Solid State is not dead yet!
Wir befinden uns im Jahr 2021 – die gesamte Szene aus dem Verstärkerbereich forscht, entwickelt und überhäuft uns mit neuen, luxuriös ausgestatteten Röhren-Monstern und DSP-Amps mit unzähligen Funktionen, Effekten, Sounds und nie dagewesenen Möglichkeiten. Und was macht die Firma Behringer? Stellen die doch auf der NAMM 21 knallhart eine Reihe von Transistorverstärkern vor und nehmen uns damit zurück auf eine Reise in die 90er, in denen die sogenannte „Solid State Technology“ einen Großteil der angebotenen Verstärker vor allem im unteren Preissegment bestimmte und speziell deren Overdrive-Sounds damals gerne mal von bösen Zungen mit dem Klang eines Rasierapparats oder einer Kreissäge in Verbindung gebracht wurden.
Das mit dem unteren Preissegment trifft auch auf die drei neuen Combos der HA-Serie von Behringer zu, die in Abstufungen von 10, 20 und 40 Watt erhältlich sind und vor allem Anfängern einen günstigen und einfachen Einstieg ermöglichen sollen. Wir haben uns zum Test mal das größte Modell zukommen lassen – ein 40 Watt Combo mit zwei Kanälen, 10″ Lautsprecher, wenige aber dafür sinnvolle Anschlüsse zum Üben und Jammen und zudem mit einer echten Federhallspirale ausgerüstet!
Behringer HA-40R – Facts & Features
Mit den Maßen von 420 x 425 x 220 mm und einem Gewicht von genau 10 kg kann man den HA-40R sicherlich als kompakten Vertreter seiner Bauart bezeichnen. Das mit schwarzem Tolex beklebte Gehäuse besitzt an jeder Kante einen Schutz, während ein ausreichend dimensionierter Griff auf der Oberseite für einen sicheren Transport sorgt. Die vier Gummifüße auf der Unterseite halten den Amp auch auf rutschigem Untergrund stets sicher in seiner Position und schonen zudem den Bodenbelag beim Einsatz zwischen Wohn- und Schlafzimmer.
Die gut zu einem Drittel geöffnete Rückwand zeigt einen guten Blick auf den verwendeten Lautsprecher, bei dem verbauten Typ handelt es sich um einen 10″ Custom Speaker aus dem Hause Bugera – der Gitarrenverstärkersparte von Behringer. Da stellt sich zwangsläufig früher oder später die Frage, wieso der Hersteller trotz des Erfolges seiner Gitarren-Amps aus eigenem Hause dennoch eine eigene neue Serie von Gitarren-Combos mit dem Behringer-Logo präsentiert. Und das, obwohl Bugera selbst in dieser niedrigen Preisklasse noch liefern kann und das zumeist sogar mit Röhrentechnologie im Schaltkreis.
Abgesehen von der Netzsteckerbuchse sowie einem Anschluss für eine zusätzliche Lautsprecherbox gibt es an der Rückseite nichts weiter zu entdecken. Alle übrigen Buchsen, Regler und Schalter sitzen auf dem Bedienpanel – und das schauen wir uns nun an.
Zwei Kanäle und Dreiband-EQ
Die Bedienung des Behringer HA-40R gestaltet sich kinderleicht und absolut intuitiv, ein Blick in das mitgelieferte Handbuch dürften nur die wenigsten benötigen. Der Amp ist zweikanalig aufgebaut, die Auswahl zwischen Clean- und Overdrive-Channel erfolgt über einen kleinen Schalter, der ganz links auf dem Bedienpanel sitzt und zusammen mit einer grün leuchtenden LED die Aktivierung des Overdrive-Channels signalisiert. Alternativ kann zum Wechseln der Kanäle auch ein Fußschalter benutzt werden, die dafür vorgesehene Buchse sitzt wiederum ganz rechts in unmittelbarer Nähe des Netzschalters. Hier genügt ein einfacher Fußtreter mit Monoklinkenkabel, um beim Kanalwechsel die Hände freizuhalten. Im Gegensatz zum Overdrive-Kanal mit seinen Reglern für Gain und Lautstärke besitzt der Clean-Channel lediglich ein Volume-Poti, beide Kanäle nutzen einen Dreiband-EQ mit Bässen, Mitten und Höhen zur Abstimmung des Klangs.
Sämtliche Potis hinterlassen einen guten Eindruck, sie wurden fest mit dem Gehäuse verschraubt und bieten einen idealen Widerstand beim Drehen. Darüber hinaus wurde das Bedienpanel ausreichend tief in das Gehäuse eingesetzt, sodass bei einem Sturz nach vorne eigentlich nichts passieren sollte.
Sinnvolle Anschlüsse
Ebenfalls für beide Kanäle steht ein Reverb-Effekt bereit, der auf Basis eines Federhalls arbeitet. Weitere Effekte, vor allem die aus der Modulationsabteilung, können nicht eingebunden werden, dazu fehlt es schlicht am nötigen Effektweg. Bei der angepeilten Zielgruppe von Anfängern und/oder Einsteigern ist dieser Umstand aber zu verschmerzen, die profitieren dafür von einem Trio aus Miniklinkenbuchsen, mit denen sich der HA-40R vor allem beim Üben sinnvoll einsetzen lässt. Zu diesem Trio zählt ein AUX-In, etwa zum Einspeisen von Backing-Tracks, ein Kopfhöreranschluss für ungestörtes Üben oder aber ein Line-Out, mit dem das Signal der Vorstufe zur weiteren Bearbeitung abgenommen werden kann.
