Mit Crush in die Sättigung!
Bei dem Drawmer 1971 handelt es sich um einen 4-fachen parametrischen Doppel-Mono-Equalizer im Vintage-Design, der in Großbritannien entwickelt und auch gefertigt wird.
Inhaltsverzeichnis
Das Konzept des Drawmer 1971
Der Name Drawmer durfte jedem Tontechniker, der sich etwas länger mit professionellem Audio-Equipment beschäftigt, ein fester Begriff sein. Insbesondere in den 1980ern waren im Bereich des Outgears die legendären großen Tonstudio-Racks mit Unmengen von Drawmer DS-201 Noise-Gates zusammen mit ihren Kollegen von DBX für eine ambitionierte Schlagzeugaufnahme ein fester Bestandteil eines jeden professionellen Tonstudios. Das 1981 von Ivor Drawmer gegründete Unternehmen glänzte aber auch mit seine Produkten im Bereich der Kompressoren, wie zum Beispiel die Modelle 1960 oder 1973 oder aber im Bereich der Equalizer.
Aus dem zuletzt genannten Segment liegt uns nun das Modell Drawmer 1971 vor, das sich zwar einen klassischen Vintage-Anstrich verpasst hat, jedoch auch mit einigen sehr interessanten Detaillösungen glänzt. Der vierfach parametrische Doppel-Mono-Equalizer kann natürlich auch problemlos in Stereo betrieben werden, allerdings ist die Aufteilung in zwei völlig unabhängige Kanäle, zum Beispiel bei einer Schlagzeugaufnahme, sehr hilfreich.
Man kann zum Beispiel Kanal 1 für die Kick und Kanal 2 für die Snare nehmen und beide Instrumente komplett unabhängig voneinander in der Frequenzkurve bearbeiten. Inwieweit man diese Art der Kanalaufteilung wählt, bleibt natürlich einem selber überlassen. Ich bin mir allerdings relativ sicher, dass die meisten User den EQ entweder in der Mastering-Chain benutzen oder aber, wie es von mir sehr gerne gemacht wird, in Subgruppen, um die jeweiligen Instrumentengruppen perfekt im Klang aufeinander abzustimmen.
Der Aufbau des Drawmer 1971
Der Drawmer 1971 verfügt über zwei identische Kanäle, die sich bereits auf den ersten Blick durch eine sehr große Flexibilität auszeichnen. Ganz links fangen wir mit einem Input-Regler an, der gerastert von minus 15 bis plus 15 dB reicht und über eine vierstellige LED-Kette (zweimal grün, einmal gelb, einmal rot) über den Pegel des Eingangssignals informiert.
Als nächstes kommt man zu einem Low-Cut, der separat schaltbar ist. Der Low-Cut hat den großen Vorteil, dass er bei Bedarf bereits sehr tief, nämlich bereits bei 10 Hz, anfangen kann und somit ultratiefe Sub-Bässe herausfiltert, die für den musikalischen Inhalt keine Bedeutung mehr haben, aber im Gegenzug im Mix später sehr viel Energie absorbieren können. Ich persönlich setze im Mix generell immer einen Low-Cut bei ca. 20 Hz, um die Produktion von zu viel Müll im Tiefbassbereich zu befreien. Der Regelbereich geht bis 700 Hz.
Das nächste Segment ist der Bassregler, der hier mit dem Kürzel LOW bezeichnet wird. Der Bassregelbereich besteht aus einem Frequenzregler und einem Boost- bzw. Cut-Regler. Die Flankensteilheit lässt sich über zwei Druckschalter zwischen 6 dB, 9 dB, 12 dB und Peak regeln, sodass man auch hier auf die Intensität der Bearbeitung nochmals zusätzlich Einfluss nehmen kann. Die Signalbearbeitung umfasst +/-12 dB. Der Bassbereich hat bereits den sehr wichtigen Crush-Schalter, der eine zusätzliche Obertonabteilung generiert und ebenfalls zu einer zusätzlichen Sättigung des Signals führt. Dieser Bereich unterscheidet den Equalizer deutlich von vielen seiner Konkurrenten und wird sich später im Klangbereich auch deutlich bemerkbar machen.
Was mir bei meinem Testprodukt nicht ganz so gut gefallen hat, ist die Tatsache, dass sich der Hz-Regler zwischen Kanal 1 und 2 ein wenig in der Eindeutigkeit von der Anzeige unterscheidet. Während beispielsweise der Regler auf Kanal 2 exakt mit der Spitze auf 80 Hz zeigt, zeigt derselbe Bereich auf Kanal 1 auf ca. 90 Hz. Bis zu der Anzeige von ca. 45 Hz laufen die beiden Potis identisch nebeneinander her, ab da läuft einer der beiden in seiner Anzeige aus dem Ruder. Dies kann dazu führen, dass man unterschiedliche Frequenzbereiche einstellt, obwohl man den gleichen Bereich anwählen möchte. Nach Rücksprache mit dem deutschen Vertrieb handelt es sich hierbei wohl um einen Einzelfall, die Seriengeräte weisen diesen Fehler nicht auf.
