Das ultimative Audiointerface für Profis?
Die Geschichte von Focusrite ist unter Audio-Enthusiasten mittlerweile legendär. Mitte der 1980er-Jahre wandte sich kein Geringerer als Beatles-Produzent George Martin an die Audio-Ikone Rupert Neve, um Geräte zu entwickeln, die seinen hohen Ansprüchen genügten. Ergebnis dieser Zusammenarbeit war unter anderem die legendäre Forte-Konsole, von der insgesamt nur zehn Stück gebaut wurden und die weithin als das am besten klingende Mischpult aller Zeiten gilt. Knapp vier Jahrzehnte später stellt Focusrite eine breite Palette von Audiointerfaces her, vom Einsteigermodell (Scarlett Serie) bis hin zur absoluten Spitzenklasse. Und genau aus dieser Spitzenklasse schauen wir uns heute das Top-Modell, das Focusrite Red 16 Line, an und nehmen es im Rahmen eines Tests genauer unter die Lupe.
Inhaltsverzeichnis
Ausstattung und Anschlüsse des Focusrite Red 16 Line
Das Focusrite Red 16 Line ist ein Audiointerface, das auf einer einzigen Höheneinheit bis zu 64 Ein- und Ausgänge bietet. Wie sich diese zusammensetzen, sehen wir gleich. Zunächst muss der Benutzer aber entscheiden, ob er das Gerät über Thunderbolt 3 an seinen Rechner (Mac und PC) anschließen oder die entsprechenden DigiLink-Ports für Pro Tools HDX-Karten nutzen möchte. Ein gleichzeitiger Betrieb beider Optionen ist möglich und der Wechsel zwischen ihnen kann jederzeit am Gerät erfolgen, was besonders praktisch ist, wenn man z. B. immer mal wieder zwischen einem Pro Tools HDX System und einer anderen nativen DAW wie Logic Pro wechseln muss. Ein großer Pluspunkt für alle Pro Tools Nutzer!
Focusrite verspricht hochwertigste AD/DA-Wandlungen bei extrem niedrigen Latenzen, was wir später im Praxisteil noch genauer untersuchen werden. Die Wandlung über die analogen Ein- und Ausgänge erfolgt dabei mit bis zu 24 Bit/192 kHz. Bei Verwendung der digitalen Schnittstelle können diese Werte gegebenenfalls niedriger sein, da ADAT beispielsweise nur bis maximal 48 kHz wandeln kann.
Werfen wir nun einen Blick auf die Anschlussmöglichkeiten für Audiosignale auf der Rückseite. Auf der linken Seite befindet sich zunächst der Anschluss für die Stromversorgung via Kaltgerätebuchse. Direkt danach sehen wir zwei Dante-Ports. Mit diesen Ports kann das Gerät über ein einziges Ethernet-Kabel um je 32 Ein- und Ausgänge erweitert werden. Etwa ein Multikanal-Preamp wie der RME 12 Mic-D, der sich dann im Aufnahmeraum befinden kann und nicht zwingend in der Regie stehen muss. Weiter geht es mit Word-Clock-Buchsen, von denen zwei Ein- und Ausgänge vorhanden sind. Das zweite Paar, Loopsync genannt, ist für die Verbindung und Synchronisierung mit Pro Tools HDX bei Nutzung der DigiLink Funktion gedacht. Es gibt übrigens zwei Thunderbolt-Buchsen, um ein weiteres Thunderbolt-Gerät wie eine Festplatte oder einen Bildschirm anzuschließen.
Auch aus der Oldschool-Digital-Ecke gibt es Gutes zu vermelden: Es finden sich zwei Paare ADAT-Buchsen und ein Pärchen koaxialer S/PDIF-Buchsen. An analogen Anschlüssen sehen wir zunächst zwei symmetrische Klinken zum Anschluss der Monitorboxen. Die restlichen 16 Line-Ein- und Ausgänge werden über vier D-Sub-Buchsen bereitgestellt. Dabei handelt es sich um einen von Tascam entwickelten Standard, der per Adapter angeschlossen wird und je acht Ein- bzw. Ausgänge liefert. Ganz rechts finden wir noch zwei Mikrofoneingänge. Das Red 16 Line verfügt über zwei der Red Evolution Mikrofonvorverstärker, die einen Dynamikbereich von bis zu 121 dB und eine Verstärkung von 63 dB bieten und auf Wunsch mit der legendären Focusrite „Air“-Schaltung aufgewertet werden können. Dazu später mehr.
