Der Nadel auf de Spur
Put the Needle on the Record!
Ein Auto fährt mit abgefahrenen Reifen, die nicht zum Fahrzeugtyp passen, in die Kurve, schleudert, gerät aus dem Kurs und überschlägt sich drei Mal. Was diese traurige Geschichte mit DJ-Plattennadeln zu tun hat? Schon mal versucht, mit abgespielten Plattennadeln und ohne ins Trudeln zu geraten ein elegantes DJ-Set unter das Volk zu bringen? Oder mit der billigsten Standard-Nadellösung probiert, den fetten Bass über die Lautsprecher zu transportieren und doch noch die Groove-Kurve zu kriegen. Ja? Na dann kannst Du sicher auch ein trauriges Lied von falschem Equipment und seinen unwillkommenen Folgen für den Dancefloor singen.
Möglicherweise stehst Du aber auch erst ganz am Anfang und kennst Dich mit Plattennadeln überhaupt nicht aus. Hast keine Erfahrung und nur das dumpfe Gefühl, dass die mit dem DJ-Komplett-Paket mitgeschickten Nadeln wohl noch schlimmer sind als die riemengetriebenen „Profi“-Plattenspieler.
Dann kann Dir die folgende kleine Einführung in die Welt der Plattennadeln vielleicht helfen, ein wenig klarer zu sehen. Und vielleicht wirst Du bald einmal merken, dass die tiefste Verwirrung, in die Du zu Beginn angesichts der enormen Auswahl an Plattennadeln gestürzt bist, sich zu lichten beginnt. Dem Bewusstsein Platz macht, dass eigentlich alles nicht so tragisch ist, weil Du siehst, dass sich die DJ-Welt längst auf einige wenige Plattennadeln geeinigt hat.
Der Einsteiger
Bist Du erst einmal Deine „Kool-Sound“-Plattennadeln losgeworden, folgt meist gleich das restliche System und Du bist bereit für die erste ernstzunehmende Nadellösung: Dem Ortofon Concorde Pro (als System rund 66 Euro). Ein sphärisches Nadelsystem (System bedeutet Nadel plus Verbindungsteil zum Plattenspielertonarm, sphärische Nadeln stehen für mehr Bassdruck, bessere Scratch-Eigenschaften, weniger Plattenverschleiß, aber auch weniger differenzierten Klang als elliptische Nadeln).
Vorteile: Das System ist auf einem Technics 1210 eine optische Augenweide, kostet wenig, ist zu den Platten einigermaßen liebevoll und mit 5 mV Ausgangsleistung auch akzeptabel laut.
Der Aufsteiger
Die nächste Ausbaustufe kannst Du mit dem Ortofon Concorde DJ S (als System rund 66 Euro) zünden: Etwas lauter als das Concorde Pro ist es mit seiner blau-orangen Färbung zwar ein optischer Rückschritt, dafür ist es mit 6 mV lauter und – glaubt man vielen DJs – auch sanfter zu den Platten.
An Alternative im Aufsteigersegment zu nennen wäre eigentlich nur das feuerrote Ortofon Concorde Scratch System (rund 79 Euro) mit 7 mV Ausgangsspannung und weiterem Frequenzbereich, das sich sehr gut zum Scratchen eignen soll, aber weit davon entfernt ist, sich als Standard zu etablieren, weil im HipHop-Bereich meist ganz andere Systeme verwendet werden. Mehr oder weniger vergessen kannst Du Seitenlösungen wie das Ortofon Concorde Elektro (als System rund 79 Euro), das Ortofon Concorde Gold (als System rund 119 Euro) und das billige Ortofon Concorde Pro-S (als System rund 59 Euro), das Du kaum je bei einem DJ oder in einem Club sehen wirst.
Der Profi
In diesem Bereich findest Du Dich schneller wieder als Du denkst und hier wird erstmals auch die Vormachtstellung der Dänischen Ortofon-Firma gebrochen.
Bist Du HipHop-DJ, wirst Du früher oder später beim Shure M 44-7 (als System rund 55 Euro) landen. Dieses System, das auf die mit den Technics 1210ern mitgelieferten Headshell (ein drittes Teil, das System und Tonarm miteinander verbindet, wird bei den Ortofon-Systemen nicht benötigt) montiert wird, zeichnet sich durch mehrere Vorteile aus: Niedriger Preis, hohe Scratch-Tauglichkeit bei verhältnismäßig niedriger Auflagekraft und daher geringerem Plattenverschleiß, enorm hohe Ausgangsleistung von 9,5 mV, Fähigkeit zur fetten Basswiedergabe. Einziger Nachteil: Die Montage ist etwas fummelig (plane eine gute halbe Stunde ein) und bei falscher Ausrichtung der Nadel sind gleich die meisten Vorteile des Shure-Systems beim Teufel. Wer dieses System sein eigen nennt, kann auch getrost auf das Shure Whitelabel (als System rund 99 Euro) verzichten, das zwar optisch eine Menge hermacht, ansonsten aber keine gravierenden Vorteile bietet.
