben werden. Früher wurden wir auch angerufen, aber das ist weniger geworden. Das macht man ja heutzutage nicht mehr so.
Also, wir werden angeschrieben und dann melden wir uns. Es gibt Zoom-Meetings zum Kennenlernen und wir beschäftigen uns mit der Musik. Sehr häufig kommen Künstler dann zu uns, um einfach mal das Team zu sehen und, um zu schauen, ob sie sich wohlfühlen und dann entscheiden sie sich, ob sie mit uns arbeiten wollen.
Wenn ein Künstler, eine Künstlerin jemanden sucht, der seine Musik einfach online stellt, dann sind wir sicherlich die Falschen. Wie bereits beschrieben, bietet rar Marketing und PR mit an. Für Künstler, die sich das wünschen und die persönliche Beratung schätzen, sind wir auf jeden Fall die Richtigen.
Sonja:
Mit welchen Kosten müssen Künstler bei euch rechnen? Also, was für Abstufungen gibt es?
Petra:
Es macht natürlich einen Unterschied, ob du einen Song veröffentlichen willst oder ein
Ganzes Album. Es kommt also darauf an, wie lange die Betreuungsperiode dauert. Aber die Garantie geht von 2.000,- bis 5.000,- Euro und dann benötigst du noch ein kleines Budget für das reine Marketing, heutzutage meist Paid-Media.
Jeder Künstler hat seine eigene Persönlichkeit
Sonja:
Du sagtest ja bereits, dass die Mentalität bei einem internationalen Konzern wie Universal sich sehr von dem unterschied, was du von europäischen Arbeitgebern kanntest. Konntest du solche Unterschiede auch in der Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Künstlern feststellen?
Petra:
So krasse Unterschiede gibt es bei den Künstlern in meinen Augen nicht. Aber es sind natürlich alles unterschiedliche Persönlichkeiten. Also selbst in der Band hast du ja unterschiedliche Persönlichkeiten und es kann schon mal sein, dass einer von denen zickig ist und man dann vielleicht mit dem anderen redet. Und meistens ist es ja so, dass zwischen dem Label und den Künstlern auch noch ein Manager ist, der im Zweifelsfall vermitteln kann.
Wichtig ist doch, dass Künstler eine Message haben und wissen, was sie wollen.
Die straighteste Künstlerin, die ich kennengelernt habe, ist Alice Phoebe Lou. Sie ist sich sehr bewusst, was sie tut. Im Hinblick auf PR ist sie sehr picky. Für sie ist nicht jede PR eine gute PR. Sie findet vieles nicht so wichtig, auch wenn es aus Marketingsicht sehr wichtig erscheint. Das ist für unser Team manchmal anstrengend. Man sagt auch Anfragen ab, ohne zu verstehen, warum.
Aber hier geht es auch um den Respekt vor den Künstlern. Im Zweifel kennen sie ihr Werk und ihre Fans am Besten. Für Max Raabe sage ich auch mehrfach Anfragen ab, weil es einfach nicht passt. Dahinter steht neben Terminproblemen natürlich auch eine Haltung.
Sonja:
Wenn ich dich jetzt nach drei Künstlern frage, die dich im Laufe deiner Karriere wirklich ganz besonders beeindruckt haben, wen würdest du nennen und warum stechen diese Menschen so hervor?
Petra:
Das ist schwierig. Ich kann das nicht beantworten. Dafür kenne ich zu viele Künstler. Mit einigen bin ich seit Ewigkeiten befreundet. Zum Beispiel Annette Humpe. Sie ist natürlich eine sehr beeindruckende Frau, aber sie ist auch meine Freundin. Das vermischt sich dann ein bisschen. Sonst würde ich sie an erster Stelle nennen.
Für mich sind Künstler per se beeindruckende Persönlichkeiten. Sie folgen ihrer Passion und Leidenschaft, kehren ihr Innerstes nach außen und stellen sich dabei auf eine Bühne. Dazu gehört nicht nur Talent und Haltung, sondern auch viel Mut. Das gilt zumindest für Künstler, die selbst an ihrem Werken beteiligt sind und nicht für Unterhaltungskünstler, die mit Fremdkompositionen auf den gerade angesagtesten Zug aufspringen wollen.
Petra Husemann-Renner: Tue niemals etwas um der Karriere willen
Sonja:
Wie lautet der beste Tipp, den du selber in deiner Karriere erhalten hast?
Petra:
Dass man nichts aus Karrieregründen tun sollte, sondern nur das, was man für richtig hält. Ich glaube, das mache ich immer so. Ich bin Westfale und man sagt ja, dass ein Westfale aus seinem Herzen keine Mördergrube macht. Und so war ich eigentlich auch immer im Job. Ich hatte bei den Amis den nicht sehr charmanten Spitznamen „Tank Girl“. Ich fand es immer ganz lustig.
