16 Overdrive- und Distortion-Klassiker in einem - das X-Drive!
Multieffekt-Pedale gibt es einige, Multiverzerrer-Pedale weniger. Der Grund? Nun, digitale Zerren haben es nicht leicht. Ein bisschen selbstkritisch blicke ich auf meinen Test des Boss OD-200 zurück, der mich damals überzeugte, den ich aber ein Jahr später in einem anderen Kontext wieder traf – und da feststellen musste, dass das Gerät so gar nicht mit dem Röhrenverstärker harmonierte. Digitale Zerren klingen also schnell künstlich, schnell unnatürlich, schnell problematisch. Viele schwören auf den Multizerrer von Elektron, aber auch mit ihm habe ich zumindest für die Nutzung bei E-Gitarre keine allzu tollen Erfahrungen gemacht. Greift man zu Verzerrer-Pedalen, setzen die meisten auf den analogen Weg – dazu zähle ich mich auch.
Was Amplitube mit dem X-Drive also präsentieren, weckt in mir erst mal keinen grenzenlosen Optimismus. Aber Fakt ist: Die Amplitube 5-Zerren sind bisweilen großartig – unser Autor Jan Steiger hat das umfassend demonstriert. Es stimmt mich also optimistisch, dass Amplitube hier ein erschöpfendes Verzerrungs-Werkzeug erschaffen haben – eins, das man in seiner Aufstellung selten auf dem Markt findet. Überzeugend? Finden wir es raus.
Amplitube X-Gear, X-Drive – Verzerrerpedal
Das X-Drive ist eine ausufernde Angelegenheit. Genaugenommen – ungesehen umfassend, für ein Distortion-Pedal. Input, Output – und daneben der Cab-Sim-Out. Das ist schon mal saftig und erfreut für Einsatz an der P.A. oder im Heimstudio. Direkt daneben wiederum der Anschluss für die Kopfhörer, dann MIDI In und MIDI Out, und im Anschluss Expression-Anschluss und USB-Port. Durch die hochwertige AD/DA-Konvertierung mit 24 Bit, 192 kHz, einem Umfang von bis zu 123 dB und einem Frequenzbereich von 5 Hz bis 24 kHz eignet sich das Gerät auch als Audiointerface – eben auch durch das Vorhandensein der Cab-Sims. Darüber hinaus gilt ähnlich wie beim X-Time: True- oder Soft-Bypass sind anwählbar, der Signalweg ist ebenfalls analog und vierfaches Oversampling soll eine besonders hochwertige Klarheit im Sound mit sich bringen. Wird sich im Praxisteil dann zeigen.
Ähnlich wie beim X-Time gibt es auch vom X-Drive eine virtuelle Version für eine problemlose Integration in euer Plug-in-Setup und auch hier lässt sich vieles auch über MIDI steuern. Der X-Drive besitzt einen zusätzlichen X-Mode, wo zusätzliche Boosting-Optionen für die jeweilige Engine zur Verfügung stehen. Ein paar Worte zum Panel:
Ein dreibandiger EQ – Bass, Mitten und Höhen – steht zur Verfügung, daneben ein Drive-Regler für das Ausmaß der Verzerrung an Verzerrung, ein Volume-Regler für Lautstärke des Outputs, dazu zusätzlich ein spezifischer Parameter-Regler, der gemacht ist, um das eigene Parameter-Set der jeweiligen Engine anzusteuern – spannend! Allein auf dem Papier verspricht das also schon mal eine viel größere Klangflexibilität und -vielfalt als es bei einem Verzerrerpedal je gab. Mit dem Regler oben links navigiert man sich durch die Algorithmen, mit dem Regler rechts oben navigiert man sich durch vorhandene Presets oder speichert einen hier ab. Drei Fußschalter bedeuten drei Sounds pro Bank, die in frech abgeguckter Strymon-Manier durchgeschaltet werden können.
