Die Bedienung des Black Lion Audio Seventeen
Wer sich wundert, dass mit einem Rechtsdreh des Attack-Reglers die Transienten verschwinden, dem sei gesagt, dass man sich auch hier am ursprünglichen Layout des 1176 orientiert hat. Attack und Release nehmen im Uhrzeigersinn ab. Einmal daran gewöhnt, erhält man die Möglichkeit, sehr granular auf den Kompressionseffekt Einfluss zu nehmen. Als FET-Kompressor ist der Seventeen extrem schnell und man kann seinen Attack schon ab 20 Mikro(!)sekunden regeln – das sind 0,00002 Sekunden. „Normale“ VCA-Kompressoren starten meist im Millisekundenbereich, also um den Faktor 1.000 langsamer. Das merkt man in überraschend vielen Klangbeispielen, wo man zunächst keine klassischen Transienten vermutet. So kann man das „Hochfahren“ der VCOs der Moog Mother 32 sehr genau kontrollieren und auch die erwähnten Kicks aus einem Drumsynthesizer haben plötzlich einen klar getrennten Transienten- und Sustain-Anteil. Es macht Spaß, mit so einer Klanglupe zu arbeiten.
Hier sind vier Tonfolgen der Mother 32 (Ratio 1:12):
- Ohne Kompression
- Mit minimalem Attack
- Mit 50 % Attack
- Mit 100 % Attack
Auch hier bitte mit Kopfhörern oder guten Monitoren abhören.
Man hört, wie sich das Einschwingen des VCOs beim Moog verändert: bon einem transientenreichen Hochfahren bis zu einem knackigen Klack-Geräusch.
Nun drei Tonfolgen aus dem DigiClavier der MOD-7 Engine des Korg Kronos (Ratio: 1:12)
- Mit minimalem Attack
- Mit 100 % Attack
- Mit 50 % Attack
Hier auf den Anschlag des Tonabnehmers am Anfang des Tons achten. Je nach Attack ist er kaum, deutlich oder moderat hörbar.
Abschließend für den Attack: eine Steelguitar (Ratio 1:12)
- Mit minimalem Attack
- Mit 50 % Attack
- Mit 100 % Attack
Man hört deutlich, wie sich das Zupfgeräusch mit unterschiedlichem Attack verändert.
Die Beispiele sind alle drei mit einer Ratio von 1:12 und 50 % Release gemacht worden. Trotz des hohen Attack-Wertes klingen die Beispiele rund und musikalisch.
Der Release-Range geht von 50 bis 800 Millisekunden – ein sehr brauchbarer Bereich, um den Sustain gut von den Transienten zu isolieren und wunschgemäß zu pegeln.
Ein einfacher Flügelklang (Korg Kronos, Berlin Grand) macht die Wirkung des Release sehr deutlich (Ratio 1:12):
- Release minimal
- Release 100 %
- Release 50 %
Man höre auf den „Bauch“ nach dem Anschlag, der zuerst sehr kurz ist, da der Kompressor schnell eingreift. Mit maximalem Release ist der Bauch lang und voll und bei 50 % sehr harmonisch.
Für mich gewöhnungsbedürftig ist das VU-Meter, das anders als LED-Ketten recht träge reagiert. Aber nach einiger Praxis versteht man ganz gut, wie die Kompression arbeitet und kann das visuell abgleichen. Und hier gleich die nächste Erkenntnis: Auch bei harter Dämpfung behält der Black Lion die Kontrolle. Das „Klacken“, das man bei vielen anderen Kompressoren hört, wenn im Hard-Knee-Modus die Peaks gestaucht werden, haben beim Seventeen noch genügend Luft und Kontrolle, so dass lange kein Eindruck von Clipping entsteht. So kann man die Lautheit des Mixes über einen weiten Bereich erhöhen, ohne dass der komprimierte Strip hart wird und nervt.