Als nächstes kommt man in den Tiefmittenbereich, der von 60 Hz bis 2,1 kHz angesetzt ist. Hier kann man sehr schön sehen, dass sich die Frequenzbereiche innerhalb der einzelnen Bänder sehr stark überschneiden und man somit einen sehr großen Regelbereich und damit einhergehend eine sehr große Flexibilität in der Klangbearbeitung hat. Der Low-Mid-Equalizer ist damit auch der erste von zwei vollparametrischen Equalizern, da er zusätzlich noch über einen zusätzlichen Güteregler von 0,33 bis 3,3 verfügt. Ein vollparametriches Equalizer-Band ist ein wirklich sehr mächtiges Werkzeug, mit dem man bestimmten Frequenzbereichen einem Skalpell gleich zu Leibe rücken kann. Auch dieses Frequenzband verfügt über einen separaten Standby-Schalter und den bereits erwähnten Crush-Druckschalter.
Als nächstes kommen wir in den Hochmittenbereich, der vom Aufbau her mit dem Tiefmittenbereich identisch ist, allerdings einen Frequenzbereich von 450 Hz bis 13,7 kHz abdeckt. Das abschließende Hochtonfrequenzband ist vom Aufbau her ähnlich dem Bassreglersegment aufgebaut. Die Frequenzbereich reicht von 1,2 kHz bis 20 kHz und wir haben mittels eines Druckschalters die Möglichkeit, im Bereich der Oktave zwischen 6 dB und 12 dB umschalten zu können. Ebenfalls haben wir einen On-Off-Schalter und einen Crush-Regler.
Als Abschluss rechts außen befindet sich ein Hi-Cut, der im Hochtonbereich gegebenenfalls eine Schärfe bzw. andere Spitzen aus dem Mix herausnehmen kann. Der Bereich geht von 4 kHz bis 31 kHz und lässt sich natürlich auch separat ein- und ausschalten. Sehr schön ist, dass dieser Equalizer eine Overload-Anzeige hat, mit der man erkennen kann, ob die Frequenzbänder in den Peak-Bereich gelaufen sind.
Ähnlich dem Eingangsbereich haben wir natürlich auch einen Ausgangsbereich, der ebenfalls plus/minus 15 dB fährt, einen separaten Bypass-Schalter und eine 5-stellige Output-Anzeige (3x grün, 1x gelb, 1x rot) besitzt. Ebenfalls gibt es oben rechts eine kleine Statusanzeige, die über die Aktivität des Gerätes informiert.
Die Rückseite des Drawmer 1971 ist schnell abgehandelt:
- Kanal 1, 2: Input XLR
- Kanal 1, 2: Output XLR
- Kaltgerätesteckerbuchse plus entsprechender Feinsicherung
- On-Off-Schalter, fertig.
Der Drawmer 1971 in der Praxis
Nimmt man den Drawmer 1971 das erste Mal in Betrieb, kann man wirklich von einer intuitiven Bedienung sprechen. Das Gerät ist übersichtlich, alle Regelmöglichkeiten liegen offen vor einem und er ist von seiner Bedienbarkeit her selbsterklärend. Was dem einen oder anderen vielleicht etwas Übung abverlangt, sind die beiden vollparametrischen Mitten-Equalizer, die zwar ein mächtiges Werkzeug darstellen, für ungeübte Ohren allerdings ein wenig verwirrend sein können, sobald es um die Güte des jeweiligen Frequenzbandes geht.
Was bereits bei den ersten Regelbewegungen ins Ohr fällt, ist die extrem große Flexibilität, wenn es um Frequenzbänder geht. Es gibt wirklich keinen Bereich im gesamten menschlichen Hörbereich, der von diesen Equalizern nicht bearbeitet werden kann. Der Grundklang ist für britische Verhältnisse vergleichsweise neutral, das heißt, es gibt keine direkte Einfärbung des Signals, wie man es von anderen britischen Geräten her kennt.
Erwartungsgemäß bleibt sehr viel in Sachen akustischer Aufmerksamkeit an dem bereits beschriebenen Crush-Schalter hängen, insbesondere wenn es um das Boosten eines Frequenzbereiches geht. Ich habe immer wieder einen A/B-Vergleich gemacht und in nahezu allen Fällen erweist sich das Drücken des Schalters in Zusammenarbeit mit der analogen Sättigung als ein echter Pluspunkt im Arbeitsschema des Drawmer 1971.