Behringer HA-40R – ein Zwischenfazit
Bevor wir zum Praxis-Check kommen, zunächst ein kleines Feedback hinsichtlich der Verarbeitung und den Features, die uns der HA-40R bietet. Trotz des sehr günstigen Preises von nur wenig über 100,- Euro kann die Verarbeitung des kleinen Combos überzeugen. Der grob strukturierte Tolex-Bezug und die Kantenschoner sollten dem Amp auch bei groberem Umgang über Jahre ausreichend Schutz bieten, zudem sorgt ein robuster Bespannstoff auf der Vorderseite für die Sicherheit des dahinter sitzenden Bugera-Speakers. Hinsichtlich der Ausstattung hat Behringer an alles gedacht, um den HA-40R zum idealen Sparringspartner zum Üben zu machen und den Verstärker mit AUX-In, Line Out und einem Kopfhöreranschluss ein paar sinnvolle und wichtige Features mit auf den Weg gegeben. Wünschenswert wäre lediglich ein Effektweg, um vielleicht mal ein Delay oder ein Hallpedal sinnvoll im Signalweg unterzubringen. Aber hier muss der eingebaute Federhall wohl ausreichen, zumindest der macht seinen Job aber erstaunlich gut! Und damit ab in den Praxisteil.
Der Behringer HA-40R in der Praxis
Mit einem dezenten Knacken nach Drücken des Netzschalters nimmt der Behringer HA-40R seine Arbeit auf. Positiv fällt zunächst das geringe Rauschen auf, da hätte ich aus meiner Erfahrung heraus wahrlich Schlimmeres erwartet. Wie erwartet hingegen präsentiert sich der Clean-Channel mit einem strahlend sauberen und höhenreichen Klangbild, das auch dann nicht verschwindet, wenn man den Amp etwas lauter spielt bzw. das Volume-Poti auf jenseits der 12-Uhr-Marke gedreht wird.
Überraschend gut klingt der Federhall, der dem Sound eine gewisse Prise Vintage-Touch hinzufügt, dem hingegen reißt der Dreiband-EQ keine Bäume aus: Nicht nur dass die Klangregelung etwas leblos wirkt, auch arbeiten die Potis nicht linear auf ihrem Regelweg. Das bedeutet zum Beispiel, dass der Bassregler sein komplettes Pulver bereits im ersten Viertel verschießt oder aber der Höhenregler im oberen Teil seines Wegs urplötzlich stark die Höhen fast bis zum Kratzen anhebt.
Kratzen ist ein gutes Stichwort, denn das beschreibt den Klang des Overdrive-Kanals leider recht gut. Auch wenn Behringer mit ihrer „VTC Tube Modeling“ Technologie versuchen, dem HA-40R die (warme) Seele eines Röhrenamps einzuhauchen – das Ergebnis kann leider nicht besonders überzeugen. Das typische Kratzen einer Solid-State-Schaltung ist hier unverkennbar wahrzunehmen, da hilft nur das Absenken der Höhen für einen akzeptablen Overdrive-Sound, der dann natürlich nicht mehr ganz so offen und frisch klingen kann. Ich sage bzw. schreibe an dieser Stelle ganz bewusst „Overdrive-Sound“, denn die Gain-Reserven des Zerrkanals reichen bei Weitem nicht aus, um ihn als Distortion-Kanal zu bezeichnen. Nicht absprechen kann man dem Amp insgesamt eine gewisse Dynamik, die sich besonders im Overdrive-Kanal bemerkbar macht und Nuancen im Spiel des Musikers gut rüberbringt. Hier scheint die „VTC Tube Modeling“ Technologie dem Signal wohl doch unter die Arme zu greifen.
Behringer HA-40R – Klangbeispiele
Für die folgenden Klangbeispiele habe ich eine Music Man Silhouette Special benutzt, vor dem Verstärker wurde ein AKG C3000 Mikrofon platziert und das Signal schließlich in Logic Audio ohne weitere Effekte aufgezeichnet.
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Also nach Rasierapparat oder Kreissäge klingt das jetzt nicht gerade – da gibt es aus den 70/80ern schlimmeres zu hören.
Der Amp klingt jetzt nicht besonders anders als andere Transistorverstärker von Marshall, Fender usw.
Der größte Schwachpunkt scheint hier der Speaker zu sein.
@harrymudd Für den Preis klingt der doch völlig in Ordnung. Für bessere Distortion und feiner regelbarem EQ hänge ich halt die für mich passenden Pedale davor.
Mich stört eher der fehlende Effekt-Loop.
@harrymudd ich habe mir mal die Mühe gemacht und etwas praxisnähere Soundbeispiele auf YT gesucht:
https://www.youtube.com/watch?v=QeFLeagtzGw
IMHO klingt das ganze hier schon etwas anders – nur der Direct Out ist suboptimal.
Also als Einsteigeramp für 129 Euronen? Und dann nur einen Stern? Ich versteh die Welt gerade nicht…
@harrymudd Zumal z.B. verschraubte Potis und 40 Watt in dieser Preisklasse sonst nicht zu haben sind. Und ich habe bis heute noch keinen Amp gehört, dessen Direct Out mich überzeugt hat. Selbst ein preiswertes Mic + Stativ führt da zu besseren Ergebnissen.
Warum dem Overdrive nicht wenigstens eine kleine Tonblende spendieren , damit wäre das Gerät viel praktischer zu verwenden .
Aber die Kopfhörerbuchse als Miniklinke auszuführen ist wirklich gar nicht toll und ganz besonders unpraktisch .
@Killnoizer Warum – die meisten Kopfhörer haben heute doch 3,5mm Klinken…