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Mellotron-Talk: Dale, Thompson, Grace, Barbeau & Kerzner

Talk-Runde mit Mellotron-Liebhabern

2. September 2017

Über das legendäre Mellotron gibt es einen Amazona Artikel in der Rubrik Vintage Keys, den finden Sie in unserem BLUE BOX MELLOTRON Report (Hier klicken)

Im diesem ergänzenden Artikel lesen Sie, welche Ambitionen es heutzutage gibt, ein Mellotron zu spielen und was die als Insider sonst noch darüber zu berichten haben. Schließlich ist dieses Vintage Instrument etwas ganz Besonderes, denn verwendete Technologie und Sound sind wahrlich eigentümlich. Beginnen wir mit Mellotron-Besitzer und Interviewpartner Chris Dale, er hat eine ganze Menge zu sagen. Sie haben von ihm noch nie gehört? Dann lesen Sie hier eine kleine Anmoderation.

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Der Kanadier Chris Dale ist Multi-Instrumentalist, Komponist, Songwriter, Performer und der einzige in seinem Heimatland, der als Sessionmusiker Mellotron und Chamberlin einsetzt. Er führte spezielle Service-Arbeiten aus an den Mellotrons von Rick Wakeman, Steve Hackett (Gitarrist von Genesis), der amerikanischen Prog Band Discipline sowie dem kanadisch-britischen Singer/Songwriter Andrew Cole. Gelegentlich macht er exklusiv lizenzierte Demos im Rahmen von Bildungsprogrammen, wobei es dann vorwiegend um die Beatles geht und wie diese das Mellotron eingesetzt haben. Chris hat auch eins der original Guitar Gizmotrons von Godley and Creme restauriert. Im Bereich Soundtrack wirkte er mit einem Score für die kanadische Filmproduktion Primoridal Ties und dem Stück Hide and Seek von Lesley Havard. Seine Awards: Secretary General of the United Nations „Ban Ki Moon English speaking contest“ und das gleich 3 Jahre in Folge, während er in Südkorea lehrte. Er doziert vor Studenten in China und Korea und ist einer der wenigen Lehrer, die Nordkorea besucht haben. Aktuell arbeitet er an der Restauration eines Birotrons, um dessen 45 Jahre alte Sound-Library vor dem Verfall zu retten. Nebenbei beschäftigt sich Chris bei diesem Projekt auch mit einer Musikproduktion, die bislang ungehörte Birotron Klänge demonstrieren wird.

Klaus:
Bitte erzähle mir ein wenig, wie es zum Kauf eines Mellotrons überhaupt kam.

Chris:
Ich hatte Musik gehört, bei der einige Background-Sounds mit diesen Lo-Fi-Klängen gemacht waren und das hat mein Interesse am Mellotron geweckt. Die Sounds haben eine Menge Emotionen in sich. Du kannst so eins in vielen Songs hören und umgehend identifizieren. Für mich waren das die emotionalsten Parts eines Titels, denn sogar bei Musik ohne Gesang und Lyrics kann Dich alleine der lush Sound mitnehmen und zum Lachen oder Weinen bringen und auch ein spirituelles und relaxtes Gefühl erzeugen. Ich wusste also, dass es sich um ein Mellotron oder Chamberlin handeln musste, was ich da hörte und mir war auch bereits bekannt, dass beide Tape-basiert arbeiten. Also suchte ich nach diesen Instrumenten und fand schließlich ein Mellotron M400. Und dachte, ein weiteres Mellotron in Reserve als Teileträger sollte ich ebenfalls haben, denn vielleicht würde es mit der Ersatzteilbeschaffung etwas schwierig werden.

Foto Credits: Eric Haller

Klaus:
Wie lange dauert denn so eine Suche?