Eine weitere Profi-Lösung ist das Ortofon Concorde Nightclub E MK2 (als System rund 99 Euro). Es punktet als System mit elliptischem Nadelschliff mit sehr guten, etwas höhenbetonten Klangeigenschaften, ist mit 8 mV Ausgangsspannung sehr laut, besitzt einen sehr weiten Frequenzbereich und signalisiert nach außen: „Achtung, qualitätsbewusster DJ at Work!“.
Es gibt noch weitere Plattennadeln im Profisegment, die aber kaum jemand je gesehen hat, weil sie preislich schon ziemlich abgehoben sind. Das Stanton Groovemaster 2 Pro (zwei Systeme um rund 249 Euro) zum Beispiel. Optisch ein plumpes Verbrechen in Gold, verspricht es starken Sound und gute Scratcheigenschaften. Vergiss es trotzdem, es ist einfach zu hässlich. Etwas dezenter ist da das Stanton Groovemaster 2 RM (als System rund 119 Euro), das die Grätsche zwischen elliptischem Nadelschliff und damit verbundenem guten Klangbild und guten Backcue-Eigenschaften (leichtes Zurückziehen der Platte zum Taktanfang ohne Hüpfen der Nadel) schafft. Und hier noch ein kleiner Tipp für den Laptop-DJ: Solltest Du Dir die Anschaffung eines Timecode-Vinyl-Systems wie Rane Serato Scratch, Stanton Final Scratch oder Native InstrumentsTraktor Scratch überlegen, kannst Du gleich zu Beginn die geeigneten Nadeln dazukaufen: Ortofon bietet mit dem Concorde Digitrack (als System rund 89 Euro) ein sphärisches System an, das durch seinen schonenden Nadelschliff besonders für oft verwendetes Timecode-Vinyl geeignet ist.
Der Poser: Ortofon Concorde Q-Bert
Auch wenn Du ein DJ bist, der sich bei der Plattennadelwahl gerne auf große Vorbilder beruft, kann Dir geholfen werden, haben doch einige DJ-Superstars eigene Nadeln kreiert. Aber sei gewarnt: Deren Custom-Nadeln kommen eher nur bei großen Hallen-Raves und in teuren R’n’B-Clubs gut, ansonsten bist Du damit hoffnungslos overdressed und auch gleich als Poser verschrien.
Das Ortofon Concorde Q-Bert (als System rund 79 Euro) ist mit 11 mV Ausgangsspannung das mit Abstand lauteste System in diesem Vergleich, schaut mit dezenten Tag-Applikationen so ganz nach HipHop aus und punktet zudem mit starkem Bass und guten Scratch-Eigenschaften bei verhältnismäßig geringem Auflagedruck. In eine andere Richtung geht das Stanton Trackmaster 2 RS (zwei Systeme rund 179 Euro), das unter dem Label „Roger Sanchez“ verkauft wird. Das elliptische System will nicht mehr sein als „ideal für den Club- und Studio-Einsatz“. Da es bis auf den großen Namenspatron keine Besonderheiten aufweist, kann man getrost auf ein weniger auffälliges System zurückgreifen, das ebenso geeignet ist.
Wenn Dir diese Einführung geholfen hat, gut. Wenn Du jetzt aber zu dem Schluss gekommen bist, dass dieses mechanische Abtasten vom Erdöl-Derivat Vinyl ja längst Schnee von gestern ist, dann kannst Du noch immer auf Laptop und mp3s umsteigen. Aber sei gewarnt: Der Klang eines guten Systems und einer fetten Schallplatte spielt jedes – auch hochwertig codierte – mp3 mit einer derartigen Wucht an die Wand, dass jeder, dem ernst mit gutem Sound ist, sich wieder gerne auf das altbekannte „Put a Needle to the Record“ besinnt.
Vielen Dank für die Übersicht! Ich benutze daheim den Ortofon Q-Bert für Traktor Scratch/3 und bin mit ihm sehr zufrieden.
Das Shure Whitelabel kannte ich gar nicht – sieht echt scharf aus. Wahrscheinlich hätte ich mir das gekauft, wenn euer Artikel früher erschienen wäre ;-)
Macht ihr ne Serie? Turntable hatten wir (der Technics Bericht), jetzt Systeme, vielleicht einen Artikel über die verschiedenen meistbenutzten Mixer (Pioneer, A&H…)?
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Über CD-Spieler glaube ich sind sich die meisten einig, dass die Pioneer CDJ's die besten sind.
Interessant für viele wäre vielleicht auch eine Übersicht über die digitalen Möglichkeiten. Sind ja einige dazu gekommen (Torq etc.). Die Tstberichte habt ihr ja von den großen, aber den einen oder anderen würde vielleicht ein Vergleich interessieren. Ich werde z.B. gerne gefragt, warum ich Traktor benutze. In Bangkok benutzt das außer einer DJane sonst niemand (Serato ist hier ziemlich angesagt).
Ich wünsch euch auf jeden Fall ein frohes Pfingstfest (auch wenn man das hier nicht feiert) und bis bald.