Fluch und Segen zugleich!
Das Bastl Thyme+ ist ein digitales Tape-Echo, ein Sound-Prozessor und ein Stereo-Delay der ganz besonderen Art. Es bietet ganze neun veränderbare Parameter mit umfangreichen Modulationsmöglichkeiten, vier virtuelle Wiedergabeköpfen und einer schier unendlichen Komplexität für digitale Tape-Echo-Effekte. Der Nachfolger des Bastl Thyme aus dem Jahr 2018 mit dem Zusatz „Plus“ wird Interessenten des Vorgängermodells sicher aufhorchen lassen.
Inhaltsverzeichnis
Worum geht es beim Bastl Instruments Thyme+?
Wer jetzt denkt: „Ah also, ein komplexeres Roland 201 Tape Echo“ liegt so falsch, wie man überhaupt liegen kann. Denn außer „Tape“ und „Echo“ ist hier alles anders. Zunächst hat man mit dem Thyme+ nicht den Anspruch an ein Vintage-Tape-Echo-Effektgerät, sondern man fokussiert sich auf die Moderne: EDM, Techno und experimentelle Musik – das ist die Komfortzone des neuen Bastl Effektgeräts.
Wie bei klassischen Delay-Effekten, kann man natürlich auch beim Bastl die Bandgeschwindigkeit (Pitch) und die Positionen der (virtuellen) Leseköpfe verändern (Echo Timing), aber das Thyme+ bietet so viel mehr. Jeder Parameter kann manuell verändert werden oder mit einem LFO „Roboter“ moduliert werden. Dazu stehen die verschiedensten Schwingungsformen zur Verfügung.
Wenn man möchte, dann kann man mit dem Thyme+ auch Musik machen: Mit Hilfe des Karplus-Strong-Algorithmus hat man die Möglichkeit einer Klangsynthese, die besonders geeignet ist, um den Klang von Saiteninstrumenten zu simulieren. Der patentierte Algorithmus wurde 1983 im Computer Music Journal von Kevin Karplus und Alex Strong vorgestellt.
Zur Ausstattung und Bedienung des Bastl Thyme+
Zuerst muss man die „Freeze“-Funktion der Knöpfe verstehen. Jeder Drehregler hat ein grünes Dimm-Light, das erst dann aktiv ist, wenn das Poti „erwacht“. Erst wenn man den Regler schnell hin und zurück dreht (oder langsam dreht, bis das Licht heller wird), dann wird die Funktion aktiv. Dies soll verhindern, dass man im Eifer des Gefechts etwas verstellt und dann nicht wieder findet – und glaubt mir: einmal die Thyme+ Parameter verstellt und ihr findet nie wieder zurück…
Die Funktionen der zweiten Ebene sind auf der Oberfläche in Silbergrau dargestellt und können nur über den Shift-Button erreicht werden. Eine tiefere Funktionsebene hat der Thyme+ (Gott sei Dank) nicht.
Alle Funktionen zu erklären, würde den Umfang des Testberichtes sprengen und die wesentlichen Features sind identisch mit dem Vorgänger Thyme (ohne Plus), den unser Autor Thilo Goldschmitz bereits im Jahre 2018 getestet hat.
Neu ist bei der Plus-Version unter anderem, dass es endlich zwei Eingänge für den Betrieb gibt:
- Rechts: Mono oder Stereo rechts
- Links: Stereo oder Stereo links
Der Vorgänger hatte da nur eine Stereo-Input-Buchse (Klinke). Dazu hat der Thyme plus (ebenfalls) CV In, MIDI Clock In, eine Buchse für einen Fußschalter, MIDI In und die beiden Ausgänge – ebenfalls als Mono und Stereo ausgeführt. Die Stromversorgung findet über ein externes Netzteil statt. Die Buchse dazu ist leider nicht verriegelbar.