Chris:
In meinem Fall waren das 2 Jahre und endlich gelangten damit 2 weitere Mellotrons in meine Hände. Aber ich fühlte mich nicht wohl bei dem Gedanken, nur Teile auszubauen und sie damit zu ruinieren. Also begann die Suche von Neuem, diesmal eben nach Ersatzteilen, denn ich hatte die beiden mittlerweile restauriert. Eins davon war das Double Mellotron von Yes und Rick Wakeman. Das aber war eine Custom-Version und hatte individuelle Tapes sowie andere Amps und Elektronikteile als sonst üblich. Also konnte ich das gar nicht als Teilespender für mein normales M400 nehmen. Zur gleichen Zeit fand ich 2 Chamberlins. Das eine war von Joe/Gino Vanelli und befand sich in erstklassigem Zustand, also Mint Condition, und war kaum benutzt worden. Das andere brauchte ein bisschen Service und so habe ich es ebenfalls restauriert. Zu jener Zeit hatten die meisten Leute kein Interesse an diesen Keyboards und stuften die als Junk ein und hielten mich für ziemlich durchgeknallt und sogar nervig. Hat mir aber nichts ausgemacht. Sondern habe einfach weiter dran gearbeitet und getan, was ich für richtig hielt. Worüber ich dann froh war, denn das lehrte mich, selber geduldig zu sein und zwar sowohl mit den Maschinen als auch mit den Leuten. Und die wundervollen Klänge waren es mir schließlich auch wert. Eigentlich war ich zu diesem Zeitpunkt bereits ein geduldiger Mensch, doch hier wurde noch mehr von mir gefordert, auch mehr Konzentration auf die Sache und alles das mit einer gewissen Ruhe zu erledigen. Es ist eine Erfahrung, die Du genauso auf andere Lebensbereiche übertragen kannst. Im Endeffekt fühlte ich mich nun sehr wohl damit, diese wundervollen Mellotrons und Chamberlins für meine eigene Musik einsetzen zu können. Es war genau die Art Sound, nach der ich lange Zeit auf der Suche war, und bis dahin wusste ich gar nicht, welche bedeutende Rolle das für mich spielen könnte.

Yes Mellotron

Klaus:
Spielst Du die Instrumente im Studio oder auf der Bühne oder sogar beides?

Chris:
Sowohl Mellotron als auch Chamberlin habe ich bislang im Studio und für Bühnenauftritte benutzt. Ich finde, wenn jemand sich gut vorbereitet hat und Du die Maschinen auch sorgsam behandelst, dann verhalten die sich auch tadellos. Ist ein bisschen wie bei Menschen auch. Du weißt, welche komischen Eigenarten sie haben und berücksichtigst das dann. Lernst die Stärken und Schwächen kennen, und gehst mit ihnen eine Beziehung ein in der Rolle des Problemlösers und weißt von diesen speziellen Dingen und stellst Dich drauf ein.

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Klaus:
Welche Erfahrungen hast Du hinsichtlich der Reparaturanfälligkeit beim Mellotron gemacht? Gibt es typische Problembereiche wie etwa verschlissene Bandmechanikteile?

Chris:
Meine Erfahrungen damit sind durchweg positiv. Ich denke, solange ein Mellotron oder Chamberlin ordentlich eingestellt ist, kommt es zu keinerlei Problemen. Und in den meisten Fällen handelt es sich um eher einfach zu reparierende Sachen, die jeder selber erledigen kann, solange er weiß, wie ein Fahrrad funktioniert. Aber es stimmt, es gibt schon einige systembedingte Störanfälligkeiten im Innenleben eines Mellotrons. Zum Beispiel ist es rein theoretisch möglich, dass die Tapes vom magnetischen Metall, etwa einer Uhr, von jemandem gelöscht werden können. Bei mir ist das noch nie vorgekommen, aber man sollte so was schon wissen. Oder es kann passieren, dass die Bänder staubig oder verschmutzt sind, vielleicht sich irgendein Belag drauf gebildet hat, was dazu führt, dass das betreffende Tape von der Federmechanik nicht mehr korrekt ins Gehäuse zurückgeführt wird. Bei diesem Mechanismus geht am ehesten was schief, sobald es zu Verschmutzungen kommt oder er fehlerhaft eingestellt ist.

Klaus
Und woran liegt das?

