Mikro-Klassiker im modernen Gewand?
Der jüngste Mikrofon-Spross von Chandler Limited hat das Licht der Welt erblickt. Das Chandler Limited TG Microphone ist ein Großmembranmikrofon, das äußerlich an das legendäre U47 erinnert, aber technisch ganz neue Wege geht. Es will kein Klon eines alten Klassikers sein, sondern hat den Anspruch, selbst zum Klassiker zu werden.
Dafür wurde das Chandler Limited TG in enger Kooperation mit dem Londoner Abbey Road Studio entwickelt. Das TG im Produktnamen soll auf eine klangliche Verwandtschaft zum berühmten EMI Mischpult TG12345 hindeuten. Dieses war EMIs erste Solid State Console und verantwortlich für den Sound von Beatles‘ „Abbey Road“ und Pink Floyds „Dark Side Of The Moon“.
Über Chandler Limited
Wade Goeke hat die Firma Chandler Limited 1999 gegründet. Zuvor hat er bereits in Studios in Los Angeles mit Größen wie Rick Rubin oder den Foo Fighters gearbeitet und früh begonnen, eigenes Equipment herzustellen. Anfangs noch als Ein-Mann-Betrieb in Kalifornien ist die Firma mittlerweile nach Iowa umgezogen und hat mehrere Angestellte. Ursprünglich lag der Fokus auf Preamps und Kompressoren, doch mittlerweile ist der Produktkatalog auf eine beachtliche Größe angewachsen.
Mit dem REDD Microphone kam vor wenigen Jahren auch das erste Mikrofon auf den Markt. Dieses Röhrenmikrofon liegt mit einem Straßenpreis von über 6000,- Euro in der Preisklasse eines Neumann U67 und ist nicht mal eben so erschwinglich. Das hier zum Test vorliegende TG Microphone kostet “nur” etwas mehr als ein Drittel und schlägt mit knapp 2.200,- Euro zu Buche.
Eine große Leidenschaft von Wade Goeke ist das legendäre Equipment der Londoner Abbey Road Studios. Wie in den 60er Jahren üblich, hatten damals viele Studios eine eigene Technikabteilung, die das Equipment, soweit es möglich war, In-House hergestellt hat. Das war auch bei EMI der Fall und so gab es die EMI Konsolen, Preamps und Kompressoren ausschließlich in den eigenen Studios. Das war damals mit einer der Gründe, warum jedes Studio noch seinen “eigenen Sound hatte”. Durch die enge Kooperation mit den Engländern hat Wade es geschafft, einen exklusiven Deal auszuhandeln: Chandler Limited ist weltweit der einzige Hersteller, der für seine Audioprodukte die Markennamen EMI und Abbey Road Studio verwenden darf.
Lieferumfang des Chandler Limited TG Mikrofons
Auf einen hochwertigen Pelican Style Koffer wie beim REDD Microphone muss man beim Chandler Limited TG leider verzichten. Auch gibt es keine Umverpackung. In einem braunen Karton werden die einzelnen Teile geliefert. Das ist in dieser Preisklasse zunächst einmal etwas ungewöhnlich und sieht aufgrund der unterschiedlichen Schaumstoffbeigaben ein wenig “wild” aus. Es zeugt aber davon, dass wir es hier noch mit echter Handarbeit zu tun haben.
Im Karton findet man eine Holzbox, in der sich das Mikrofon befindet, ein externes Netzteil zur Spannungsversorgung des Mikrofons, ein weiteres Netzteil zur Stromversorgung des externen Netzteils, eine silberne Mikrofonspinne sowie ein 4-poliges Mikrofonkabel. Dieses ist von Mogami und macht einen sehr guten Eindruck. Viele andere Hersteller sparen bei diesem, für die Signalkette extrem wichtigen Zubehör. Eine Bedienungsanleitung wird nicht mitgeliefert. Die Qualität der Spinne geht in Ordnung und auch das Netzteil zur Stromversorgung des Mikrofons ist robust verarbeitet.
