Mega günstige Strat von Harley Benton - brauchbar?
Obwohl Fender selbst in den niedrigsten Preisregionen ihr Zugpferd Stratocaster erfolgreich an den Mann bzw. die Frau bringt, bleibt auf dem Markt immer noch genügend Platz für Kopien der wohl meist kopierten E-Gitarre aller Zeiten. Als Spezialisten im Low-Budget-Segment hat sich die Thomann Hausmarke Harley Benton mittlerweile einen festen Platz ergattert – und das zu Recht, wie ich finde und in einigen Testberichten schon feststellen durfte. Die Qualität der Instrumente wird von Jahr zu Jahr spürbar besser, dabei hat unser Testinstrument, die Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre, schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, befindet sich aber immer noch im aktuellen Programm vom Musikhaus Thomann und lockt dort mit einem Preis von unfassbaren 79,- Euro. Kann das wahr sein? Vermutlich schon bei Harley Benton!
Harley Benton ST-20HSS: Facts & Features
Ich gebe es ja zu: Das Candy Apple Red Finish von Fender war schon immer meine Lieblingsfarbe auf einer Strat! Kaum weniger edel wirkt die Lackierung, die auf den in seinen Formen nahezu identischen gefertigten Korpus der Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre aufgetragen wurde. Die erste Verblüffung ist gelungen, an der Lackierung gibt es nicht das Geringste auszusetzen, weder Schleifspuren oder gar Lacknasen sind rund herum zu erkennen. Ganz im Gegenteil: Der Lack wirkt geradezu hochwertig, falls man dieses Wort für eine E-Gitarre zum Preis von zwei Mittagessen der mittleren Preiskategorie überhaupt in den Mund nehmen sollte! Auf die Spitze hätte man das Design noch mit einem Pickguard aus Perlmutt treiben können, das dreischichtige weiße sieht aber auch gut aus. Darin eingesetzt findet sich die gesamte Elektronik der E-Gitarre, die mit einem Humbucker in der Stegposition sowie zwei Singlecoils in der Mitte und am Hals eine klanglich flexible Ausgangssituation bietet.
Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre: Die Elektronik
Geregelt bzw. geschaltet wird mittels zwei Tone-Potis, die sich für die Höhendämpfung des Humbuckers und des mittleren Singlecoils zuständig zeigen, einem gemeinsamen Mastervolume-Poti sowie dem zu erwartenden Fünfwegeschalter. Sowohl die drei Regler als auch der knackig einrastende Schalter bieten keinerlei Anlass zur Kritik und sorgen bei mir ehrlich gesagt für die nächste Verblüffung bei der Begutachtung. Einzig und allein die Positionierung des Volume-Reglers könnte für manchen Spieler bzw. Einsteiger zu einem Problem werden – oder besser gesagt eine gewisse Zeit der Eingewöhnung erfordern. Denn wie bei der originalen Strat liegt auch dieser im unmittelbaren Aktionsradius der rechten Hand, was zur Folge hat, dass manch einer sich hier schon nach wenigen Minuten selbst „den Saft abgedreht“ hat. Und das kann schnell geschehen, denn die Regler laufen sanft wie Butter und völlig ohne Spiel auf ihren Achsen!
Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre: Der Hals
Schwenken wir unseren Blick nun weiter zum Hals, der nicht nur sauber und ohne Spaltmaße in seiner Tasche im Korpus verschraubt wurde, sondern tatsächlich auch aus einem Stück Ahorn besteht. Dabei ist selbst die Maserung des gewählten Stück Holzes recht attraktiv und absolut frei von Unschönheiten, wie etwa Astlöchern oder Schleifspuren, als Indizien für eine unsaubere Verarbeitung. Das „Modern-C“ Halsprofil hält das, was die Bezeichnung verspricht: Es geht angenehm flach zu und aufgrund der Tatsache, dass die Halsrückseite nur hauchdünn mit Satinlack überzogen wurde, ergibt sich somit ein sehr angenehmes Spielgefühl für die Greifhand.
Auf den Hals aufgeleimt wurde ein Griffbrett aus Roseacer, einem wärmebehandelten Ahorn, das auch in einigen anderen Modellen des Herstellers seine Verwendung findet. Rein optisch und vom Spielgefühl kann man hier kaum einen Unterschied zum „ewigen Standard“ Palisander feststellen. Spendiert hat man der Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre 22 Bünde mittlerer Stärke, die sauber eingesetzt und abgerichtet wurden. Lediglich an der Politur ihrer Oberflächen wurde gespart, unser Testinstrument zeigt deutlich hör- und spürbare Schleifgeräusche beim Ziehen der Saiten. Aber gut, dieses Thema erledigt sich früher oder später bei ordentlicher Benutzung ja von selbst und darf von daher als eher marginal betrachtet werden. Beim Einstellen der Saitenlage hätte man sich jedoch noch etwas mehr Mühe geben können, aber bei diesem Preis kann man auch gerne mal selbst Hand anlegen, oder? Nichts zu meckern gibt es beim Sattel, der mit einer Breite von 42 mm recht schmal ausgefallen ist und sauber in seine Position eingesetzt wurde.
