Mythisches Klangwunder
Dawesome Myth ist der neuste Software-Synthesizer von Peter Vorländer, wiederum vertrieben von Tracktion. Diesmal hat sich der Meister der Synthese dem Thema Resynthese gewidmet. Ähnlich wie seinerzeit beim Hartmann Neuron, werden Klänge aus Wave-Dateien eingelesen und dann resynthetisiert. Dann stehen eine Reihe von Parameter zur Verfügung, um die so erhaltenen Klänge in unerschöpflichen Arten und Weisen zu manipulieren.
Inhaltsverzeichnis
Aber der Reihe nach. Nach dem Granualar-Synthesizer Novum und dem Chaos-Oszillator-Synthesizer Kult kommt nur ein Jahr später Dawesome Myth heraus. Und wieder birgt dieser Software-Synthesizer eine ganz spezielle Herangehensweise an das Thema Synthese.
Installation und Anleitung von Dawesome Myth
Diese ist denkbar einfach und gelingt ab Windows 7 und macOS 10.14. Zur Verfügung stehen VST3- und AU-Varianten. Nach der Registrierung und Kauf auf der Website von Tracktion kann die Installationsdatei heruntergeladen werden. Beim ersten Aufruf wird dann eine einmalige Verbindung zum Tracktion-Server hergestellt und eine dauerhafte Aktivierung des Plug-ins vorgenommen.
Die englischsprachige Anleitung ist klar strukturiert und ermöglicht einen schnellen Einsteig, sie bietet aber auch Detailinformationen und Tipps zu einzelnen Funktionen. Insgesamt mit dem nötigen Schuss Enthusiasmus versehen, werden auch ungewohnte Konzepte wie das Orbit-Effekt-Modul unkompliziert an die Nutzer gebracht. Diese Anleitung lohnt sich zu studieren, vor allem wegen der zahlreichen Tipps.
Oberfläche und Preset-Verwaltung
Die Oberfläche ist denen der Vorgänger sehr ähnlich und bietet eine moderne Darstellung – hier wird ja auch kein altehrwürdiges Gerät nachgeahmt, sondern Neuland betreten. Auch dieses Mal sind die animierten Piktogramme auf den Punkt getroffen und die Assoziation zwischen Aussehen und Auswirkung auf den Klang sind schnell hergestellt.
Natürlich ist Dawesome Myth frei skalierbar und kann so allen Darstellungsbedürfnissen angepasst werden. Die dunkle Darstellung kann allerdings nicht geändert werden.
Bemerkenswert ist, dass es Peter Vorländer gelungen ist, eine so komplexe Synthesizer-Engine wie die von Dawesome Myth auf ein Fenster zu begrenzen. Es gibt zwar Fenster im Fenster, aber keine komplett anderen Seiten, die aufrufbar wären. So behalte ich den Überblick und der ist wichtig, wie sich zeigen wird.
Die Preset-Verwaltung ist ebenfalls in das Hauptfenster eingebettet, wird aber nur bei der Suche und beim Erstellen wirklich benötigt. Für das einfache Aufrufen wird das Drop-down-Menü genutzt. Das Einzige was mir hier fehlt, ist eine Anzeige, wie weit ich bereits in der Preset-Liste gescrollt habe.
Die Untersektion „Browse“ lässt aber nichts zu wünschen übrig. Suche, Schlagworte und Sortier-Optionen ermöglichen eine sichere Handhabung auch großer Sound-Kollektionen in Dawesome Myth. Zusätzlich dazu können neue Presets auch „erwürfelt“ oder anhand der getroffenen Suchauswahl auch Abkömmlinge „gebrütet“ werden; ziemlich putzig ist das Symbol dafür, dass ein schlüpfendes Küken darstellt.
Um zu vermeiden, dass bestimmte Einstellungen bei so einem Zufalls- oder Brüt-Preset nicht überschrieben werden, können bestimmte Komponenten des Klangs eingefroren werden. Alles in allem ideal für Sound-Tüftler und endlich mal jemand, der Preset-Verwaltung mal ein wenig weiterdenkt. Ich würde mir wünschen, jeder Hersteller hätte so eine Cross-Breed-Funktion integriert.
