Ein Klassiker jetzt auch satiniert!
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Letztens fragte mich ein Nachwuchsgitarrist, ob ich ihm eine Empfehlung bzgl. einer Les Paul geben könnte. Es wären so viele verschiedene Modelle auf dem Markt und er hätte überhaupt keine Ahnung, wo die Unterschiede lägen und warum sich die Preise so stark unterscheiden würden. In der Tat führt alleine Thomann gefühlt über 50 verschiedene Modelle in seinem Online Shop und auch die deutsche Gibson Website führt 77 verschiedene Modelle in ihrem Portfolio. Ich gebe zu, auch ein erfahrener LP Spieler wie ich es bin, war früher mit den Klassikern Custom, Standard, Deluxe und Junior, allesamt in verschiedenen Farben wahrscheinlich etwas einfacher zufrieden zu stellen. Die aktuell neueste Ausgabe der erfolgreichsten Signature-Gitarre der Welt hört auf den Namen Gibson Les Paul Standard 60s Faded und sie verfolgt einen ungewöhnlichen Ansatz.
Das Konzept der Gibson Les Paul Standard 60s Faded
Das Gehirn des Gitarristen ist wahrlich ein ganz besonderes, beinhaltet es doch zuweilen Windungen, die von jedem anderen Instrumentalisten nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen werden können oder könnt ihr euch vorstellen, dass ein Keyboarder oder Drummer ganz besonders darauf steht, wenn der Lack an seinem Instrument abgeplatzt, die Farbe vergilbt oder die Hardware verrostet ist? OK, die 2.000 Stunden Bühnenpräsenz mit einer sechsstelligen Kilometerzahl an Transportstrecke möchte auch nicht unbedingt jeder Gitarrist seinem Instrument ansehen, aber gerade eine stattliche Anzahl der Fans der beiden Überväter der E-Gitarre, Fender und Gibson, lieben den Vintage-Look eines Instruments und können sich mit dem Hochglanz-Polish eines fabrikneuen Instruments so gar nicht anfreunden.
Dazu kommt noch die Eigenart verschiedener Halslacke, dass schwitzige Hände geradezu an der Rückseite des Halses festkleben, was von vielen Musikern als störend empfunden wird. Sich dessen bewusst, hat Gibson nun die „Faded“ Modelle eingeführt, bei denen die typischen Standard Paulas einige „Verschleißerscheinungen“ bereits bei Werksauslieferung besitzen, ohne dass es in die Heavy-Aging-Abteilung geht.
Fangen wir aber zunächst mit den „Standards einer Standard“ an, die den Gibson Freunden ohnehin geläufig sein dürften, daher nur eine rudimentäre Auflistung. Doch halt, vorher noch ein wichtiger Punkt, es handelt sich um eine (subjektiv betrachtet) „echte“ Les Paul, will heißen, der Korpus ist nicht gekammert und gibt daher auch ein stattliches Gewicht von ca. 4,3 kg vor. Ja, es ist ein hohes Gewicht und ja, Lester Polfus alias Les Paul wollte es so und ja, das vergleichsweise hohe Gewicht ist ein fester Bestandteil des klassischen LP-Sounds, da die Holzmasse sowohl den Resonanzpunkt als auch das Schwingungsverhalten deutlich beeinflusst. Damit wir uns nicht falsch verstehen, es gibt deutlich leichtere Instrumente, die zum Beispiel mit einem durchgehenden Hals ein vergleichbares Sustain-Verhalten an den Tag legen, aber wenn es um den typischen Mittenanteil nebst Schwingungsverhalten einer Les Paul geht, ist ein massiver Korpus der ausgehöhlten Variante immer überlegen.
Ansonsten besticht die Gibson Les Paul Standard 60s Faded mit einer klassischen Mahagoni Armada, bestehend aus einem einteiligen, eingeleimten Hals zzgl. eines zweiteiligen Bookmatched-Mahagoni-Korpus. Das Griffbrett ist wie immer bei Standard-Instrumenten aus Palisander, die zweiteilige AA-Decke aus Ahorn, die mit einem einteiligen Binding auf der Oberseite eingefasst ist und sich auch über den Hals erstreckt, das Ganze mit der kurzen Mensur von 628 mm und 22 Medium-Jumbo-Bünden. P.S. Wer jemals das Glück/Pech hatte, eine LP Custom Fretless Wonder zu spielen, weiß, wie niedrig man Bünde schleifen kann.
Die Brücke/Stop-Tailpiece ist nunmehr aus Aluminium gefertigt, die Tuner stammen aus der Rotomatic-Serie von Grover und verfügen über Kidney-Buttons als Stimmwirbel. Um den „Used“-Charakter etwas zu featuren, wurden die beiden 60’s Burstbucker ohne Kappen ausgeliefert und auf das Schlagbrett hat man gleich ganz verzichtet. Die Schaltung ist klassisch 3-Wege ohne Spulenanzapfung, dazu 2x Volume, 2x Tone, das Ganze hand-wired mit Orange-Drop-Capacitors. Spezielle Gurthalter Strap Locks wurden dem Instrument nicht beigefügt, dafür gehört ein Gurt und ein praxisgerechtes Multitool zum Lieferumfang. Geliefert wird das Instrument in einem hochwertigen Gibson Koffer, der im klassischen Braun gehalten ist und nein, das Innenfutter ist diesesmal nicht pink oder violett.
