Die Venus(Röhren)-falle?
Das Crazy Tube Circuits Venus Overdrive Pedal ist ein warm klingender Overdrive mit zusätzlichem Line-Driver und einer echten Röhre, der authentische Vintage-Gitarrenklänge erzeugt. Wir haben den ausführlichen Test gemacht.
Inhaltsverzeichnis
Overdrive Pedal mit Röhre – wie bitte?
Solch ein Röhrchen in einem Döschen zu unseren Füßchen, das ist schon eine wesentliche Zutat zu einem leckeren Gericht. Und so kochen wir uns heute mal unser eigenes Soundsüppchen, würzen mit ein wenig Delay und Reverb, schmecken das ganze fein ab mit einer Portion Celestion Greenback und wärmen das Ganze im Röhrenofen. Ja, richtig gelesen, heute gibt’s hier keinen schnöden, digitalen Brei. Das ist für mich total untypisch, allein deshalb wird das hier schon spannend.
Wer mich kennt, der weiß, dass ich den digitalen Verstärkerlösungen sehr wohlgesonnen bin. Aber auch ich habe mal groß (und schwer) angefangen. Ich weiß, wie es ist, einen Marshall Stack ins Auto und auf die Bühne zu wuchten, ich habe Boogies und Soldanos geschleppt und gespielt und sogar einen der legendären PCL Vintage Amps besessen. Mein 32 kg schweres Bogner Alchemist-Ungetüm hat meinen Bandscheibenvorfall verursacht.


Und nun kommt da so eine kleine Blechdose aus dem Karton und will mir weismachen, dass man so richtigen Röhren-Overdrive auf ein paar Quadratzentimetern bekommen kann? Na gut. Nun ist die Idee, mit einer Röhre in einem Pedaleffekt zu arbeiten, wirklich nicht neu. Aber wie so oft kommt es auch – oder gerade hier – darauf an, wie der Kolben eingebunden wird in den Rest der Elektronik. Als Vorbild für das Crazy Tube Circuits Venus Overdrive Pedal dient der legendäre Chandler Tube Driver (oder BK Butler, je nach Herstellungsdatum), mit dem schon David Gilmour großartiges vollbracht hat.
Crazy Tube Circuits Venus Overdrive – Facts & Features
126 × 66 x 57 mm klein ist das Crazy Tube Circuits Venus Overdrive Pedal, dabei wiegt es knapp 320 g. An den Seiten des stabilen Metallgehäuses sorgen je drei Lüftungsschlitze für frischen Wind und Kühlung des Glaskolbens, alle Anschlüsse befinden sich an der Stirnseite. Da gibt’s nicht viel zu erzählen, rein, raus und Strom, wobei das Netzteil bei 9V mindestens 500 mA liefern sollte, damit die Röhre glüht. Ein Netzteil ist netterweise dabei, das liefert auch direkt ein sattes Ampere.
Auf der Oberfläche befinden sich sechs Potis, wobei die oberen drei für Volume, Bias und Drive zuständig sind, während die untere Reihe die klassische 3-Band EQ-Sektion abbildet. Der Bias-Regler dürfte so auf nur wenigen anderen Pedalen zum Einsatz kommen, deshalb hier eine kleine Erläuterung:
Der Tube Bias, wie man ihn vom Röhrenverstärker kennt, ist, vereinfacht gesagt, eine regelbare Vorspannung der Röhre, die dafür sorgt, dass die Röhre im unbelasteten Zustand mit einer stabilen Stromstärke arbeitet, was Auswirkungen auf den Klang und die Lebensdauer der Röhre hat. Normalerweise ist eine Justierung des Ruhestroms bei Vorstufenröhren (und der Venus ist ja eher mit einer Vorstufe vergleichbar) verzichtbar, besondere Bedeutung fällt der Einstellung eher bei Endstufenröhren zu, weil diese wesentlich empfindlicher auf unterschiedliche Einstellungen reagieren.

Tube inside! Das Venus Overdrive Pedal klingt damit unglaublich gut und es ist sogar möglich, andere Röhren einzusetzen und per Biasregler anzupassen.
