Doin' it like a Boss
Das neue Boss GX-10 Multieffekt Floorboard ist für E-Gitarre und E-Bass und tritt an gegen die Boards der Konkurrenz. Mit dabei ist ein farbiger Touchscreen und coole Features, die nicht unbedingt alltäglich sind. Wir haben es ausführlich getestet!
Inhaltsverzeichnis
Boss geht schon lange einen eigenen Weg, was die Simulation von Amps angeht. Dass die Japaner Effekte können, dürfte uns allen klar sein. Ein paar der wichtigsten Effektpedale der Musikgeschichte stammen aus dieser Fabrik, die damals noch in Osaka beheimatet war, beginnend 1976 mit dem Boss CE-1 Chorus-Ensemble. Ob man damals noch Angst hatte, den Firmennamen mit schmuddeligen Gitarristen zu besudeln und deshalb die Marke Boss ins Leben rief, ist nicht überliefert.
Boss GX-10 Multieffekt Floorboard mit AIRD für E-Gitarre
Nachdem man im Jahr 1972 mit der Produktion von Drum-Machines gestartet hatte, begann man in den späten 70er-Jahren sich vermehrt um die Belange von Gitarristen zu kümmern. Der weltweit erste Gitarren-Synthesizer stammt von der Firma Roland, unter dem Brand „Boss“ begann man dann, die heute bekannten Compact-Pedale zu entwerfen. Das Boss OD-1 Pedal ist das erste Overdrive-Pedal der Geschichte, das folgende DS-1 Distortion-Pedal hat Geschichte geschrieben.
Die Entwicklung der COSM-Technologie (Composite Object Sound Modeling) ermöglichte, nachdem man mit dem AC-3 die schon recht beeindruckende Simulation einer Akustikgitarre hinbekommen hatte, ganze Verstärker zu simulieren und diese Technologie wird auch heute noch eingesetzt. Ein Update in der Weiterentwicklung der Sounds erfolgte dann noch einmal mit der Einführung der AIRD-Technologie (Augmented Impulse Response Dynamics), die, in Zusammenhang mit den 32-Bit float AD/DA-Wandlern, extrem feine Auflösung der simulierten Verstärker verspricht.
Boss GX-10 Multieffekt Floorboard – Facts & Features
Beginnen wir mit den Äußerlichkeiten. Mit Maßen von 300 × 183 × 96 mm und einem Gewicht von 2,2 kg spielt es in der Liga des neu erschienenen Headrush Flex Prime, das allerdings deutlich teurer ist. Vergleichbar sind die beiden allemal, denn beide verfügen über ein farbiges Touch-Display, ein Expression-Pedal und drei Fußtaster. Aber auch das Line 6 Pod Go, das Valeton GP-200 sowie das Harley Benton DNAfx Git Pro schießen auf das gleiche Tor.
Das Display bietet eine Auflösung von 480 × 272 Pixeln und erwacht nach dem Einschalten des Boss GX-10 Multieffekt Floorboards recht schnell zum Leben. Nach acht Sekunden ist das Boss GX-10 startbereit, jedenfalls im Auslieferungszustand. Unterhalb des Displays befinden sich vier Endlos-Drehregler, die ihre Aufgaben jeweils im Display direkt darüber angezeigt bekommen.
Rechts vom Display wohnt ein weiterer Endlos-Regler mit Push-Funktion. Dieser wählt Programme, Parameter und alles andere aus, was ausgewählt werden kann. Ein Output-Level-Regler übernimmt die ureigenste Aufgabe eines Volume-Reglers an einem Gitarrenverstärker, er macht laut! Klasse, damit kennt sich auch der letzte Analog-Freak aus. Etwas anders sieht es da mit den Drucktastern aus, die führen unter anderem in die Hölle des Menüs, der Effekte und der Speicherung.
Wer schon mal einen Boss-Multieffekt irgendeiner Serie unter den Fingern hatte, kommt hier sofort klar. Mein letztes Boss-Gerät war das GT-100 (ja, damals …) und die Logik der Bedienung war quasi identisch. Das Expression-Pedal hat einen angenehm kurzen Regelweg und verfügt über einen (unsichtbaren) Toe-Switch, der die zweite Funktion des Pedals aktiviert. Hier ist es also möglich, das Pedal zum Beispiel als Volume-Pedal zu nutzen und per Druck auf die Spitze das Wah zu aktivieren. Selbstverständlich können hier auch alle gängigen Parameter in Echtzeit beeinflusst werden.