Chris:
Das liegt halt am Konzept der Maschine, was aber auch zu einigen interessanten Sounds führen kann. Wenn das Tape jedes Mal völlig identisch abgespielt würde, dann wäre das eher langweilig und das Instrument würde an Charakter verlieren. So ist es also diese leichte Inkonsistenz, mit der das Mellotron die tatsächliche gewisse Inkonsistenz des originalen Instrumentes abbildet. Du kennst das von Flötisten oder Geigern, die ja auch den gleichen Ton nie völlig identisch spielen. Es liegt an der Physik, dass Musiker die gleichen Töne immer eine Spur unterschiedlich darbieten. Da hat der Geigenbogen mal eine Idee mehr Druck drauf, der Flötist bläst etwas sanfter den Ton an als die gleiche Note zuvor. Wenn also das Tape den Ton immer wieder etwas anders wiedergibt, dann hast Du in etwa den gleichen Effekt wie bei echten Instrument, also Geige und Flöte. Manchmal klingt das Tape etwas brillanter, danach dagegen dumpfer. Das hängt jeweils davon ab, an welcher exakten Stelle das Tape nach dem Zurückspulen wieder von Neuem beginnt, sobald Du eine Taste anschlägst. Ist eine etwas subtile Angelegenheit. Man hat es also mit einer gewissen Unberechenbarkeit zu tun, aber auch nicht allzu viel davon. Ist die Maschine ordentlich justiert, so wie es standardmäßig sein soll, und man ihr genügend Aufwärmzeit nach dem Einschalten gewährt hat, dann funktioniert es richtig gut und benimmt sich entsprechend tadellos.

Mellotron Bandrahmen

Klaus:
Was hältst Du von vielen erhältlichen Mellotron Sample-Librarys?

Chris:
Ich schätze, wir haben heutzutage die denkbar beste Auswahl an Sample-Librarys. Die und genauso die in digitalen Instrumente wurden von Leuten zusammengestellt, welche ihre Sache mit Hingabe und Sorgfalt betreiben und im Endeffekt den Musikern richtig gute Qualität fürs Geld liefern. Wenn Du die Mellotron und Chamberlin Samples der frühen 90er anhörst und selber Kenntnisse von den Eigenarten der Instrumente hast und wie Samples davon zu klingen haben, dann wirst Du feststellen, dass die meisten damals nicht besonders gut gelungen waren. Die Leute haben oft beschädigte Tapes gesampelt oder abgerockte Maschinen, bei denen es zu Pitch-Shift- und Stretch-Effekten kam, so dass sie die betreffenden Töne ersetzen mussten, aber ohne die benötigten guten Tapes zu besitzen.

Klaus:
Und wie vermeidet man solche Pannen?

Chris:
Meistens haben sie sich wohl einfach keine ordentlich funktionierenden Maschinen für die Samplesession beschafft. Wohl auch in der Annahme, dass die meisten Leute die tatsächlichen Unterschiede nicht bemerken würden. Was berechtigterweise zu manch einer verhassten Sample-Library führte und auch zu entsprechendem Misstrauen gegenüber Mellotron Samples generell. Bildlich gesprochen ist das vergleichbar mit in die Jahre gekommenen CGI-Effekten in älteren Filmen, bei denen man sich nicht richtig bemüht hat, alles gut hinzukriegen – und das Publikum merkt das dann. Wenn Du ein Mellotron wirklich liebst, dann wird diese Art Samples zu keiner Zufriedenheit führen. Denn Du hörst, was da bei bestimmten Tönen falsch klingt, sobald Du sie spielst. Und ist eine gewisse Ablenkung, wenn Du einen bestimmten Klang erwartest und ihn dann aber nicht zu hören kriegst. Das betrifft natürlich nicht alle Samples jener Epoche. Manche waren gut, andere eben nicht. Außerdem kann es sein, dass jemand defekte Tapes ersetzt hat, mit entsprechenden Tape-Sets von Bradley Bros., Mellotronics, Sound Sales USA und so weiter. Aber die kamen immer von anderen Master-Tapes und hatten individuelle EQ-Settings, so dass es für die Samplesessions keine idealen Vorbedingungen gab.

Klaus:
Was ist die positive Seite an der ganzen Sache?

Chris:
Wir können von Glück sagen, dass es genügend Leute gibt, die die originalen Instrumente lieben, das Know-how für die Servicearbeiten haben und sicherstellen können, dass die Tapes vom gleichen Master-Set kommen. Und dann mit der gleichen Hingabe und Expertise den Sampling-Prozess beherrschen, in der Lage sind, Instrumente aufzubauen und genügend Offenheit und ethisches Verständnis auf diesem Gebiet haben. Wir leben in guten Zeiten, viele kümmern sich um diese Dinge. Das ist wichtig, denn wir können unsere Kultur, Musik und Kunst nicht technologischem Druck aussetzen, der sie obsolet macht und auslöscht. Das Birotron könnte von einer solch falschen Denkweise betroffen sein und endgültig von der Bildfläche verschwinden. Wir müssen also das Beste der Vergangenheit mit in die Zukunft rüberretten und haben klug genug zu sein, daran zu denken. Es muss also getan werden, was getan werden muss.

