Das intuitive Multieffektgerät, das Spaß macht
Der Boss ME-90B Bass ist eine Neuauflage des Multieffektgeräts von Boss mit neuen Features und verbessertem Klang. Wir haben das Gerät für euch ausgiebig getestet!
Inhaltsverzeichnis
Als ich als Bass-Gear-Nerd bei meinen Streifzügen durch die einschlägigen Foren und YouTube-Formate auf dieses neue Multieffektgerät von Boss gestoßen bin, war mir sofort klar: Das muss ich haben! Schon seit meiner Schulzeit bin ich vertraut mit den Effektgeräten von Boss. So hatten wir Ende der 00er/Anfang der 10er-Jahre im Musikraum meines Gymnasiums einen Boss Cube Verstärker und ich war total scharf auf die integrierte Effekt-Sektion. Der Vorgänger BOSS ME-50B war als Teenager lange ein unerreichbarer Traum für mich und als ich es dann endlich hatte, hatte ich sehr viel Spaß damit. Getragen von diesen nostalgischen Gefühlen wurde das BOSS ME-90B sofort bestellt und von mir sehnsüchtig erwartet.
Zugegeben: Die älteren Boss Multieffektgeräte polarisieren und als Jugendlicher wurde ich auch das eine oder andere Mal dafür belächelt und mein „Board“ wurde von meinen 6-saitigen Kollegen und Kolleginnen mit ihren monumentalen Stressbrettern eher als Spielzeug abgetan.


Starke 10 Jahre später stehe ich nun da und spiele seit anderthalb Jahren fast alle Gigs mit einem digitalen Klangprozessor, dem Neural DSP Quad Cortex. Neben einem schönen „analogen“ Pedalboard habe ich die drei Jahre zuvor viel mit dem Boss GT-1000 gespielt und auch schon ein Line6 Helix Stomp besessen … Ich bin also schon gut „herumgekommen“ in der Welt der digitalen Multieffektgeräte. So bin ich also nun bereit, abseits meiner sentimentalen Verklärung das BOSS ME-90B kritisch unter die Lupe zu nehmen. Kann es bei der vielfältigen Konkurrenz gegen andere Multieffektgeräte bestehen? Für welche Einsatzzwecke und für welche BassistInnen ist das Gerät geeignet? Diesen und mehr Fragen werde ich in diesem Test auf den Grund gehen.
Design
Auf den ersten Blick erinnert das Design des BOSS ME-90B an seinen Vorgänger, das ME-50B. Es hat zwar diesen „Boss-Vintage-Charme“, aber mutet in den Details doch wesentlich moderner an. Das Tiefblau-Metallic bietet einen guten Kontrast zu der silbrigen Aufschrift, der zu einer guten Ablesbarkeit der einzelnen Parameter beiträgt.
Wie man es von den Boss-Effektgeräten gewohnt ist, kommt das ME-90B sehr solide daher: Das Gehäuse ist aus Metall und die Kunststoffteile (sämtliche Knöpfe, Tretschalter und das Expressionpedal) sind sehr robust ausgelegt. Sie wirken langlebig und wertig und das Gerät scheint wie ein Panzer gebaut zu sein.
Das User-Interface wird nicht wie heutzutage üblich durch ein Display und wenige multifunktionale Bedienelemente umgesetzt, sondern es findet sich eine Vielzahl von Drehreglern. Dies macht gerade den besondern Charme des Gerätes aus. Es ist nicht erforderlich, durch Menüs zu scrollen oder sich durch Assignment-Matritzen zu arbeiten, um die Funktionen abrufen zu können. Man muss lediglich die einzelnen Effektsektionen händisch einstellen – wie auf einem herkömmlichen Pedalboard. Von diesen gibt es acht Stück: Pedal FX, Comp/FX1, Filter/FX2, Drive/Synth, Preamp/EQ, Mod, Dly/Rev, Blend. Diese Effektsektionen befinden sich in der oberen Hälfte des User-Interfaces und lassen sich durch Fußtaster in der unteren Hälfte des User-Interfaces an- und ausschalten. Ebenso kann man über einen eigenständigen Taster vom Manual-Mode (jeder Taster aktiviert/deaktiviert eine Effektsektion) zum Memory-Mode umschalten (es werden quasi „Snapshots“ von den eingeschalteten Effekten und deren Einstellungen gespeichert). Im Gegensatz zu den meisten modernen Multieffektgeräten ist das Gerät also eher wie ein herkömmliches Pedalboard mit zusätzlicher Speichermöglichkeit konzipiert und basiert nicht auf Presets mit einem zusätzlichen Pedalboard-Mode.
