Studiotour ins legendäre Inner Space (Can)
Willkommen zu einer neuen Serie auf AMAZONA.de, in der wir euch in loser Folge jeweils ein neues Tonstudio in Form einer Tonstudiotour vorstellen möchten. Tonstudios gelten nicht selten als mythische und heilige Hallen des Pop, in denen durch das Aufeinandertreffen von Musikern, Produzenten und der Magie des jeweiligen Raumes etwas ganz Besonderes entstehen kann. Diese Serie möchte euch mitnehmen und einen Blick hinter die Kulissen ausgewählter Tonstudios bieten. Wir sind gespannt, wie euch dieser Ansatz gefällt und freuen uns natürlich auch auf Hinweise und Ideen für weitere Tonstudiotouren. Den Anfang macht ein Studio, das zunächst gar nicht als kommerzielles Studio gedacht war, sondern nur auf die Bedürfnisse einer einzigen Band hin ausgerichtet war. Es handelt sich um das Inner Space Studio der Kölner Band Can.
Inhaltsverzeichnis
Can – Deutsche Band mit internationalem Ruf
Begibt man sich auf die Suche nach Bands aus deutschen Landen, die auch international Spuren hinterlassen und andere große Künstler beeinflusst haben, landet man neben Kraftwerk schnell bei der Kölner Band Can. Beispiele gefällig? Unter anderem Radiohead, Sonic Youth, LCD Soundsystem oder auch Tame Impala nennen die Kölner Krautrocker als maßgeblichen Einfluss. Als Gründe werden unter anderem genannt: die Liebe zu klanglichen Experimenten, der Hang zu ausgedehnten Improvisationen und auch die Produktionstechniken. Essenziell für den speziellen Sound von Can war dabei das hauseigene „Inner Space“-Studio, das sich die Band nach eigenen Vorstellungen in einem ehemaligen Kino in Weilerswist in der Nähe von Köln einrichtete. Und genau um dieses Studio soll es heute gehen. Durch diverse Zufälle ist dieses Studio nämlich auch nach der Auflösung der Band erhalten geblieben und hat irgendwann seinen Weg ins Rock & Pop Museum in Gronau gefunden, wo man es heute noch besichtigen kann. Klingt spannend? Dachte ich mir auch und habe mich für euch auf den Weg an die niederländische Grenze gemacht.
Gründung von Can und der Umzug ins eigene Tonstudio
Gegründet wurde die Band, die sich zunächst Inner Space nannte, dann The Can und schließlich nur noch Can, im Jahre 1968 in Köln. Teile der Mitglieder studierten damals Komposition bei Karlheinz Stockhausen, der mit seinem Studio für die Elektronische Musik prägend für die Entwicklung der Elektronischer Musik war. Die Urbesetzung der Band bestand aus Keyboarder Irmin Schmidt (dem einzigen noch lebenden Mitglied der Originalbesetzung), Bassist Holger Czukay, Schlagzeuger Jaki Liebezeit, Gitarrist Michael Karoli und Sänger Malcolm Mooney. Kurze Zeit später wurde Mooney durch den Straßenmusiker Damo Suzuki ersetzt. Ziel der Band war es, eine neue Musik abseits der gängigen Konventionen zu erschaffen. Viel Platz für Experimente und Improvisationen sollte es geben, neue Klangwelten erforscht werden. Die Stücke entstanden oft in stundenlangen Sessions, die immer komplett mitgeschnitten wurden. Schnell war klar, dass eine solche Arbeitsweise in einem konventionellen Tonstudio mit geregeltem Tagesablauf nicht realisierbar sein würde. Das erste Album „Monster Movie“ (1968) entstand noch auf Schloss Nörvenich, wo die Band probte. Es wurde direkt auf eine 2-Spur Bandmaschine aufgenommen und dann später heftig editiert, indem man die besten Parts der Sessions aneinander schnitt und weiter verfremdete.