Amplitube X-Drive – die Algorithmen
Also – 16 Algorithmen. Das ist für ein Verzerrer-Pedal ziemlich umfassendes Ding. Von wem haben sich IK Multimedia bei der Auswahl inspirieren lassen? Nun, wer das Plug-in kennt, weiß, nur Klassiker kommen hier auf den Tisch. Das heißt konkret:
- Modern: Transparenter Overdrive mit ordentlicher Sättigung und einem warmen Low-End.
- Orange: Nein, hier wird kein Orange Amp simuliert – sondern der BOSS DS-1, das vielleicht bekannteste Distortion-Pedal überhaupt. Vielseitig ohne Ende, originalgetreu emuliert.
- Blue: Ein Stück weit orientiert man sich hier am Blues Driver – gedacht für satte Jazz-Tones und warme Blues-Licks.
- Octofuzz: Basiert auf der MXR Blue Box Octave Fuzz Stompbox, die regelrechte Zerstörungsorgien entfesseln kann. Das Signal wird von einem zwei Oktaven tiefer liegendem Duplikat begleitet.
- Metal: Basiert auf dem Boss Metal MT-2, einen Metal-Pedal-Klassiker, das vor allem für stehendes Sustain und High-Gain geeignet ist.
- Yellow: Das Boss SD-1 war hier Vorbild. Ein krachiger, bissiger Overdrive, der für seine deutliche Attack-Verstärkung bekannt ist.
- Booster: der typische Amplitube Booster, ein starker Volume- und Harmonic-Boost, der vielfach zum Einsatz kommen kann.
- Purple: Basiert auf dem Roger Maya Octavier – eine von Jimi Hendrix verwendete Fuzz-Box, die dem Signal eine krachige obere Oktave verleiht.
- Monarch: Basiert auf dem Marshall Guv’Nor – ein 80er-Jahre Distortion-Pedal, das auch für High-Gain-Sounds geeignet ist.
- Green: Der obligatorische Tubescreamer von Ibanez – der ewige Mid-Boost, den es auf fast jedem Board gibt.
- H-Boost: Ein Treble-Booster, der geeignet ist, um dem Signal mehr Schärfe und Präsenz zu verleihen.
- Fuzz-Face: Die Arbiter Fuzz-Face-Digitalkopie. Ein Germanium-Transistor Fuzz-Vintage-Sound der obersten Güte.
- Rat: Die Emulation der ProCo Rat, eins der vielseitigsten und beliebtesten Distortion-Pedale überhaupt, das in allen möglichen Genres zum Einsatz kommt.
- Diode: Basiert auf dem MXR Distortion Plus, der wie dafür gemacht ist, um den Amp in mittlerer Zerrstufe komplett eskalieren zu lassen.
- Crush: Eine Samplerate-Zerre – ganz im Sinn klassischer Bitcrusher-Sounds und dadurch wie gemacht für besonders hässliche und kaputte Zerrsounds.
- Big-Fuzz: Basiert auf dem EHX Big Muff-Pi – gutes Sustain bei heftiger Kompression. Nicht ohne Grund eines der beliebtesten Fuzz-Pedale überhaupt.
Also – im Grunde hat IK Multimedia hier tatsächlich was Neues gemacht. Echte Digitalkopien von bekannten Klassikern in Pedalmontur rausgebracht. Ist das revolutionär? Na ja, soweit wollen wir mal nicht gehen. Aber wenn die Sounds passen, ist das Gerät zweifelsfrei ein enorm vielseitiges Verzerrer-Schweizer Taschenmesser.
Die Sounds des Amplitube X-Drive in der Praxis
Also – wir speisen die Sounds direkt ein in unser Audiointerface, nehmen aber ein paar der Engines über den Laney Combo auf, um das Verhalten der Algorithmen mit echter Röhre zu überprüfen.