Signal Chain
Im Gegensatz zu Quad Cortex, Line6 Helix, dem GT-1000 und vielen anderen aufwändigeren Multieffektgeräten lässt sich die Signalkette im BOSS ME-90B nicht frei verändern. Allerdings ist das Gerät so intelligent, dass die Signal Chain je nach eingesetzten Effekttypen optimiert wird.
So steht ein Amp beispielsweise nicht an derselben Stelle, wie wenn in derselben Effekt-Sektion ein Equalizer ausgewählt wird oder die Sektion Comp/FX1 ändert z.B. auch ihre Position je nach Effekttyp (siehe Abbildungen).
An dieser Stelle ist das BOSS ME-90B natürlich etwas begrenzt im Vergleich zu Oberklasse-Geräten wie dem GT-1000. Diese spielen aber auch alle preislich in einer anderen Liga und können daher nicht direkt mit dem ME-90B verglichen werden.
Effektsektionen des Boss ME-90B
Die Effektsektionen, die quasi die einzelnen Pedale auf einem herkömmlichen Board repräsentieren, sind alle ähnlich aufgebaut: Ein Drehregler dient der Auswahl des Effekts und die restlichen Drehregler dienen der Parametereinstellung. Lediglich die Sektionen „Blend“ und „Pedal FX“ haben nur einen Regler. Schließlich gibt es noch einen Master-Regler, der mit „Output Level“ beschriftet ist. Bei der Effektwahl ist die letzte Option immer noch mal durch die „Boss Tone Studio“-Software gegen zusätzliche Alternativen auszutauschen.
Im Folgenden wird auf jede Effekt-Sektion eingegangen und es werden jeweils ein paar Audiobeispiele präsentiert. Dabei wird über das verbaute Interface im BOSS ME-90B direkt in Ableton aufgenommen. Bei dem gespielten Bass handelt es sich um einen Ibanez Blazer Bass aus den 80ern, also einen gewöhnlichen P-Bass mit D’Addario Roundwound Saiten.
Comp/Fx1
Hier gibt es einige Kompressoren sowie Octaver und andere Pitch-Effekte zur Auswahl:
-
- Comp: BOSS CS-3
- M-Comp: Kompressor, welcher MDP („Multi-Dimensional-Processing“) einsetzt
- D-Comp: MXR DynaComp
- Limiter: Begrenzung lauter Signale, um Verzerrung zu vermeiden
- AC Bass: Simulation eines akustischen Basses
- Octave: klassischer Boss Octaver-Sound mit -1 OCT und -2 OCT
- Poly Octave: ein Octaver, der mit polyphonem Input funktioniert
- Pitch Shift: verändert Tonhöhe des Eingangssignals
- Tune Down: simuliert ein tieferes Tuning
- S-Bend: Pitch-Shift-Effekt, der nur beim Halten des Pedals aktiv ist, die Attack- und Release-Zeiten sind an den Reglern einzustellen
- Ring Mod: Ringmodulator
Der Octaver hat den klassischen fetten OC-2 Sound, der schon lange Legendenstatus hat. Das Tracking ist bis zum D in Ordnung. Bei tieferen Tönen kann es zum Glitchen kommen. Das ist aber alles im Rahmen und handlebar. Die Kompressoren gefallen mir sehr gut und es lässt sich ein knackiger, Attack-betonter Sound einstellen. Effekte wie der Ringmodulator und S-Bend lassen sich kreativ einsetzen.
Filter/Fx2
In dieser Sektion sind Filtereffekte, wie Envelopes und Wahs zu finden. Ebenso sind Effekte vorhanden, die sich gut für Solo-Sounds handeln (z. B. Overtone) oder mit denen ein „Pseude-Side-Chain-Effekt“ nachgestellt werden kann (Slow Gear).