Die Ratio-Einstellung über 4 Schalter klingt zunächst simpel, erscheint aber irgendwie auch wie ein Mysterium. Auf Anfrage haben Christian Leger vom deutschen Vertrieb (Audiowerk) und sogar Nate Bierdeman, CEO von Black Lion Audio, mir eine Erklärung geliefert. So ermittelt der Kompressor beim Kombinieren der Ratio-Schalter den Threshold und Ratio der einzelnen Einstellungen auf nichtlineare Weise, d. h. 4:1 + 8:1 ergeben nicht 12:1, sondern einen höheren Wert in der Nähe von 14:1 und dabei wird dann der Threshold auf einen niedrigeren Wert als bei 14:1 eingepegelt (etwa wie bei 8:1 oder 4:1). Der All Buttons In Mode senkt den Threshold drastisch (etwa wie bei 20:1) und die Ratio liegt bei deutlich unter 100:1. Dadurch trifft ein sehr starkes Signal auf die Detektorschaltung und der Charakter des Seventeen ändert sich drastisch. Im Internet wird das oft als „everything goes nuts“ bezeichnet.
Bleiben noch die Highpass- und Lowpass-Filter, die eine sehr angenehme Charakteristik haben. Da wird an den Frequenz-Enden nur ganz sanft eingegriffen (100 Hz bzw. 10 kHz mit jeweils flachen 6dB/Oktave), wodurch alternativ ein tieffrequentes Pumpen oder ein Zischen verhindert wird, so dass gerade der Tiefpass auch als „Pseudo De-Esser“ (zumindest bei Frauenstimmen) eingesetzt werden kann. Aber passt ein sanftes Filter zur amerikanischen Lesart?
Hier ein Klangbeispiel mit einem Harpsichord mit der STR-1 Engine des Korg Kronos. Der Seventeen ist dabei folgendermaßen eingestellt: Ratio 1:12, Attack & Release 50 %.
- Ohne LFP & HFP
- Mit aktiviertem LPF
- Mit aktiviertem HPF
- HFP & LFP aktiviert
Hier das Gehör nach den unbehandelten Akkorden zunächst auf das geringere Sirren der Saiten konzentrieren. Mit aktiviertem HPF werden die tiefen Grundtöne ausgeblendet und wenn HFP & LFP aktiviert sind, klingt es immer noch rund und angenehm.
Schauen wir uns noch die Sidechain-Funktion an. Leider wird die Funktion im Handbuch nicht genauer beschrieben, aber Nate Bierdeman konnte mir meine Annahme bestätigen:
Bei der Sidechain-Funktion handelt es sich um eine Hochpassfilter, das nach dem Eingang geschalten wird und den Bereich, in dem der Black Lion „zubeißt“, einschränkt. Stelle ich den griffigen Drehregler auf 100 Hz, werden die Frequenzen unterhalb 100 Hz nicht bei der Kompression berücksichtigt. So verhindert man, dass tieffrequenter „Müll“ den Kompressor durcheinander bringt. Einstellbar bis Cutoff-Frequenzen von bis zu 400 Hz ermöglichen einigen Spielraum für Experimente. Bei 400 Hz reagiert dann der Kompressor nicht mehr auf Subbass, Bass und Upper-Bass, sondern nur auf die unteren und mittleren Mitten. So kann man Instrumente, die in einem mittleren Frequenzbereich klingen, sehr schön freistellen.
Ein Beispiel mit einer Kirchenorgel verdeutlicht den Nutzen der Sidechain-Funktion sehr gut. Im ersten Teil hört man gut das Pumpen des Kompressors. Werden beim zweiten Vers die Frequenzen unter 400 Hz für die Kompression ignoriert, dann klingt das Stück dynamisch und ausgeglichen:
Korg Kronos, Church Organ, Ratio 1:8, Attack & Release: 50 %
Comp Mix ist nichts anderes, als ein Dry/Wet-Regler, den man bei einem Kompressor als „Quasi-Parallelkompression“ einsetzen kann. Je nach Einstellung verändert man das Verhältnis aus komprimiertem und unkomprimiertem Signal. Es ist zwar keine echte Parallelkompression mit zwei getrennten Einheiten, aber der Effekt kommt dem verblüffend nahe. Allein dieser Regler erweitert somit den Einsatzbereich des Seventeen um ein gehöriges Maß.
Ein Beispiel mit einem Una Chorda Piano. Die erste Akkordfolge als reines Wet-Signal (A&R: 50 %, Ratio 1:12). Bei der zweiten Akkordfolge ist der CompMix Regler auf 50 % mit Lautstärkeausgleich:
Bei der zweiten Akkordfolge ist das Gesamtklangbild voller und „reicher“ („rich“, wie der Amerikaner zu sagen pflegt).
Der Klang des Black Lion Audio Seventeen
Neben diesen Klangbeschreibungen nun noch ein paar Worte zum Gesamtklang des Seventeen, denn einen 1176 kauft man sich definitiv als Effektkompressor, also um sowohl das Signal zu komprimieren, als auch dem Klang einen bestimmten Charakter zu verleihen.
