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Interview: Richie Hawtin

Richie Hawtin

12. April 2002

 

1_Hawtin 01.jpg Schnell werden Superlative benutzt: Wegweisend, Vor- oder noch besser Querdenker, und nicht zuletzt das Totschlagattribut: Kult! Aber wenn auf einen Künstler all diese Worthülsen mit einiger Berechtigung abgefeuert werden können, dann auf Richie Hawtin. Wer sich mit elektronischer Musik und deren Entwicklung auseinandersetzen will, kommt um ihn nicht herum. Der Mann ist dermaßen Legende, dass es nicht wundern würde, wenn herauskäme, dass es ihn gar nicht gibt. So ist TenDance quasi der Leibhaftige erschienen.

 

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Als Richie Hawtin, der ohne weiteres als Moby-Double in dessen „Honey“-Video hätte mitspielen können 1989 als Neunzehnjähriger mit John Acquaviva das Label ‚Plus 8′ in Detroit gründete, um sich, als auch Produzenten wie Speedy J. oder Kenny Larkin damit ein Forum zu bieten, konnte niemand ahnen, dass diese Besetzung mit ihrem Sound mal so entscheidend sein würde. Rastlos ist er immer noch, wenn da diese Interviews nicht wären. Richie Hawtin kratzt sich am Kinn: „Eigentlich könnte man viel schneller arbeiten und Platten veröffentlichen. Aber dann musst du los, einmal um die Welt reisen und deine neuen Sachen promoten“. Dann schränkt er ein, dass es selten langweilig wäre, denn die meisten Journalisten würden ihn und seine Arbeit aus verschiedenen Blickwinkeln sehen. Und er sieht es auch so, dass es für Musiker schwierig ist, über ihre Produktion zu reden. „Zum Glück singe ich nicht auf meinen Platten. Denn dann könnte jemand auf die Idee kommen und fragen, was mit dieser oder jener Textpassage gemeint ist. Aber mich wird man nicht singen hören“. Aber auch so sitzt er ganz entspannt da und ist ausgesprochen mitteilungsfreudig. Zum Beispiel, wenn es um sein neues Album ‚DE9′ (Novamute) geht. Er selbst sieht es als Nachfolger zu seinem letzten Album ‚Decks, EFX & 909.‘ „Der Titel ist letztendlich eine Abkürzung“. Für das neue Album hat Hawtin Samples anderer Künstler bearbeitet, sie in ein neuen Kontext gestellt, und eine Mix-in-one-go-CD daraus gemacht. Von handelsüblichen, sprich Track in Track gemixt, gibt es genug, und er will sich davon eindeutig distanzieren: „Mix-CDs sind nur dafür da, den Namen eines DJs noch größer zu machen und sein Portemonnaie noch mehr zu füllen. Immer hört sich alles gleich an.“ Überhaupt handelt er mit den kommerziell erfolgreichen Produzenten, die ihren erfolgreichen Sound immer wieder neu aufbrühen. Beim DJing bringt er dann auch eine ganze Reihe Equipment mit, um „nicht einfach nur zwei Platten ineinander zu mischen.“ Macht er das denn nie? „Höchstens wenn etwas mit meinen Geräten nicht in Ordnung ist“.

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Dieses ständige und offensichtliche Recycling geht ihm mächtig auf die Nerven: „Den Ansatz von Matthew Herbert finde ich gut. Aber ich denke, er meint es tatsächlich eher so, dass man nicht einfach ein Sample in seiner Ursprungsform nimmt, sondern es bearbeiten sollte. Auch bis zur Unkenntlichkeit“. Den Einwand, dass die Technik mittlerweile so erschwinglich ist, dass sie sich jeder leisten kann, und jeder der Meinung ist, er könne nun auch Musik machen, den lässt er nicht gelten: „Ohne erschwingliche Technik würde ich heute hier nicht sitzen. Nur weil ich einen günstigen 909-Sampler gefunden habe, begann ich damit Musik zu machen. Und eines ist mal klar: Computer machen keine Musik, sie machen keine Künstler. Vielmehr ist es doch so, dass Menschen da sitzen und sich mitteilen wollen. Dass das nicht immer innovativ ist, ist schade“.

Eine echte Innovation ist für Richie Hawtin „The Final Scratch“. Dieses System erlaubt dem Produzenten die Manipulierung einer im Computer gespeicherten Wave-Datei per echten Vinyl. Das heißt, mit einer gewöhnlichen Single kann die Computerdatei gescratcht oder rückwärts gespielt werden. „Das war früher nicht möglich. Mit einer Maus oder einer Tastatur kannst du Wave-Dateien nur sehr ungenügend live bearbeiten. Mit diesem System ist das viel komfortabler“. Für ihn ist das die Zukunft des Produzierens. Damit nimmt er aber dem Vinyl-Romantiker den Glauben, dass es beim DJing darum gehe, besonders rare Platten zu suchen und zu spielen. „Wieso sollte ich rares Material nehmen, wenn ich sowieso alle Samples bearbeite?“

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Richie Hawtin hat schon immer die Musik in einem Kunst-Kontext gesehen. Es lag ihm immer daran, dass seine Musik auch visualisiert wird. Dieses Anliegen ist an der Elektrofront sehr populär. Wie erklärt sich das Hawtin? „Ich denke, es liegt daran, dass sich auch bildende Künstler mit dem Medium Computer auseinander setzen. Da werden Entwürfe gemacht, im besten Fall sogar die finalen Werke“. Dann denkt er darüber nach, wie es wäre, sich mit Künstlern im Netz zu treffen und online gemeinsame Konzepte auszuarbeiten. Wirklich alles online? „Ja klar, ich brauchte keinen physischen Kontakt, um Freundschaften aufzubauen, um zu arbeiten. Ich habe mal jemanden kennen gelernt, ein Mal habe ich ihn gesehen, nun schreiben wir uns regelmäßig Emails. Und ich würde doch so weit gehen zu sagen, dass er mein Freund ist.“

Vom alleine arbeiten wird ihn auch in Zukunft nichts abbringen: „Vielleicht werde ich durch die Welt reisen und Eindrücke sammeln“. Das erinnert an Peter Gabriel, der ähnliches im Popbereich macht. „Peter Gabriel fährt mit diesen Eindrücken dann nach England zurück und arbeitet dort. Ich hingegen werde die Erfahrungen am Ort und auf der Stelle mit meinem Laptop bearbeiten“. Wie, keine weitere Zusammenarbeit mit dem Plus8-Weggefährten John Acquaviva? „Nee, den bekommst du nicht ins Studio. Der ist zu faul.“

Hagen Dessau

Mit freundlicher Genehmigung von TENDANCE – www.tendance.de

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