Die Effekte sind im Einzelnen:
-
- Env Filter: Mu-Tron III Filter
- T.Wah LPF: Touch Wah mit Tiefpassfilter
- T.Wah BPF: Touch Wah mit Bandpassfilter
- Auto Wah: automatisches Wah mit zeitabhängigem Filter
- Defretter: Simulation eines bundlosen Basses
- Enhancer: Betonung des Attacks
- Phaser: Phaser-Effekt
- Harmonist: diatonische Harmonien werden den gespielten Tönen hinzugefügt
- Overtone: ein obertonhaltiger Sound entsteht, ähnlich einem Octaver eine Oktave nach oben
- Slow Gear: Volume-Swell Effekt, der getimet werden kann (beispielsweise als „Pseudo-Sidechain“)
- Humanizer: Effekt, angelehnt an die menschliche Stimme
Der Touch-Wah-Effekt mit Bandpassfilter sowie der Overtone-Effekt eignen sich besonders gut für Solo-Sounds. „Slow-Gear“ habe ich bereits bei four-on-the-floor Beats live in Kombination mit dem Octaver als „Pseudo-Side-Chain-Effekt“ zu der Kickdrum benutzt.
Drive/Synth
Alle angezerrten oder verzerrten Sounds sind in dieser Effekt-Sektion zu finden. Dazu kommen auch Synthesizer ähnliche Klänge.
-
- Boost: Clean-Boost
- Overdrive: Overdrive-Sound auf Bass zugeschnitten
- ADV-Driver: ideale Verzerrung in allen Tonhöhen
- Distortion: Distortion-Sound auf Bass zugeschnitten
- Metal: High-Gain-Sound
- Fuzz: Fuzz-Sound auf Bass zugeschnitten
- Muff Fuzz: Electro-Harmonix Big Muff π
- SA DI Drive: Tech21 Sansamp Bass Driver DI
- Bass DI Drive: MXR Bass D.I.+
- Synth Saw: Sägezahn-Synth
- Synth Square: Rechteckschwingungen Synth
Es existiert eine große Vielfalt an Zerrsounds, sodass mit ein wenig Justieren und Experimentieren für die meisten Situationen eine angemessene Lösung gefunden werden kann. Überraschend gut fand ich das Tracking und die Einsetzbarkeit des Synth-Saw-Sounds.
Dly/Rev
Unterschiedliche Hall- und Echoeffekte sind hier zu finden. Ebenso ist hier ein kleiner Looper integriert.
Es besteht die Auswahl zwischen:
-
- Standard: herkömmliches Echo mit Echozeiten von 10-800 ms
- Analog: milder, analoger Echo-Sound
- Modulate: Echo mit modulierendem Sound
- Tempo: Tapping-Delay, der Effekttaster dient zur Tempoeingabe
- Tera Echo: Ambient Echo, das sich abhängig von der Dynamik des Eingangssignal ändert
- Phrase Loop: einfacher Looper
- Room: Hall in kleinem Raum
- Hall: Hall in Konzertsaal
- Plate: Plate-Hall
- Shimmer: Shimmer-Hall mit brillantem Nachklang
- Delay+Reverb: Kombination aus Echo und Hall
Die Delay-Effekte sind leicht einzustellen, aber werden im Bassisten/Bassistinnen-Alltag sicherlich nicht so oft genutzt. Die Hall-Effekte hingegen sind sehr nützlich in Solo- oder Akkordpassagen und lassen sich ebenfalls einfach und intuitiv einstellen.
Preamp/EQ
Diese Sektion bietet einige Verstärker an, die mithilfe der AIRD-Technologie („Augmented Impulse Response Dynamics“) digital nachmodelliert werden. Dabei können Bässe, Mitten, Höhen, Gain und Level eingestellt werden. Zusätzlich ist ein 3-Band-Equalizer mit semiparametrischen Mitten verfügbar.
Die verfügbaren Amps sind:
-
- Natural: einfacher Clean Sound
- Drive Bass: High-Gain Sound
- Concert: Ampeg SVT
- Studio Bass: Markbass Little Mark III
- Silver Tube: Fender Bassman 100
- Classic Blue: Acoustic 360
- Solid Stack: Gallien-Krueger 800RB
- Fat Tube: Orange AD200B MKIII
- Dark Drv: Darkglass Electronics Microtubes B7K
- Acoustic: Verstärker für akustische Instrumente
- EQ: 3-Band-EQ mit semiparametrischen Mitten
Ich bin sehr angetan von der Plastizität der Amp-Sounds. Diese sind sehr nützlich, wenn man das ME-90B ohne Verstärker betreibt. Ebenso können für die Speaker-Simulation über die Boss Tone Studio App eigene Impulse-Responses geladen werden. Ein weiteres sehr nützliches Feature ist der Equalizer mit seinen semiparametrischen Mitten. Wird das Effektgerät mit einem Bassamp benutzt, ist es dank diesen sehr einfach, mulmige Raumfrequenzen aufzuspüren und abzusenken.