Dies sind die Parameter, die wir mit dem Bastl Thyme+ bearbeiten können:
- Tape Speed
- Delay Coarse
- Delay Fine
- Feedback
- Filter
- extra Heads Spacing
- extra Heads Levels
- Dry Wet Mix
- Volume
Einmal eingestellt, können diese Parameter abgespeichert werden. Dazu bietet der Bastl 8 Presets in 8 Bänken, also insgesamt 64 Speicherplätze. Da der Bastl Instruments kein Display hat, sollte man schon im Vorfeld genau Buch führen, um die einmal gewonnenen Einstellungen auch wiederzufinden.
Zur Programmierung des Sequencers stehen die üblichen Tasten Select, Write und Play mit der Doppeltbelegung (über Shift) Save, Copy und Paste zur Verfügung.
Das Gerät bekommt man entweder über MIDI oder per Tap-Taste in den Clock-Sync. Die immer wieder erwähnten „Robots“ sind unabhängige Modulationsquellen in Form von LFOs (Low Frequency Oscillator). Es gibt neun unterschiedliche Schwingungsformen, die über die Preset-Tasten ausgewählt werden können und alle können gleichzeitig laufen! Somit gilt also: Robot (Schwingungsform) auswählen, den Robot-Button gedrückt halten und den gewünschten Parameter-Regler (Tape, Speed, Coarse, Fine, Feedback, Filter, Levels, Spacing, Mix und Volume) bewegen. Amount definiert die Intensität der Robot-Modulation und Rate setzt das Tempo der Modulation.
Und natürlich kann man per Sync-Button die Modulation zum Rhythmus anpassen. Oder wie wäre es, die Robot-Polarität zu ändern, einen Stereo Robot zu platzieren, die Robot-Phase zu verändern und eigentlich auch alles den Zufall zu überlassen (Robot Randomisation). Und neben vielen anderen Optionen und Kombinationen können wir den Robot auch über CV steuern.
Der Bastl Thyme+ in der Praxis
Es stellt sich bei längerer Bedienung heraus, dass man beim Thyme+ zwar grundsätzlich klassische Tape Echo Parameter abspeichern kann, aber bei diesem Gerät ergibt das wenig Sinn. Erst wenn man verstanden hat, dass der Thyme+ ein „Effekt-Instrument“ ist und die Einstellungen nur für den einen Input/Track passen, der wird mit dem Gerät gut zurechtkommen und viel Spaß haben. Es wäre schade, wenn man „nur“ an der Delay-Zeit und dem Tape Speed herumspielt – erst mit den digitalen Effekten kommt der Spaß und so wird aus beispielsweise einer Drummachine, einem Arpeggio und dem Thyme+ eine echte Klanglösung, bei denen Klangbilder gefunden werden können, die man mit anderen Geräten so kaum hinbekommt.
Trotzdem mag die Bedienung manchem Anwender nicht sehr intuitiv erscheinen. Einige Regler machen genau das, was sie laut Bezeichnung sollen und bei anderen Reglern beginnt das System sich irgendwie zu verselbständigen. Wenn man dann länger darüber nachdenkt, wird einem das Verhalten des Thyme+ schon klar, aber es fällt definitiv schwer, geplante Klangbeeinflussung vorzunehmen, denn irgendein anderer Parameter mischt sich dann schon wieder ein.
Klar, wer das Gerät Wochen und Monate im Betrieb hat und sich tief damit beschäftigt hat, der wird mehr und mehr zu den gewünschten und erhofften Ergebnissen kommen. Aber in einem Live-Setting sehe ich den Bastl nur, wenn man auch genug Spielraum für Experimentelles hat. Ein vorher an der Drummachine sorgsam gebauter Rhythmus kann mit dem Thyme+ schnell zu einem Polyrhythmus mit mehreren Schichten werden.
Bevor ich zu meinen Klangbeispielen komme, ist es mir wichtig, dem Bastl Thyme+ auch wirklich gerecht zu werden:
Bist du ein Klangtüftler, liebst du Überraschungen im Track und hast auch kein Problem damit, dich wirklich tief in den Thyme+ einzuarbeiten, dann wirst du damit über viele Jahre Spaß haben. Die Lernkurve ist steil, wie das Matterhorn und eine schöne Aussicht gibt es erst nach langer Plackerei. Dafür lässt einen das Ergebnis dann immer wieder schmunzeln. So habe ich an „irgendeinem“ Regler gedreht und aus einer Snare wurde eine richtige Explosion. Spacing, Fine und Feedback ergeben ganz wunderbare komplexe Tape-Effekte, die mit dem Ursprungsmaterial nur rudimentär zu tun haben. Und mit dem Sequencer spielt das schwarze Kästchen plötzlich eine Art „Eigenkomposition“.
