Ein Leben für Synthesizer, die frühen Jahre
Zum ersten Mal hörte ich von Richard Aicher Anfang der 80er-Jahre durch sein MIDI-Praxisbuch, das einem MIDI- und Synthesizer-Neuling wie mir damals den Einstieg in diese neue, komplexe Welt überhaupt erst ermöglichte. Es war definitiv das Standardwerk zu diesem Thema, an dem man nicht vorbeikam. Ich besitze das Paperback mit dem grün-grauen Einband noch heute.
Als ich Richard einige Jahre später erstmals persönlich traf, war er für mich daher nicht weniger als der leibhaftige MIDI-Gott. Mit ganz so viel Ehrfurcht bin ich ihm beim nun folgenden Interview zwar nicht mehr begegnet, doch über die Jahrzehnte war es faszinierend, seine künstlerische und technische Weiterentwicklung zu beobachten – und das mit Pomp und Glorie. Ein Freddie Mercury der Synthesizer-Szene. Also, seid gespannt!
Peter:
Hallo lieber Richard, jetzt kennen wir uns gefühlt eine Ewigkeit, aber noch nie ist ein Interview mit dir auf AMAZONA.de erschienen. Fangen wir doch mal damit an: Du bist ein echter Gear-Junky – jemand, der Hardware-Synthesizer und Studio-Gear „en masse“ besitzt. Was hat dich immer so sehr an Hardware fasziniert?
Richard:
Es ist eigentlich nicht alleine die Hardware, die mich so fasziniert, sondern überhaupt alles Neue, noch Unbekannte. Das ist bei Software das Gleiche. Da habe ich ein Forscher- und Entdecker-Gen in mir. Deshalb habe ich ja auch Biochemie studiert und wäre beinahe ein Biochemiker geworden. Ich liebe, Fore-Front zu leben, wenn man das so sagen kann. Im Elektronikmusikbereich gehört heute Software und Hardware ja auch irgendwie zusammen, zumindest seit den 80ern, als die erste MIDI-Software auf den Markt kam und sich Synthies damit steuern ließen. Ich kam damals rein von der Hardware, hatte Synthesizer gebaut und meinen ersten Computer zusammengelötet, den Sinclair ZX-81. Damit ging’s eigentlich los und ließ sich später nicht mehr aufhalten. Synthies, Computer, Software, Fotoequipment … Vielleicht hätte ich auch Gärtner werden sollen. Wenn ich mit einem „Pflänzchen“ anfinge, dann hätte ich in ein paar Jahren ganze Felder gefüllt. So ist das bei mir auch mit Hard- und Software. Es gibt nur vorwärts, keinen Halt
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Peter:
Hattest du nie den Wunsch, Hardware abzubauen und stattdessen auf Software zu setzen?
Richard:
Nicht nur den Wunsch, sondern ich habe das auch einige Male so gemacht! Bei mir wechselt alles so im 7-Jahres-Turnus. Ich habe mit Weltklang analog angefangen, 1985 alles verkauft (leider), mich digital eingedeckt mit PPG Wave 2.0 und dem PPG 360er, Simmons SDS5 Drums, Roland Promars, Jupiter-4 und so weiter. Toll, alles war plötzlich speicherbar! Das blieb bis in die 90er. Ich hatte damals ein großes MIDI-Studio in München, in Bahnhofsnähe, fast neben Zitrone Musik und arbeitete schon im legendären Music Shop. Da wurde mir das irgendwann alles zu komplex mit der ganzen Hardware und den vielen MIDI-Kabeln. Ich habe wieder mal alles verkauft (leider) und das nächste Jahrzehnt nur noch mit Computern und Software gearbeitet. Commodore, Atari, Apple, PC und diversen DAWs.
Peter:
Wie begann dein musikalischer Einstieg?
Richard:
Mein musikalischer Einstieg begann mit der Zerstörung der Geige meines Vaters im Alter von vier. Sein Spiel scheint mir nicht so gefallen zu haben. Aber Spaß beiseite. Ich musste dann Gitarre lernen, noch in der Volksschule. Das war von meinen Eltern gut gemeint, sie haben mich gottseidank immer unterstützt. Aber die Volkslieder und meine Musiklehrerin damals gefielen mir gar nicht. Das wurde nichts. Ich stieg wieder aus.