Und hier ist es jetzt vorbei mit Amerika und dicken V8 Motoren. Der Black Lion Seventeen ist kein 1176, kein Ersatz und kein Klon. Er klingt in seinem Grundcharakter völlig anders. Anstatt einem dichten, grundtonreichen Klangbild, schenkt einem der Löwe viel Luftigkeit und Leichtigkeit. Er schafft Platz im Mix, dickt überhaupt nicht auf, verleiht dem Gesamtklang des Channelstrips eine Magie, die ich so bei keinem Mitbewerber hören konnte. Black Lion vermarktet den Seventeen mit den Worten, er wäre „zusammen mit dem Hitmaker Tobias Lindell entworfen worden“. Solche Kooperationen machen mich oft skeptisch und haben auch immer den Beigeschmack, bei dem sich ein prominenter Mensch plötzlich „Schmuckdesigner“ nennt, aber mit seinem Namen nur das Marketing des Herstellers unterstützen soll.
Hier scheint es aber wirklich anders zu sein: Ein Blick auf die Lindell Audio Homepage verrät, dass der gute Tobias offensichtlich Features, wie den Dry/Wet-Regler und die frequenzabhängige Sidechain Funktion bereits in seine Kompressoren eingebaut hat – und diese sehr erfolgreich vermarktet. Die Dokumentation des Seventeen lässt sich darüber zwar nicht aus, aber es liegt nahe, dass Black Lion diese Features auf Anraten von Tobias Lindell in seinen Seventeen übernommen hat – und das halte ich für einen grandiosen Schachzug. Denn genau diese Features heben den schwarzen Löwen von den bekannten 1176ern ab und vermitteln zusammen mit dem tollen, luftigen Klangbild ein sehr positives Produkterlebnis.
Der Black Lion Seventeen kostet aktuell beim Musikhaus Thomann 749,- Euro, was auf Augenhöhe mit den diversen 1176 Klonen ist und gemessen an den Originalen, außerordentlich günstig ist. Ein Warm Audio WA76 kostet ca. 772,- Euro, ein Klark Teknik, die ja zur Behringer Gruppe gehören, günstige 649,- Euro. Ein Universal Audio 1176LN wird aktuell für ca. 2.450,- Euro angeboten.
Kritik am Black Lion Audio Seventeen
Tatsächlich gibt es beim Black Lion Audio wenig zu meckern. Na ja, die Plastikfüße, die dem Gerät beiliegen, falls man den Seventeen nicht ins Rack einbauen möchte, sollten aus Metall sein. Das goldfarbene Plastik verwässert ein wenig den ultramassiven Eindruck. Das Handbuch ist auch mehr als dürftig: Es ist fünf Seiten „stark“, wobei die Funktionen auf weniger als zwei Seiten beschrieben werden. Der Rest ist regulatorischer Kram. Leider wird auch nicht beschrieben, wie sich die Kombination der Ratio-Schalter verhalten oder was der All-Button-Mode genau macht.
Die technischen Daten
- Hochpassfilter: 100 Hz, -6 dB/Okt
- Tiefpassfilter: 10 kHz, -6 dB/Okt
- Ansprechzeit: 20 µs bis 800 µs
- Release: 50 ms bis 800 ms
- Hochpassfilter Sidechain: 100 Hz, 200 Hz, 300 Hz, 400 Hz
- Ratio: 4:1, 8:1, 12:1, 20:1 , All Button Mode
- Stromversorgung: 115 VAC oder 230 VAC (umschaltbar)
- Maße: 43,8 x 8,8 x 25 cm (19“, 2 HE)
- Gewicht: 8 kg
Der Test macht wirklich Lust auf das Gerät. Ich frage mich nur, ob ich diese Unterschiede durch die Lupe überhaupt wahrnehmen kann. Muss ich erstmal Deine Klangbeispiele über die Monitore hören.
Ach ja, der Klark Teknik 1176 Clone kostet überall als Ladenpreis 199.- EUR, nicht mehr 649.- EUR.
@[P]-HEAD Vielen Dank für Deinen Kommentar. Ja, das mit dem Klar Teknik habe ich jetzt auch gesehen – die Behringer Gruppe gibt gerade ganz schön Gas und senkt vielerorts die Preise (Mischpulte, Synthese, Studioequipment).