Nun zur Vorderseite des Gerätes, das im klassischen glänzenden Tiefrot der Focusrite Red-Serie gehalten ist. Ganz links haben wir zwei hochohmige Instrumenteneingänge pro Kanal, um Gitarre oder Bass direkt anzuschließen. Hierbei handelt es sich um die gleichen Kanäle wie bei den beiden rückwärtigen Mikrofonvorverstärkern und wir müssen zuvor definieren, ob diese Kanäle als Instrumenten- oder Mikrofoneingang dienen sollen. Dazu dienen die vier Taster und der große Drehregler direkt daneben. Auf dem Display wird angezeigt, welche Variante eingestellt wurde und man kann hier auch sehen, ob etwa Phantomspeisung, Phasenumkehr oder Trittschallfilter aktiviert sind. Als dritte Möglichkeit lassen sich die beiden Eingänge auch auf Line-Pegel umschalten.
Die Mitte der Vorderseite wird von drei großen Displays dominiert, die unterschiedliche Informationen anzeigen können. Neben dem Status der Mikrofonvorverstärker können das auch die Pegel der Ein- und Ausgänge oder der Monitorpegel sein. Auch kann man hier sehen, ob ein Mute- oder Dim-Schalter aktiviert ist. Weiter rechts befinden sich vier weitere Drucktaster, die das Metering, den Monitor oder die beiden Kopfhörerbuchsen aktivieren und auf dem Display darstellen. Im Zusammenspiel der insgesamt acht Taster, zweier Drehknöpfe mit Push-Funktion und den drei Displays kann man schon zahlreiche Funktionen direkt am Gerät einstellen. Es folgen noch zwei Kopfhörerbuchsen und der Ein-/Ausschalter.
Das Gerät ist mit über 5 kg recht schwer und hat eine Tiefe von fast 34 cm. Auf der rechten und linken Seite befinden sich Lüfter, da ein Gerät mit so vielen Funktionen im Betrieb sicherlich Wärme produziert. Es lohnt sich, beim Einbau etwas Platz nach oben und unten zu lassen, damit die Wärme gut zirkulieren kann.
Software: Focusrite RedNet Control 2
Nachdem wir uns die Hardware genauer angesehen haben, ist es Zeit, einen Blick auf die Software zur Steuerung des Focusrite Red 16 Line zu werfen. Diese Software nennt sich „RedNet Control 2“ und ermöglicht es, das komplette Monitoring und Routing des Audiointerfaces bequem auf dem Bildschirm zu erledigen. Alle angeschlossenen Geräte werden sofort erkannt und können zu einem System zusammengefügt werden. Hier sind auch sehr komplexe Set-ups mit vielen Geräten möglich. Für unser Testgerät besteht die Software aus fünf Reitern.
Der erste Reiter ist für die Ein- und Ausgänge und das Metering zuständig. Ganz oben sehen wir die analogen Eingänge. Hier können wir für die Mikrofonvorverstärker die Phantomspeisung, Phasenumkehr, Trittschallfilter und die „Air“-Schaltung aktivieren oder auch beide Preamps zu einem Stereo-Pärchen zusammenschalten und selbstverständlich auch den Gain einstellen. Für die anderen analogen Eingänge gibt es lediglich ein Metering. In der nächsten Zeile sehen wir dann die 16 analogen Ausgänge. Diese können zu Paaren zusammengefasst und auf Wunsch in der Lautstärke geregelt, gemutet oder per Dim-Button im Pegel abgesenkt werden. In der dritten Reihe sehen wir Pegelanzeigen für die beiden ADAT-Ports und den S/PDIF-Port. Daneben entdecke ich eine Loopback-Funktion, mit der man alles, was man an das Gerät herausschickt, auch direkt wieder in der DAW aufnehmen kann. Sehr hilfreich! Auch die beiden Kopfhörerverstärker und den Monitorausgang kann man hier in der Lautstärke regeln, stummschalten oder dimmen. Ganz unten finden wir Pegelanzeigen für die beiden Dante-Ports.