Die Klangbeispiele sind zum Teil in Mono, zum Teil gedoppelt und in Stereo aufgenommen worden. Also – was lässt sich grundsätzlich zum Klangbild sagen? Durchwachsen. Sagen wir wie, es ist – IK Multimedia haben auch hier nicht mit dem Fluch digitaler Zerren gebrochen. Das heißt nicht, dass der Klang per se schlecht ist – muffig oder gar undynamisch geht anders. Und es ist schon bemerkenswert, wie nahe man zum Teil am Original ist – speziell bei den Boss-Geräten. Da habe ich auch den Schwerpunkt gelegt. Aber erst mal zur ProCo Rat – klingt! Kann man machen, reproduziert glaubwürdig den gleichen dreckigen und zum Teil auch sehr rauen Sound der Rat.
Das Boss SD-1 ist ein ganz eigenes Biest – irgendwie transparent, mit ordentlichem Treble-Boost und vor allem auch sehr dynamisch und sensitiv. Beim zweiten Beispiel experimentieren wir mit der Lautstärke der Strat – übrigens wechseln wir, je nachdem, was dem Klangbild besser zu Gesicht steht, mal zwischen Coil und Humbucker. Der eigenwillige Charakter des SD-1 wird hier authentisch eingefangen.
Der Distortion-Klassiker Boss DS-1 ist in fast jedem Untermenü eines jeden Multieffektpedals vorzufinden – meistens gut genug emuliert. Gilt auch hier – der krachige Zerrsound, der unzählige Parts inspiriert hat, ist hier spürbar. Ich hatte den DS-1 selbst oft unter dem Fuß und stelle fest, dass sich hier ein ähnliches Feeling und eine ähnliche Response entfalten.
Der Tubescreamer mit leicht zurückgedrehtem Mix – das funktioniert passabel. Nichtsdestotrotz kommt das Gerät hier der digitalen Zerrenästhetik gefährlich nahe. Nicht ideal.
Das Fuzz Face – mein liebster Fuzz-Sound – kommt dem Original am ehesten nahe, wenn man die Kompression ordentlich hochfährt. Hat ein bisschen gedauert, diesen Sound reinzukriegen. Davor war das Klangbild zum Teil erschreckend harsch und unnatürlich.
Bei der Purple-Engine handelt es sich um den einzigen richtigen Reinfall meines Erachtens. Auch nach langem Rumprobieren ist es nicht möglich, hier einen glaubwürdigen und sympathischen Sound rauszuholen. Es klingt künstlich, unnatürlich und ist fast unbrauchbar. Merkwürdiger Fehlschuss.
Auch hier zeigt sich wieder, am besten sind IK Multimedia die Boss-Modelle gelungen. Auch in diesem Falle, der Blues Driver klingt warm, authentisch und springt angemessen authentisch auf die Coils meiner Godin HSS Stratocaster an.
Der Mid-Scoop-Charakter des Big Muff Pi wird hier im Kern gut eingefangen, kommt aber meines Erachtens hier wirklich nicht in die Nähe der echten, analogen Klangkraft des Originals. Klingt dann doch ein Stück weit zu künstlich, zu bemüht.
Um zu demonstrieren, welchen Effekt die Cab-Sims haben, nehmen wir den Big Muff Pi und jagen ihn durch die einzelnen Gitarren-Cabs sowie die Bass-Cabinet für einen sehr Kyuss-artigen Sound. Hier zeigt sich, dass das keine Mogelpackung ist und die Responses allesamt sehr unterschiedlich ausfallen und unterschiedliche Frequenzbereiche hervorheben.
DISCLAIMER: Der Amplitube X-Drive wird von uns noch mal ausgiebig mit einem richtigen Verstärker in einem ergänzenden Test demonstriert.
Gut, dass da noch ein Test am echten Amp kommt. Ich finde es relativ sinnlos, einen Verzerrer ohne Amp und Cab-Simulation ins Interface zu spielen. Dafür ist das Teil nicht gebaut.