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Chris baut den Bandrahmen ein

Klaus:
Hast Du irgendwelche Mellotron Anekdoten auf Lager? Vielleicht über das von EMI?

Chris:
Das EMI Mellotron, das ich verwende, ist eins von 100, die jemals gebaut wurden. Als die Mellotron Company 1973 nicht mehr hinterherkam, den Bedarf an neuen Maschinen zu erfüllen, haben die mit EMI Electronic and Musical Industries jemanden als Partner gefunden, der in erster Linie Musikgeräte bauen konnte und damit in der Lage war, Mellotrons zu montieren. Man gab denen einfach die Teile und Kits dafür. Einige EMI Leute erledigten den Job aber etwas zu hastig, was zu einigen schlecht verarbeiteten Maschinen führte. Meine ist in Ordnung und es sind auch einige Tapes dabei, die so speziell sind, dass man mich gebeten hat, nicht auszuplaudern, bei welchen Produktionen die eingesetzt wurden. Kann sein, dass Du sie erkennst, sobald Du sie hörst, und wenn Du wissen wolltest, wer das war, dann könnte ich es sagen, tue das aber nicht. Es ist eine rechtliche Angelegenheit und auch ein Gentleman’s Agreement, also eine exklusive Lizenz. Nun ja, ich versuche immer alles, um ein ehrenwerter Mann zu bleiben! Jedenfalls hoffe ich, die irgendwann innerhalb eines speziellen Projektes verwenden zu können, bei der das Birotron gefeatured wird. Dessen Sound-Library bis dahin restauriert sein muss. Das wird dann das erste Mal sein, dass man diese Aufnahmen und auch die Birotron Sounds zu hören bekommt, sofern alles klappt. Und hoffentlich macht es die Musik auch gleichzeitig noch interessanter.

Klaus:
Sprechen wir über das Mellotron generell: Was magst Du besonders und was missfällt Dir eher?

Chris:
Wenn man versucht, die Leistungsgrenzen dieser Instrumente zu überschreiten, dann kann das frustrieren und enttäuschend sein. Der Grad der Unberechenbarkeit während des Spielens sollte zumindest einschätzbar bleiben, sonst klingt es nicht mehr wie man es eigentlich erwartet. Auch werden die Tapes nicht immer so richtig akkurat wiedergegeben und in einem Moment, wo man das nicht brauchen kann, etwa bei der Ausarbeitung musikalischer Ideen, kann das stören. Daher kann ein Mellotron oder Chamberlin nie als Ersatz für ein Orchester oder eine Band herhalten. Wenn ich mit solchen Dingen konfrontiert werde, dann ist das nicht besonders spaßig und hat das Zeug, einen runterzuziehen. Was längere Zeit anhalten kann und das macht einen schnell aggressiv, andere Dinge klappen dann plötzlich auch nicht mehr richtig und schon ist es aus mit der Kreativität. Und wenn ich dann als Musiker das alles im Griff haben muss, dann sind Samples durchaus die einzige Alternative. Ich habe völliges Verständnis dafür, wenn jemand genau diesen Sound und ihn auch sehr bequem zur Verfügung haben will und das ohne die Ausgabe für die Maschine selber und obendrein deren Pflege. Es ist also wichtig, die Grenzen zu kennen und sie letztlich auch zu respektieren. Dennoch, der original wiedergegebene Sound eines Mellotrons oder Chamberlins kann einen Musiker so sehr inspirieren, dass es sich gewissermaßen in Klang und Maschine verliebt und alle damit verbundenen Frustrationen vergisst. Ich habe den mystischen Sound des Mellotrons schon immer gemocht. Sobald Du alle Sounds kennst und auch deren Wiedererkennungsfaktor, dann hörst Du den in jeder Produktion sofort heraus.

Klaus:
Sind Mellotron und Chamberlin in dieser Hinsicht identisch?