Die drei Fußtaster haben je nach Modus unterschiedliche Funktionen. Standardmäßig schaltet man hier mit Switch No. 1 & 2 durch die Programme, die in 66 User-Bänken à drei Presets organisiert sind, erkennbar am kleinen, blauen „U“ links neben der Preset-Nummer. Diese Sounds können überschrieben werden. Darüber hinaus folgen 33 Presets, die nicht überschreibbar, aber editierbar und unter einem U-Speicherplatz abspeicherbar sind.
Das Boss GX-10Multieffekt Pedal bietet drei Modi der Bedienung. Werksseitig ist das GX-10 so eingestellt, dass Switch 1 und 2 die Sounds durchschalten, während der dritte Switch eine zuweisbare Zusatzfunktion erfüllt, so startet und steuert er etwa in Preset P33-3 (Looper Drive) den Looper, in Preset U01-2 wechselt er zwischen zwei Ampmodels. Das nennt sich Up/Down-Mode.
Im Bank/Number-Mode wird durch gleichzeitiges Drücken der Schalter 1 & 2 die vorhergehende, durch Drücken von Schalter 2 & 3 die nächste Bank aufgerufen. Innerhalb dieser Bank rufen die drei Switches dann jeweils einen der drei zugewiesenen Sounds direkt auf. Der Manual-Mode ermöglicht eine Art „Stompbox Feeling“, hier werden innerhalb eines Presets drei mögliche Effekte plus Expression-Pedal einzeln geschaltet.
Selbstverständlich ist es möglich, die Schaltoptionen per externem Switch zu erweitern. Sinnvollerweise ist der dritte Fußtaster mit „C1“ bezeichnet, was impliziert, dass da noch was geht. Ein doppelter Fußtaster kann hier die Funktionen C2 und C3 übernehmen, Anschluss über ein TRS-Kabel an der Frontseite vorausgesetzt. Alternativ kann hier ein externes Expression-Pedal angeschlossen werden.
32 Verstärkertypen und 170 Effekte (natürlich von Boss) stehen zur Verfügung, wobei bis zu 15 Blöcke gleichzeitig nutzbar sind. Ein Looper mit bis zu 38 Sekunden Aufnahmezeit in Mono oder 19 Sekunden in Stereo kann an jeder Stelle der Effektkette eingesetzt werden. Wer ein paralleles Routing benötigt, kann den als weiße Wabe vorhandenen Div-Mix als „Effekt“ einsetzen, Div teilt den Pfad, hier können jetzt einzelne Effekte in beide Signalketten eingefügt werden. Am Ende des parallelen Pfades wartet Mix und fügt wieder alles zusammen.
Die Konnektivität des Boss GX-10 Multieffekt Floorboards
Die Rückseite ist, trotz aller Möglichkeiten, recht übersichtlich gestaltet. Wir finden hier ausschließlich Klinkenbuchsen, auch für die Ausgänge. Schade, für die Ausgänge hätte ich gern XLR-Buchsen gesehen. Neben der Input- und der Headphone-Buchse ist noch die Möglichkeit des Einschleifens von Effekten gegeben, hier stehen ebenfalls zwei Klinkenbuchsen zur Verfügung. Leider gibt es keine Informationen, ob hier auch Stereo-Effekte angeschlossen werden können, ein erstes „durch die Optionen tasten“ ergibt, dass es wohl offensichtlich ein Mono-Loop ist.
Das Boss GX-10 Multieffekt Floorboard verfügt über Bluetooth-Konnektivität, sofern man, ja, sofern man den optionalen Bluetooth-Adapter kauft. Das ist anachronistisch und in gewisser Weise Abzocke. Andere Geräte bringen die Bluetooth-Funktionen ab Werk mit und so sollte es auch sein. Die Bluetooth-Schnittstelle würde hier Steuerung über ein Smartphone/Tablet ermöglichen und Streamen von Audio zulassen. Bitte, liebe Bosse, hier müsst ihr nachbessern.
Eine USB-C-Verbindung zum heimischen Rechner ermöglicht die Verbindung zur Boss Tone-Studio-App. Hier ist die Bedienung des Boss GX-10 per Maus möglich und die Übersichtlichkeit und Bedienbarkeit natürlich wesentlich komfortabler als über das Display. Auch kann hier Kontakt zur Tone-Exchange aufgenommen werden, dem Cloud-Dienst von Roland/Boss. Wer eigene IRs in des GX-10 laden will, kann hier ebenfalls glücklich werden.