Das Inner Space Studio in Weilerswist
Schnell war also klar, dass man ein eigenes Tonstudio benötigen würde. 1971 fand sich ein alter Kinosaal in Weilerswist, eine halbe Stunde außerhalb von Köln. Hier richteten sich Can ganz nach ihren Vorlieben ein und schufen ein Refugium, in dem sie ungestört und ohne Ablenkung der Erforschung weiterer Klangwelten nachgehen konnten. Um die Nachbarn nicht zu stören und Tag und Nacht Musik machen zu können, wurden die Wände mit alten Seegrasmatratzen gedämmt, die zwar nicht hübsch anzusehen waren, aber offensichtlich ihren Zweck erfüllten. Damit das Ganze wohnlicher wurde, gestaltete man die Wände mit teils selbstentworfener Deko in Form von großen, bunt bemalten Stoffbahnen.
Die Besonderheit des Can Studios lag in der speziellen räumlichen Anordnung. Im Gegensatz zu einem konventionellen Tonstudio gab es hier keine Trennung zwischen Aufnahme- und Regieraum. Alles spielte sich in einem einzigen großen Raum ab. Dadurch war gewährleistet, dass jeder jederzeit mit jedem kommunizieren konnte. Hintergrund war dabei unter anderem, dass Bassist Holger Czukay in den Anfangsjahren auch den Job des Toningenieurs übernahm. Später übernahm der Schweizer Tontechniker René Tinner, der der Band von der deutschen Produzentenlegende Conny Plank empfohlen wurde, den Job. Von ihm wird später noch die Rede sein.
Da zu jener Zeit nicht jedes gewünschte Gerät mit wenigen Klicks im Musikkaufhaus der Wahl erworben werden konnte, waren bei Can im Studio auch immer wieder Eigenentwicklungen im Einsatz, die sich die Band, auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten, bauen ließen. Etwa den zentral angeordneten Tisch, der Kopfhörerverstärker für alle Bandmitglieder enthielt und von Michael Zähl konstruiert wurde. Auch von ihm wird später noch die Rede sein.
Eine andere Spezialanfertigung war der analoge Multieffektprozessor Alpha 77, den sich Keyboarder Irmin Schmidt bauen ließ. Es handelt sich dabei um eine komplexe Anordnung von Modulen wie Ring-Modulator, Tape-Delay, Federhall, Chorus, Pitch-Shifter, High- und Lowpassfilter und Resonanzfilter. Hintergrund der Entwicklung: Schmidt war kein Fan der damals erhältlichen Synthesizer. Stattdessen verwendete er Orgeln und E-Pianos von Farfisa, die er dann mit dem Alpha 77 verfremdete, um die gewünschten neuen Klänge zu erhalten.
In den ersten Jahren im eigenen Tonstudio nahm die Band weiterhin direkt auf zwei Spuren auf. Das soll nach Aussagen der Bandmitglieder mit für den speziellen Sound verantwortlich gewesen sein. Alle klanglichen Entscheidungen mussten sorgfältig vorab getroffen werden. Das damalige Mischpult war eine sehr einfache Konstruktion, die lediglich die einkommenden Signale verwaltete. Der Sound entstand im Raum durch das Zusammenspiel der Musiker. Auch richtige Mehrspur-Bandmaschinen waren zunächst Fehlanzeige. Erst gegen Ende der Bandgeschichte hielt eine 16-Spur Maschine Einzug.
Das CAN-Studio (ca. 1980-2003)
Im Jahre 1978 trennte sich die Band. Das Studio wurde nun zunächst von den einzelnen Bandmitgliedern für ihre Solo-Projekte genutzt. 1980 übernahm dann René Tinner, der ehemalige Tontechniker von Can, das Inner Space Studio, nannte es in CAN-Studio um und begann es für kommerzielle Zwecke umzugestalten. Der erste große Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Noch im selben Jahr erschien das Album „Silberblick“ von Joachim Witt mit dem Hit „Goldener Reiter“, das im Can-Studio produziert wurde. Am Schlagzeug saß übrigens Can-Trommler Jaki Liebezeit. Zu den weiteren Künstlern, die von René Tinner im Can-Studio produziert wurden, gehören unter anderem KFC, Trio, Die Krupps, Marius Müller-Westernhagen, Fury in the Slaughterhouse und die Jule Neigel Band.
