Der raue Sound der Sowjetunion als Software
Mit dem Cherry Audio Atomika Software-Synthesizer bringt die amerikanische Software-Schmiede eine authentische Emulation und Weiterentwicklung des legendären sowjetischen Polivoks auf den Markt. Bekannt ist das Retro-Instrument vor allem wegen seines rauen und spitzen Sounds, mit dem er eine Zeit lang überwiegend in der Techno-Szene Anklang fand. In diesem Testbericht nehmen wir die Software-Variante genauestens unter die Lupe und schauen auf Neuerungen, die Cherry Audio dem Synthesizer hinzugefügt hat.
Inhaltsverzeichnis
Cherry Audio
Das noch junge amerikanische Unternehmen Cherry Audio begeisterte bereits mit vielen hochwertigen Software-Instrumenten und -Effekten. Gerade Emulationen von legendären Synthesizern und vor allem die eigens hinzugefügten Erweiterungen lassen viele Herzen höher schlagen. So brachte Cherry Audio mit dem Mercury-6 beispielsweise eine erschwingliche Nachbildung des berühmten analogen Synthesizers Jupiter-6 auf den Markt. Und auch die erst kürzlich erschienene Orgel-Emulation Blue3 begeistert mit detaillierten Bedienmöglichkeiten, hochqualitativen Sounds und hinzugefügten Effekten im Stompbox-Stil. Nun folgt mit der Software-Version des sowjetischen Polivoks ein weiterer Klassiker, der zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten mit sich bringt.
Das Original: Analoger Synthesizer Polivoks
Der Polivoks ist ein legendärer analoger Synthesizer, der zwischen 1982 und 1990 in der ehemaligen Sowjetunion entwickelt und produziert wurde. Er entstand in Zusammenarbeit des Toningenieurs Vladimir Kuzmin und seiner Frau Olympiada, die überwiegend für das industrielle und fast schon militärisch erscheinende Design verantwortlich ist. Der Synthesizer gilt als die sogenannte „sowjetische Antwort“ auf westliche Synthesizer, wie beispielsweise die von Moog oder Roland.
Besonders bekannt ist der Polivoks für sein einzigartiges Filter, das nicht auf die damals übliche Bauweise setzt, sondern auf programmierbare Operationsverstärker, was ihm seinen berühmten rauen und aggressiven Sound verleiht. Diese unübliche Wahl ist ein Ergebnis der technischen Beschränkungen der sowjetischen Elektronikindustrie. Das zu der Zeit neuartige Filterdesign ermöglicht extreme Verzerrungen, die noch bis heute in der experimentellen Musik sehr geschätzt werden.
Der analoge Synthesizer verfügt über zwei VCOs (englisch für spannungsgesteuerter Oszillator), schleifenfähige Hüllkurven und einen duophonen Modus, wodurch das Spielen von zwei Tönen gleichzeitig möglich ist. Trotz seiner technischen Einschränkungen wird der Polivoks für seine Vielseitigkeit und Robustheit geschätzt, auch wenn die Verarbeitung und insbesondere auch die Qualität der Tastatur oft als unzuverlässig gilt. Das äußere Design des Polivoks spiegelt den industriellen Charakter der Sowjetunion wider.
Wenn du mehr zum Formanta Polivoks wissen möchtest, findest du hier unseren Vintage-Beitrag.
Ein Blick auf den Software Synthesizer Atomika
Eines vorab: Cherry Audios Atomika ist nicht nur eine softwarebasierte Nachbildung des analogen Polivoks, sondern eher eine Weiterentwicklung. Die Charakteristik des knapp 40 Jahre alten Synthesizers bleibt bei Atomika zwar bestehen, bekommt aber durch hinzugefügte technische Erweiterungen mehr Möglichkeiten, die vor allem in Sachen Klang und Live-Performance eine Steigerung sind. Auf diese Art und Weise schafft Cherry Audio in Zusammenarbeit mit dem renommierten DSP-Ingenieur Mark Barton eine moderne Software-Lösung mit analogem Klang und präziser Klangverfeinerung für alle Musikfreunde.
Benutzeroberfläche und Bedienung
Generell ist die Benutzeroberfläche von Atomika übersichtlich und modern gestaltet, aber auch mit einem Augenzwinkern an die Vergangenheit versehen: Optional können die Beschriftungen der einzelnen Regler und Bedienelemente in kyrillischer Schrift angezeigt werden. Es gibt außerdem eine Zoom-Funktion, die besonders in komplexeren Projekten nützlich ist, um den Überblick zu behalten. Für Nutzer mit wenig Platz auf dem Bildschirm lässt sich die Klaviatur auf Knopfdruck ausblenden.
Polyphonie und Modulationsmöglichkeiten
Ein großer Fortschritt gegenüber dem originalen analogen Polivoks ist die Erweiterung von der duophonen Klangerzeugung auf eine bis zu 16-stimmige Polyphonie. Dies ermöglicht es, komplexere Harmonien und einen generell vollere Klang zu erzeugen. Für die zwei baugleichen Oszillatoren kommt außerdem Unison-Oszillator-Stacking zum Einsatz, was bedeutet, dass mehrere Stimmen gleichzeitig gespielt werden können, um ein breiteres Klangbild zu erzeugen.