Wer hier mehr auf Planung und Struktur setzt, der wird das Gerät nach wenigen Tagen entnervt wieder zurückschicken. Denn neben der Quickstart-Anleitung mit der rudimentären Erklärung der Funktionen, gibt es auch das Handbuch mit 60 Seiten auf Englisch: für ein Tape-Echo Effektgerät wohlgemerkt! Dieses ist immerhin reich bebildert und erläutert die Features sehr anschaulich – ein wenig Englisch-Kenntnisse vorausgesetzt. Alleine die Bedienung des Sequencers umfasst im Handbuch sieben Seiten.
Deshalb empfehle ich dringend die Video Tutorials bei YouTube:
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Bastl Thyme+ Klangbeispiele
Ich habe die Klangbeispiele so benannt, dass ersichtlich ist, welchen Regler ich bedient habe.
Das erste Beispiel ist der einfache Beat, den ich mit meinem Roland MC-707 (Roland 808) erstellt habe und dann kommen eine Reihe der Bastl Thyme+ Funktionen.
Die folgenden Beispiele sind nicht additiv: Ich habe jedes Mal (wenn es sinnvoll ist) die vorher demonstrierte Funktion wieder zurückgedreht:
Ja, ich muss dem lieben Herrn Goldschmitz bei seinem Test aus dem Jahre 2018 Recht geben: Der Thyme+ ist ein sehr digital klingendes Gerät. Und einmal über die digitale Sättigung hinausgedreht, sind die Artefakte und Verzerrungen sehr extrem. Aber auf der anderen Seite sind wir jetzt schon viele Jahre weiter und heutzutage klingen viele Beats in den Technohallen dieser Welt genau so! Krass, heftig, extrem. Wer auf Hard-Techo steht, dem sei der Bastl Instruments Thyme+ wärmstens ans Herz gelegt. Aber auch mit sanfteren Settings kann der Bastl sehr interessante Klänge von sich geben.
Zitat: Aber auf der anderen Seite sind wir jetzt schon viele Jahre weiter und heutzutage klingen viele Beats in den Technohallen dieser Welt genau so! Krass, heftig, extrem.
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Echt jetzt? Ich würde eher sagen diese LoFiPhaseBitcrusherDelays sind durch, gerade auch für solch aufgerufenen Preis. Manch unerklärlicher Überraschungsfaktor entpuppt sich nicht als Gütesiegel, eher als stundenlanger Hemmschuh. Auch gibts PlugIns diesbezüglich bis zum abwinken, meist für lau.
@Anjin Sun Gestern habe ich einige Isra-Trance Videos von Produzenten geschaut und ich war doch sehr überrascht, wie modern die mit alten Methoden klingen. Drops und Riser werden tatsächlich noch per Hand an einem Roland Tape Echo geschraubt. Überhaupt war ich vom Einsatz von Hardware sehr überrascht, klingt vieles seit den Ende der 2000er doch sehr nach ITB. Überhaupt waren da sehr viele Live Elemente drin. Am MS-10, Nordlead, Virus oder SH-101 schrauben und mit Delay bearbeiten und recorden bis es passt. Keine Automation in Ableton wie ich vermutet hätte, das kommt erst viel später. Was ist denn dein bevorzugtes Delay? Mir persönlich ist der Thyme nicht zugänglich genug und was rauskommt ist für den Preis nicht ok, da bin ich bei dir.
@Kazimoto @Was ist denn dein bevorzugtes Delay?
Outbox momentan Merris LVX – Inbox variiert sowas permanent, auch in der Reihenfolge, kommt auf das gewünschte Ergebnis an.