Klein - aber mit ganz viel Power!
Für die Synthesizer- und Studioszene war der diesjährige 909 Day von Roland Anfang September eine regelrechte Offenbarung – mit einer regelrechten Flut von neuen Produkten. Auch die Roland Tochter BOSS steuerte ihren Teil zu diesem außergewöhnlichen Event bei und präsentierte unter anderem mit dem BOSS GT-1 einen Neuzugang in der Einsteigerklasse ihrer hauseigenen Multieffektprozessor-Baureihe. In unserer Redaktion ist die neue Multitretmine mit Ansprüchen auf den einzigartigen Status der „Eier legenden Wollmilchsau“ nun zum Test eingetroffen. Legen wir los!
Facts & Features
„Small is beautiful“, könnte man meinen, denn das neue Pedal ist deutlich kleiner ausgefallen als das bisherige Einsteigermodell ME-25, das sich unverändert weiterhin im Sortiment von BOSS befindet. Schlanke 305 x 152 x 56 mm betragen die Maße des rund 1,3 kg schweren Pedals, also wunderbar geeignet, um es im Gigbag unbemerkt verschwinden zu lassen. Dabei wurde hier kein billiges Plastik, sondern robustes Stahlblech für das Gehäuse verwendet, das wiederum in eine Art blaue Kunststoffwanne eingesetzt wurde. Die Unterseite ruht auf stabilen Gummifüßen und besitzt ein Batteriefach, in das vier Saftspender der Größe AA einen Betrieb des GT-1 auch außerhalb der Reichweite einer Steckdose ermöglichen.
Robuste Schalter und Potis
Hatte ich im damaligen Test der letzten Neuvorstellung von BOSS, dem Desktop Prozessor GT-001, u.a. noch die Qualität der Potis bemängelt, so präsentieren sich die drei Endlos-Drehregler am neuen GT-1 von sehr guter Qualität. Ebenso können die Schalter überzeugen, die in reichhaltiger Anzahl auf der Oberfläche vertreten sind. Was hier vielleicht für den einen oder anderen zunächst „erschlagend“ wirkt, entpuppt sich in der Praxis als sehr einfach und intuitiv bedienbares Userinterface. Vorbei ist es mit der nervigen Stepperei durch Untermenüs aufgrund von Mehrfachbelegungen einzelner Schalter, wie es beispielsweise beim ME-25 der Fall war.
BOSS GT-1 Gitarren Multieffekt Pedal
Durch einen Druck auf den entsprechenden Knopf erhält man ohne Umschweife Zugriff auf das gewünschte Effektmodul, zudem versorgt ein grafikfähiges, kräftig leuchtendes Display den Benutzer jederzeit mit den nötigen Informationen. Ebenfalls ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zu dem eher tristen Zweisegment-Display des ME-25. Ganz besonders einfach gelingen die Sounds beim Drücken der zwei Tasten im „Easy Menü“ rechts vom Display: Eine Auswahl der Patches über die Musikrichtung ermöglicht es auch Einsteigern, recht schnell zu einem guten Ergebnis zu gelangen.
Auch das Realtime-Pedal ganz rechts auf der Oberfläche hinterlässt einen soliden Eindruck, allerdings erlaubt der sehr kurze Regelweg kaum einen sinnvollen Einsatz in der Praxis. Immerhin können mit der kleinen Wippe zwei Funktionen geschaltet werden, ein Druck auf die Spitze ermöglicht das Wechseln zwischen z.B. der Funktion als Volume- oder Wah-Pedal.
Grünes bzw. blaues Licht gibt es auch für die drei Fußschalter, die den unteren Teil der Oberfläche belegen. Sie besitzen eine beleuchtete Umrandung, wobei die beiden Schalter für den Programmwechsel dauerhaft blau leuchten, während der „CTL1“ Schalter sein grundsätzlich ebenfalls dauerhaftes Blau in ein Rot ändert, wenn sich im Patch ein entsprechend zugeordneter Parameter für ihn befindet. Ein gleichzeitiger Druck auf die Programm-UP/DOWN-Schalter aktiviert das integrierte Stimmgerät, ein Druck auf den mittleren und den CTL 1-Schalter wiederum den Looper, der eine Aufnahmekapazität von bis zu 32 Sekunden bietet.
Konnektivität
Die Anschlüsse des BOSS GT-1 sitzen alle ausnahmslos an der Stirnseite. Da wäre zunächst der Klinkeneingang für die Gitarre, der beim Einstecken eines Kabels das Pedal zum Leben erweckt. Schade, ein Netzschalter wäre schon elegant gewesen. Weiter geht es mit der AUX-IN-Buchse, die im anwenderfreundlichen 3,5-mm-Format vorliegt und bereit zur Aufnahme externer Klangquellen ist. Ebenfalls im Miniklinkeformat existiert ein Kopfhöreranschluss.