Sehr positiv ist es auch zu bemerken, dass Gibson nach seiner Umstrukturierung, die vor einiger Zeit vollzogen wurde, das Fertigungsniveau wieder in die Regionen gehoben hat, was zu dem Legendenstatus der Serien aus den Fünfziger und Sechzigern geführt hat. Die Verarbeitung der Gibson Les Paul Standard 60s Faded ist tadellos, die Komponenten sehr hochwertig, das gesamte Erscheinungsbild eine echte Freude.
Das Finish der Gibson Les Paul Standard 60s Faded
Kommen wir aber nun zur Besonderheit des Instruments, dem Faded-Finish. Das gesamte Instrument ist mit einem seidenmatten bzw. satinierten Nitrozellulose-Lack überzogen, der sich zwar als weniger widerstandsfähig gegen äußere Einflüße entpuppt, dafür aber das Instrument nicht wie einfacher gehaltene Lackierungen im Schwingungsverhalten einengt. Außerdem erhält das Instrument so das so beliebte Aging deutlich früher, was von vielen sehr geschätzt wird.
Insbesondere der Hals der Gibson Les Paul Standard 60s Faded erhält durch diesen Lack eine deutlich „holzigere“ Griffigkeit, als man sie von den klassischen LP Hälsen her kennt. Ich würde nicht soweit gehen, dass man hier von einem Naturhals mit gelegentlicher Ölung sprechen kann, wie er bei einigen Ibanez Modellen der Achtziger praktiziert wurde, aber das SlimTaper-Profil des Halses erhält in der Tat ein sehr intensives Griffgefühl.
Das dezent vergilbte Finish soll dem Instrument den Touch eines lange und behutsam eingespielten Instruments verpassen, was bei Werksauslieferung natürlich so nicht möglich ist, da nicht ein Kratzer den Lack ziert und das Erscheinungsbild makellos gleichmäßig daherkommt. Sobald jedoch der jeweilige Spieler seine persönlichen Abdrücke auf dem Instrument hinterlassen hat, fadet dieses Instrument erwartungsgemäß schneller ins Aging hinüber als die analogen High-Gloss-Varianten, wo es schon deutlich mehr Arbeit benötigt, den Lack entsprechend in die Sättigung zu fahren.
In der Praxis
Was könnte man über ein Les Paul schreiben, was nicht jedem Gitarristen zur Genüge bekannt ist? Wann immer Gibson in seiner 120-jährigen Geschichte versucht hat, der Les Paul einen „moderneren“ Anstrich zu verpassen, ging der Schuss gehörig nach hinten los, von daher kann man sich wirklich freuen, aktuell den überwiegenden Teil des LP Portfolios im klassischen Ansatz erwerben zu können. Dieser Ansatz kommt mit all seinen Vorzügen auch bei der Gibson Les Paul Standard 60s Faded zum tragen, was man bereits im trockenenSpiel zweifelsohne erkennen kann. Die Kombi von massivem Mahagoni-Einsatz in Kombination mit der kurzen Mensur erlaubt einen Sustain-geschwängerte Tiefmitten-Sound, der je nach Verstärker Pate für unzählige Hits der Sechziger und Siebziger verantwortlich zeichnet, nachdem man die Fünfziger eindeutig an den ewigen Konkurrenten Fender verloren hatte. Nach dem Popularitätszusammenbruch in den Achtzigern waren es dann Guns N’ Roses mit ihrem Rotzlöffel-Rock zu verdanken, dass das LP-Modell zu neuen Höhenflügen ansetzte. Nicht umsonst besteht der überwiegende Teil der „Signature Signature“ Serie aus diversen Modellen, die für Saul Hudson (Slash) gefertigt werden. Kann man eine Signature-Gitarre eigentlich zweimal „signieren“? Egal.
Natürlich kann man mit dem entsprechenden Setup Pedal/Amp/Cabinet/Speaker gute bis sehr gute Clean- oder auch High-Gain-Sounds der Gibson Les Paul Standard 60s Faded entlocken, die eigentlichen Highlights des Instruments sind aber einmal mehr die extrem geschmackvollen Crunch-Sounds aller Zerrstufen bis hinaus zum klassischen Lead-Sound. Hier besticht das Instrument durch einen wuchtigen, druckvollen Grundsound, der es einem wirklich schwermacht, nicht unmittelbar „Alright Now“ von Free oder einen beliebigen Hit von Led Zeppelin oder Thin Lizzy anzustimmen.
Das Instrument spielt sich ganz hervorragend, der Hals verfügt über genügend „Fleisch“, ohne am halben Baseball-Schläger zu kratzen, wenngleich natürlich der vergleichsweise „hemdsärmelige“ Übergang am Halsfuß immer noch dafür sorgt, dass es ab dem 15. Bund aufwärts grifftechnisch recht unbequem zur Sache geht. Entschädigt wird man jedoch mit einem der beiden großen Sounds der Geschichte der E-Gitarre und es ist fraglich, ob es in Zukunft wirklich noch mal ein Marlkenzeichen im E-Gitarrenbereich geben wird, das den beiden Übervätern in Sache Popularität das Wasser abgraben kann.
Hätte mich auch gewundert, wenn Axel auch nur ein schlechtes Wort wie Gewicht, Hals ect über diese Gitarre verloren hätte, wo seine Costoms verkauft werden. Glaube nicht, dass Clapton, oder Gilmour schlecht über eine Strat schreiben würden, insofern vielleicht verständlich. Vielleicht…
Sorry, dasÄrgernis mit dem 15. Fret hat er ja erwähnt 🙏.