So habe ich beispielsweise Rammsteins erstes Album “Herzeleid” an ein französisches Independent Label lizenziert, obwohl ich es nicht durfte. Aber es wollte keiner der PolyGram/Universal Firmen international daran arbeiten, weil es deutschsprachig war.
Später, nach dem Durchbruch, musste ich meinen französischen Kollegen beichten, dass das Album bereits lizenziert war und im Vertrag eine Option auf das zweite Album stand. Aber der damalige Geschäftsführer in Frankreich war sehr cool und hat gesagt, ist okay. Ich werde niemandem was sagen. Und er hat auch später immer behauptet, er hätte das zweite Album selbst abgelehnt, was ich auch sehr lieb von ihm fand.

Gruppenfoto auf der Motor25 Party mit Viktoria Renner (links, Ozmoze GmbH), Tim Renner (2. v. l., Gründungsmitglied) Louis Oberländer (Ex Keyboarder der Jeremy Days, heute Produzent, Komponist und Schauspieler, LA) und Petra Husemann-Renner (rechts, geschäftsführende Gesellschafterin)
Aber letztlich geht es darum, dass man keine Dinge tut, von denen man nicht selbst überzeugt ist oder die man für nicht richtig hält. Beispielsweise sind damals die Böhsen Onkelz tatsächlich an Motor Music herangetreten. Wir wussten, dass das Album eine Nummer Eins ist, wir haben es trotzdem abgelehnt, weil es rechtes Gedankengut enthielt.
Manchmal muss man auch etwas schweren Herzens tun. Jan Delay hat ein Soloalbum gemacht. Darauf war unter anderem die Coverversion des Nena-Songs „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“. Und er war eigentlich als Beginner-Sänger bei Motor Music unter Vertrag, aber er wollte es unbedingt Independent auf seinem eigenen Label Eimbusch veröffentlichen. Naja, und ich konnte das zwar nicht selber entscheiden, das musste Tim damals als Präsident entscheiden, aber Jan wurde letztendlich freigestellt. Ohne Wenn und Aber.
Natürlich fand unser damaliger Chef Wolf D. Gramatke das nicht gut. Und wir hätten das Album sehr gerne auf Motor Music veröffentlicht, aber wir fanden es immer besser, die Wünsche des Künstlers/ der Künstlerin zu respektieren.
Also kurz und bündig: Wichtig ist sich selbst treu zu bleiben und andere zu respektieren
Sonja:
Du hast im Laufe deiner Karriere mehrfach Gold und Platin bekommen. Was bedeutet es dir, dass „deine“ Künstler solche Auszeichnungen bekommen? Und was war dein absolutes Highlight?
Petra:
Das absolute Highlight war natürlich meine erste goldene Single von Ofra Hazas „Im Nin’Alu“, weil es meine Erste war. Und dann – das hat gar nichts mit meinem Musikgeschmack zu tun – kam Das Boot von U96, denn das war die erste Techno-Single, die es auf Platz 1 in die Charts geschafft hat. Und die ganze Szene in gewisser Weise beflügelte.
Die erste Mayday fand wenige Monate später statt, als Hilferuf für das von der Schließung bedrohte Radio „DT 64“. Die bereits im Jahr 1989 mit 150 Leuten gestartete Mini Demo Love Parade entwickelte sich parallel von Jahr zu Jahr weiter zum Großevent. Und „Das Boot“ hat definitiv zur Kommerzialisierung beigetragen. Es war toll, obwohl das eine Mogelpackung war und gar nichts mit der “echten” Techno-Szene in Berlin und Frankfurt zu tun hatte.
Das Boot wurde nie als 7″Single veröffentlicht und das, obwohl das Single-Format damals noch das Format Nummer 1 war. Es ist stattdessen immer bei der Maxi geblieben. Trotzdem blieb der Song über ein viertel Jahr lang die Nummer 1 der Charts. Das war gegen Ende schon langweilig, denn wir hatten ausgemacht, dass wir, solange der Song auf Platz Eins bleibt, jeden Dienstag, wenn die Charts kommen, abends bei unserem Italiener um die Ecke essen gehen. Das haben wir dann auch gemacht, aber irgendwann war es dann auch ein bisschen langweilig. Man kannte die Karte schon auswendig und dann hieß es, nee, jetzt nicht schon wieder … Also tatsächlich auch ein denkwürdiges Highlight mit sehr viel Spaghetti.