Zusätzlich bietet Cherry Audios Atomika erweiterte Modulationen mit neuen Schwingungsformen, insgesamt sind es fünf pro Oszillator: Dreieck, Sägezahn, Rechteck, breiter Puls und schmaler Puls. Dank der Unterstützung von Velocity und Aftertouch, können dynamische Variationen eingebaut werden. Neu ist ebenfalls die Einbindung des Mod-Wheels, wodurch die Klangmodulation gesteuert und Klangfarben eines Sounds spontan eingestellt werden können. Zusätzlich sorgt die neue Glide-Option für einen nahtlosen Übergang zwischen den Noten, was den Klang besonders geschmeidig und fließend macht. Diese Kombination aus modernen Funktionen und den bewährten Klangeigenschaften des Polivoks macht Atomika zu einer „Wunderwaffe“ im Bereich der Musikproduktion, um ausgetretene Pfade zu verlassen.
Die Filtersektion
Die Filtersektion von Cherry Audio Atomika ist eine der herausragenden Eigenschaften des Synthesizers. Sie reproduziert nicht nur den originalgetreuen Klang vom analogen Polivoks, sondern bietet auch erweiterte Möglichkeiten zur Klanggestaltung.
Die Hauptfiltertypen (Tiefpass und Bandpass) werden mit neuen Modi wie Hochpass, Notch und Peak ergänzt, mit denen sich der Klang noch flexibler gestalten lässt. Neu ist auch die Starve-Funktion, die es ermöglicht, die Filterresonanz zu reduzieren und so einen recht rauen Klang hinzuzufügen. Der Filter-Drive verleiht dem Signal durch Sättigung und einer Betonung der Obertöne zusätzliche Wärme und ordentlich Druck. Dank dieser Kombination aus klassischen und modernen Filteroptionen lässt sich der Klang des Synthesizers individuell formen, sei es zur Nachbildung des originalen Polivoks-Klangs oder zur Erzeugung neuer Sounds.
Effekte und Arpeggiator
Neben der üblichen Synthesizer-Oberfläche, hat Atomika ein zweites Panel, das sich per Knopfdruck aufrufen lässt. Es enthält einen vielseitig einstellbaren Arpeggiator und vier integrierte Effekte: Phaser, Flanger/Chorus, Echo und Reverb. Besonders praktisch ist die Vielzahl an unterschiedlichen Einstellmöglichkeiten, wie fünf verschiedene Hall-Arten und vier verschiedene Delay-Modi. Dank einer übersichtlichen Gestaltung, sollten sich hier auch Anfänger gut zurecht finden.
Mitgelieferte Presets und MIDI-Integration
Mit über 350 professionell gestalteten Presets liefert Cherry Audio im Software-Synthesizer Atomika eine umfangreiche Auswahl an Sounds, die von klassischen Polivoks-Klängen bis hin zu modernen Texturen reicht. Dank umfassender MIDI-Mapping-Funktionen und DAW-Automation lässt sich Atomika problemlos in jede moderne Produktion integrieren. Die Klangpalette kann außerdem durch das separat erhältliche Preset-Paket „Chain Reactions“ erweitert werden. Auch selbst erstellte Sounds lassen sich als Preset abspeichern, benennen und in eine der Kategorien einsortieren.
Klangbeispiele
Wie bereits erwähnt, überzeugt der Polivoks und so auch die Emulation Atomika mit einem scharfen und aggressiven Klang. Vor allem dank der hinzugefügten Einstellmöglichkeiten in der Filtersektion und den integrierten Effekten lässt sich von dreckigen Lead-Sound bis hin zu sphärischen Pads nahezu alles erzeugen.
Der trockene Oszillator-Klang
Ausschlaggebend für einen guten Synthesizer-Sound ist zuallererst der Klang des Oszillators. Die zwei baugleichen Oszillatoren des Software-Synthesizers Atomika sind mit je fünf einstellbaren Schwingungsformen ausgestattet. Alle fünf sind im folgenden Klangbeispiel unbearbeitet der Reihe nach zu hören: Dreieck, Sägezahn, Rechteck, Weitpuls und Schmalpuls.
Filter-Einstellungen
Im folgenden Klangbeispiel ist der erste Oszillator im 16’-Bereich als Rechteckschwingung und der zweite Oszillator leicht verstimmt im 16’-Bereich als Sägezahnschwingung unbearbeitet und mit jeweils gleicher Lautstärke zu hören.
Nachfolgend ist derselbe Klang zu hören, der jetzt allerdings mit dem Cutoff-Regler der Filter-Sektion bearbeitet wird. Wir sweepen von unten nach oben und wieder zurück.