Aufbau von Dawesome Myth
Generell besteht Dawesome Myth aus zwei identischen Resynthese-Klangquellen, die „Iris“ genannt werden. Über einen Rechtsklick oder über Drag-and-Drop kann hier jede beliebige WAV-Datei einfach in das Iris-Fenster importiert werden. Es werden aber auch AIF-, MP3-, FLAC- und sogar OGG-Formate akzeptiert. Zum genauen Verfahren der Resynthese gleich mehr.
MPE versteht Dawesome Myth genauso wie Micortuning über die MTS-ESP-Schnitstelle von Oddsound. Selbstverständlich spricht der Dawesome Software-Synthesizer auch Poly-Aftertouch. Es gibt sogar Mapping-Presets für gängige MPE-Controller wie den OSMOSE.
Betrachten wir den Signalpfad des maximal 24-stimmigen Sotfware-Synthesizers. Diese Iris entspricht also einem Oszillator, von denen Dawesome Myth zwei hat. Diese können mit verschiedenen Modulen für Klangveränderung bearbeitet werden, bevor sie in ein gemeinsames Filter laufen (natürlich hat jede der 24 möglichen Stimmen ein eigenes Filter).
Von dort aus geht es in zwei parallele Effektketten, die wiederum beliebig mit Modulen bestückt werden können. Den Abschluss macht dann der Master-Limiter mit einer Pegelanzeige.
Diese sechs Hauptsektionen ARP, OSC1, OSC2, FILTER, FX1 und FX2 können über das Fenster-im-Fenster aufgerufen und editiert werden. Jede Sektion hat dabei eigene Module zur Klangformung und im Falle der Oszillator-Sektion auch über Klangenerierung.
Wem nämlich die Iris-Oszillatoren nicht genug sind, kann hier mehrere einfache VA-Oszillatoren finden, deren Schwingungsformen Saw, Square, Sinus, Tri und Noise hinzugemischt werden. Diese Wave-Module besitzen auch eine Unison-Funktion, um den Klang noch breiter zu gestalten.
Für die komplette Synthese gibt es verschiedene Oversampling-Optionen von ECO bis ULTRA, die auch für den Klangcharakter genutzt werden können, wie das Beispiel zeigt.
Noch VOR der ersten Oszillator-Sektion findet sich die Sektion ARP. Hier können nicht nur eine Arpeggiofunktion, sondern auch One-Finger-Chords und Skalen-Quantisierung vorgenommen werden. Neben verschiednen Up-down-Patterns bietet der Arpeggiator vor allem „As Played“ an, eine sehr wichtige Funktion, bei der die Reihenfolge Noten-Sequenz in der Reihenfolge der gedrückten Tasten erklingt.
Die Modulationen finden sich rechts, können aber auch über die MOD-Sektion im Binnenfenster eingesehen werden. Das ist nützlich, wenn es komplexer wird, um die Übersicht zu behalten.
Die rechte Seitenleiste präsentiert eingehende Echtzeit-Controller wie Poly- und Channel-Pressure sowie die vier Makroregler. Einem Makro können z. B. zehn verschiedene Parameter zugeordnet werden – und vor allem kann der Makro-Parameter selber moduliert werden!
Resynthese des Dawesome Myth
Es muss von vornherein klar sein: Nach der Resynthese ist das Ergebnis eben keine Eins-zu-Eins-Kopie des analysierten WAV-Files. Drum-Beats nach der Analyse haben zwar hauptsächlich geräuschhafte Anteile, eine Kick oder Snare kann man allerdings nicht hören. Stattdessen bleibt die rhythmische Struktur erhalten, wie das Beispiel zeigt.
Der Klang wird also nicht nur in der vertikalen (also Klang), sondern auch in der horizontalen Achse (zeitlicher Verlauf) analysiert. Es ist durchaus möglich, Wav-Dateien von einer Minute und länger zu importieren.
Hier habe ich eine Tromeptenpassage resynthetisiert.
Die Resynthese-Einheit hat vier Oszillatoren. Die Schwingungsformen dieser Oszillatoren sind zyklisch, aber statisch. Für die dynamische Komponente kommen dann Multi-Segment-Hüllkurven pro Oszillator zum Einsatz. So wird der Klangverlauf dann in einer Optimierung dem Ausgangsmaterial angepasst.