Mod
Hier sind Modulationseffekte wie Chorus, Tremolo und Flanger zu finden. Außerdem findet sich hier ein Delay oder ein Kompressor. Das ist raffiniert, da so möglich ist, Octave-Effekte gleichzeitig mit einem Kompressor zu betreiben, da man sich in der Sektion COMP/FX1 ja zwischen diesen beiden Arten von Effekten entscheiden muss. Dass der gleiche Effekt in unterschiedlichen Sektionen verfügbar ist, gilt auch noch an anderen Stellen. So wird eine höchstmögliche Flexibilität und Vielfalt der Effektkombinationen realisiert. Neben den Effektparametern lässt sich zu jedem Effekt hier noch der Typ einstellen. So können hier beispielsweise die gleichen Kompressoren ausgewählt werden, wie in der Sektion COMP/FX1.
Verfügbare Effekte in dieser Kategorie sind:
-
- Chorus: Mono-, Stereo- und BOSS CE-1 Chorus Effekte sind verfügbar
- Trem/Pan: Tremolo bzw. Autopan Effekt (je nach mono oder stereo)
- Flanger: typische Flanger-Modulation
- Slicer: das Signal wird nach unterschiedlichen rhythmischen Patterns „zerhackt“
- Delay: Standard-, Analog- und modulierte Delay-Effekte sind verfügbar
- Comp: die drei Kompressoren aus der Effekt-Sektion COMP/FX1 sind auch hier verfügbar.
Der vorhandene Chorus-Effekt funktioniert sehr gut, ohne zu viele Bässe zu klauen und lädt daher zu 80s-Slappereien ein. Der Slicer gehört wieder eher zu den Effekten, die im Alltag wohl weniger eingesetzt werden, jedoch die Kreativität beim Jammen anregen.
Blend
Das BOSS ME-90B verfügt über eine globale Blend-Funktion, das heißt, das effektierte Signal kann je nach Wunsch mit dem Direktsound des Basses gemischt werden. Diese Funktion wird durch einen einfachen Drehregler gesteuert und kann im Manual-Mode einfach durch einen Fußtaster aktiviert/deaktiviert werden. So können beispielsweise Parallelkompression oder Zerrsounds umgesetzt werden, bei denen nur ein Teil des Ursprungssignals bearbeitet wurde. Dies kann beispielsweise hilfreich sein, wenn es dem Klang nach der Effektierung an Substanz bzw. an Low-End fehlt.
Pedal FX
Mit dem Drehregler „Pedal FX“ lassen sich die Effekte auswählen, die durch das Expression-Pedal gesteuert werden. Dieses wird durch einen kräftigen Druck auf dessen obere Hälfte aktiviert bzw. deaktiviert.