Auch wenn die meisten Nutzer den 1971 in der Mastering-Chain einsetzen werden, gebe ich dennoch als heißen Tipp mit auf den Weg, den Drawmer-Equalizer auf jeden Fall mal in einer Subgruppen-Kette zu verwenden. Es ist unglaublich, was man für klangliche Effekte herausholen kann, wenn eine bestimmte Instrumentengruppe, zum Beispiel Gitarren mit Keyboards oder aber Bass mit Schlagzeug, separat, subtil, aber dennoch effektiv mit diesem Equalizer bearbeitet wird. Besagte Instrumentengruppe setzt sich später im Mix um ein Vielfaches besser durch, als wenn man nachträglich versucht, in der Summe die richtige Frequenz für das richtige Instrument herauszufiltern und entsprechend zu verstärken oder abzusenken.
Wenn man zwei Kanäle bezahlt hat, will man sie auch nutzen, klar. Das Beispiel mit Kick und Snare kann ich gut nachvollziehen.
Was mich allerdings bei vielen EQs stört, ist der fehlende Stereo-Link. Wenn ich das Gerät im Stereomodus betreibe, dann will ich nicht jeden Kanal separat einstellen, das ist mühsam und fehlerträchtig.
Lacht mich ruhig alle aus, aber um die Aktivboxen auf den Raum und auf meine Ohren anzupassen, bin ich am Ende beim Behringer DEQ 2496 gelandet, den es mal für kleines Geld gegeben hat, und der tut, was er soll. Ich wollte eigentlich ein paar Hunderter mehr ausgeben, aber man ließ mich nicht.
@bluebell Moin. Da kann ich dir den Elysia xFilter empfehlen.
@Urs https://www.amazona.de/test-elysia-xfilter-mastering-edition-stereo-equalizer/
@Axel Ritt Längst gelesen. Mehrfach. 😅 War mir dann doch zu teuer. Bin mit der „Standard“ Version sehr zufrieden.🖖🏼
@Urs Hätte es den damals für den heutigen Preis gegeben, wäre er meiner geworden.
@bluebell Du hast Dir die Frage unbewusst selbst beantwortet: D(!)EQ.
Auch die nachstehende Antwort stammt nicht von mir, sondern von Seite 9 der Anleitung des Manley „Mini Massive“:
„Just a few notes for plug-in users: One question that gets asked a lot is “Why no ‘Link’ switch “or “Why not a stereo EQ with one set of controls?” Yeah, it would be sweet sometimes, especially if fewer knobs resulted in lower cost. The most accurate answer is “you guys are spoiled, ha ha”.
To do it in digital is almost a no-brainer and is just a matter of passing a few numbers to the other side’s parameter registers. To do it on an analog compressor is a bit more involved but still pretty easy and not pricey.
But doing it on an analog EQ, requires big expensive multi-deck switches, pots, and practically all audio switching be done with relays or FETs. Now given that the rotary switches and all the pots are already custom and difficult to source, getting ones that are twice as deep, and 4 times rarer, and not eliminate the need for individual channel control, would add a lot of cost to the unit. …
Basically, a stereo link or single set of knobs is way more difficult to do for an analog EQ, somewhat easier for some analog compressors and linking within an algorithm is extremely easy.“
@falconi Jein. Auch in der analogen Welt gibt es elektronische Stellglieder (z.B. VCAs), sodass man mit einem einfachen Potentiometer zwei Kanäle steuern kann.
@falconi Für einen parametrischer EQ benötigt man für die Einstellung der Frequenz technisch ein doppeltes Potentiometer. Bei einem Stereo EQ wird hieraus ein 4 fach Potentiometer. Diese sind in hoher Qualität mit guten Gleichlauf kaum zu bekommen.
Deutsche Ingenieure wie die von Elysia lassen sich hiervon nicht beeindrucken und realisieren es trotzdem.
@falconi Vielen lieben Dank für den Ausschnitt aus der Anleitung. Ich habe mich das nämlich auch schon gefragt (warum eigentlich nicht bei EQs). Again what learned!
@bluebell :
„Lacht mich ruhig alle aus, aber um die Aktivboxen auf den Raum und auf meine Ohren anzupassen, bin ich am Ende beim Behringer DEQ 2496 gelandet“
Da lache ich überhaupt nicht, ich betreibe selbst einen seit Jahren. Allerdings als RTA.
Direkt darüber steht übrigens das Gerät, das für Behringer als „Inspiration“ – zumindest teilweise – diente. Der TC Finalizer 96k.
Ich hatte schon vor 25 Jahren einen Ultracurve DSP 8000 im Einsatz.
Derartige Geräte gibt es ja nur noch sehr wenige. Wenn überhaupt !