Bevor aber der Klangverlauf gehört werden kann, muss dem Parameter „Iris-Position“ ein LFO zugewiesen werden. Das geht manuell oder über einen Rechtsklick auf die Iris. Dawesome Myth weiß dabei, wie lange das Sample ist und stellt den LFO entsprechend ein.
Es ist auch möglich einfach nur einen statischen Resynthese-Punkt als Grundklang auszuwählen. Oder innerhalb des Zeitverlaufs zu springen. Oder über Aftertouch diese Position während des Spielens zu ändern, und, und, und.
Das Eingangs-Samples bestimmt dabei eher die Struktur des Klangverlaufs, nicht so sehr den Klang der analysierten Datei selber. Ein Vergleich mit Synplant2 bietet sich zwar an, ist aber falsch. Peter Vorländer schreibt dazu:
„… wenn man ein Piano Sample reinwirft und erwartet jetzt ein spielbares Piano zu bekommen – das wird nicht hinhauen. Stattdessen ist die Idee, ein Sample zu nehmen, das sich irgendwie interessant entwickelt, oder eine interessante Textur hat. Und dann kann man diese Textur, oder diese zeitliche Entwicklung nehmen und daraus was anderes machen„
Und dafür sind genau die „Transformer“ gedacht, die zu jedem Iris-Klang gehören. Diese werden mit Symbolen dargestellt haben, aber auch Namen: SAW, STRING, BRASS, SQ, SYNC, DIRT und PURE. Dann gibt es noch sieben Transformer, die lediglich durch eine Farbe kodiert sind. Diese beeinflussen nun die der Resynthese zugrundeliegenden Oszillatoren auf verschiedene Art- und Weise.
Was genau diese machen, kann immer in der Tool-Tip-Nachricht am unteren Fensterrand eingesehen werden. Generell beeinflussen sie den harmonischen Inhalt, den die Iris-Oszillatoren bieten. Einige Transformatoren reichern den Klang mit disharmonischen Teiltönen an. Andere beeinflussen die Geräuschhaftigkeit oder die Balance der 4 Resynthese-Oszillatoren zueinander.
Der zunächst wichtigste ist aber der „SMOOTH“-Transformer. Mit ihm gelingt es, ein resynthetisiertes Drum-Sample nahtlos zu einer Fläche zu morphen – und wieder zurück.
Am besten beginnt die Reise mit dem Init-Sound – einem einfachen Sinus; so entsteht ein Gefühl für die klanglichen Auswirkung der einzelnen Transformatoren. Das Gleiche empfehle ich auch für die nun folgenden Module.
Sehr praktisch ist die Funktion, die letzten gespielten Noten einfach als Wav-Datei in den Sequencer ziehen zu können. Das erspart lästiges Rendern, vor allem wenn nur ein Effekt-Sound benötigt oder an einer Klangskulptur gearbeitet wird.
Modularer Ansatz des Plug-ins
Denn im Prinzip haben wir es mit einem modularen Aufbau zu tun. Jede der Hauptsektionen kann eine Reihe von Modulen aufnehmen, ganz wie ein Rack. Die Patch-Kabel können dann über die Modulationszuweisungen im Dawesome Myth realisiert werden. Peter Vorländer plant zudem noch weitere Module, die sich ja ganz einfach integrieren lassen, da sie nur zur vorhandenen Auswahl addiert werden müssen.
Manche Module können nicht beliebig oft in einer Sektion verwendet werden, deshalb erscheinen diese dann im Drop-down-Menü ausgegraut.
Jedes Modul von Dawesome Myth zu beschreiben, wäre einfach nicht sinnvoll und so möchte ich mich auf ein paar Highlights konzentrieren, die abseits der bekannten Sachen wie Filter oder Ringmodulatoren liegen.
Nehmen wir das Modul „Orbit“ – es findet sich in den Oszillator- und Filter-Sektionen und stellt eine Mischung aus Ring- und Frequenzmodulation dar. Die Orbit-Modulation interpretiert das eingehende Signal als einen Planeten, der die Sonne umkreist. Dann fügt sie diesem Planeten einen Mond hinzu und folgt der Flugbahn des Mondes. Diese neue Flugbahn wird dann wieder in einen Ton umgewandelt.
Alles klar? Einfach ausprobieren, denn es gibt eine großzügige 90-Tage-Testversoin für alle Dawesome-Plug-ins auf Tracktion.