Weitere Reiter dienen dazu, das Monitoring etwa für Surround-Setups zu konfigurieren und das Input- und Output-Routing frei zuzuweisen. Hier kann man wirklich jeden Eingang auf jeden Ausgang schalten oder auch wahlweise verschiedene Ausgänge aus der DAW auf bestimmte Kanäle im Mixer der RedNet Control Software routen. Last but not least hat man die Möglichkeit, bis zu 8 Custom-Mixes anzulegen, die man per Knopfdruck abrufen kann. Ich stelle mir vor, dass man für verschiedene Aufnahmen oder Recording-Situationen hier unterschiedliche Set-ups ablegt und diese dann per Knopfdruck abrufen kann. Sehr praktisch. Alles in allem macht die Software einen durchdachten Eindruck und nach kurzer Einarbeitung kann man hier sehr gut arbeiten. Ich kann nicht oft genug betonen, wie wertvoll es ist, bei einem Audiointerface eine gute, schnell nachzuvollziehende Software zur Verfügung zu haben, um im hektischen Tonstudioalltag schnell ein falsches Routing zu entdecken. Großes Lob an dieser Stelle an Focusrite!
Praxis: Wie schlägt sich das Focusrite Red 16 Line im Tonstudio?
Im Praxisteil habe ich das Focusrite Red 16 Line für eine Weile in meinem Tonstudio anstelle meines aktuellen Audiointerfaces verwendet. Nach kurzer Einarbeitungs- und Verkabelungszeit lief das Gerät unauffällig und zuverlässig. Nach einigen Tagen habe ich gar nicht mehr darüber nachgedacht, dass ich im Moment mit einem anderen Interface arbeite. Beeindruckt haben mich dabei die extrem niedrigen Latenzen. Ich konnte in Logic Pro auf einem älteren Mac Mini M2 durchgehend mit 32 Samples Latenz arbeiten. Das ist ein hervorragender Wert und hat es mir erlaubt, das Monitoring komplett in der DAW zu machen. Normalerweise nutze ich ein externes Hallgerät, um für Künstler einen Hall beim Aufnehmen zur Verfügung zu stellen. Das war hier nicht nötig und ich konnte einfach ein Hall-Plug-in aus Logic nutzen.
Genauso problemlos ging es, Gitarren und Bässe aufzunehmen, die ich per Software-Amps abgehört habe. Die beiden Mic-Pre-Amps klingen zunächst sehr neutral im positiven Sinne, Nebengeräusche sind selbstverständlich überhaupt kein Thema. Nach Aktivierung der „Air“-Schaltung wird das Ganze, wie der Name schon sagt, etwas luftiger und klingt etwas mehr „mix-ready“. Das ist „nice to have“ und ich habe die Schaltung gerade bei Vocal-Aufnahmen letztendlich immer angelassen. Sehr hilfreich fand ich die beiden Kopfhörerausgänge, sodass ich für mich und den oder die aufzunehmende Künstler separate Kopfhörermixer realisieren konnte. Auch das habe ich praktischerweise einfach in Logic gemacht und dann an das Focusrite geroutet. Hier fällt erneut die sehr übersichtliche und flexible RedNetControl Software positiv auf. Aber nicht nur zum Aufnehmen, sondern auch zum Mischen und Mastern habe ich das Focusrite Red 16 Line benutzt und kann nur Positives berichten. Die Wandler lösen extrem fein auf und man kann, gute Raumakustik und Monitoring vorausgesetzt, alles hören, was die DAW ausgibt.
Das Zusammenspiel mit dem Dante-Netzwerkprotokoll und den Pro Tools HDX-Verbindungen konnte ich dagegen nicht testen, da ich einfach keine entsprechenden Geräte zur Verfügung hatte. Wobei ich denke, dass genau diese Features für viele potenzielle Nutzer sehr interessant sein könnten. Man stelle sich etwa ein Set-up vor, wo viel mit Pro Tools HDX gearbeitet wird und man gelegentlich aber auf eine native DAW wie etwa Logic umschalzen muss. Im Falle des Focusrite RED 16 Line geht das alles in einem Gerät und man braucht keine zwei Interfaces.
Für wen ist das Focusrite Red 16 Line denn nun geeignet? Einen Fall habe ich bereits erwähnt. Anwender, die etwa in der Postproduktion von Filmen mit Pro Tools HDX arbeiten (müssen). Aber auch jeder, der gerne viele externe Geräte über entsprechende Line-Verbindungen in seinen Mixing-Workflow einbinden möchte. Oder auch zum Beispiel, um eine Mixing-Konsole mit dem Computer zu verkabeln. Und natürlich alle, die schon auf das Dante-Netzwerk-Protokoll setzen oder die es in Zukunft tun möchten. Das Schöne an dem Gerät finde ich, dass alles davon möglich ist.