Dabei lassen sich folgende Effekte abrufen:
-
- Wah: klassisches Wah-Wah-Pedal
- +1 OCT: Whammy-Effekt mit einem Tonumfang von einer Oktave aufwärts
- +2 OCT: Whammy-Effekt mit einem Tonumfang von zwei Oktaven aufwärts
- -1 OCT: Whammy-Effekt mit einem Tonumfang von einer Oktave abwärts
- -2 OCT: Whammy-Effekt mit einem Tonumfang von zwei Oktaven abwärts
- Freeze: Der gespielte Ton wird „eingefroren“ vergleichbar mit dem Sustain-Pedal eines Klaviers
- Osc Delay: Der Effekt erzeugt ein oszillierendes endloses Delay, dessen Geschwindigkeit durch das Expression-Pedal steuerbar ist
- Drv/Syn: kontrolliert die Drive- und Frequenzparameter, wenn der Drive/Synth-Effekt genutzt wird
- Mod Rate: kontrolliert die Rate-Parameter, wenn der Mod-Effekt genutzt wird
- Delay Level: kontrolliert das Delay-Level, wenn der Delay-Effekt genutzt wird
- Blend: kontrolliert das globale Blend-Level, wenn Blend aktiviert ist
Anschlüsse und sonstige Bedienelemente
Abgesehen von den bereits genannten Schaltern und Reglern gibt es lediglich vier weitere kleine Tasten auf dem User-Interface, die zum Abspeichern und den sehr rudimentären Menüfunktionen des Gerätes genutzt werden können. Dazu gehören einige Systemeinstellungen wie u. a. das An- und Ausschalten von Loopback, wird das Gerät als Interface genutzt, sowie das Kalibrieren des integrierten Noise-Gates. Schließlich kann noch im Memory-Mode der CTL-Taster zugewiesen werden und dann ist man auch schon am Ende der Menüfunktionen angelangt. Rückmeldung (ebenfalls rudimentär) bekommt man über das zweistellige 7-Segment-Display, das unter allen Lichtbedingungen sehr gut ablesbar ist und auch zur Ästhetik des Gerätes passt. Allerdings wäre im Jahr 2024 ein einfaches monochromes LC-Display mit normaler Schriftdarstellung schon wünschenswert und wenn es auch nur zur Anzeige der Einstellungen dient, die nur über kryptische Abkürzungen angezeigt werden. Zu deren Entschlüsselung wird dann das „Parameter Guide“ von der Boss Website benötigt.
Auf der Rückseite des Gerätes sieht es passend zum Interface sehr zweckmäßig und übersichtlich aus: Sehr erfreulich ist der DI-Ausgang. So muss auch bei verstärkerlosen Setups keine zusätzliche Peripherie mitgebracht werden. Der physische Ground-Lift-Schalter erlaubt „menüloses“ Umschalten beim Soundcheck, was in der Realsituation einen großen Pluspunkt darstellt. Darauf folgt eine Schraube, die zum Anbringen einer externen Erdung genutzt werden kann. Dieses Feature erschließt sich hier in Deutschland mit unserem stabilen Stromnetz vielleicht nicht sofort, in Südostasien (insbesondere Vietnam) habe ich auf Tour selbst schon die Erfahrung einer „manuellen“ Erdung machen müssen, da oft auf keinem anderen Weg ein einigermaßen störungsarmes Signal erreicht werden konnte.
Rechts davon befinden sich der Klinkeneingang sowie zwei Klinkenausgänge (je nach Stereo- oder Monobetrieb). Der kleine „Amp/Line“-Schalter neben der Ausgangsbuchse soll unterschiedliche Ausgangspegel für den Anschluss an einen Verstärker oder an ein Mischpult bereitstellen. Der Signalunterschied beträgt ungefähr 3 dB und die Nützlichkeit dieses Features hat sich mir im Realbetrieb noch nicht offenbart, zumal der Ausgangspegel bequem über den Master-Regler gesteuert werden kann. An dieser Stelle wäre ein manuelles Poti für die Einstellung des Noise-Gates sinnvoller gewesen, wie es beim Vorgängermodell ME-50B vorhanden war. Zwar kann das Noise-Gate auch auf dem ME-90B recht einfach eingestellt werden, indem „EDIT“ gehalten und Bank-up oder Bank-down gedrückt wird, jedoch wäre ein einfaches Poti viel intuitiver. Die verbleibenden Audioanschlüsse sind einmal eine Stereo-Miniklinke für Kopfhörer und Send/Return für eine externe Effektschleife.
Zuletzt befindet sich noch ein Steckplatz für den optional erhältlichen Bluetooth-Adapter, ein USB-C-Anschluss, der Netzschalter und der Netzteilanschluss auf der Geräterückseite. Neben der Stromversorgung über das optional erhältliche Netzteil lässt sich das Gerät auch mit vier AA-Batterien betreiben. Der Batteriebetrieb ist zwar im Realbetrieb nicht unbedingt die Stromversorgung der Wahl, kann jedoch auf unterschiedliche Weise sehr nützlich sein.