Das Mikrofon selbst macht einen wertigen Eindruck, hat mit 650 Gramm ein angenehmes Gewicht und ist innen und außen gut verarbeitet. Der etwas strenge Geruch ist dem Schaumstoff der Aufbewahrungsbox geschuldet und sollte sich nach einiger Zeit verflüchtigen. Auch eine Plastikhülle liegt dem Mikrofon bei, die zusätzlichen Schutz bietet. Schade, dass keine Bedienungsanleitung mitgeliefert wird, denn das gute Stück ist nicht unbedingt selbsterklärend.
Das -10 dB Pad und der Low-Cut-Schalter am Mikrofon-Body sind alte Bekannte und die einstellbare Richtcharakteristik wird auch jedermann vertraut sein. Was hat es aber mit System A und System B auf sich? Und was um alles in der Welt macht der Fünffach-Wahlschalter auf der Rückseite, mit dem sich verschiedene Bandgeschwindigkeiten auswählen lassen? 7,5 oder 15 Inch per Second in einem Mikrofon? Fragen über Fragen. Schön, dass sich online eine englischsprachige Bedienungsanleitung finden lässt.
Technische Werte des Chandler Limited TG Microphone
Aufgrund des zusätzlichen externen Netzteils und der Lüftungsschlitze auf der Rückseite des Gehäuses könnte man fast denken, dass man es mit einem Röhrenmikrofon zu tun hat. Dem ist aber nicht so, das Chandler Limited TG ist ein Kondensatormikrofon auf Transistorbasis. Warum also ein externes Netzteil und der Verzicht auf 48 Volt Phantomspannung? Anscheinend benötigt die aufwändige interne Schaltung etwas mehr Stromstärke als die übliche 48 Volt Phantomspannung liefern kann. Beim externen Netzteil messe ich zwar eine normale Ausgangsspannung von 47,5 Volt – allerdings liefert es eine Stromstärke von 12,3 Milliampere. Eine gewöhnliche 48 Volt Phantomspannung liefert im besten Fall nur bis zu 10 mA und leider gibt es einige Preamp-Hersteller, die es damit nicht so genau nehmen und noch weniger mA bereitstellen.
Als Richtcharakteristik hat man beim Chandler Limited TG die Wahl zwischen Niere oder Kugel. Superniere oder Acht hat das Mikrofon leider nicht im Programm. Der Schalter dafür befindet sich in einer Versenkung unterhalb des Mikrofonkorbs und kann nur mit einem Schraubenzieher oder ähnlichem verstellt werden. Auf der unteren Vorderseite gibt es zwei Kippschalter, die aus dem Gehäuse ragen. Da wäre zum einen ein Low-Cut-Schalter der bei 50 bzw. 90 Hz zupackt und zum anderen einen Schalter, mit dem man zwischen System A und System B wechseln kann.
Ebenfalls versenkt ist das -10 dB Pad.
Warum einige Schalter aus dem Gehäuse ragen und andere in einer Versenkung verschwinden, erschließt sich meiner Logik nicht ganz. Wieso kann ich den Low-Cut jederzeit bedienen, muss aber für die Aktivierung des Pads einen Schraubenzieher suchen?
Auf der Rückseite des TG Microphones befindet sich der besagte Fünffach-Schalter. Dabei handelt es sich um vordefinierte EQ-Einstellungen, die den Sound der legendären EMI TG 12410 Console nachempfinden sollen. Daher rühren auch die kuriosen Bezeichnungen, die die unterschiedlichen Bandgeschwindigkeiten suggerieren sollen. Diese wurden von der originalen TG Konsole übernommen und dienten ursprünglich dazu, bei Band-Überspielungen von NAB- auf IEC-Entzerrung einen etwaigen Klangverlust zu kompensieren.
Über viele technische Details hüllt sich der Hersteller leider in Schweigen. Ein Grenzschalldruckpegel für die verschiedenen Betriebsarten wird nicht angegeben, auch Daten zum Grundrauschen sucht man vergeblich. Frequenzkurven und Polardiagramme für die verschiedenen Richtcharakteristiken, Systeme A und B oder für die grafische Darstellung der Auswirkungen der EQ-Sektion gibt es nicht. Als Anwender kann man also nur seinen Ohren vertrauen (was per se natürlich nicht schlecht ist), trotzdem ist das in dieser Preisklasse nicht genug. Ob das Mikrofon für einen geplanten Einsatz geeignet ist, kann man im Vorfeld aufgrund fehlender Daten nicht wissen.