25 Jahre Musikbusiness: Pleiten, Pech und Pannen
Sonja:
Gibt es auch etwas, das mal so richtig total in die Hose gegangen ist oder eine Situation, in der ein Künstler oder ein Künstler etwas getan hat, das du so gar nicht gutheißen konntest?
Petra:
Nicht wirklich, ich fand solche Sachen immer lustig. Phillip Boa ist mal mit dem Auto abgehauen und ich stand dann da und die Kamera war aufgebaut und er tauchte auch nicht wieder auf.
Oder Tocotronic sollte den Preis als bester Newcomer bekommen, diesen Viva Award. Den haben sie nicht angenommen, weil sie ja keine Newcomer mehr waren. Sie waren schon beim zweiten Album und fanden das Ganze eigentlich total lächerlich. Dieter Gorny war total sauer und sagte, keine deiner Bands wird jemals wieder bei Viva gespielt. Ich dachte mir nur, hm, okay. Aber vor allem wusste ich es nicht. Tocotronic haben mich nicht vorgewarnt , weil sie gewusst haben, dass ich dann sage, Leute, kommt schon…
Eine ähnliche Geschichte hatte ich bei MTV. MTV veranstaltete ein großes Konzert in München, das live übertragen wurde. Muse sollten dort auch spielen. Die Band war ein deutsches Motor-Signing. Und wir waren glücklich über die Möglichkeit. Aber auf der Autobahn ist der Band-Bus zusammengebrochen. Sie konnten ja wirklich nichts dafür. Es war alles total bescheuert, denn gleichzeitig lief in München die Goldverleihung für Dr. Dre. Ich war dort in München und bekam die ganze Zeit Anrufe.
Und Christiane zu Salm hat ähnlich reagiert wie Herr Gorny, nach dem Motto, DEINE Künstler werden nie mehr bei MTV stattfinden. Aber Muse konnten ja wirklich nichts dafür. Wenn du mit dem Bus in einem fremden Land auf der Autobahn liegenbleibst, dann ist es irgendwie dumm gelaufen. Es ist natürlich super blöd, wenn du es angekündigt hast und es eine Live-Übertragung ist, aber was soll man machen? Das sind immer nur einzelne Momente und Muse hat danach auch auf MTV weiterhin stattgefunden. Aus dieser Kategorie gibt es noch einige Geschichten – immer menschlich und mit einem guten Ende.
Sonja:
Gibt es Pläne für die Zukunft?
Petra:
Also ich kümmere mich um die Veröffentlichungen und PR von Max Raabe, die Geschäftsführung von Motor Entertainment und neue Business Felder .So soll das auch noch ein wenig bleiben. Christian Göbel macht seinen Job als Geschäftsführer bei Motor Entertainment und -Songs sehr gut und übernimmt jetzt schon die Leitung im „Daily Business“.
Derzeit machen wir sehr viel Verlagsarbeit, wir haben ein tolles Team mit drei ganz jungen Frauen. Eine von ihnen ist sogar noch in der Ausbildung, aber sie macht bereits ihre ersten Verlags-Signings.
Und bei uns umfasst das einfach mehr als nur das Signing – wir betreuen die Künstler rundum. Wenn Künstler sich beschweren, dass er keine Promotion von seinem Label bekommt, dann übernehmen wir das, sofern wir die Kapazitäten haben. Wir kümmern uns dann um die PR und die Online-Kampagne. Und dadurch, dass wir so ein kleines Team sind, bekommen auch die Auszubildenden wahnsinnig viel mit. Ich habe den Eindruck, dass es ihnen auch großen Spaß macht und das Konzept bei der aktuellen Crew gut ankommt.
Ich bin tatsächlich die Älteste in diesem Unternehmen. Dann kommt die Buchhaltung und danach Alexander Hettler, der früher schon bei Motor mit mir gearbeitet hat und zwischendurch in Führungspositionen bei Intercord und V2 arbeitete. Er arbeitet als PM für Rent-A-Recordcompany. Hier ist er dann tatsächlich für ältere Bands wie Moka Efti zuständig. Das passt ganz gut zusammen. Der Rest, bis auf Christian Göbel, könnten meine Kinder sein. Ich finde das sehr angenehm. Das hält jung und ist recht zukunftsträchtig. Mit ChatGPT arbeiten wir schon seit Anbeginn und die Zukunft kann kommen.
Sonja:
Was möchtest du den Menschen da draußen in der Welt noch sagen?
Petra:
Folge immer deinem Herzen und lass dich nicht unterbuttern!
Vielen lieben Dank an Petra für dieses tolle und amüsante Interview! Es hat mir extrem viel Spaß gemacht, mit dir zu sprechen!