Dann kamen die Beatles und die Stones. Ich war Feuer und Flamme und übte fleißig jede freie Stunde. Ich wollte jetzt Gitarrist werden! In der letzten Realschulklasse gründete ich zusammen mit Fritz Haberstumpf (R.I.P), der später einmal den Music Shop Dachau gründete, aber leider schon gestorben ist, eine Band. So ging’s eigentlich los. Wir übten im Keller des Hotels meiner Eltern. Dort konnten wir laut spielen, was damals eben laut hieß, die Instrumente und Verstärker waren ja noch recht rudimentär. So ging’s auf jeden Fall los.
Zwei oder drei Bands später spielte ich immer noch mit Fritz Haberstumpf zusammen. Dave Schratzenstaller stieg ein (später Missing Link und Passport) und Günther Sigl, der damals gerade nach München kam und heute immer noch mit seiner „Spider Murphy Gang“ tourt. Standards wurden nachgespielt. Das war aber nicht lange so mein Ding. Mich interessierten mehr die progressivere Underground-Stilrichtungen, die damals losgingen. Ich wechselte wieder die Band. Verzerrungen machen mit Rückkopplungen an der Box, eigene Kompositionen, das war mein Ding. Die ersten Effektgeräte für Gitarristen kamen damals raus. Den ersten Verzerrer musste ich haben und danach ein WahWah und was noch alles kam …
Das war der Beginn meines Elektronik-Spleens.
Peter:
Und wie kam dann der Sprung zu den Synthesizern?
Richard:
In den 68ern gingen die Beatles nach Indien. Das faszinierte mich. Ich lernte Sitar, war einige Jahre ganz auf dem Indien-Trip, mit drei Stunden Meditation und vier Stunden Gitarrenüben täglich. Das war meine Droge. Ich brauchte keine anderen. In dieser Zeit habe ich leider viele Mitmusiker mit anderen Drogen untergehen sehen.
Mich begeisterte damals indische Sitar-Musik und fand in München den besten Lehrer dafür, „Al Gromer Khan“. Er brachte mir das bei, ich übte Tag und Nacht und wurde ein sehr guter Sitar Spieler. Aber eines Tages kam ich an einen Punkt, da wurde mir klar, entweder ich gehe nach Indien und mache weiter oder ich bleibe hier und höre wieder auf.
In dieser Zeit hörte ich erstmals Klaus Schulze und Tangerine Dream und da hörte ich erstmals die Resonanzschwingungen analoger Oszillatoren und das meditative Space. Fast wie die Resonanzsaiten der Sitar. Das war mein Schlüsselerlebnis.
Durch Zufall fand ich in einem Radiobastlerladen ein Buch, das war von einem Herrn Tünker und hieß „Der elektronische Klangerzeuger“. Darin stand, wie man so einen Synthesizer selber bauen kann. Gekauft und angefangen. Platinen entwickelt, geätzt und aufgebaut. Der erste Synth war in einem halben Jahr fertig. Danach folgten zwei Formants. Auch dafür habe ich eigene Platinen geätzt und das Ding ein bisschen erweitert.
Peter:
Du hast schnell einige Mitstreiter gefunden. Kannst du uns einen Überblick geben, wie sich die Formationen damals zusammensetzten und wie ihr euch damals genannt habt.
Richard:
Ich hatte einen Tünker und einen Formant, dazu ein Keyboard. Ich traf zufällig auf zwei andere Synthesizer-Freaks, Hans Kolber, Siemenselektroniker mit großem Formant und Florian Heinrichs, Fahrprüfer, mit u. a. einem Moog Source.
Wir gründeten die Band „Rubikon“ und übten im Keller eines Mietshauses in München-Neuhausen. Natürlich waren die Probleme, die uns die Sequencer bereiteten, in Verbindung mit den Nachbarn groß. Wöchentlicher Besuch der Polizei wegen Ruhestörung und so weiter. Verständlich, nicht jedem gefällt stundenlanges Sequencer-Getöse aus einem Keller.