Auch wie die Flankenstellung des Low-Cuts aussieht oder ob das Pad die Empfindlichkeit der Kapsel verringert oder eventuell nur die Ausgangsleistung reduziert – all das bleibt ein Rätsel.
Die verbaute Mikrofonkapsel ist randterminiert, lehnt sich also an das CK-12 Design von AKG an. Wer der Hersteller ist und wie die genauen Spezifikationen sind? Darüber hüllt man sich ebenfalls in Schweigen. Innen befindet sich ein dicker Übertrager, Hersteller oder Werte unbekannt. Das Chandler Limited TG macht mir meinen Job nicht leicht. Ein paar Sachen findet man dann doch auf der Homepage: Die Impedanz des Mikrofons beträgt 200 Ohm, ein üblicher Wert.
Laut Handbuch besagen die EQ Einstellungen folgendes:
1. Position NAB/IEC 7,5 ips: mehr Bassanteile
2. Position NAB/IEC 15 ips: mehr Höhenanteile
3. Position: EQ Aus
4. Position: IEC/NAB 7,5 ips: mehr Bass und mehr Höhen (weniger Mitten)
5. Position: IEC/NAB 7,5 ips: noch mehr Bass und mehr Höhen (noch weniger Mitten)
Genauere Angaben, also welche Frequenzteile um wie viel dB erhöht werden, darüber gibt es keine Informationen. Es bleibt also nur eins: ausprobieren. Hier ein Blick ins Innere:
Das Chandler Limited TG Microphone im Einsatz
Der Aufbau des Mikrofons mit der mitgelieferten Spinne ist aufgrund der vielen Schalter etwas frickeliger als bei anderen Mikrofonen mit der klassischen U47 Bauform. Ein eigenes Netzteil zur Stromversorgung eines Transistormikrofons mitzusenden mag erst sonderlich erscheinen – zeugt aber von Hingabe seitens des Herstellers, der sicherstellen will, dass das eigene Produkt tadellos funktioniert. Laut Bedienungsanleitung soll man dem Mikrofon vor dem Einsatz eine fünfminütige Aufwärmzeit gönnen. Das machen wir doch gern…
Sowie man die Stromzufuhr aktiviert, beginnt eine rote LED den Mikrofonkorb des Chandler Limited TG zu beleuchten. Dieser Rotlicht-Effekt wirkt auf mich ehrlich gesagt etwas billig und das äußerlich recht edel wirkende Mikrofon bekommt dadurch im Handumdrehen den Charme eines Spielzeugs. Der rötlich-pinke Schein passt farblich weder zum Gehäuses noch zum silbernen Mikrofonkorb. Ich habe nichts gegen eine Status-LED am Body, die mir anzeigt, ob das Mikrofon mit Strom versorgt wird. Aber so wird sich manch einer schwer tun, das Mikrofon rein optisch ernst zu nehmen.
Klanglich empfand ich das Chandler Limited TG auf Anhieb als sehr angenehm. Der Vintage Charakter ist deutlich zu spüren bzw. zu hören. Durch die verschiedenen Systeme und EQ-Einstellungen ergibt sich eine Fülle an klanglichen Optionen, die mir bisher bei noch keinem anderen Mikrofon so untergekommen ist (ausgenommen bei softwarebasierten Mod-Mics). Um das in einer kleinen Rechnung zu verdeutlichen: 2 Richtcharakteristiken x 5 EQ-Einstellungen x 2 Systeme ergibt 20 klanglich unterschiedliche Settings. Nimmt man jetzt noch das Low-Cut-Filter als tonales Gestaltungselement mit dazu, ergeben sich sogar 60 verschiedene Sounds mit nur einem einzigen Mikrofon. Teilt man den Straßenpreis von 2.200,- Euro durch diese Anzahl, dann macht das pro Sound knapp 37,- Euro. So gesehen kein schlechter Deal!