Lieferumfang und Zubehör
Der Lieferumgang des BOSS ME-90B ist recht überschaubar. Enthalten sind das Gerät, vier AA-Batterien und der Start-up-Guide. Dass Netzteile nicht mehr selbstverständlich mitgeliefert werden, haben ja bereits bekannte Smartphone-Hersteller etabliert. Bei einem Multieffektgerät für den Bühneneinsatz jedoch sollte diese Vorgehensweise schon zu denken geben. Eine Bluetooth-Funktionalität gegen Aufpreis anzubieten (49,- Euro für den Dongle) ist vielleicht noch zu entschuldigen, wenn auch zweifelhaft in einem Zeitalter, in dem selbst die heimische Waschmaschine mit diesem Feature versehen ist. Das Fehlen des Netzadapters jedoch führt bei regelmäßiger Nutzung des Gerätes schon fast zwangsläufig dazu, sich diesen für 33,- Euro nachzubestellen. Zugegeben: Für 399,- Euro bekommt man mit dem BOSS ME-90B schon extrem viel fürs Geld, aber würde das Beilegen eines Netzteils und das Implementieren der Bluetooth-Konnektivität den Hersteller so viel kosten?
Entgegen dieser etwas schärferen Kritik ist das für 49,- Euro optional erhältliche Softbag durchaus empfehlenswert. So hat dieses eine angenehme Größe und bietet neben einer guten Passform fürs ME-90B auch genügend Stauraum für ein Netzteil im Hauptfach und reichlich Zubehör im Außenfach an, ohne dabei klobig zu werden. Die Reißverschlüsse sowie die Ösen und Haken für den Tragegurt machen ebenso einen robusten Eindruck und sind dem Preis angemessen.


Das Boss ME-90B Multieffektgerät in der Praxis
Das Boss ME-90B wurde nun zwei Wochen intensiv in der Praxis bei vier Auftritten und zwei Produktionsproben in unterschiedlichen Settings getestet. Wie bereits einleitend geschrieben, besteht mein normales Tour-Setup aus einem Neural DSP Quad Cortex. Das ME-90B hatte sich also gegen einen schwergewichtigen Konkurrenten zu behaupten und um es nicht zu spannend zu machen: Es hat sich blendend geschlagen!
Die größte Stärke des ME-90B liegt in seinem geradlinigen Bedienkonzept. „What you see is what you get“ ist hier das Motto und das fällt gerade eingefleischten Digital-Modeler Usern wie mir sofort auf. Natürlich, die Flexibilität des Quad-Cortex mit seinem intuitiven und vielseitigen Signal-Routing und die selbsterklärende Nutzeroberfläche auf einem großen, gut ablesbaren Touchscreen bleibt vom dagegen fast schon antiquiert anmutenden ME-90B unberührt. Der Flow jedoch, in der Probe zu experimentieren und „schnell mal was auszuprobieren“ kommt viel leichter mit einem analogen Board auf, da alle Effekteinstellungen beim Spielen eingesehen und auch on the fly schnell mit einer Hand verändert werden können. Und genau da kommt das ME-90B ins Spiel, da sein Bedienkonzept in erster Linie wie ein analoges Board mit physischen Bedienelementen ausgelegt ist. In der digitalen Modeler-Welt, insbesondere beim Quad Cortex, bedeutet dieses spontane Justieren zwangsläufig, auf einem Touchscreen oder in Menüs rumzudrücken. Das ist alles prinzipiell auch nicht unmöglich, aber ich habe in den letzten zwei Wochen selbst festgestellt, dass mich das ME-90B deutlich stärker dazu einlädt, einzelne Effektparameter spontan zu ändern als mein Quad Cortex.
Auch die Benutzung des Gerätes im Memory-Mode ist sehr intuitiv: Hat man im Manual-Mode, also im normalen Pedalboard-Betrieb, eine gute Einstellung gefunden, kann man diese auf einfache Weise abspeichern: Das erstmalige Drücken des Write-Buttons erlaubt das Wählen der Bank mit den Bank-Tastern und des Slots mit den von 1-4 nummerierten Tastern. Ist der Speicherslot gewählt, muss der Speichervorgang durch erneutes Drücken des Write-Buttons bestätigt werden. Im Memory-Mode haben die Fußtaster nicht mehr die Funktion, einzelne Effekte an- und auszuschalten, sondern sind zur Auswahl unterschiedlicher „Momentaufnahmen“ der Reglereinstellungen gedacht. Diese können in neun frei konfigurierbaren Banks zu je vier Slots gesichert werden. Darüber hinaus stehen ebensoviele vorgefertigte Werks-Presets zur Verfügung, die jedoch nicht überschrieben werden können. Zwar ist das Bedienkonzept des BOSS ME-90B eher auf die Nutzung im Manual-Mode ausgerichtet, jedoch wären ein paar mehr Speicherslots als 36 Stück schon wünschenswert. Gerade die einfache Bedienung des Memory-Modes und das leichte Umschalten zwischen beiden Bedienungsmodi durch einen eigens dafür vorgesehenen Fußtaster ist eine große Stärke des Gerätes. Bei einigen anderen Geräten müssen dafür mehrere Taster gleichzeitig betätigt oder Menüs aufgerufen werden.
