Semimodulare, generative Spielkiste
Bram Bos Solderbox ist ein dreistimmiger generativer semimodularer Synthesizer im Eurorack-Stil für iPadOS und macOS. Der Synthesizer entstand in Zusammenarbeit mit haQ attaQ aka Jakob Haq, der sich als iOS-Musiker und dem bekannten iOS Music YouTube-Streaming-Kanal Soundtestroom einen Namen machte.
Inhaltsverzeichnis
Bram Bos Solderbox
Vom Eurorack in Bits & Bytes
Schon mit Agonizer, dem Dub-Step-Synth-Monster, der in Zusammenarbeit mit Synthesizer-Mastermind Kai Aras entstand, wusste Haq seine Expertise als Musiker und Sounddesigner einzubringen, um etwas Besonderes zu erschaffen. Der neue Synthesizer basiert auf Jakobs eigenem Eurorack, das aus teils selbstgebauten Modulen besteht, deren Software-Implementierung stammt vom langjährigen iOS-Entwickler Bram Bos. Somit ist Solderbox ein sehr individuelles Produkt auf jeder Ebene. „Generative“ ist hier auch nicht als „KI“ zu verstehen, sondern im musiktheoretischem Sinne. Das bedeutet auch in der Regel minimale Noteneingabe.
Das Wesentliche
Bram Bos Solderbox ist eine „Universal App“, d. h. im Apple App-Store gekauft, läuft sie auf iPad, iPhone und Mac (ab macOS 10.15 Catalina/Intel) als Standalone-App oder AUv3-Plug-in. Dabei besteht die App aus dem Synthesizer und einer Effektversion mit Audioeingängen.
Performance
Auf dem iPad Pro 1st Gen liegt die App als Klangerzeuger bei (seltenen) maximalen 40 % DSP-Leistung unter AUM, meistens aber um die 32 %. Auf dem iPad Pro M2 (6th Gen) liegt der Durchschnitt bei 10 % und steigt bis zu ca. 14 %.
Auf dem M4 Pro Mac mini sind das gerade mal im Schnitt 0,74 %, maximal 0,98 % CPU-Belastung unter Reaper 7.26.
Die Module
An Modulen gibt es VCO, Shaper, Tiefpassfilter, LFO, Hüllkurvengenerator, Utility, Puls-Sequencer und Entropy.
Die normalisierte Vorverkabelung folgt auch dieser Reihenfolge. Die Patch-Punkte können mit Patch-Kabeln verbunden werden, um die internen Verbindungen zu unterbrechen. Ein einzelner Patch-Punkt kann dabei mit mehreren Kabeln belegt werden. Per „Langes Halten“-Geste bzw. langen Mausdrücken werden beliebige Kabel zum selben Patch-Punkt hinzugefügt.
Die Klangerzeugung bietet zwei VCOs, mit den vier Grundschwingungsformen plus Supersaw. VCO 2 kann auch zur Frequenzmodulation von VCO 1 benutzt werden. Wirklich spannend wird es dann beim Wavesurgeon Module, das aus zwei +/- Gleichrichtern mit Dämpfungswandlern (Attenuverter) besteht. Damit lassen sich die positiven bzw. negativen Schwingungsperioden abschneiden und invertiert wieder an die Schwingungsform ankleben. So lassen sich dann Schwingungsformen erzeugen, die sonst nur z. B. per aufwendiger additiver Synthese möglich wären.
Als nächstes kommt das Waveshaper-Modul mit fünf Modi, bekannt aus dem Buchla-Universum. Wobei hier aber nur der Effektanteil geregelt werden kann. Das Filtermodul bietet eine Flankensteilheit zwischen 6 und 24 dB/Okt. und zusätzlich Modulation und Sättigung.
