Die nächste Kamikaze
Man könnte fast behaupten, dass der Kalifornier George Lynch schon lange fest zum Inventar der japanischen Gitarrenschmiede von ESP gehört. Etliche Signature-Modelle gab es schon vom bzw. für den Virtuosen – optisch stets auffällig, so wie der Künstler selbst. Und es wird stetig nachgelegt, neuestes Ergebnis der Zusammenarbeit ist die ESP LTD GLKAMI 4, die wir uns im folgenden Artikel genau betrachten werden.
ESP LTD GLKAMI 4 – Facts & Features
Mittlerweile ist das Angebot von ESP kaum noch überschaubar: Es gibt die ESP-E II Baureihe, die ESP Original Series Gitarren, die ESP USA Instrumente, Low-Budget-Instrumente von LTD, die Reihe Signature Series Guitars und die Instrumente der LTD Thinline Series. Wirklich nicht so einfach, da einen Überblick zu bekommen. Unser Testinstrument stammt aus der Signature-Series Baureihe und wird in Korea gefertigt, was sich aber nicht unbedingt in einem niedrigen Verkaufspreis niederschlägt: Rund 1600,- Euro sind fällig, möchte man sich die bunt lackierte Superstrat um den Hals schnallen.
Auf den ersten Blick scheint das Geld gut angelegt zu sein, doch wir schauen natürlich genauer und finden einen sauber lackierten Erlenkorpus, dessen grüner Grundlack mit den typischen Verzierungen im Kamikazestil einer George Lynch Gitarre glänzt. Gut, über die Art der aufgebrachten Verzierungen lässt sich mindestens genau so streiten wie über die gesamte Optik der Gitarre. Tatsache ist jedoch, dass die Qualität der Lackierung in einer hohen Liga spielt, nicht nur der Lack selbst wurde sauber aufgetragen, auch strahlen die Farben dick und satt um die Wette.
Der Blick auf die Rückseite zeigt die zwei Abdeckungen für den Zugang zum Vibratosystem sowie zur Minimalelektronik – zur Elektronik an sich kommen wir gleich noch genauer. Schön ist, dass beide Deckel versenkt im Korpus sitzen, somit gibt es keine Widerstände beim Tragen von Gürteln etwa. Ein weiteres Indiz für eine echte Superstrat erwartet uns beim Hals-Korpus-Übergang, der äußerst schlank ausgefallen ist und es zusammen mit dem weit ausgesägten Cutaway ermöglicht, dass die Greifhand tatsächlich alle 22 Bünde auf dem Griffbrett restlos erreichen kann. Das besteht aus Ahorn und wurde auf einen ebenso aus Ahorn bestehenden Hals aufgeleimt, der wiederum bombenfest und ohne Spaltmaße seinen Weg in die Tasche im Korpus gefunden hat.
Die Rückseite des Halses wurde nur mit einer hauchdünnen Lackschicht überzogen, das sorgt für ein sehr angenehmes, natürliches Spielgefühl ohne das gefürchtete Kleben der Greifhand. Wer jetzt ein Halsprofil im Stil eines Ibanez Wizard Flachbretts erwartet, der sieht sich getäuscht – George Lynch hat ja nun auch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel und bevorzugt daher eher ein Halsprofil aus der Zeit, in der es noch keinen Wettbewerb um das flachste Brett gab und ein eher gemäßigtes Profil zum Standard einer Superstrat gehörte. „Never change a winning team“, könnte man wohl in diesem Fall sagen. Absolute saubere Verarbeitung auch hier rund um den Hals – die Jumbobünde wurden sauber eingesetzt, an ihren Seiten abgerichtet und auf ihren Oberflächen sorgfältig poliert.
Auch beim Klemmsattel zeigt sich alles in bester Ordnung, er wurde sauber in seinen Sitz eingesetzt und zeigt sich effektiv beim Arretieren der Saiten. Damit sind wir bei der Hardware und der Elektronik der ESP LTD GLKAMI 4 angekommen.
ESP LTD GLKAMI 4 – Hardware
Bei koreanischen Floyd Rose Vibratosystemen ziehen sich bei mir ja in aller Regel die Augenbrauen nach oben, denn zu oft hatten diese minderwertig verarbeiteten Systeme in unseren Tests mal mehr oder mal weniger stark mit Stimmproblemen zu kämpfen. Einige Hersteller scheinen sich der Sache angenommen zu haben und überarbeiten diese eingekauften Komponenten noch einmal, wie es zum Beispiel die Firma Jackson mit ihren in Fernost produzierten Superstrats tut. Im Fall der ESP LTD GLKAMI 4 scheint das wohl ebenso geschehen zu sein, denn Probleme beim Halten der Stimmung gibt es keine zu bemerken und das auch dann nicht, wenn der Hebel mal für die beliebten „Dive-Bombs“ eingesetzt wird und die Saiten bis zur völligen Erschlaffung bringt. Nervig ist jedoch nach wie vor die Arretierung des Vibratohebels, der wieder mal mit einer Überwurfmutter gesichert wird und den Benutzer daher zu einem Kompromiss zwingt.
Da es ja bei einem Floyd Rose Vibrato aufgrund des Klemmsattels ja nicht unbedingt Premium-Tuner braucht, wurden auch bei der GLKAMI 4 auf solide Mechaniken eigener (also koreanischer) Produktion zurückgegriffen. Weitaus spektakulär als die Mechaniken wirkt dagegen das Design der Kopfplatte, das wohl die Zacken einer Messerklinge nachbilden soll.