Vom Preis her bin ich tatsächlich überrascht! Hätte gefühlt mit mehr gerechnet. Ebenso dachte ich das Rackggeräte endgültig von Software abgelöst werden. Noch vor gut 10 Jahren war dies die Prognose der Musikhändler (persönliche Erfahrung). Ok, irren ist menschlich! Meine Arbeitsweise wird es nicht werden. Aber in einem großen Tonstudio macht dieser Brite sicherlich eine gute Figur und einen hervorragenden Job. So ein Crush könnten die Softwarepedanten doch auch bekommen. Anscheinend hat noch keiner so weit gedacht.
@Filterpad Andere Baustelle und kein EQ sondern ein Kompressor, aber zum Thema »Outboard«: Ich bin kurz davor, dass ich mir entweder einen Drawmer »1978« oder einen Art »Pro VLA II« kaufe. Ich will einfach mal »hands on« mit einem Kompressor haben. Ich stehe mit Kompression nämlich auf dem Kriegsfuß und das ist quasie Lehrgeld, das ich jetzt für mich ausgeben möchte. Ich verspreche mir davon auch noch einmal einen anderen Klang (weil analog).
Kann sein, dass ich mich irre … aber verkaufen kann ich die Geräte dann immer noch.
@Flowwater Ich kann Dir nur vom Pro VLA abraten. Ich besitze auch einen, die Standard Röhren klingen nicht besonders doll, mehrere kalte Lötstellen mussten gefixt werden und zu guter Letzt ist das 4fach Poti defekt, was für den Make-Up Gain im Stereobetrieb zuständig ist. Dafür kann ich nur auf die obrige Diskussion verweisen, es ist mir jedenfalls nicht gelungen, einen Ersatz dafür zu besorgen.
Wenn Du Hardware-Kompression probieren möchtest, empfehle ich Dir den RNLA oder RNC von FMR Audio. Kein Dual-Mono, aber klingen grossartig, die neuen Revisionen sind toll verarbeitet und lassen sich easy mit minimalem Wertverlust verkaufen. Ich gebe meinen jedenfalls nicht wieder her. 😉
@swellkoerper Danke für den Tipp mit den beiden FMRs und den Hinweis bezüglich des »Pro VLA II«
Auf den »Pro VLA II« bin ich durch White Sea Studio und durch Ossy Pfeiffer gestoßen. Beide loben das Teil (WSS sehr ausführlich, Ossy in einem kurzen und knappen Video über Master-Bus-Kompresssion). Soweit ich weiß sind die Röhren im »Pro VLA II« nicht für den Audio-Pfad sondern »nur« für die Ansteuerung zuständig. Der wird ja auch als »Opto-Kompressor« und nicht als »Röhren-Kompressor« beworben. Man bekommt mit dem also keine Röhren-Sättigung geliefert; das wäre bei dem Preis aber auch ein wenig arg vermessen anzunehmen. Davon abgesehen traue ich mir durchaus zu, die Röhren der Marke »China« (hehe) gegen Marken-Typen auszutauschen.
Aber kalte Lötstellen und defekte Potis sind natürlich Mist. Auch ein paar Kommentare bei Thomann stimmen mich nachdenklich.
Der Drawmer ist ein toller EQ, nur würde ich ihn im Mastering nicht einsetzen, da es aus meiner Sicht unmöglich ist, den Pegel beider Kanäle gleich zu halten. Hierfür sind die Potentiometerwege einfach zu klein: Stelle mal exakt die gleiche Frequenz ein, bzw den gleichen Pegel zu Anhebung / Absenkung, der im Mastering meist nur wenige dB ist.
Für Einzelkanäle oder Busse mag das alles noch funktionieren, mit M/S Signalen auch, aber nicht als Stereo Master EQ.
Tatsächlich hätte ich bei dem Namen und der Ausstattung einen sehr viel höheren Preis geschätzt.
@bluebell:
Korrekt – der Textbaustein entstammt der Anleitung für einen „Passive EQ“, bei dem das allerdings naturgemäß nicht funktioniert.
In einem „aktiven EQ“ finden sich bekanntermaßen eher klassische OpAmps als VCAs, aber auch deren Verstärkung lässt sich in Stereogruppen steuern. Wenn Du das aber alternativ in „doppelmono“ und stereo mit einseitiger Steuerung anbieten möchtest, brauchst Du schon wieder viele (mechanische oder elektronische) Schalter. Das Ergebnis wäre eine recht aufwändige Steuerschaltung für einen Outboard-EQ.
Die Frage wäre: Würde tatsächlich jemand für so ein Teil viel Geld bezahlen wollen? Die allermeisten etablierten und teuren Stereo Master-EQs setzen jedenfalls auf Doppel Mono-Aufbau mit Stufenpotentiometern…