Kensington-Lock, Netzschalter und Netzteilbuchse komplettieren die Anschlussmöglichkeiten am GX-10. Eine Möglichkeit, Daten auf einem Stick zu sichern oder ein Backup einzuspielen, sucht man vergebens. Das ist gerade im Livebetrieb ein nicht zu unterschätzendes Manko. Ich jedenfalls habe nicht immer einen Laptop dabei, um im Falle eines größeren Crashs ein Backup einzuspielen.
Die Bedienung des Boss GX-10 Multieffekt Floorboards
Wie oben schon erwähnt, ist die Bedienung des GX-10 ein Kinderspiel, wenn man Erfahrung mit Boss-Geräten hat. Aber auch für Neulinge ist das Gerät relativ leicht zu durchschauen, auch wenn sich einige Funktionen sicherlich erst im Laufe der Benutzung erschließen. Das Problem ist allen digitalen Devices gemein, auch ich habe bis heute nicht alle Funktionen meines iPhones durchschaut. Hier hilft immer ein Blick in die Bedienungsanleitung, da bin ich old school.
Als Grundlage sind die Werkssounds immer eine gute Basis. Hat man hier einen Sound gefunden, der einem gefällt, kann dieser nun nach Herzenslust verbogen und durch Effekte verfremdet werden. Hierbei leistet das Touch-Display gute Dienste. Per Drag & Drop können hier Effekte hinzugefügt, bearbeitet oder entfernt werden. Die optische Struktur der Waben als Symbole für Amps und Effekte ist geradezu ideal für kleinere Displays, denn so werden auch parallele Signalketten auf engstem Raum deutlich dargestellt. Das gefällt mir deutlich besser als die kryptischen Symbole auf dem Quad Cortex. Well done, Boss!
Wer sich mit der Farbkodierung der Boss-Effekte auskennt, ist hier auf bekanntem Terrain unterwegs. Overdrive gelb, Distortion orange, Phaser auf Betäubung und grün, hier ist der Wanderer im Boss-Universum im Vorteil. Ein Druck auf die Menütaste eröffnet den Weg zu den Einstellungen, innerhalb derer auch die kleinsten Details – bis hin zur Farbe der LEDs – festgelegt werden können.
Amps und Effekte können per Fingertipp in die Signalkette geschoben werden, die vier Regler unterhalb des Displays ermöglichen sofortigen Zugriff auf die wichtigsten Parameter. Wer in die Tiefe der Bedienung einsteigen will, wählt den „Knob-View“, der über das Burger-Menü oben rechts im Display erreichbar ist. Damit kann jeder Effekt ganz klassisch in seinen einzelnen Parametern justiert werden.
Der Tuner, der sich bei Bedarf automatisch zeigt, wenn das Expression-Pedal in Heel-Stellung ist, kann übrigens auch sehr treffsicher polytunen. Dabei werden alle Saiten gleichzeitig im Display angezeigt und deren aktuelle Stimmung verraten. Das funktioniert perfekt und ist eine gute Option für schnelles Nachstimmen auf der Bühne.
So klingt das Boss GX-10 Multieffekt-Pedal
Das Produktvideo des Boss GX-10 ist mal wieder so aussagekräftig wie ein überreifer Camembert. Das kennen wir, denn hier werden, wie so oft, mal wieder die Highgain-Sounds der Metallfraktion bedient. Aber wir alle, als regelmäßige AMAZONA.de-Leser wissen, dass alle Modeler im Bereich der Highgains und sterilen Cleansounds punkten können. Die wahre Königsklasse sind die angezerrten und Breakup-Sounds.
Ihr hört im Folgenden ein paar der Presets, die ich willkürlich ausgewählt habe, weil sie mir gefallen haben oder spezielle Eigenschaften des Boss GX-1o Multieffekt-Floorboards demonstrieren. Natürlich kommen auch hier Highgain-Sounds zum Einsatz, genauso wie cleane Sounds. Mein Schwerpunkt liegt aber auf einem Querschnitt der Möglichkeiten, dazu gehören zu gleichem Anteil auch angezerrte und Breakup-Sounds. Please enjoy, es sind ein paar mehr geworden, ich hatte Spaß.