Mit dem großen kommerziellen Erfolg von Joachim Witts Album hatte Tinner dann die Möglichkeiten, das Studio weiter zu professionalisieren. So wurde ein großes Analogpult angeschafft, das von Michael Zähl gebaut wurde. Wir erinnern uns, der Gleiche, der auch schon früher für Can einzelne Gerätschaften gebaut hatte. Dieses Pult, genannt MZ CS-V, hatte 32 Kanäle. Jeder Kanal war mit einem aufwendigen Kanal und flexiblem Routing ausgestattet. Und ziemlich selten für die Zeit, es hatte eine eingebaute Automation, mit deren Hilfe man Lautstärke, Panorama und sogar Equalizer Einstellungen abspeichern und automatisieren konnte. Aufgezeichnet wurden diese Daten auf einem extra Computer, der wiederum mit der Bandmaschine synchronisiert wurde. Später kamen noch einmal weitere 24 Kanäle hinzu, wodurch das Pult die heutige L-Form erhielt.
Aufgenommen wurde nun durchweg auf Mehrspur-Maschinen, unter anderem eine Bandmaschine von Otari mit 24 Spuren.
Das Rock & Pop Museum in Gronau
Anfang der 2000er-Jahre, mit dem Aufkommen von MP3 und Napster, setzte ein massives Studiosterben ein. Große Tonstudios rentierten sich nicht mehr und viele Musiker begannen dank erschwinglich gewordener Technik zu Hause zu produzieren und zu mixen. Auch das Can-Studio musste die Pforten schließen. Aber Gott sei Dank endet die Geschichte des Studios hier nicht, sondern nimmt eine unverhoffte und in dieser Art und Weise wohl einmalige Wendung.
Etwa zur gleichen Zeit entsteht nämlich in Gronau, der Heimatstadt von Rocklegende Udo Lindenberg, auch auf dessen Bestreben hin, das Rock & Pop Museum. Es soll die vielfältige Geschichte der Rock- und Popkultur zeigen und Protagonisten, Artefakte und die Geschichten hinter den Songs in einer Dauerausstellung erlebbar machen.
Dieses neu gegründete Museum also kauft das komplette Tonstudio von Can auf. Alles wird penibel dokumentiert, auseinandergebaut und möglichst originalgetreu im Museum wieder aufgebaut. Und nicht nur das: In den ersten Jahren von 2007 bis 2018 wird das Tonstudio unter der Leitung von Andreas Grotenhoff auch tatsächlich weiter genutzt. Es finden Aufnahmen und Live-Auftritte statt, vorwiegend von jungen Künstlern. Im Jahre 2018 schließlich wird das Museum großflächig umstrukturiert und das Museum wandert in einen neuen Raum im Keller des Gebäudes. Leider wird dabei, auch aus Kostengründen, nicht mehr daran festgehalten, das Tonstudio als funktionierendes Ganzes zu erhalten. Sprich, es sind noch alle Geräte vorhanden und sie sind grob auch so angeordnet, wie das im Betrieb der Fall war. Aber es wird nichts mehr gewartet und es ist nichts mehr verkabelt. Außerdem ist der Raum abgeschlossen und wird nur auf Nachfrage aufgeschlossen. Ich bekam zwar ausreichend Zeit mich umzusehen, Fragen zu stellen und Fotos zu machen, aber Erklärungen und Erläuterungen gibt es momentan bedauerlicherweise keine.
Zusätzlich muss man sich klarmachen, auch wenn die Ausstellung als CAN-Studio bezeichnet wird, so sieht und erlebt man hier eher den Zustand Anfang der 2000er-Jahre, als René Tinner damit die letzten Produktionen gemacht hat. Aus der ursprünglichen Can Zeit der 70er-Jahre sind aber noch viele Erinnerungen geblieben. So unter anderem die oben erwähnten Seegrasmatratzen zur Dämmung der Wände und auch Teile der liebevoll angefertigten Stoffvorhänge mit teils psychedelischen Motiven.