Chris:
Beim Chamberlin ist das zwar letztlich genauso, jedoch nicht ganz, denn es wurde so gebaut, dass die Tapes und damit die aufgenommenen Instrumente exakt wiedergegeben werden. Am Mellotron liebe ich eben diese distinktive Klangfarbe bei allen Songs, wo es auftaucht. Es zu haben, ist für mich sehr wertvoll, weil es andere Dimensionen innerhalb der Musik erlaubt, was heutzutage selten geworden ist. Man bekommt ein bestimmtes Feeling rein, sobald es auf seine gewisse typische Weise gespielt wird. Und mit Feeling ist das Spektrum von glücklich bis traurig gemeint oder auch introvertiert. Wenn Du das YES Double Mellotron spielst, dann merkst Du, dass es auf Anhieb diese üppigen Sounds genau wie bei Topographic Oceans sind. Nun, es ist halt das exakt selber Instrument, das für diese Aufnahmen verwendet wurde. Die anderen Mellotrons, die ich bisher gespielt habe, klingen jedenfalls nicht so. Das Double Mellotron wurde extra für Rick Wakeman aufgebaut, deshalb die anderen Sounds.

Rick Wakeman on stage, das Mellotron links im Bild

Ich schätze, es gibt lauter individuelle Mellotrons, die irgendwo rumstehen und alle haben sie einen ganz bestimmten eigenen Klangcharakter. Die einen klingen großartig, andere weniger. Es sind eben doch nicht lediglich Bandabspielgeräte. Wie bei Gitarren, da klingen zwei der gleichen Modellreihe ebenfalls nicht völlig identisch. Das kann dazu führen, dass man jemandem beim Mellotron spielen zuhört und obwohl der die gleichen Tapes wie andere benutzt, es dennoch eine ganz eigene Klangwelt ist. Und das nicht nur, weil jeder das Mellotron anders einsetzt, sie klingen einfach unterschiedlich.

Klaus:
Mir scheint, Du hast zum Mellotron eine wirklich innige Beziehung aufgebaut, stimmt das?

Chris:
Na ja, ein Mellotron oder Chamberlin zum ersten Mal spielen ist wie als Kind die erste Schokolade essen, zum ersten Mal ein Mädchen küssen oder der erste Trip nach Disneyland. Du wirst diesen Moment und die damit verbundenen Emotionen nie vergessen, es ist einfach eine wundervolle und gleichzeitig sehr ungewöhnliche Erfahrung. Es gibt da eine Lücke in der Verbindung Maschine und dem was man hört. Du spielst nämlich die Tasten einer großen und sehr merkwürdig aussehenden Holzbox und gleichzeitig ist der Sound, der da rauskommt, derart himmlisch und Du hättest nie vermutet, dass aus etwas, das so komisch aussieht, ein solcher Sound kommt. Ein wirklich magisches Feeling, ein völlig eigenartiges und unvergleichliches Erlebnis. Mir ist klar, dass die meisten Leute keine Möglichkeit haben, ein echtes Mellotron oder Chamberlin mal selber auszuprobieren und ihre Gründe haben, stattdessen zu Samples zu greifen, was auch völlig nachvollziehbar ist, so läuft’s nun mal. Aber ich möchte wirklich jeden dazu ermutigen, der sich für diese Sounds interessiert, wenigstens einmal im Leben ein echtes Mellotron oder Chamberlin zu spielen. Und sich daran zu erfreuen, wie bei der Maschine dann der Sound entsteht. Vielleicht macht jemand dann eine kleine Zeitreise und fängt an, Musik wie diejenigen zu komponieren, die solche Maschinen früher mal eingesetzt haben. Wegen der neuartigen und oft recht ähnlichen Benutzeroberflächen bei modernen Instrumenten rechne ich nämlich nicht damit, dass jemand das so hinkriegt.

Klaus:
Ist das alles in die aktuellen digitalen Varianten und Software-Versionen rübergerettet worden?

Chris:
Diesen gewissen Charme bekommt man nur mit den originalen Instrumenten. Es hat was damit zu tun, dass man die Dinge direkt von den Augen hat, fühlt die Tasten unter den Fingern, spürt die Vibrationen der Motoren, riecht das Holz und auch die Elektronik, wenn die Maschine sich warmgelaufen hat. Es ist ein umfassendes Erlebnis, das einem Freude bereitet, verbunden mit einer gewissen Verwunderung darüber, was da vorgeht. Wer also eine solche Zeitreise machen will und fühlen möchte, wie die Leute in den 60er und 70er Jahren Mellotron und Chamberlin eingesetzt haben, für den führt wohl an den echten Instrumenten kein Weg vorbei. Es ist fast jedes Mal eine neue Erfahrung und Du weißt nie hundertprozentig, wohin die Reise gehen wird. Und gerade das ist das Interessante daran, und macht gleichzeitig eine Menge Spaß.