Leider war Florian doch sehr dem Whiskey zugetan und schlief eines Tages während einer Fahrprüfung auf der Rückbank ein und der Schüler fuhr eine halbe Stunde geradeaus, bis der neben dem Prüfling sitzende Fahrlehrer das bemängelte. Florian wurde zum TÜV strafversetzt. Für mich gut! So kam mein R4 immer schnell zur Plakette.
Die Band löste sich auf, ich annoncierter im „Blatt“, einer Underground-Stadtzeitung in München: „Wer hat Lust, eine Synthesizer -Band zu gründen?“ Auf die Anzeige kamen Dieter Doepfer und Andreas Merz. Ich sehe sie heute noch bei mir in der Küche stehen vor meinem Tünker Synthesizer, einem Formant und einer Dr. Böhm-Orgel, die ich für jemand reparierte. Wir trafen uns dann noch öfter und eines Tages beschlossen Andreas und ich, eine Elektronik-Band zu gründen. Die hieß zunächst „Klangwelt“, später „Weltklang“.
Wir übten im Haus von Andys Eltern in München-Neuhausen. Kauften Synthies und bauten die ersten Riesen-Racks. Saßen Tag und Nacht vor blinkenden Sequencer-Reihen und dachten, die Synthies leben jetzt. Einziger Schrecken war nur ein Verwandter von Andy, der ab und zu in den Keller stürmte und schrie: „Ich haue jetzt alles mit meiner Axt kaputt, wenn ihr nicht ruhig seid!“ Wir ließen uns aber nicht entmutigen. Das Equipment war nach einiger Zeit in den frühen 80ern schon auf vier große Racks angewachsen.
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Das erste Konzert in München-Neuhausen in der Christus-Kirche war ein voller Erfolg. Dieter Döpfer, der guter Freund und immer unser Retter in dieser Zeit war, wenn es technische Probleme gab, spielte damals an der Kirchenorgel! Das Konzert war ausverkauft, Rauchschwaden schweben durch die Luft … Kajetan Forstner verstand es, mit seinen 24 Diaprojektoren die räumlichen Gegebenheiten der Kirche bis ins Unendliche zu verzerren und dazu gab es eine Lightshow von Benno Fredmüller und eine Menge Monitore mit Videos von Kajetan, der später für Klaus Kluge Fernsehsendungen machte. Das Konzert war extrem spacig, live gespielt und vor allem laut. Wir durften allerdings später in keiner Kirche in München mehr spielen. Ich weiß nicht warum.
Danach zogen wir um auf einen Einödbauernhof in der Nähe von Dachau. Das Equipment war jetzt digital. Dort gab es einige Kunstprojekte und für Sinclair Computer produzierten wir das Tape „ZX-81 in Concert“. Das Tape erschien vor ein paar Jahren als Vinyl im „Orbeatize“ Label.
1983 trat Tom Hackl in unsere Band ein. Ein sehr guter Keyboarder und Synthesizer-Tüftler wie wir. Die Chemie stimmte. Wir gründeten zusammen das „Amazonas Recording Studio“ in Dachau und lernten, was U- und C-Profile sind und wie man doppelwandige Schallisolierung macht. Nach einem Jahr war das fertig. Das war jetzt unser Übungsraum und wir nahmen dort viele Bands auf, von den „Jetzendorfer Musikanten“ bis zu den legendären „Embryo“.
Wir spielten einige Konzerte, u. a. das legendäre Konzert im Palmenhaus im Schloss Nymphenburg, wo mich Frau Manon Baukhage von „Computer Persönlich“ interviewte und damals fragte, ob ich nicht auch über Computer und Musik schreiben könne. Tja, ein Zufall … So begann meine Karriere als Vielschreiber für so ziemlich alle Musik- und Computer-Journale im deutschsprachigen Raum.
Leider kündigte uns der Vermieter nach einem weiteren Jahr und nutzte unser Studio selber. Die Weltklang-Formation löste sich auf. Ich spielte mit Andreas alleine weiter.
Wir hatten in dieser Zeit Konzerte für Computer-Firmen, zur Eröffnung des Perry Rhodan Festivals auf der Buchmesse, im Arri Kino in München, auf dem Synthesizermusikfestival in Braunschweig, zur Eröffnung des Gasteig Kulturzentrum in München und einiges mehr.