Als Vergleichsmikrofone dienen mir für diesen Test das Golden Age Premier GA-47 Röhrenmikrofon (mit einem puristischen Aufbau und etwas zurückgenommener Höhenabbildung) sowie das moderne Austrian Audio OC818 (das ebenfalls eine randterminierte Kapsel besitzt und im Test mit angenehmer Präsenz überzeugt hat).
Hier alle Mikrofone zunächst am Gitarrenverstärker. Die einzelnen Samples wurden hintereinander aufgenommen, damit die Kapseln der Mikros auf der exakt gleichen Position sind:
Wechselt man auf die Richtcharakteristik Kugel, fällt der Lautstärkepegel des Chandler Limited TG um rund 5 dB ab (beim GA-47 sind es 1,8 dB und das OC818 wird sogar um 1 dB lauter). Auch die klangliche Signatur des Chandler TG Microphones verändert sich im Vergleich zur Niere. Höhen ab ca. 5 kHz werden verstärkt und tiefe Frequenzen reduziert. Die Lautstärkeunterschiede habe ich zum besseren Vergleich mit digitalem Gain kompensiert:
Bei einer Vergleichsmessung der beiden Kapseln stellt sich heraus, dass die hintere Kapsel weniger Bass, dafür aber mehr Höhen liefert. Hier die hintere Kapsel im Vergleich zur vorderen Kapsel (0 dB Kennlinie):
Nun einige Beispiele, um die Wirkungsweise des passiven EQs zu veranschaulichen:
Das Resultat bestätigt die Angaben im Handbuch. Die klanglichen Änderungen gehen auch mit veränderter Lautstärke einher, diese habe ich wieder kompensiert.
Hier ein Vergleich zwischen System A und System B. System B liefert an der E-Gitarre ein um 3,2 dB reduziertes Signal. Die klanglichen Unterschiede fallen hier eher gering aus:
Bei einer Session mit dem Schlagzeuger Achim Färber, der unter anderem mit Bands wie Eisbrecher und Project Pitchfork auf Tour ist, habe ich das Chandler TG Microphone neben dem Golden Age GA-47 als Front of Kit Mikrofon eingesetzt:
Hervorzuheben ist, dass das Chandler TG Microphone beim Rauschverhalten auf dem Level des OC818 ist – womit es sich etwa im 10 dB SPL Bereich. Ein sehr guter Wert für ein Mikrofon mit Vintage-Charme. Laut meinen Messungen greifen die beiden Low-Cut-Einstellungen bei 50 Hz bzw. 100 Hz mit 6 dB/Okt. recht sanft ins Geschehen ein.
Zum Abschluss noch ein paar Sprachaufnahmen, aufgenommen im Abstand von ca. 12 cm:
Als Mikrofon für Gesang und Sprache eignet sich das Chandler Limited TG Microphone sehr gut. Durch seine flexiblen Einstellungsmöglichkeiten kann es die Stimme je nach Bedarf etwas „anfetten“ oder auch ausdünnen. Wer auch diesem Gebiet noch sucht, könnte dadurch beim Chandler fündig werden.
Nachdem ich das Video zum $140 TZAudio Stellar X2 gesehen habe:
https://www.youtube.com/watch?v=GcUQE_NyHi4
sind Mikro-Preise sehr „fragwürdig“.
Alles mit »Abbey Road Studios«, »EMI« oder schlimmer noch mit »Beatles« Touch wird als »Klassiker« vermarktet. »Die gute alte Zeit« ist aber vorbei und heute gibt es genug erstklassige Geräte die ohne dieses Marketing auskommen.
Auch wird wohl Paul McCartney keinen alten Verstärker benutzen. Bei seinen Konzerten sieht man davon auch nichts auf der Bühne.
Ich erinnere mich an einen Nachmittag mit George Solti der auf die Frage nach der historischen Aufführungspraxis und Instrumentierung geantwortet hat »Wenn das Alte so gut ist, warum fährt dann heute keiner mit der Kutsche?«.