Klaus:
Ganz lieben Dank für alle Deine Ausführungen! Ich schätze, dass unsere Leser eine Menge damit anfangen und für sich mitnehmen können. Da wünsche ich Dir vor allem viel Erfolg mit den weiteren Projekten und ich hoffe, wir können bald mehr davon hören.

 

Mike Pinder (Moody Blues) Mellotron Demo

Bevor es mit dem nächsten Interviewpartner weitergeht, sehen Sie hier zwei Videoclips mit Mike Pinder, der das Mellotron mit entsprechenden Parts aus Moody Blues Songs demonstriert.

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Und weiter geht’s in der Interviewstrecke.

Andy Thompson

Mein nächster Interviewpartner ist Andy Thompson, er betreibt die Website Planet Mellotron. Wie der Titel erahnen lässt, geht es hier ziemlich global zur Sache. Zentrales Interessensgebiet ist die mehr oder weniger vollständige Erfassung sämtlicher Musik, bei der das Mellotron eingesetzt wurde. Da hat es jemand ernst gemeint und einen einzigartigen Katalog angelegt, der es in sich hat. Nicht nur die ganzen Alben und Musiktitel sind erfasst, es gibt sogar Reviews mit individuellen Bewertungen. Ich meine, diese Seite ist ein Muss für jeden Mellotron-Fan und auf der Bookmark-Liste gehört die ganz oben hin. Hören wir uns also an, was Andy zu sagen hat.

Klaus:
Erzähle mal, wie es dazu kam, ein Mellotron zu spielen.

Andy:
Als ich Anfang der 80er Jahre „diese Sounds“ hörte und dann rausbekam, welches Instrument das ist – ab da war ich vom Mellotron völlig fasziniert. Ich kaufte mir sehr bald eins und es stellte sich heraus, dass die Vorbesitzer die britischen Medieval Folk Prog Götter Gryphon waren. Das war 1985. Es dauerte eine Weile, bis ich das Instrument komplett funktionsfähig bekam und 1993 war das endlich der Fall! Seitdem ist das also bei mir im Einsatz, dazwischen allerdings unterbrochen von Perioden, wo ich es kaum benutzt habe.

Klaus:
Setzt Du das auf der Bühne oder im Studio ein oder beides?

Andy:
Sowohl als auch. Obwohl ich selten Gelegenheit habe für Bühnenauftritte. Ich gebe es aber auch an andere Künstler weiter, vorwiegend an Freunde und Klienten.

Klaus:
Welche Erfahrungen hast Du in Sachen Service gemacht, gibt es typische Schwachstellen?

Andy:
Ich halte das Mellotron generell für ziemlich zuverlässig, solange Du es regelmäßig pflegst. Meins wird alle paar Jahre von den Leuten bei Streetly Electronics durchgesehen und verschlissene Teile werden dann ersetzt. Vor ein paar Jahren war der Motor hinüber! Es gibt also keine typischen Teile, die Probleme machen würden, obwohl, man sollte die Tastatur regelmäßig justieren.

Klaus:
Wie denkst Du über die vielen Mellotron Sample-Librarys?

Andy:
Ich halte nicht besonders viel davon! Die klingen alle „so ähnlich“ wie ein Mellotron, aber man kann Samples nicht mit einem original Mellotron verwechseln. Selbst wenn die gut gemacht sind –  und manche sind das übrigens ganz und gar nicht, sie klingen meistens viel zu „sauber“ und wurden oft auch geloopt. Was beim Mellotron ja gar nicht der Fall ist, der Sound ist nach 8 Sekunden beendet. Was eine Limitierung darstellt und man sich dafür eine spezielle Methode fürs Spielen aneignen muss. Ich habe ein Video gesehen, da flitzt ein ziemlich bekannter Keyboarder die Tasten einer Hardware-Emulation rauf unter runter und der so erzeugte Sound hat mit einem tatsächlichen Mellotron überhaupt nichts zu tun.

Klaus:
Hast Du irgendwelche Anekdoten auf Lager?