Amp-Sektion: Drive und Modulation
Für die nachfolgenden Klangbeispiele verwenden wir folgende Einstellung: Der erste Oszillator befindet sich im 8’-Bereich als Rechteckschwingung, der zweiter Oszillator um sieben Halbtöne nach oben gestimmt im 4’-Bereich als Weitpuls-Schwingung. Beide Quellen sind unbearbeitet und auf die jeweils gleiche Lautstärke eingestellt.
Zur Demonstration des Amp-Drives werden beide eingestellten Oszillatoren bearbeitet. Zu Beginn des Klangbeispiels ist der Drive ausgeschaltet und wird nach und nach bis auf sein einstellbares Maximum und schließlich wieder zurück gedreht.
Ohne die Bearbeitung durch den Amp Drive wird der sich darunter befindende Regler für die Tiefe der Modulation im folgenden Klangbeispiel vom Minimum auf sein Maximum und wieder zurück gedreht.
Effekt-Sektion
Auch von den erwähnten Effekte sollen beispielhaft Chorus, Echo, Reverb und eine Mischung zu hören sein.
Alternative Emulationen zu Atomika
Ernstzunehmende Konkurrenten zu Atomika gibt es anscheinend nicht. Wer nicht gerade das Glück hat, einen originalen analogen Polivoks zu finden, ist mit Cherry Audios Emulation in jedem Fall bestens ausgestattet. Eine bei diversen Anbietern von Plugins geführte Emulation namens Polyvox für knapp 26,- Euro lässt sich über den Kontakt Player von Native Instruments spielen, ist optisch jedoch deutlich ausgedünnter als Atomika. Diese Software Variante kommt mit gerade einmal 12 Reglern aus und ist deshalb nicht ansatzweise so flexibel und filigran einstellbar wie Atomika, überzeugt in einem Demo-Video aber mit recht solidem Sound. Generell werden aber meines Wissens nach keine Alternativen auf Augenhöhe geboten, korrigiert mich gerne in den Kommentaren.
Wer den Sound des Polivoks lieber als Hardware möchte, findet aber auch einige Alternativen zum Gebrauchtkauf. Insbesondere die charakterstarke Filterschaltung ist inzwischen von einigen Herstellern nachgebaut worden, so zum Beispiel von Erica Synths:
Video
Performance auf dem Atomika Software Synthesizer
Natürlich darf auch ein etwas musikalischeres Klangbeispiel nicht fehlen. Um zusätzlich zum Sound einen Eindruck zu bekommen, lassen sich eingestellte Parameter der spontanen Performance mit mehreren Sounds auf dem Atomika Software-Synthesizer im folgenden Video miterleben.
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Finde das Original schon sehr fett und drückend, ohne es je real gesehen zu haben. Dieser Softwaresynthesizer bestätigt dies! Klar, ist es der gefühlt tausende analogklingende Softwaresynthesizer, aber der Klang ist sicherlich gut durchsetzungsfähig im Mix. Hätte man nicht schon relativ viel im Repertoire, er wäre ein heißer Kandidat. Vieles im Sobftwarebereich klingt einfach zu smooth, LoFi und „ambientmäßig“ leider, was auch aktuell ein für mich unverständlicher Trend ist. Nö, Nö! Fett, dreckig und durchsetzungsfähig muss es sein. Alles andere braucht niemand auf der Welt meiner Ansicht nach! Weich mache ich die Klänge schon selber wenn es sein muß! Für’n Fuffi macht man glaub dbzgl. nix falsch.
@Filterpad Ich bin immer wieder begeistert, wie fett und durchsetzungsfähig der freie (nicht nur kostenlos, ich hab ihn kompiliert) TAL Noisemaker ist. Für mich ist der wie ein Minimoog. Dass er auf Wunsch polyphon ist, macht es nur besser.
@bluebell Okay interessant. 💪
@bluebell TAL Noisemake klingt nicht wie wie Minimoog. Hab beides und für mich liegen Welten dazwischen. Aber es freut mich sehr, dass Du daran deinen Spaß gefunden hast. 🙂
@Round Robin Er hat ja auch nicht geschrieben das er wie ein Minimoog klingt sondern das er für IHN wie ein Minimoog IST(Was das auch immer für ihn bedeuten mag).
Das ist schon ein Unterschied.
@Noname Genau. Ich brauche keine exakte Kopie. Wenn ich einen Synth brauche für einen Zweck, für den ich einen Minimoog nehmen würde, wenn ich einen hätte, dann nehme ich den TAL Noisemaker.
Wobei es natürlich interessant wäre, wieviele Leute einen gut gewarteten Minimoog ohne Kontaktprobleme in einem Blindtest sicher von einem TAL Noisemaker unterscheiden würden, wenn man sich beim Erstellen des Patches Mühe geben würde.
@bluebell Hallo bluebell
Apopro FREE Minimoog plugIns (und ähnliches)
hier 15 verschiedene Exemplare :
https://hiphopmakers.com/best-free-minimoog-vst-emulator-plugins
Gruss MasterBlasterFX