Dann wäre da auch der Effekt „Loophole“, der in der FX-Sektion zu finden ist. Dieser arbeitet wie ein Delay, in dem kleine Loop-Zellen das eingehende Signal halten, geloopt abspielen und dann irgendwann wieder für neues Material freigeben. Vielleicht könnte es am ehesten als Makro-Grain-Delay beschrieben werden.
Klang des Software-Synthesizers
Ich kann es nicht anders sagen, ich bin im positiven Sinne erschlagen von dem Klang und den Synthese-Möglichkeiten von Dawesome Myth. Von mythischen Pads, bis hin zu extremen Noise oder knackigen Übertreiber-DubStep-Bässen. Alles geht hier.
Die integrierten Effekte greifen auf bewährte Algorithmen zurück, die auch im z. B. im Dawsesome Love-Plug-in genutzt werden. Aber schon vor dem Einsatz auch nur eines Moduls zur Klangverfremdung in den Hauptsektionen für Oszillator und Filter, ist das Spektrum an Klängen der Iris-Oszillatoren unglaublich ergiebig. Manchmal reichen kleine Änderungen eines Transformer-Wertes für drastische Änderungen des harmonischen Inhalts. Manchmal kann über eine leicht hinzugefügte LFO-Schwingung zu einem der Transformatoren eine beeindruckende Lebendigkeit erreicht werden.
Dabei ist das ganze Paket sehr charakteristisch, bedient sich aber vieler Syntheseformen. Nicht nur ein VA ist mit an Bord, über einen simplen Sinus und die Nutzung von Modulatoren können spielend FM-Klänge von FM-Tines bis Glocken erstellt werden.
Der Dawesome Myth ist aber mitnichten ein reiner Feel-Good-Synth. Wenn es gewollt ist, kann er so dermaßen brutal klingen, dass Clown-Core wie ein Witz dagegen aussieht. Im Ernst, mich hat am meisten fasziniert, wie bei geschickter Programmierung mit nur einem Makro-Parameter das gesamte Klangbild innerhalb eines Preset auf den Kopf gestellt werden kann.
Die Handhabung in der Praxis ist dagegen extrem leicht, sobald klar ist, wo die einzelnen Komponenten im Binnenfenster liegen. Ganze Modulketten einer Sektion können ebenso gespeichert werden wie die Einstellungen einzelner Module. Auch die Modulationszuweisung ist vorbildlich und eine GUI-Animation gibt stets Auskunft über das Geschehen.
Dawesome: die Pligins liiiiebe ich!😍
Das ist seit langer Zeit ein PlugIn, was ich mir nach kurzer Testphase gekauft habe. Sehr inspirierend und so komplex, wie man es mag.
Toller, unkomplizierter Support ist ebenfalls vorhanden.
Resynthese war das Schlagwort Ende der Achtziger. Jeder redete davon, Axcel hiess der Protagonist, wenn ich mich nicht irre. Heute kennt das, ich selbst auch, niemand mehr. Jetzt ein neuer Versuch, mehr als 35 Jahre später. Mal sehen….
Ein großartiger Software-Synthesizer, den ich mir auch als Demo installiert habe. Allerdings muss man sich mit dem »Myth« echt beschäftigen. Das soll keine Warnung sein; ich selber LIEBE so etwas, so man erst einmal eintauchen muss. Natürlich kann man auch einfach die Presets verwenden und das Teil dann nach einem halben Jahr vergessen. Aber das wäre (wieder einmal) echt schade.
Wo es mich selber bei dem Verständnis der Synthese ein wenig aus der Kurve getragen hat, das ist zum einen die Funktionsweise der »Iris« an sich mit den Re-Samples und zum anderen die ZUSÄTZLICH möglichen VA-Oszillatoren. Alles danach ist wieder standard-subtraktiv: Filter, Hüllkurven, etc. Ja, man muss da schon ein wenig Zeit investieren (wollen), um aus dieser Sahneschnitte alles heraus zu holen.
Ich habe ihn allerdings vorläufig (!) erst einmal nicht gekauft … weil, tja … weil ich hier schon echt anderen ungenutzten Kram habe. Das ist quasie der »Pile of Shame«, der SuS der Musiker (»Stapel ungenutzter Software«); der ist nicht ganz klein bei mir. Er steht aber auf meinen HWL (Haben-Wollen-Liste). 😀