Allgemein würde ich sagen, dass es ein besseres Investment ist, z. B. einen Line6 Pod Go zu kaufen. Ist wesentlich günstiger als 2 von den Amplitube-Pedalen. Da hat man alle Effekte drin, nicht nur Verzerrer und die Klangqualitär wird auch nicht schlechter sein – wobei ich es nicht getestet habe. Das ist nur eine Vermutung
Sind die Klangbeispiele direkt ins Interface aufgenommen worden? Also Pedal + Cabsimulation, aber ohne Amp in der DAW? Dafür klingen die Beispiele noch OK, wenn auch sehr farbarm. Macht doch auch mit analogen Pedalen keiner, da kann ich doch gleich Amplitube als VST benutzen.
Die Tests dieser Multifunktionsgeräte kranken auch immer daran, dass uns jeweils von jedem Algorithmus immer nur eine Einstellung präsentiert wird. Beim Bluesdriver habe ich den direkten Vergleich, das ist eines der variabelsten Brot-und Butter-Pedale, das ich kenne und ab 2-3 Uhr ein wunderbare vitales Distortion-Pedal mit ein bischen Fuzz drin. Die Amplitube-Interpretation klingt einfach nur müde und ich weiß jetzt halt nicht, ob das mit mehr Gain besser wird.
Für 349 Euro bekomme ich außerdem schon eine Handvoll der Original-Pedale und die harmonieren auf jeden Fall mit einem Amp.
Hi Hein,
genau – ich habe mit dem Gedanken gespielt, einen digitalen Amp zur Hilfe zu nehmen, aber beließ es dann bei den integrierten Cab-Sims des Pedals um sicherzugehen, dass sich der Klangeindruck nicht vermischt. Ideal ist das nicht, aber deshalb erfolgt auch noch ein Amp-Test.
@Dimitri Ich denke, insbesondere Track 7 „X-Drive Blue“ macht wenig Hoffnung, daß es mit einem Amp hinter dem Pedal dynamischer geht… Wenn schon ein nur leicht angezerrter Clean-Klang die Dynamik aus der Gitarre wegkomprimiert bekommen hat, dann erfindet der Amp auch keine mehr hinzu – genauso wenig, wie ein Weltklasse-Amp einem minderwertigen Pickup dies beibringen kann.
Das ist ja das Problem der Zerr-Algorithmen unterhalb der Preisklasse „Kemper & Consorten“: Der einzelne Ton klingt toll, aber die Abfolge der Töne hat keine Dynamik mehr und klingt, wie es Dimi im Fazit sagt, „zu seltsam in der Sensitivität“.
Also ich meckere ja selten so richtig über ein Testgerät, aber ich hoffe wirklich sehr, dass der Test über einen Verstärker besser klingt als das, was hier die Hörbeispiele hergeben. Das Teil klingt ja fürchterlich! Und das bei dem Preis. Ich habe früher mal die Software-Variante besessen und auch selten genutzt.
@Markus Galla Na wenn das Teil direkt ohne Amp ins Interface aufgenommen wurde, kann es nicht gut klingen
Hallo Dimi,
zwei Anregungen zu Deinem Test:
– Man könnte den Effekt mal A/B vergleichen mit dem VST-Plugin vom Amplitude (sofern vorhanden).
– Big-T bietet den Service „Stompenberg“ an, mit dem man eine Audiodatei über das Originaleffektgerät laufen lassen kann. Dann könnte man sehen, wie stark beispielsweise die Tubescreamer-Simulation von einem echten Tubescreamer abweicht.
Wie weit man den Vergleich treibt, kann man dann sehen. Analytisch könnte man eine Spektralanalyse machen, aber wahrscheinlich reichen einfach zwei Audiodateien, die man vergleichend (ggf. auch ineinander verkämmt) laufen lässt.
Mit Formulierungen wie „Klingt dann doch ein Stück weit zu künstlich, zu bemüht.“ kann ich nicht so viel anfangen: Digitaltechnik bemüht sich nicht, sondern sie modelliert einfach eine analoge Schaltung. Und das kann sehr gelungen oder komplett daneben sein.
Und die Künstlichkeit ist vielleicht völlig subjektiv ;-)
Gruß
Fredi