Ich muss ganz ehrlich sein: Bei dem Rundgang blutete mir ein wenig das Herz als bekennender Tontechnik-Fan. Bei all den teils historischen Instrumenten, Synthesizern und Tontechnik-Gerätschaften wünscht man sich einfach, dass diese genutzt werden und weiterhin Musik damit entsteht. Ich bin mir sicher, dass der ein oder andere Leser hier sich sehnlichst das eine oder andere Ausstellungsstück ins heimische Homestudio wünschen würde. Kurator Dr. Thomas Mania, der mir bei der Führung viele Fragen beantwortete, deutete aber an, dass sich in dieser Hinsicht eventuell etwas tun könnte. Angeblich interessiert sich die Stadt Köln, Heimat der Band Can, für das Projekt und möchte es eventuell übernehmen. Hoffentlich dann in einem Zustand, der auch die aktive Nutzung der Geräte beinhaltet.
Vor allem die Hammond-Orgel und der Crumar Synthi (oder was das sein soll) müssen dringend benutzt werden. Eigentlich alles was hier steht! Zu schade für diese Instrumente. Und falls diese nicht mehr gehen, gibt es Restaurationsspezialisten. Bestes Beispiel ist unsere eigene Transinstor-Hammond-Orgel. 🙂 Ansonsten ist mir CAN „relativ“ unbekannt. Aber ich weiß, das dies eines der bekanntesten Bands des Krautrocks sind bzw. diesen maßgeblich definiert haben, wie auch Kraftwerk (s. Artikel). Arte TV-Dokus und YouTube sei Dank. Fans möchten mich entschuldigen für zweifelhafte Angaben. 😄 Tolle Bilder eines historischen Studios, wo Musik noch experimentell und vor allem etwas wert war. R.I.P. Damo Suzuki (der Sänger).
@Filterpad Ja, das ist ein Crumar. Ist nur ne kleine Auswahl von dem was da rumsteht. Ist echt ein Jammer, dass das nicht genutzt wird
@Moritz Maier Sehr sehr schade ja. 🙄 Unsere Hammond-Orgel war eigentlich auch nur noch zum wegschmeißen! Kein Ton erklang. Selbstverständlich wollte das keiner. Ein Kenner dieser Materie mit zum Teil selbstständig hergestellten Ersatzteilen machte neue eigens geprüfte Transistoren rein, eine ausgiebige Ölung und defekte Kabel wurden zusammengelötet. Jetzt schnurrt diese wieder wie ein Kätzchen. Hoffentlich weitere 55 Jahre.
@Filterpad Völlig richtiger Ansatz von euch, aber das sind halt Museumsmenschen und keine Musiker, die ticken da anders als wir, leider
Das Rack mit der Mixing-Hardware ist ja ein echter Traum aus den 80ern.
Und dann dazu die JBL 4435 – da geht die Post ab !
Die Stadt Köln hat öfters gute Ideen, die meist an der Umsetzung scheitern.
Von daher gehe ich nicht davon aus, dass Köln eine neue Heimat für das Studio wird, aber wer weiß …
@Stratosphere Als leidgeprüfter Wahl-Kölner bin ich da auch nur bedingt optimistisch 😂
@Stratosphere Zitat:Und dann dazu die JBL 4435 – da geht die Post ab !Zitat Ende
Perfekt für die Afterworkparty, nach einem „harten“ Studiotag.😉
Gruß
SlapBummPop
Schöner und gut geschriebener Bericht, vielen Dank. Bei nächster Gelegenheit werde ich einen Abstecher nach Gronau einplanen 😎
Zitat: «Mit psychedelischen Vorhängen wurde das Studio wohnlich gestaltet.»
Unter psychedelisch verstehe ich was ganz anderes als einen Flaggenteppich 😉 …
wie auch immer, schöne Equipment-Sammlung und eigentlich zu schade um im Museum zu verstauben.
Ich hatte damals das Glück, dieses Can-Studio im Rahmen der normalen Ausstellung in Groningen sehen zu können. Umwerfend faszinierende Gerätschaften. Handwerkliche Kreativität statt automatisierter PlugIns.
Ja, so in etwa haben wir uns damals das Inner Space Studio vorgestellt.