Es folgte eine Pause, ich war mehr und mehr am Schreiben, hatte im Musik Shop angefangen und gab viele MIDI-Workshops für VHS, Akai, Roland, Atari …
In dieser Zeit spielte ich als WELTKLANG II zusammen mit Mathias Henke, der in Dachau einen Studioausstatter-Firma gegründet hatte. Es gab einige Konzerte, u. a. zur Presseparty des 1-Millionsten verkauften Commodore 64 im BMW-Museum in München und im Kulturzentrum am Gasteig. Aber die Zeit war knapp für Musik.
In den späten Achtzigern hatte sich dann bei mir dann wieder so viel Equipment angesammelt, dass ich ein Studio in Münchner Innenstadt für mich anmietete. Dort entstand die Vinyl 11x Elektronische Musik aus München. Ich übte wieder mit Andreas Merz zusammen und wir spielten neue Weltklangstücke ein, Sebastian Niessen (SND) trat in die Band ein. Wir hatten auch einige interessante Sessions mit Florian Anwander und Ernst Horn (Deine Lakaien).
Dann kamen meine experimentellen Jahre. Ich beschäftigte mich mit Kontaktmikrofonen, Circuit-Bending und all den Sachen, die für die meisten Hörer weniger schöne Klänge ergaben, gab hierzu einige Konzerte an der Hochschule für Musik und im Gasteig Kulturzentrum.
Da begann die Zeit der Weltklang-Klangwanderungen zusammen mit Andreas Merz.
Peter:
Auch heute musizierst du noch gerne im Team. Mit wem alles?
Richard:
Ja, ich spiele immer noch gern live mit anderen zusammen. Die letzten Tage habe ich in meinem Studio mit einem DJ zusammengespielt, was sich als recht interessant und fruchtbar erwies. Hier kommen ab und zu andere Musiker und wir spielen einfach drauflos. Auf den letzten Festivals spielte ich zusammen mit dem Pianisten Jürgen Reiter Shan, mit dem Synthesizer-Sammler Andreas Schätzl, der ein ganzes Haus voller Synthesizer hat und natürlich auch mit Andreas Merz als „Weltklang“. Schön waren auch die Improvisationen zusammen mit Gert Jalass (Moon-Modular), der leider schon verstorben ist (R.I.P) und Gerhard Mayrhofer (Synth-Werk).
Peter:
Und auch noch live?
Richard:
Ja, live schon, aber nicht mehr außerhalb meiner Studiomauern. Mein Equipment ist ja mittlerweile wieder beträchtlich seit den letzten Livekonzerten bei den Festivals Digital-Analog, Ambient Waves und E-Waves angewachsen. 2020 habe ich mit einem kleinen Eurorack angefangen und das ist jetzt auf 10 Racks angewachsen. Ein Transport wäre doch sehr aufwändig.
Mein letztes Live-Konzert außerhalb des Studios war das E-Waves Festival, das ich in „Zeil am Main“ organisiert hatte, zusammen mit Andreas, als meinen Einstieg in diese neue Heimatstadt. Ich war ja mittlerweile von München umgezogen nach Zeil am Main. Aber live spielen, das ist mein Ding. Mein Equipment ist auch ganz darauf ausgerichtet. In einer halben Stunde läuft die Musikmaschine wie ein großes Instrument, das ich auf Knopfdruck in bestimmte Keyboard- und Expanderkonfigurationen bzw. Sound Sets schalten kann. Dank MIDI natürlich, klar.
Ich programmiere meine Musik nicht mehr mit DAWs, das habe ich wie schon gesagt auch lange gemacht, sondern spiele heute alles live. Improvisiere vor mich hin. Meine DAW, Ableton Live, habe ich degradiert zum „Stellwerk“ meines Synthesizer-Parks. Die DAW ist nur der Speicher und Verwaltungsort für Program-Change-Informationen. Mit Audio mache ich da nichts mehr. So kann ich live während des Spiels in bestimmte vorprogrammierte Klangzustände schalten und auf den fünf Masterkeyboards mit jeweils einigen gestackten Expandern improvisieren. Die Aufnahme geht dann einfach. Ich habe insgesamt vier Behringer X32 Mischer für die 64 Audio-Channels aus dem Eurorack und die 64 aus den Synths und Drums. Aufgenommen wird ganz einfach auf zwei Spuren. Will ich wirklich noch was später nachmischen, nehme ich auf meine X-Live-Cards die jeweils 32 Eingangsspuren des Mischers auf.
