Wie man seinen Marshall in den Rechner zwängt!
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Profiling ist das Thema der Stunde. Und diese Stunde währt jetzt schon ein paar Jahre. Christoph Kemper hat den Hype losgetreten, nach und nach springen immer mehr Hersteller auf diesen Zug auf. Zuletzt kam Neural DSP mit dem Quad Cortex auf den Markt, dort nennt sich das Profiling dann Capturing, meint aber das Gleiche. Unter Zuhilfenahme technischer Raffinesse und einiger Messsignale werden reale Verstärker geklont und digital verfügbar gemacht. Mit der Amplitube Tonex Software bringt der italienische Hersteller IK Multimedia nun eine reine Software-Lösung an den Start, die keine mehr als 1000,- Euro teure Hardware mehr benötigt und den Klon des Verstärkers direkt in der Software verfügbar macht.
Amplitube Tonex – eine Übersicht über die Software
Natürlich ist es damit ungleich schwieriger, die selbsterstellten Sounds mit auf die Bühne zu nehmen, da haben natürlich Kemper und Quad Cortex definitiv die Nase vorn. Wer aber viel im Studio werkelt, kann sich über die Plug-in-Lösung freuen, die direkt in der DAW aufgerufen werden kann und somit überflüssige Verkabelungen vermeidet. Natürlich funktioniert die Amplitube Tonex Software auch standalone, so wie viele der bekannten Konkurrenzprodukte auch.


IK Multimedia ToneX MAX Download
Die Voraussetzung zur Nutzung der Amplitube Tonex Capturing Software ist natürlich zunächst einmal ein adäquater Rechner. Ob Mac oder PC spielt keine Rolle, ich teste hier aber ausschließlich die Mac-Version und zwar in der Tonex MAX-Version. Was nun noch zur Verfügung stehen sollte, ist ein Audiointerface, das über etwas mehr als einen Ein- und einen Ausgang verfügt. Mein altehrwürdiges Komplete Audio 6 der ersten Generation bringt glücklicherweise alle Voraussetzungen mit, also genügend Ein- und Ausgänge, um Gitarre, Verstärker, Mikrofone und Computer anzuschließen. Minimalanforderung sind zwei Eingänge sowie ein zusätzlicher Ausgang neben den Main-Outs. Möchte man das Capturing mit zwei Mikrofonen durchführen, sollte ein dritter Eingang zur Verfügung stehen. Hat man noch kein Audiointerface, bietet IK Multimedia sinnvollerweise ein passendes Modell an, für das man allerdings knapp 300,- Euro zusätzlich planen muss.
Wer sich das Klonen etwaiger Verstärker sparen will, kann natürlich auf die vom Werk mitgelieferten Captures zurückgreifen oder sich im ToneNET-Universum an den Captures der anderen Nutzer bedienen. Die Auswahl ist riesig und wird jeden Tag größer. Die Software selbst bietet in der MAX-Version allein schon 100 geklonte Verstärker und 50 Pedale, also eine große Spielwiese ist im Lieferumfang enthalten. Der Aufbau der Software ist recht übersichtlich, wer schon einmal eine Amplitube Software benutzt hat, kommt sofort zurecht. Neulinge dürften sich auch schnell durch die Oberfläche gewuselt haben.