Der Stereoausgang besitzt natürlich das ausgewachsene Klinkenformat, genauso wie auch die Anschlussbuchse für ein weiteres Expressionpedal oder aber einen Fußschalter. Beiden Varianten lassen sich nach deren Anschließen im Menü des GT-1 die gewünschten Funktionen zuweisen. Der USB-Port bildet zusammen mit der Netzbuchse den Abschluss der vorhandenen Anschlüsse. Diese Schnittstelle sorgt für die Verbindung zum Mac/PC und verwandelt das GT-1 in ein Audiointerface, das ein Direct-Recording ohne zusätzliche Hardware ermöglicht.
Und ist die Verbindung mittels eines Treibers erst einmal hergestellt, kann man auf die Innereien der Speicher und Chips mittels der Software BOSS Tonestudio for GT-1 ganz bequem vom „Monsterdisplay“ des Rechners aus zugreifen. Deutlich mehr Luxus, als das Editieren am Display des Gerätes es je bieten könnte. Hier können je nach Lust und Laune die einzelnen Module mit der Maus editiert und die Effekte auch in ihrer Reihenfolge geändert werden.
Danach wandert das erstellte Patch mit einem Klick in den (dauerhaften) Speicher des BOSS GT-1. Und wenn es denn mal an Kreativität beim Erstellen neuer Patches fehlt, hilft ein Blick in die Community der BOSS Tonecentral, in der weitere User, aber auch wahre Superstars, ihre Eigenkreationen zum Download gratis zur Verfügung stellen.
Die inneren Werte des BOSS GT-1
Die Engine des neuen BOSS Einsteigerpedals ist dieselbe, wie sie auch im Flaggschiff GT-100 ihren Dienst verrichtet. Dementsprechend erdrückend ist das Angebot an emulierten Preamp-Modellen, Effekten, Boxensimulationen, Equalizern etc., die auf der von Roland bzw. BOSS patentierten COSM-Technologie beruhen – die nach wie vor beste Emulation von Gitarrenamps und Effekten in dieser Preiskategorie bzw. Gerätegattung, wenn es meiner (bescheidenen) Meinung nach geht.
Es erwarten den Benutzer 108 Effekttypen, die auf 99 Speicherplätze abgesichert werden können. Das Spektrum reicht dabei, wie zu erwarten war, von der Emulation berühmter Amps wie Marshall Plexi, Mesa/Boogie, dem VOX AC30 oder Fender Bassman bis hin zu einem Arsenal an Einzeleffekten, darunter auch ein Akustiksimulator oder das „Tera Echo“, als Teil der BOSS MDP (Multi Dimensional Processing) Technologie. Also alles wie gehabt – und davon reichlich!
Ein Druck auf den Schalter „Menü“ erlaubt die Zuordnung des Ausgangssignals an den angeschlossenen Verstärker, bei Auswahl des Eintrags „Line Out/Phones“ wird die interne Lautsprechersimulation aktiviert – eine deutlich elegantere Lösung, als es beim ME-25 der Fall war bzw. ist. Dort muss ja ein Kopfhörer (oder zumindest ein Adapter) in die Kopfhörerbuchse eingesteckt werden, um in den Genuss eines bearbeiteten Signals zu gelangen.
Sound & Praxis mit dem BOSS GT-1
Der Platzhirsch zeigt mal wieder der Konkurrenz, wo der Hammer hängt! Das BOSS GT-1 klingt vom ersten Preset an überzeugend und begeistert dabei mit einer verblüffenden Dynamik und einer realistischen Abbildung der Effekte, die ganz in der Tradition der COSM-Klangerzeugung stehen. Die Benutzerführung ist kinderleicht, und obwohl das Display nicht sonderlich groß ist, ist es doch vollkommen ausreichend und darüber hinaus sehr hell und kontraststark ausgefallen.
Die Zeiten, in denen man die Werkspresets erst mal ausdünnen musste, um überhaupt noch etwas vom Originalsignal zu hören, scheinen Gott sei Dank vorbei zu sein. Zumindest beim GT-1 sind die 99 Werkssounds stilistisch sehr vielfältig programmiert, fast alle sind gut gelungen und laden direkt zum Losrocken ein. So klingen und spielen sich am einen Ende der Skala die „erdigen“ Crunchsounds genauso gut und realistisch, wie auch z.B. der neue Akustikgitarrensimulator oder der nahezu latenzfrei arbeitende Pitch-Shifter am anderen Ende der Soundauswahl.