Peter:
Ich erinnere mich in den 80ern an ein Konzert in der Black Box des Münchner Gasteigs, bei dem verschiedene Künstler auftraten. Unter anderem blieb mir besonders ein Musiker in Erinnerung, der nicht die Tasten seines Synthesizers spielte, sondern mit losen Drähten im Inneren des geöffneten Gehäuses Klänge erzielte. Ich empfand das damals als grauenvollen Krach. Nun bist du auch du mit deinen Werken eher experimentell unterwegs. Wie ist deine Einstellung dazu und wie würdest du deine Musik beschreiben.
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Richard:
Ja das mit den losen Drähten. Schön, dass du dort warst. Das war die Vinyl-Präsentation von „11mal Elektronische Musik aus München“, die wir in meinem Studio in München als gemeinsames Projekt zusammengestellt hatten. Ich spielte dort als WELTKLANG zusammen mit Andreas Merz und Sebastian Niessen (R.I.P). Aber damals alles gut anhörbar. Ich hatte einen Gitarrensynth dabei, mit dem ich mein MIDI-Equipment ansteuern konnte.
Peter, genau – experimental, so eine Zeit hatte ich auch. Da habe ich mich mit Kontaktmikrofonen, zerlegten Tape-Recordern und solchen Dingen beschäftigt und mit „Circuit Bending“. Musikinstrumente und klingendes Spielzeug aufgeschraubt, mit dem Lötkolben so lange darin rumgefuhrwerkt, bis einfach andere Klänge rauskamen. Das war ein Hype, der auf Reed Ghazala zurückging und mich wirklich fasziniert hat. Ich habe über eBay so ziemlich alles aufgekauft, was Klänge von sich gab und bunt aussah. Zerlötet und mit neuem Design versehen. So entstand ein Instrumentarium der ganz anderen Art.
Ich habe damals an der Musikhochschule ein paar Konzerte mit Live-Lötung zum Besten gegeben und auch viel Krach produziert. Finde ich interessant, aber ist, so denke ich, für den Musiker selbst meist interessanter als für den nicht so speziell darauf trainierten Hörer. Ich habe als Gitarrist auch in einigen Free-Jazz Formationen gespielt. Und mit WELTKLANG war die Musik in den Anfangsjahren auch eher experimentell als anhörbar. Aber das war damals nichts Ungewöhnliches. Kraftwerk, Tangerine Dream, Pink Floyd, alles war in dieser Anfangszeit eher experimentell. Alle waren auf der Suche. Und die meisten sind leider irgendwann auf den Mainstream-Zug aufgesprungen.
Da sind wir wieder bei meiner Liebe, Neues zu entdecken, das es noch nicht gab. Auch mit Klängen und neuen Instrumenten zu experimentieren. Neue Klänge zu entdecken, was wir auch in den frühen Weltklang-Zeiten oft gemacht haben. Später wurde die Musik angepasster, um mit den Klangwanderungen dann wieder total experimentell zu werden.
Heute im Studio bin ich eher wieder auf einem weniger experimentellem Weg, Ambient, spacig aber mit ab und zu experimentellem Einschlag. Eher gut anhörbar als viel Krach.
Peter:
Bei manchen eurer spektakulären Auftritte seid ihr in SciFi- und anderen Kostümen aufgetreten. Teils sehr kreativen Outfits, die wiederum auch mit dem Equipment verbunden waren – richtig? Erzähl doch mal von dieser Phase.
Richard:
Das waren die sogenannten Klangwanderungen. Wir hatten ein paar Jahre Weltklangpause. Ich hatte so viel anderes zu tun und beschäftigte mich mehr mit Fotografie und Design. Im Jahr 2000 begann ich, mich wieder mit Andreas zu Studiosession zu treffen. Ziel war natürlich, Livekonzerte zu machen. Aber das ist eben schwierig. Also sagten wir uns, wenn die Leute nicht zu uns kommen, dann kommen wir eben zu ihnen!