Ich hätte es überzeugend gefunden, wenn die Firma das Powermangement so weit optimiert hätte, dass es keine Lüfter bräuchte. Beispielsweise mit einem vernünftigen Prozessor. Auch diese Zahl von In/Out entschuldigt das nicht. Computer haben bei vielen Jobs mehr zu tun als ein Audiointerface. Trotzdem gibt es die auch ohne Fön. Gehört auf die Minusseite
@Tai Hey Tai, vielleicht hätte ich im Test zusätzlich erwähnen sollen, dass der Lüfter während der Testphase nicht ein einziges Mal zu hören war. Das entkräftet deine Kritik vielleicht etwas, oder? Ansonsten hätte ich das definitiv als Minus aufgeführt. Lieben Gruß und vielen Dank für deinen Kommentar. Moritz
@Moritz Maier Dann ist gut. Für gute Belüftung im Rack zu sorgen, ist ohnehin immer sinnvoll.
@Moritz Maier Ich würde sagen, bei Lüftern geht es nicht nur um die Geräusche. Das sage ich vor allem als Katzeninhaber. Lüfter ziehen Dreck ins Gehäuse, und mechanisch sind es Verschleißteile.
Einen Computer macht man mal kurz auf, macht sauber, und macht wieder zu. HIER geht das so nicht.
Bei allem, was ich kaufe, achte ich aus diesen Gründen darauf, daß da kein Lüfter drin ist. Passive Endstufen, Grafikkarten, wo sich der Lüfter nur bewegt, wenn man spielt…und so weiter.
(Für alles, was dann doch einen Lüfter hat, habe ich extra einen Staubsauger wie bei Loriot, der nicht nur…saugen kann. Erstaunlich, was da immer bei rauskommt!)
@Tai Ich habe das Teil seit ca. 4 Jahren in meinem Besitz und brauche es für Pro Tools HDX. Den Lüfter hat es auch bei voller Auslastung noch nie angeschmissen. Man kann ihn deaktivieren. Bin sehr zufrieden mit dem Interface. Preis/Leistung ist grossartig…
@Tai Hallo zusammen.
Mir ist ein „vorsorglich“ eingebauter Lüfter inzwischen lieber,
als das mein Audiointerface gelegentlich unter Hitzestress leidet.
Mein Neumann MT 48 hat auch einen Lüfter verbaut, während der Nutzung daheim, war bisher immer Stille. (Lüftereinstellung ist immer auf „Mittel“.)
Bei der Summe an Kanälen/Anschlussmöglichkeiten würde ich das Focusrite Red 16 Line zudem sicher auch live einsetzen wollen.
(Spätestens jetzt, ist ein Lüfter m.M.n. Pflicht.)
Gruß
SlapBummPop
@SlapBummPop „Live“ heißt gerne auch „Nebel“, und den zieht ein Lüfter dann ins Gerät.
@mort76 Guten Morgen mort76.
Guter Einwand. Inwieweit das ein Problem werden könnte,
vermag ich nicht zu beurteilen.
Das Audiointerface würde ich aber sowieso (inkl. Rechner) immer am FOH-Platz platzieren.
(da sollte es eigentlich nicht ganz so neblig sein.)
Ich mag auch keine Lüfter, da sie anfällig sind und leider auch Staub usw. anziehen.
Daheim, im Studio, würde ich immer auf eine aktive Kühlung (Luft/Wasser) verzichten.
Gruß
SlapBummPop
@mort76 Kann sein, dass der Nebel in das Gerät kommt. Was ist denn mit dem übrigen Equipment auf der Bühne?🫣
Es gibt genügend Geräte wie Laser, PA, Videowalls, Controller, PCs, Macbooks und weitere Dinge, die sich gern Frischluft zu fächern.💨
Die sind auch nicht nach Jahrzehnten durch Flüssigeis oder E 422 im Argen.🥴
Beim E 422 weiß ich nicht, ob es sich tatsächlich im Vergleich zum Luftfeuchtigkeitsgehalt besonders kritisch auf des Gemüt der geliebten Ausstattung legt.😱
Da wird sicher einiges an Überlegungen in elektronische Produkte fliessen, um die Luftfeuchte zu bedenken, was auch bei den Angaben zum Betrieb bei Temperatur und Feuchtigkeit (nicht kondensierend) angegeben ist. 😇
Noch eine Frage: Wird nicht bei allen Geräten eine Abluft erzeugt, um Wärme abzuleiten und eine Kühlung durch das Metall unter den Platinen zu begünstigen ?🙄
Oder mal praktisch gefragt: Das Ding ist doch für die unbeirrte Arbeit gemacht und darf man hier auf die Erfahrungen vieler (Entwickelnder und Jahrzehnte) zugreifen?