Auch die Modulationseffekte wie Chorus, Flanger und Phaser sind wunderbar gelungene Abbilder der Originalmodelle des Herstellers, was für die Hallräume und die Delays nicht weniger gilt. Besonders das neu implementierte Tera Echo, übrigens auch als Einzelpedal im Sortiment von BOSS erhältlich, sticht hier hervor, denn es liefert einen (zumindest in dieser Preisklasse) außergewöhnlich räumlichen Echoeffekt.
Doch was helfen alle Beschreibungen, hören wir doch am besten mal in die Kiste rein! Die folgenden Klangbeispiele wurden direkt aus den Stereoausgängen des GT-1 in Logic aufgenommen. Die zu hörende Gitarre ist (m)eine Music Man Silhouette Special.
Ein Querschnitt der Presets des BOSS GT-1
Beginnen wir in Klangbeispiel 1 mit dem Preset „Match Crunch“ – einer Emulation eines sündhaft teuren Matchless Verstärkers. Die Dynamik steht gut im Futter, hier zeigt der COSM-Algorithmus, dass auch in einen Chip gepresste Crunchsounds mehr als brauchbar sein können.
Das Preset „Add Transparency“ zeigt das BOSS GT-1 mit einem weiteren Cunchsound auf Basis einer Marshall Plexi Simulation.
Klangbeispiel 3 nun ein Distortion-Sound mit deutlich mehr Verzerrung. Von Matschen dennoch weit und breit keine Spur!
Im nächsten Klangbeispiel hören wir nun ein Zusammentreffen von gleich drei Effekten: Der neue Akustiksimulator, bearbeitet mit einem Overdrive und garniert von einem Oktaver, der brav und ohne jegliche Latenz dem Originalsignal folgt. Und das selbst bei Bendings und schnellen Läufen. Preset „Acoustic Distortion Overtone“.
Eine schöne Vibe/Flanger-Kombination präsentiert das Preset „Round-Round“ in Klangbeispiel 5.
Klangbeispiel Nummer 6 zeigt einen emulierten Fender Bassman Amp zusammen mit einem Slapback Echo.
Im nächsten Klangbeispiel hören wir das integrierte Tera Echo in Verbindung mit einem Highgainsound. Trotz der hohen Verzerrung und des relativ starken Effekt-Levels bleibt das Signal sauber und artikuliert. Das Spielgefühl ist auch hier verblüffend realistisch.
In unserem letzten Klangbeispiel 8 („Super Slow Gear“) nun eine Kombination von verschiedenen Delay-, Hall und Pitchshift-Effekten, das verwendete Preamp-Modell stammt aus eigenem Hause – der Roland JC-120.
Tolles Teil! Ich liebe den Boss-Sound, den ich irgendwie nie ganz Röhrenmäßig-original, sondern irgendwie Boss-mäßig-geschönt empfinde. Deswegen konnte ich auch nie dem Konkurrenten Line6 etwas abgewinnen. Und ich bin so froh, dass Boss den Mini-Klinken-Schwachsinn nicht mitmacht, der bei der Roland-Muttergesellschaft auf breiter Front Einzug gehalten hat.
Mit einem zusätzlichen Doppelschalter für die Presets hoch/runter kann man auch die 3 internen Schalter jeweils mit schaltbaren Effekten belegen, z.B. 1 overdrive 2 FX und 3 delay. Das ist ’ne tolle Sache.
@Perplex Danke für den Hinweis. Das klingt ja mal wirklich interessant! :)
Vielleicht sollte ich mir mal das Teil näher anschauen. Wahrscheinlich im Vergleich mit Zoom G3n
Schön, dass Boss sich auch im unteren Preissegment um neue COSM- Effekte in den Boards bemüht. Meine Frage ist nur: braucht das jemand, der 200€ für ein Multieffekt- Floorboard berappelt oder wäre die Zielgruppe, nämlich eher doch der Effekt- Anfänger, nicht mit einem gebrauchten GT-6 für 120€ nicht besser bedient, welches aufgrund der Reglervielfalt in meinen Augen wesentlich intuitiver zu bedienen ist? Ich als durchaus erfahrener Nutzer und Soundprogrammierer bleibe bei meinem GT-6 und genieße den haptischen Vorteil eines unmittelbaren Parameter- Zugriffs.
Hypothese: Bei Herrn Güte scheinen Bewertungen etwas „tagesformabhängig“!
Daß GT-1 vs. GT-001 klanglich irgendetwas erheblich unterschiedlich sein soll, erscheint fragwürdig.
@cccccc Schon mal beide im Vergleich gehört? Tu es, dann verstehst Du es ;)