Die Oberfläche der Amplitube Tonex Capturing Software dürfte Amplitube Nutzern vertraut vorkommen, Neulinge finden sich schnell zurecht
Im oberen Bereich des Fensters sieht man die Signalkette von links nach rechts, wobei der Equalizer am Anfang der Kette auch „post“ geschaltet werden kann. Gleiches gilt für den Compressor, der wahlweise vor oder hinter der Amp-Sektion platziert werden kann. Die Amp-Sektion teilt sich auf in Amp und Cabinet. Erstellt man ein eigenes Capture, werden Amp und Box automatisch getrennt und den jeweiligen Slot zugeordnet. Ein Reverb mit spartanischen Regelmöglichkeiten und fünf Algorithmen ist auch noch am Start, ganz zum Schluss folgt dann die Möglichkeit, zwei virtuelle Mikrofone vor einer virtuellen Box zu platzieren. Drei Mikrofontypen stehen zur Auswahl, ein Kondensator 414 Mikro, ein dynamisches SM57 und ein Ribbon 121. Nutzt man die integrierte Cab-Sim, wird die dem Amp eigentlich zugeordnete Box natürlich sinnvollerweise deaktiviert. Grundsätzlich ist alles mit allem kombinierbar, die Auswahl an bereits vorhandenen Amps und Boxen ist, wie oben schon beschrieben, riesig. Das birgt natürlich auch immer die Gefahr, dass man sich total verzettelt und auch irgendwann nicht mehr hört, was wirklich gut klingt. Aber, und das ist die gute Nachricht, es ist erlaubt, was gefällt. Eigene IRs können selbstverständlich auch geladen werden, wer also aus anderen Softwares oder von Fremdanbietern gute IRs auf dem Rechner hat, kann diese einfach in die Software laden.
Amplitube Tonex – der Capturing-Vorgang
Schauen wir uns mal den Vorgang des Klonens im Detail an. Ein Klick auf den Reiter „Modeler“ öffnet eine Step-by-step-Anleitung, die sicher durch den Capturing-Vorgang führt. Zunächst wird ausgewählt, ob man ein Gitarren- oder Bass-Rig erstellen möchte. Ich entscheide mich natürlich für die Gitarre und werde im nächsten Schritt gebeten, ein Setup zu wählen, das meinem realen Setup am ehesten entspricht. Zur Auswahl stehen hier fünf verschiedene Szenarien, die auf dem folgenden Bild ersichtlich sind. Auch Effektpedale können gecaptured werden, allerdings keine zeit-, phasen- oder modulationsbasierte Effekte wie Delay, Reverb, Phaser, Chorus, Tremolo etc., dafür aber umso lieber Verzerrer oder Booster.
Jedes Setup führt zu einer anderen Verkabelung, deshalb sollte man hier schon so genau wie möglich arbeiten. Aus Gründen der Schreibtischtauglichkeit entscheide ich mich dafür, einfach den gerade neben mir stehenden Carl Martin Ampster in Verbindung mit einem Carl Martin PlexiRanger zu verwenden. Da der Ampster eine DI-Lösung mit integrierter Cab Sim ist, wähle ich „Complex Rig“ aus, weil das dem Setup am nächsten kommt. Ich nutze zwar kein Mikrofon, aber der DI-Out des Ampster liefert ja quasi ein mikrofoniertes Signal. Im folgenden wird mir die Verkabelung in einem übersichtlichen Diagramm angezeigt, statt des Amps steht bei mir nun allerdings der Ampster mit seinem DI-Out im Fokus.
Die nächsten drei Fenster bitten mich, die verschiedenen Level im Capturing-Prozess zu checken und ggf. anzupassen. Das geht alles problemlos, in Fenster Nr. 3 kann sogar ein virtueller Gitarrist verschiedene Licks abfeuern, damit man in Ruhe pegeln kann. Super! Hat man die Einstellungen vollständig, startet das eigentliche Capturing. Der Vorgang dauert bei der Amplitube Tonex Software deutlich länger als bei Kemper oder Quad Cortex, aber Amplitube geht hier wohl euch einen etwas anderen Weg. Während die beiden anderen ausschließlich Messsignale durch das Setup schicken, fängt beim Amplitube Tonex nach wenigen Alien-Geräuschen ein Gitarrist auf wundersame Art und Weise an zu spielen. Hier wird vermutlich das Finetuning, das bei Kemper vom Nutzer selbst ausgeführt werden muss, vorweggenommen. Klingt auf jeden Fall nett, dem Kollegen zuzuhören. Jetzt folgt jedoch der Abschnitt „Training“. Was hier genau passiert, bleibt im Dunkeln. Dieser Vorgang dauert auch relativ lange, man kann aber währenddessen mit der Software daddeln, um sich die Zeit zu verkürzen. Zum Ende besteht die Möglichkeit, Originalsound und Capture zu vergleichen, dem zukünftigen Preset einen Skin zu verpassen und dann, so man denn möchte, es unter Angabe der verwendeten Gerätschaften auf dem Computer speichern. Ist man mit dem Ergebnis zufrieden und man hat einen ToneNET Account, kann man anderen Gitarristen das fertige Capture zur Verfügung stellen. Ich habe das einfach mal gemacht, wer die Software besitzt oder eine Testversion nutzt, kann das Capture hier runterladen. Ein direkter Vergleich zwischen dem originalen Setup und dem Capture folgt weiter unten.