Das fing alles ganz klein an. Andreas und ich schnallten sich jeder einen Ghettoblaster und eine Drummachine um, dann Overalls angezogen und raus ging’s. Zuerst in den Olympiapark. Natürlich mit experimentellen Sounds, manche nannten das Krach. Auf jeden Fall waren die Passanten frappiert und beäugten uns mit offenen Mündern. Wie immer wurden die Outfits immer stranger, es kamen Ghettoblaster auf dem Rücken dazu, Starwars ähnlich Outfits und viel Beleuchtung. Wir nannten uns „Weltklang Moving Electronics“ und tauchten nachts irgendwo unangemeldet in München auf, manchmal auch mit mehreren Spielern. Die Events wurden immer größer, wir bekamen Engagements. So wanderten wir auf der Langen Nacht der Musik mehrmals quer durch die Münchner City zum Gasteig und auf vielen Festivals.
Das Interessante daran für mich war, wie sehr sich die Offenheit für extreme Klänge sich geändert hatte! Man kann heute die Passanten auf der Straße auch mit extremsten Sounds nicht mehr schocken. 20 Jahre zuvor hatte man uns bei wesentlich zahmeren Klangcollagen noch für verrückt erklärt! Techno und Konsorten haben die Ohren des Publikums gottseidank geöffnet.
Interessant war auch, wie viele Leute sich spontan den Klangwanderungen anschlossen und einfach mitwanderten. Ohne zu wissen, wo die Reise hinging. Auf einer Klangwanderung in der Philharmonie im Gasteig in München, zusammen mit dem Bläser-Ensemble der Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Bob Ross, stellte er uns vor als „WELTKLANG – die Rattenfänger des 22. Jahrhunderts“. Ein ähnliches Event fand im Prinzregententheater statt. Ebenfalls mit Konzertpublikum. Aber die Reaktionen waren immer gut, auch beim Marsch in der Pause durch das Publikum.
Nur einmal gab’s richtig Ärger! Wir wurden von der Stadt München engagiert, das Publikum der 25-Jahr-Feier des Westparks in München vom Treffpunkt der Gäste, Sponsoren, Münchner Exbürgermeister etc. zum 3 km entfernten Restaurant zu begleiten. Das war an einem der heißesten Tage des Jahrzehnts. Andreas und ich in unseren martialischen schwarzen Starwars Kostümen und Helmen, mit ohrenbetäubendem Getöse aus den Ghettoblastern voran. Das konnte nicht gutgehen! Ging es auch nicht! Irgendwann riss mich eine Stadträtin am Ärmel und gestikulierte wild, wir sollen jetzt aufhören. Ähnliches passierte auch mal im Kulturtempel am Gasteig, als wir mit fünf Mann unangemeldet eindrangen. Tja, für manche war das eben doch nicht ganz das Richtige!
Peter:
Ihr hattet schon in den frühen 80ern immer das absolut angesagteste Equipment. Modulare Burgen, Synthesizer, für die man sich auch einen PKW hätte kaufen können und eben alles, was sich so junge Typen (wie ich einer damals war), niemals leisten hätten können. Wo hattest du das ganze Geld dafür her?
Richard:
Peter, ich hatte eigentlich diesbezüglich immer Glück in meinem Leben. Ich wollte ja eigentlich Biochemiker werden. Genetik hat mich total interessiert. Das Studium der Chemie war hart, aber interessant. In dieser Zeit spielte ich auch in vielen Bands im Münchner Raum als Gitarrist und es fanden am Maria-Hilf-Platz erstmals Flohmärkte statt.
Ich habe angefangen, dort zu kaufen und zu verkaufen, wurde schließlich zu einem kleinen Antiquitätenhändler und irgendwann habe ich angefangen, Märkte und Messen zu veranstalten. Antiquitätenmessen, Antiquariatstage, Kunsthandwerkermärkte und Plattenbörsen. Zum Schluss waren das 70 bis 80 Veranstaltungen im Jahr, die gut liefen. Peter, du hast es geschafft, mich zu „outen“. Dieses Thema habe ich bisher noch nie im Musikbereich angeschnitten.