ESP LTD GLKAMI 4 – die Elektronik
Spartanischer geht es wohl kaum noch. Pickup-Schalter? Fehlanzeige! Ein Tone-Poti? Nichts davon zu sehen! Minischalter? Zeig sie mir doch! Tatsächlich werden die beiden Tonabnehmer nur über ein Push-Pull-Poti ausgewählt, das zugleich auch die Lautstärkeregelung übernimmt. Der Singlecoil in Halsposition ist ein hauseigener Einspuler (LSH-100N), der Humbucker am Steg stammt von Seymour Duncan (SWD Custom). Die Pickups lassen sich nur getrennt betreiben, nicht aber parallel: Durch ein Anheben des Potis schaltet man auf den Singlecoil, im gedrückten Zustand ist der Humbucker am Start. Schade eigentlich, beide zusammen hätten natürlich noch weitere Klangoptionen ergeben, aber George Lynch mag es offensichtlich genau so.
ESP LTD GLKAMI 4 – in der Praxis!
So viele Pluspunkte bisher und kein einziger Minuspunkt? Doch, jetzt gibt es einen und das betrifft das Werkssetting unseres Testinstruments. Über eine Saitenlage von 5 mm (!) in der Oktavlage wäre George Lynch sicher nicht erfreut und viele seiner schnell gespielten Licks würden wohl schwer wie Blei in seinen Fingern werden. Also hier beim Kauf gleich drauf achten und am besten den Händler vor Ort diesen Job erledigen lassen, wenn er sich überhaupt traut, eine E-Gitarre mit solch einem Setting in den Verkaufsraum zu stellen.
Mit nur wenigen Handgriffen, nämlich dem Absenken der beiden Bolzen des Vibratosystems, war dieser Job bei unserem Testinstrument schnell erledigt und dann präsentiert sich die ESP LTD GLKAMI 4 als eine gut zu bespielende Superstrat, die bereits im trockenen Zustand mit guten akustischen Werten in Form von knackigem Attack und kräftigem Sustain positiv auffällt. Das Halsprofil ist, wie bereits weiter vorne erwähnt, etwas mehr „oldschool“, besitzt also genügend Fleisch für die Greifhand und bietet dennoch dank der satinierten Halsrückseite ein sehr natürliches Spielgefühl.
Wirklich schade, dass die beiden Tonabnehmer nicht parallel benutzt werden können, denn der Sound ist sehr vielversprechend und bereits beim Einzelbetrieb der Tonabnehmer kann man das klangliche Potenzial dieses Instruments gut erkennen. Der Singlecoil klingt seidenweich und fast schon Hi-Fi-artig, der Kollege am Steg dagegen pustet aus allen Rohren, was auch leider zu einem enormen Lautstärkeunterschied zwischen den beiden Tonabnehmern führt. Bei den hoch komprimierten Overdrive-Sounds ist das vielleicht nicht von Bedeutung, bei unverzerrten Sounds, die mit einer Menge Headroom gespielt werden, kann das jedoch schon zu einem Problem werden.
Dazu kommt, dass es mir bedingt durch den unfassbar hohen Output des Duncans am Steg nicht gelungen ist, mit meinem Orange-Amp einen wirklich sauberen Ton zu erzeugen. Hier muss man mit der Einganssektion des angeschlossenen Verstärkers schon sehr sensibel umgehen, um einen echten Cleansound hinzubekommen.
ESP LTD GLKAMI 4 – die Klangbeispiele
Nun zu den Klangbeispielen, für die ich meinen Referenz-Amp Orange Micro Dark mit der angeschlossenen 1×12 Celestion Vintage 30 Box benutzt habe. Vor der Box wurde ein AKG C3000 Mikro platziert, ehe das Signal in Logic Audio aufgenommen wurde.
Im ersten Beispiel hören wir den Sound des Steg-Humbuckers mit hoher Verzerrung. Hier kann die ESP LTD GLKAMI 4 eindeutig ihre Stärken ausspielen und für nichts anderes wurde sie gemacht.
Dass es aber nicht nur volle Pulle geht, zeigt das nächste Klangbeispiel, bei dem ich den Volume-Regler der Gitarre gut zur Hälfte abgesenkt habe. Wunderbar, das komplette Frequenzbild und die gute Dynamik der Gitarre bleiben nahezu erhalten.
Wir ziehen das einsame Poti auf der Decke nach oben und hören im dritten Beispiel den Sound des Singlecoils mit Verzerrung. Der kann gefallen, denn nicht nur mit Brummen hält sich der LTD-Einspuler erstaunlich zurück, auch einen gewissen Charakter kann man ihm nicht absprechen.
Nun zu den Cleansounds. Wie bereits erwähnt, war es mir kaum möglich, mit meinem Setup einen völlig klaren Sound mit dem Steg-Humbucker zu erzeugen. In Beispiel 4 hört man meine Bemühungen im Kampf um einen sauberen Ton.
Der LTD-Singlecoil kann hingegen mit seinem Cleansound überzeugen, man kann LTD bzw. ESP zu diesem Tonabnehmer nur gratulieren, denn er funktioniert in der GLKAMI 4 wunderbar und ist eine perfekte Ergänzung zum „Brüllrohr“ am Steg.
Hi Stefan,
trotz der Mnuspunkte 3 Sterne?
Naja egal, ist mit dem Camouflage/Kamikaze Look eh nicht meins
@Guernica meine Augen tuen mir auch etwas weh…..
@Guernica Ja, denn es ist einfach ein sehr wertiges Instrument und das mit dem miesen Werkssetting lässt sich ja beheben. Bliebe der Lautstärkeunterschied der Pickups, aber auch da kann man sich ja zum Beispiel beim Einstellen der Sounds am Amp/Effekt drauf vorbereiten. Oder eben die Elektronik der Gitarre ein wenig pimpen. Aber klar, die Optik spaltet aber echte 80s oder GL-Fans werden das Teil sicher mögen :)
Lg, Stephan