Das LFO-Modul hat zwei LFOs, die frei – irgendwas zwischen 8s und 100 Hz – laufen können, oder temposynchron. Leider wird die LFO-Geschwindigkeit nur mit einem MIDI-Parameterwert von 1 bis 100 angegeben. Der Rest muss per Gehör erfolgen. Eine kleine Besonderheit ist hier der Patch-Punkt LFO 1+2, bei dem die Amplitudenhüllkurve von LFO 1 addiert mit LFO 2 ausgegeben wird. Für weitere generative Zwecke ist neben den Grundschwingungsformen auch Sample+Hold enthalten.
Der Hüllkurvengenerator bietet kein gewöhnliches ADSR, sondern Rise, Fall und Curve, mit dem die Anstiegs- und Abfallzeiten von steil zu exponentiell zu linear zu langsam überblendet werden können. Mit dem Loop-Parameter kann die Hüllkurve effektiv in einen weiteren LFO verwandelt werden, wobei aber immer noch über den Patch-Punkt „cycle loop“ mit jedem Loop-Durchlauf ein Gate-Signal abgegriffen werden kann.
Das Werkzeugmodul bietet drei Eingänge (In 1 – 3), die mit je einem Dämpfungswandler-Parameter versehen sind. Ohne Eingangssignal bestimmt der Parameter einen konstanten Ausgangswert zwischen 1 und -1. Neben der Kontrolle der Anstiegsgeschwindigkeit des Eingangssignals per Slew-Rate-Limiter, kann dieses auch mit dem Dämpfungswandersignal summiert oder für Amplitudenmodulationsklänge multipliziert werden.
Generative Klangerzeugung
Das Herzstück der generativen Klangerzeugung ist natürlich der Pulse-Sequencer mit Quantizer. Der Sequencer besteht aus drei Rechteck-LFOs bis ca. 10 Hz, welche die Geschwindigkeit von drei Sequenzen bestimmen, sowie drei Steuerspannungen als Tonhöhenvorgabe. Das wäre jetzt nicht viel, aber die Sauce kommt natürlich mit der Generierung. So laufen die drei LFOs parallel und immer, wenn eine Schwingungsperidode ihr Vorzeichen ändert, wird ein Noten-Trigger erzeugt, also zwei Noten pro Periode. Wenn gerade alle LFOs in der negative Periode sind, wird eine Pause erzeugt.
Ansonsten werden die eingestellten Pitch-CV-Werte A, B, C von allen LFOs, die gerade in der positiven Periode sind, summiert. Das ergibt acht mögliche Kombinationen: Pause, A, B, C, AB, AC, BC, ABC. Die Summe wird dann an den Quantiser geschickt und dort in eine Note umgewandelt.
Im Quantizer-Modul lassen sich erstmal die Tonart und die zu verwendenden Noten festlegen. Über die Patch-Punkte geht es dann ans Eingemachte. „Quant In“ verwandelt jedes eingehende Signal in einen Notenwert (und überschreibt die Note des Sequencers). „Mutate In“ erzeugt aus dem Eingangssignal eine Änderungswahrscheinlichkeit für die Sequencer-Note.
Abgegriffen werden können dann sowohl auf die Tonarten quantisierte wie auch unquantisierte Sequencer-Ausgaben, letztere dann mit einem Hang zur Atonalität. Schließlich gibt es noch den „Trig Out“, der jedes Mal auslöst, wenn der Sequencer eine Note ausgibt, und zuletzt die drei „Random“-Patch-Punkte zum Erzeugen und Abgreifen von Zufallswerten.
Da wir gerade beim Zufall sind, die Klang-Engine in Bram Bos Solderbox ist dafür designt, von sich aus „anfällig“ für Fluktuationen, Kriechströme, Bauteilübersprechen etc. zu sein. Also selbst wenn man die App völlig durchschaut hat, kann man nie sicher sein, sie auch zu beherrschen.
Das letzte Modul nennt sich, vielleicht etwas großmundig, Entropy, da es nur ein Delay mit separat einstellbaren Verzögerungszeiten pro Kanal ist. Auch der sehr schön crunchige 8 Bit Bitcrusher erfüllt nicht ganz, was ich sonst mit „Entropie“ assoziiere. Aber das sind Spitzfindigkeiten.