Später kam ich durch ein Interview während eines Konzerts von WELTKLANG in München zum Schreiben wie die Jungfrau zum Kind. Und diese neue Tätigkeit faszinierte mich sehr und wurde im Laufe der Jahre immer mehr. Ich wurde also nebenher auch noch ein Vielschreiber und verdiente am Zeilenhonorar.
Über das Schreiben lernte ich den Musik Shop kennen und jobbte dort zunächst im Laden als Berater und später über 30 Jahre als Grafik-Designer für Music Shop, Best-Service und andere Firmen. Das machte Spaß und lag mir gut!
Tja, und 2010 hatte ich dann noch ein großes Fotostudio in München-Karlsfeld aufgebaut. Fotografie ist für mich ja noch eine lebenslange Leidenschaft neben der Musik. Ich habe viel People fotografiert. Models und Fashion und für Miss Germany Corp. und Miss Swiss. Klar, dass das Spaß macht. Aber auch ungefähr 25.000 Türen weltweit und viel mit Fotografie experimentiert.
Bis vor einigen Jahren konnte ich in Münchens bekanntester Kunstschule, dem Studio Zeiler, den Schülerinnen und Schülern zeigen, wie man künstlerisch interessante Fotos zur Bewerbung an der Kunstakademie oder andernorts machen kann. Ich hatte mit der Künstlerin und Leiterin der Schule, Dr. Katharina Goldyn-Vogl-Wolf einige Video-Performances zusammen gemacht und daraus hat sich dieser Job ergeben.
Auch mit WELTKLANG und WELTKLANG MOVING ELECTRONIC haben Andreas Merz und ich verdient. Wir konnten viel für Computerfirmen spielen. Und damals gab es noch gutes Geld für sowas.
In den WELTKLANG Anfangszeiten kamen viele Anfragen von Verlagen und Labels, ob wir uns nicht bei ihnen vertraglich binden möchten. Das haben wir beide aber immer tunlichst abgelehnt. Und das war auch gut so, sonst hätten wir nicht all die verschiedenen Kurven und Wendungen in unserem musikalischen Dasein machen können, die wir so gemacht hatten.
Alles in allem, ich hatte das große Glück, durch kreative Arbeit gutes Geld zu verdienen und konnte mir deshalb viele Gerätschaften leisten, die sonst nicht möglich gewesen wären.
Fortsetzung folgt am kommenden Sonntag, 1.2.2025 um 17 Uhr.
Sehr genial Peter und Richard im Gespräch! 😍
Auch das wieder ein schöner „Blast from the Past“…
Im Musikalienhandel um die Ecke (Siegesstraße) gabs dann damals irgendwann einen MIDI-Experten, der auch ein Buch geschrieben hatte (oder grade schrieb, die Chronologie weiß ich nicht mehr).
Daß Richard Aicher auch künstlerisch sehr aktiv war, war mir damals garnicht bekannt (sagt sicherlich auch was über Richard aus, daß er es eben nicht jedem ungefragt auf die Nase gebunden hat).
Eine sehr schöne Vita – ich bin gespannt auf den zweiten Teil!
Sehr cooles Interview, ich folge ihm schon eine ganze Zeit auf Facebook und finde seine Musik echt gut. Die ganzen Hintergründe aus den achtzigern kannte ich überhaupt nicht, was natürlich auch daran liegt das ich erst seit Anfang der neunziger Musik mache. Ich bin sehr gespannt auf den zweiten Teil.
Ach wie witzig, ich habe das Buch ebenfalls. Gehört eigentlich meinem Vater, aber hat den Besitzer gewechselt als ich so 15 war. Hat mir damals nicht so viel gebracht, weil ich nur in fruity loops gearbeitet habe, da gab es auch irgendwas mit Midi, aber genau genommen hatte ich keine Ahnung und wusste auch nix mit dem Buch anzufangen.
Aber tolles Cover, ich schaue es immer noch gerne an ;)
mit dem Midi Buch bin ich in den 90 gern auch groß geworden ….. und ja … ich hab es noch immer im Schrank stehen.
… sehr genialer Musiker und synth freak ….. Respekt
Aber dafür er all seine Hardware 2x verkauft hat, sind ja doch einige Antiquitäten wieder ins aktuelle Studio mit eingezogen :D
.. sehr sehr nice!