IK Multimedia AmpliTube 5 SE Download
Amplitube Tonex & Amplitube 5
Wie sicher schon unangenehm aufgefallen ist, ist die Auswahl an Effekten innerhalb der Amplitube Tonex Software recht gering. Aktualisiert man aber sein eventuell bereits vorhandenes Amplitube 5 kostenfrei auf die neueste Version 5.5, erscheint in der rechten Browser-Leiste unterhalb der Amps die neue Kategorie „Tonex“. Und schon kann das eigene Capture mit allen zur Verfügung stehenden Effekten kombiniert werden.

In Amplitube 5 kann man nach einem kostenlosen Update auf die neueste Version die Tonex-Library uneingeschränkt nutzen
So klingt das Capture der Amplitube Tonex Software
Um euch den direkten Vergleich zwischen meinem Ausgangs-Setup und dem erstellten Capture zu demonstrieren, nehme ich beide Versionen ohne Umwege in Logic auf. Und gleich fällt auf, dass das Capture tatsächlich sehr gut klingt und auch die Charakteristik des Originals gut aufgreift, sich allerdings schon im Detail noch minimal unterscheidet. Ob es besser oder schlechter klingt, kann ich dabei noch nicht mal beurteilen, im Blindtest könnte ich keinen Favoriten benennen. Gemeinerweise habe ich mein kleines Setup dann noch mal parallel durch den Kemper profilen lassen. Ob man die 1000,- Euro Unterschied im Sound hört? Das Profiling beim Kemper ist tatsächlich um ein Vielfaches entspannter und geht wesentlich schneller. Letztendlich ist aber wohl der Einsatz entscheidend. Auf der Bühne haben sicherlich Original und Kemper die Nase vorn. Im Studio ist Amplitube Tonex zu einem echten Konkurrenten gewachsen. Respekt!
Wäre super, wenn die Klangbeispiele die gleiche Lautstärke hätten!
Ansonsten spannende Software.
Dem Kemper hört man mittlerweile doch an, dass er eine Generation zurück ist. Da IK Multimedia auch andere Hardware anbietet, wird hier sicher noch was folgen.
Amplitube selbst ist mir ebenfalls ein Graus…
Wurde auch mal Zeit hierüber zu berichten:)
Ich bin sehr angetan von Tonex und muss zugeben dass ich noch nichts gecaptured habe. Allerdings ist die Auswahl in Tonenet mittlerweile gewaltig und die Captures der User klingen auch besser als die von IK mitgebrachten. Hätte nie gedacht dass ich für relativ wenig Geld an so hochwertige Sounds komme. Mittlerweile sind alle anderen Amp Plug Ins eingestaubt.
Auffällig ist auch wieviele Amps derzeit bei EBay Kleinanzeigen verkauft werden….
Noch ein Tipp: mit einer NVidia Grafikkarte soll der Capturingprozess nur noch ein paar Minuten dauern da wohl die GPU mitrechnet.
Ich komm mir selbst komisch altmodisch vor, aber das spricht mich einfach überhaupt nicht an.
Die Hardware wurde mittlerweile geleaked:
https://www.thegearpage.net/board/index.php?threads/tonex-floor-pedal.2433110/
Ich nutze die SE Version und tatsächlich, die Nutzer Profiles sind modeling technisch das Beste was es derzeit gibt.