Andy:
Wo soll ich anfangen? An etwas besonders Schreckliches kann ich mich nicht erinnern, weder beim Transport, noch bei Studioaufnahmen. Aber es gibt so viele Storys von bekannten Mellotron Spielern der 70er, das Instrument hatte unter schlechter Reputation zu leiden. Und das nur, weil die auf mitunter monatelanger Tour die Dinger kaum instand gehalten haben. So ist es kein Wunder, dass mal eins plötzlich kaputt war. Jeder, der sich auch nur ein bisschen mit dem Mellotron befasst, kennt die Geschichte von Rick Wakeman, der in den 80ern mal 2 Instrumente abgefackelt haben soll. Ich habe von einem Mellotron gehört, das jemand mal eine Treppe runtergeschubst hat! Und von einigen, die unpraktischerweise auf der Bühne plötzlich ihren Dienst versagt haben.

Klaus:
Mal ganz generell: Was magst Du am Mellotron besonders, und was weniger?

Andy:
Ganz Chef-mäßig: Der Sound ist es, logo! Es gibt nichts, was damit vergleichbar wäre. Die Klänge sind auf Tapes aufgenommen worden, dann spielt man sie mithilfe von Tonköpfen und primitiven Schaltkreisen wieder ab! Außerdem sieht es derart uncool aus, dass es schon wieder cool ist <lacht>. Was ich überhaupt nicht mag, ist die Tastatur. Auch wenn bei meinem Modell die Spielart relativ gut ist, bei einer längeren Session machen meine Finger das nur unter Anstrengung mit. Es ist nicht der Anschlag, sondern das hat was mit Ton aushalten zu tun, da muss man die Taste halt mehrere Sekunden lang ziemlich kräftig runterdrücken! Auch kommt es beim Anschlag oft zu einem Spike am Tonanfang und wenn Du die Taste loslässt, gibt’s ein Zip, sobald das zurückspringende Tape vom Tonkopf weggeführt wird, da sind ja Rückholfedern am Werk. Daher sind Aufnahmen damit schon ein bisschen problematisch.

Klaus:
Wann hast Du mit Deiner Website Planet Mellotron losgelegt und was ist danach so alles passiert?

Andy:
Der richtige Antrieb dafür kam Ende der 90er, damals noch unter anderem Namen und im Millennium habe ich das zur jetzigen URL umgewandelt. Ich hatte ziemlich bald gemerkt, dass die Leute in erster Linie Album-Reviews lesen wollten, also begann ich zunächst mit meinen eigenen Favoriten. Mittlerweile ist das der wesentliche Fokus auf der Seite! Zwar stammen die meisten Beiträge von mir, allerdings habe ich auch einiges zusammengetragen. Ich bemühe mich auch um Aktualität, so dass ein Leser sich darauf verlassen kann, den tatsächlich momentanen Stand über den Einsatz des Mellotrons vorzufinden. Obwohl es manchmal nicht so leicht ist, das definitiv herauszuhören. Mancher wird vielleicht meinen, das sei nicht so von Belang und hat Zweifel, ob das wirklich von Bedeutung ist. Doch, das ist es! <lacht>

Klaus:
Besten Dank für diese interessanten Einblicke und ich wünsche Dir noch viel Zuspruch und Erfolg mit Planet Mellotron!

Kleiner Soundvergleich: Hören wir uns zunächst das originale Mellotron an und danach Samples.

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Klangbeispiele
Forum
  1. Profilbild
    costello RED

    Die Erfahrungsberichte sind wunderbar zu lesen; aber ich habe dennoch das Gefühl dass die Eigentümlichkeiten des Mellotrons heute in ein arg nostalgisches Licht gerückt werden. Tony Banks wurde durch sein Instrument schier in den Wahnsinn getrieben. Das MkII musste nach jedem Gig geflickt werden, das 400 war etwas zuverlässiger, verstimmte sich aber ständig: „It’s kind of a drag because you can’t relax between numbers at all. You’ve got to keep things tuned up.“ Er schickte es übrigens gerne durch sein Leslie: „it adds a sort of churning sound to the Mellotron brass.“

    • Profilbild
      k.rausch AHU 2

      @costello Die Brille von heute ist klar eine andere als die der 70er oder 80er, wenn diese Instrumente neu waren. Heute wird das – denn jetzt ist es Vintage Gear – gerne sehr wohlwollend betrachtet. Und die Schwächen dann als charmante Eigenarten ausgelegt :)