Schönes Interview was mir persönlich fast zu lang war. Aber ein Satz ist mir etwas aufgestoßen: Zitat […] Dass man nichts aus Karrieregründen tun sollte, sondern nur das, was man für richtig hält. […] Galt vielleicht noch 1999 für verhältnismäßig Gutbetuchte. Aber 2025? Ansonsten sind die Namen wirklich beachtlich mir denen sie zu tun hatte. Definitiv ein Teil des ‚who is who‘ der Branche – Chapeau!
@Filterpad Mal ganz praktisch angeschaut, wenn es zutrifft: eine STRING-LÄNGE, wenn nicht eine PLANCK-LÄNGE.
Wenn Mensch probiert und Kollabiert mit dem Wissen, welches MENSCH hat.
Und: Neben dem git es noch weitere Dynamiken, die, wenn ich anders verküpft, alles in einem andern Licht erscheinet.
Was wäre, wenn wir Mensch nur noch mit dem für uns erreichbaren Horizont Argumentationen zulassen würden, um uns in Sicherheit zu wahren?
Also, ich sag mal: Mache einfach so weiter, dann haste nix gewommen, weil, dass eine alte emotionale alte Nummer ist….
😁👍
Sehr interessantes Interview und einmal eine ganz andere, nänlich innenseitige, Perspektive auf das „Business“. Darüberhinaus natürlich auch ein sehr interessanter und zugegebenermaßen auch ziemlich beeindruckender und cooler Lebenslauf.
Was mich aber wirklich beeindruckt hat, ist die durchscheinende Kapitalismuskritik und die Haltung gegenüber Rechts. Gerade letzteres ist ja etwas, das business-nahe Medien, wie eben Amazona und Bonedo aber auch große, kommerzielle Foren wie Gearspace und The Gear Page nicht gerne in ihrem User-Bereich sehen bzw. zum Teil auch explizit verbieten und ahnden. Und das mit dem scheinheiligen Argument, dass die Domäne (Musikinstrumente) eben frei von Politik sei (die Befürchtung ist wohl auch eher, dass Politik schlecht fürs Geschäft sei). Ich halte das für ein großes Missverständnis, denn in Wirklichkeit durchzieht Politik unser ganzes Leben. Gerade jetzt kann man am Beispiel der USA gut beobachten, was passieren kann, wenn man einfach nur mitschwimmt und hofft, dass es einen nicht (be)trifft.
@CKMUC Erfolgreiche Frauen, besonders Künstlerinnen, gibt es in dem „Business“ massenweise. Kommt mir wie umverpackte Werbung vor, mich beeindruckt da nichts. Viele Künstler vermarkten sich selbst und bevorzugen volle Kontrolle. Reich wird man eh nicht mehr, warum noch Dienstleister mitfüttern?
Politik und Wirtschaft befinden sich derzeit in einer großen Krise. Das war 1925 nicht anders, falls das jemand anmerken möchte. Gelernt=0.
@CKMUC Politik ist deprimierend.
ich bin sicher nicht der einzige, der nur über Musik lesen will.
es lenkt mich halt ab von der furchtbaren Situation in vielen ländern.
Wow! Die ganzen Zusammenlegungen mit Kürzungen und Streichungen der großen (und kleinen) Label, dabei das gleichzeitige Aufkommen der illegalen Downloads, die letzte Hochphase der physischen Medien mit dem Techno Boom – Wahnsinn! Das waren echt bewegende Jahre im Musikbusiness! Wer Phillip Boa als Paten hat und Annette Humpe Freundin nennt, hat sicher nicht alles falsch gemacht! Sehr sympatisch und weiter so! Auch heißen Dank an Amazona für dieses wunderbar ausführliche Interview!
Tolle Insights. danke dafür.
Ich habe übrigens nochca. 35 Jahre alte Live- Digitalaufnahmen von Moca Efti, die ich ab und zu höre. Tolle Band
Sehr schönes ausführliches Interview mit einer Menge interessanter Informationen.
Element Of Crime, Phillip Boa und Rammstein höre ich seit meiner Kindheit in den 90ern und Motor FM (bzw. später Flux FM) hat mir Ende der 2000er nochmal eine Menge neuer guter Band näher gebracht. Das war echt nochmal eine Bereicherung im Berliner Radioprogramm.
Zu den angesprochenen Synergien: Mein Stiefvater hat mal von einem Rammstein-Konzert in den 90ern erzählt, bei dem Boa die Vorband war. Das stieß aber beim Publikum und schließlich auch beim Künstler auf wenig Gegenliebe. Nun weiß ich zumindest, wie das überhaupt zustande kam. 😁