Diese einfache Umschaltmöglichkeit, die im Übrigen auch ohne Unterbrechung des Output-Signals erfolgt, führt bei mir zu einer hybriden Nutzungsweise der Bedienmodi: Ein Grundsound und Grundeinstellungen einiger häufig genutzter Effekte bieten im Manual-Mode die Basis. Auch meine always-on Effekte und deren Einstellungen wie Preamp und Kompressor im Clean-Betrieb sind so jederzeit einsehbar. Im Live-Betrieb habe ich so alles vor mir, wie ich es von meinem analogen Board kenne. Will ich nun einzelne Effekte, wie eine Zerre oder ein Envelope-Filter nutzen, kann ich diese ganz normal über die Fußtaster an- und ausschalten. Wenn ich jedoch Zugang zu etwas aufwändigeren Signalketten mit mehreren Effekten gleichzeitig brauche, genügt ein Druck auf den Memory/Manual-Taster und das Gerät wechselt zum letzten benutzten Preset. So kann ich beispielsweise einfach zwischen einem Clean-Sound und einem Sound für das Akkordspiel auf dem Bass wechseln, bei dem Chorus, Hall, ein Low-Cut und andere Kompressoreinstellungen benötigt werden. Außerdem gibt es noch einen CTL-Taster, der frei mit Effekten belegbar ist.
Um maximale Flexibilität auf der Bühne zu erreichen, habe ich die Patches nach folgendem System programmiert. Dabei habe ich die Effekte in jeder Bank ähnlich angeordnet:
1 – Clean-Sound: Hier speichere ich meine bevorzugte Preamp- und Kompressorkombination ab. Das ist insbesondere auch nützlich, wenn man auf die Schnelle einen stabilen Clean-Sound mit Amp Simulation braucht und einige Regler sich beim Transport verstellt haben.
2 – Solo/Octaver-Sound: Je nach Anwendung ist hier ein Solo-Sound (Envelope Filter, Overtone etc.) oder ein Octaver bzw. Synthbass-Sound abgespeichert.
3 – Drive-Sound: Im dritten Slot gibts immer eine Zerre, die je nach Bank aggressiver oder milder ausfällt.
4 – Chorus/Reverb-Sound: Hier befindet sich die bereits beschriebene Effektkombination zum akkordischen Bassspiel
Dieses System hilft dabei, auch spontan immer schnell reagieren zu können. Außerdem sind bei mir die Banks 1-4 auf 5-8 gespiegelt mit dem einzigen Unterschied, dass ich bei den ersten vier Banks einen Preamp ausgewählt habe (Betrieb ohne Bassverstärker) und bei den nächsten vier Banks der EQ aktiviert ist (Betrieb mit Bassverstärker). In diesem Zusammenhang stößt man schnell an die Grenzen der Speicherplätze des ME-90B. Wünschenswert wäre dort ein „Mini-Hybrid-Mode“, in dem die Preamp-Sektion vom Memory-Mode nicht beeinflusst wird. Allerdings ist das im Bedienkonzept des Gerätes nicht vorgesehen und würde auch wieder die so attraktive Einfachheit des Gerätes kompromittieren. Außerdem könnte dies ansatzweise auch durch eine entsprechende Programmierung des CTL-Buttons erreicht werden.
In Bank 9 schließlich wurden von mir Sounds abgespeichert, die nur am Computer mithilfe der „Boss Tone Studio App“ ausgewählt werden können. So habe ich beispielsweise einen von mir so sehr geliebten Ampeg B-15 Flip Top auch ohne App jederzeit verfügbar.