    • Profilbild
      WOK

      @costello Vielleicht schlecht gewartet/gepflegt? Oder er hatte eines der ersten, die späteren hatten stimmstabile Synchronmotoren.
      Das Teil war damals eben die erste und einzige bezahlbare Möglichkeit, halbwegs realistisch klingende Streichorchester, Bläser, Chöre und Soundeffekte auf die Bühne bringen zu können und damit ein absolutes Novum.
      Und der eigentümliche Klang ist einfach markant.
      „Watcher of the Skies“ mit einem Juno106-Padsound wäre wohl kein solcher Erfolg geworden ;-)

      • Profilbild
        costello RED

        @WOK Gerade „Watcher of the skies“ verdankt seinen spektakulären Sound ja nicht zuletzt den Gleichlaufschwankungen des Mellotrons :-)

  2. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Großartig, danke für die informativen Interviews!
    Ich fand Mellotron Sounds immer wunderschön, hatte aber hatte den Eindruck, dass es gute Mellotron Samples wohl auch tun. Auf der Superbooth 2016 bin ich eines Besseren belehrt worden. Das stand ja ein spielbereites, durchsichtiges M400. Das Spielgefühl war absolut einzigartig!Ich wollte da garnicht mehr weg. Das Teil reagiert sogar in gewisser Weise auf Anschlagstärke und Tastendruck. Nicht vergleichbar mit Samples. Das hat so verdammt viel Spass gemacht. Seither liebäugele ich damit mir so ein Instrument anzuschaffen. Man muss ja auch Träume haben :)

  3. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    DAS große Plus m.E. aus heutiger Sicht auf die Melllotronsounds ist der Cheesiness Faktor, das Patinabehaftete. Wo man im Studio mit zig Tricks nachhelfen müsste, die Sterilität aus der digitalen Produktion rauszubügeln, tut es oft auch einfach die Verwendung eines klassischen „Bandrahmen“ Sounds, um dem Mix mehr Leben einzuhauchen.

    • Profilbild
      og_penson

      „Everything we call ‘character’ is the deviation from perfection.So perfection to me is characterlessness.“ – Brian Eno

  4. Profilbild
    Son of MooG AHU

    Ein M400 hatte ich auch mal kurz unter den Fingern. Das Tasten-Gefühl kam mir sehr direkt vor; man konnte dem Ton wie durch Aftertouch (nur etwas härter) mehr Präsenz verleihen, wenn der Tonkopf stärker gegen das Band gepresst wird. Ansonsten bin ich mit meinen Nord-Mellotron-Samples absolut zufrieden, ich nutze da überwiegend die un-looped Versions; ein echtes Tron hätte hier auch gar keinen Platz mehr. Leider ließ ich mir vor vielen Jahren ein Variophon mit allen Werksklängen und Keyboard für 300,-DM ausreden; der Händler verglich es mit einer Casio-Tröte…

  5. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Das mit dem „nur ein echtes Mellotron klingt wie ein echtes Mellotron, weil…“ halte ich eher für Blah-Blah von Fans, die irgendwie diese Marotte, die sich „Mellotron“ nennt, rechtfertigen müssen, vor sich selbst und vor anderen — das Original hat so manche Schwäche, die man nicht mehr haben muß (vom Rückenschmerz vom Tragen angefangen bis hin zu Bandsätzen, die untereinander nicht kompatibel sind, weil dummerweise bei der Überspielung nicht auf die richtige Justage der Bandgeschwindigkeit geachtet wurde).
    Fast noch wichtiger als das klangliche Ausgangsmaterial des Mellotrons ist die Frage, wie dieses Material dann verwurstet wird — nimmt man es staubtrocken ab wie Richard Weckmann auf dem „Sechs Weiber vom Achten Heinrich“-Album, dann klingt es grauenhaft — das kann man sich nicht schönreden oder -saufen.
    Hängt man Federhallgeräte, Bandechos, Leslies oder Phaser dahinter und regelt die Höhen runter (die gerade bei manchen M400-Klängen unangenehm in die Ohren schneiden), dann klingt es gleich viel besser — und genauso authentisch.
    Und das kann dann auch ein Resch M4000D oder ein Memotron — da haben die Interviewten Recht: Ein Mellotron will wie ein Mellotron gespielt werden, nicht wie ein Sample. Und ein Gerät, was optisch dem Mellotron angelehnt ist, spielt man anders als einen Sampler oder ein Plug-In mit angeschlossenem Masterkeyboard.

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