Trotzdem hat man hier dem Venus Overdrive einen Biasregler verpasst. Warum? Weil’s Spaß macht. Dieser Regler nimmt auch hier Einfluss auf das röhrende Soundgeschehen. Dreht man ihn ganz nach links, klingt’s eher fuzzig kratzig, während weiter rechts die Charakteristik der Verzerrung eher cremiger und gefälliger wirkt.
Die Röhre im Venus Overdrive Pedal
Als Röhre kommt eine ECC832 zum Einsatz, ein Mischung aus der beliebten ECC83 (12AX7), wie sie auch im Chandler Tube Driver zu finden war, und einer mit weniger Gain ausgestatteten ECC82 (12AU7). Grundsätzlich kann die Röhre aber auch ausgetauscht werden, zum Beispiel gegen eins der Modelle ECC83/12AX7, 5751, ECC81/12AT7, 12AY7 oder ECC82/12AU7, ganz nach persönlichem Geschmack. Mit Hilfe des Bias Reglers ist es bei jeder Art von Röhre möglich, den „Sweet Spot“ zu finden.
Tightness und Boost – Die zusätzlichen Funktionen des Venus Overdrive
Zwischen den beiden Reihen der Regler wartet ein kleiner Knopf darauf, von uns gedrückt zu werden. Er ist mit „Tight“ bezeichnet und sorgt für aufgeräumten Sound in den unteren Frequenzen. Irgendwie ist dieser Schalter für mich in der Logik falsch herum konzipiert, denn wenn er gedrückt wird, werden die unteren und tiefen, mittleren Frequenzen angehoben. „Tight“ ist der Sound für mich aber, wenn er genau in diesem Bereich etwas gecuttet wird. Aber sei’s drum, letztlich ist es entscheidend, was für die eigenen Ohren besser klingt. Irgendwie ist es wie mit dem Wein. Es gibt die zwei Sorten, „schmeckt“ und „schmeckt nicht“. Ob davon jetzt einer 23 € pro Flasche kostet, ist dabei völlig egal.
Einen Line Driver finden wir auch noch und zwar im Bereich unterhalb der Klangregelung. Dieser soll dafür sorgen, dass das Ausgangssignal für die folgenden Geräte ausreichend gepusht wird, es handelt sich also quasi um einen Buffer bzw. Volume Booster. Dieser sitzt direkt am Ausgang des Venus Overdrive. Egal ob dieser Schalter aktiv ist oder nicht, das Pedal befindet sich immer im True Bypass Mode, wenn es per Fußtaster ausgeschaltet wird.
So klingt das Crazy Tube Circuits Venus Overdrive
Wie oben schon angedroht, gibt’s hier heute keinen Kemper, keinen Einschleifweg und keine Cabinet Simulation. Knallhart und pur kommt der Venus Overdrive vor den Bogner, dieser füttert ein 1 × 12″ Cabinet mit einem Celestion Greenback. Abgenommen wird das Ganze mit einer Kopie des altbewährten Royer R-121 Bändchenmikros, erst dann wird’s digital. Über ein UA Volt 476 Audiointerface geht’s in den Mac, auf dem werkelt Logic Pro.
Ihr hört zunächst mal nur ein Kontextdemo, ich habe darin drei unterschiedliche Einstellungen des Venus Overdrive versteckt. Zunächst sind alle Regler in Mittelstellung. In Teil 2 wurden Bass und Höhen geboostet, während die Mitten abgesenkt wurde, der klassische Scoop Sound also. Ganz zum Schluss, mit deutlich weniger Verzerrung und gemäßigten Höhen, kommt ein schöner Leadsound ins Spiel. Alle Gitarren wurden ausschließlich mit dem Venus Overdrive eingespielt.
Hier kommen noch mal die Sounds des Venus Overdrive einzeln, zunächst hört ihr aber den cleanen Amp als Referenz. Die Bias-Einstellung ist so für mich persönlich am stimmigsten und bleibt unverändert. Bewusste Fehlanpassungen sind möglich, aber nicht so mein Ding. Hier also die ultimativ subjektiven Best-Of-Sounds:
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Crazy Tube Circuits.
Klingt interessant, schade, dass im Netz wie so oft leider keine Soundbeispiele mit Drummachines zu finden sind. 303 Sounds durchjagen wäre bestimmt auch eine gute Idee.
Obacht mit den Röhren, die kommen alle (!) aus Russland.
Wenn man also keine kaputten ersetzten muss, erst mal keine kaufen.