Zusatzfunktionen
Das eingebaute Stimmgerät kann über das Halten des Memory/Manual-Fußtasters aktiviert werden und lässt sich auch auf andere Referenztonhöhen als 440 Hz einstellen. Es erkennt auch die B-Saite eines 5-Saiters und lässt sich gut ablesen. Allerdings gibt es zwischen „zu tief/zu hoch“ und „stimmt“ keinerlei Abstufungen. Es wäre schön gewesen, wenn man beispielsweise durch ein immer langsamer werdendes Blinken darauf hingewiesen würde, wie weit man daneben liegt bzw. wie genau der Ton schon stimmt.
Die Stärke des BOSS ME-90B besteht darin, dass man super ohne irgendwelche Editoren oder Zusatz-Apps zur Programmierung auskommt. Ist das jedoch erwünscht, bietet Boss einem die Möglichkeit dazu: Die „Boss Tone Studio App“ ist schon lange von anderen Boss Multieffektgeräten wie beispielsweise dem GT-1000 bekannt. Hier lassen sich sehr leicht und übersichtlich Patches programmieren, sortieren und als Set-Listen auf dem Computer abspeichern. Diese können dann wieder auf das ME-90B übertragen werden. Die dafür notwendige Verbindung stellt ein einfaches USB-C-Kabel dar.
Wie bereits beschrieben, ist der letzte Effekt einer Sektion in der Tone Studio App austauschbar. Diese zusätzliche Effektvielfalt ist natürlich erfreulich und kann wie oben beschrieben in manchen Fällen zu noch flexibleren Einsatzmöglichkeiten der Effektkombinationen führen, jedoch ist es bei der ansonsten so lobenswerten Geradlinigkeit des ME-90B schade, dass zum Freischalten dieser Effekte ein Computer notwendig ist. Auch wenn ich kein Freund von Tastenkombinationen und versteckten Bedienebenen bin, wäre es in diesem Falle durchaus wünschenswert, diese Effekte auch am Gerät durchschalten zu können. Das lässt sich zwar wie gesagt durch das Abspeichern solcher „versteckter“ Effekte im Memory-Mode umgehen, beansprucht aber wieder die nicht so üppig vorhandenen Speicherplätze.


Die Anbindung an einen Computer lässt sich jedoch mithilfe des optional erhältlichen Bluetooth-Dongles und eines Smartphones umgehen: Die kostenlose „Boss Tone Studio App“ ist auch für mobile Geräte erhältlich und weist den gleichen Funktionsumfang wie die Desktop-Variante der Software auf. Die Verbindung und Kommunikation der App mit dem ME-90B erfolgt schnell und störungsfrei und der Dongle ist daher durchaus eine Überlegung wert. Neben der Bluetooth Verbindung, die die Einstellungen und die Tone Studio App steuert, ist auch eine separate Bluetooth-Audioverbindung verfügbar. So können Playbacks abgespielt oder im Proberaum Bandaufnahmen über den Basskanal angehört werden (und zwar unabhängig von dem Gerät, das mit der Tone Studio App verbunden ist).
Über die genannten Funktionalitäten hinaus ist das BOSS ME-90B auch als Audiointerface nutzbar. Der Bass kann also mit den gewünschten Effekten in guter Qualität direkt über ein USB-Kabel in die DAW aufgenommen werden. Interessant ist ebenso die abschaltbare Loopback-Funktion. Dabei wird Computer-Audio ebenfalls über den digitalen Ausgang wiedergegeben. So kann beispielsweise ein Playback, das beim Üben vom Computer ausgegeben wird, gleich mit aufgenommen werden oder beim Online-Unterricht über Videochat mit ausgegeben werden. Ich habe mit dem ME-90B schon selbst online unterrichtet. Diese Flexibilität macht es auch zu einem hilfreichen Begleiter im professionellen Touralltag.
Danke für den Test und die vielen Klangbeispiele. Auch wenn, oder gerade weil, mich einige nicht überzeugen konnten.
Während ich bei Smartphones die Auslieferung ohne Netzteil aufgrund der Standardisierung verstehe und sogar begrüße, ist es bei solchen Geräten auch für mich ein Minuspunkt.
Du hast die (zumindest aus Deiner Sicht) Für und Wider recht gut herausgestellt und ich habe jetzt eine angepasstere Erwartungshaltung. Einen Selbsttest ist es allemal wert.