Auch die Sattelkerben scheinen gut gefeilt bzw. auf den ab Werk aufgezogenen 009er Saitensatz angepasst zu sein, denn beim Benutzen des Vibratos reibt dort nichts. Vielleicht ein Grund, warum das auf der Decke montierte Vintage-Vibrato so erstaunlich gut funktioniert? Der andere Grund dürfte von der Tatsache her rühren, dass der Vibratoblock auf der Decke aufliegt, ein Ziehen des Hebels ist also nicht möglich. Gut, das könnte man sicher justieren, doch bei dieser Art System und vor allem bei Hardware in dieser Preisklasse sollte man da eher mit Bedacht zu Werke gehen: besser nur nach unten, dafür aber nach dem Zurückkehren eine einigermaßen sichere Stimmung behalten. Dennoch sind die Verstimmungen der Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre in absolut tolerierbaren Grenzen zu sehen, an diesem Punkt habe ich selbst bei zehnmal teureren Gitarren schon durchaus Schlimmeres erlebt. Die nächste Verblüffung scheint wohl perfekt!
Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre: In der Praxis
Nach so vielen Überraschungen und Verblüffungen hinsichtlich der guten Verarbeitung steigt die Spannung natürlich – wie klingt sie denn nun, wie fühlt sich die Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre an? Die Antwort: Leider nicht so, wie es ihr Schein verspricht, aber trotzdem niemals, wie eine E-Gitarre für 79,- Euro. Der Grundsound ist zwar nicht sehr resonant und etwas zäh in seiner Dynamik, dafür aber lässt sich das Instrument direkt aus der Box einwandfrei bespielen. Zumindest bis ca. zur Oktavlage, ab da wird es, bedingt durch die hohe Saitenlage bei unserem Testinstrument, schon etwas schwieriger mit einem sauberen Intonieren.
Die akustische Basis steht also schon mal ganz gut da, was können die Pickups daraus machen? Hier gibt es Licht und Schatten, gut gefallen tut der Humbucker am Steg mit seinem hohen Output und dem kräftigen Mitten/Höhenbild, auch wenn er bei zu hoher Zerrung schon bald anfängt, den Klang etwas breiig zu machen. Die Singlecoils hingegen lassen das typische, „glockige Klingeln“ einer Strat weitestgehend vermissen, interessant jedoch klingt die Kombination Humbucker und mittlerer Singlecoil, die für einen durchsetzungsfähigen, aber nicht mit zu vielen Mitten geprägten Klang sorgt.
Genau mit diesem Beispiel beginnen wir die Klangbeispiele, für die ich die Harley Benton ST-20HSS E-Gitarre an meinen Referenz-Amp Orange Micro Dark angeschlossen habe. Der war gekoppelt mit einer 1×12″ Celestion V30 Box, davor wurde für die Aufnahme ein AKG C3000 Mikrofon positioniert. Zunächst also der Sound der Kombination mittlerer Singlecoil und Humbucker, zuerst mit einem verzerrten und danach mit einem unverzerrten Klang des Orange MD.
Durchaus brauchbar, wie ich finde. Die insgesamt zähe Dynamik macht sich da noch nicht sonderlich bemerkbar. Das zeigt auch das nächste Klangbeispiel, in dem wir die Tonabnehmerkonfiguration Hals-Pickup und mittlerer Pickup hören. einer der wohl am meisten genutzten Sounds einer Strat.
Jetzt rüber zu den verzerrten Sounds, die mit der bereits mehrfach angesprochenen Dynamik so ihre Schwierigkeiten haben. Dennoch klingt das für eine E-Gitarre dieser Preisklasse mehr als ordentlich! Im dritten Beispiel hören wir zunächst den verzerrten Sound des Humbuckers am Steg, danach den des Singlecoils am Hals, eingespielt mit einer Sololinie.
80 Euro…. das ist ja unglaublich…. Ein Hammerpreis. Jetzt ist es hoffentlich kein Vorführmodell des Herstellers gewesen sondern direkt vom Versandhaus geliefert, dann ist es auch glaubhaft :-)
@Marco Korda Da kannst Du dir sicher sein :) !! Wir bekommen in aller Regel immer Serieninstrumente und auch dieses hier habe ich selber aus der weißen Kunststoffhülle rausgenommen!
@Marco Korda Marco Korda: „kein Vorführmodell des Herstellers gewesen sondern direkt vom Versandhaus“
Da Harley Benton die Hausmarkte von Thomann ist. Kann man das Versandhaus getrost als den Hersteller bezeichnen. Und bei der Serienstreuung, die ich von Harley Benton gewohnt bin, vermute ich, dass diese Gitarre von Thomann speziell für Amazona ausgewählt und justiert wurde.
Sehr günstig, wer verdient da noch was?
@swift Könnte mir vorstellen, die Klampfe selber dient eher zum „Anfixen“, da wird nichts großartig dran verdient. Selbst bei niedrig angesetzten Kosten für Teile und Body muss das Dingen ja auch irgendwie zusammen gezimmert werden und dabei gewisse Mindest-Qualitätsstandards erfüllen. Ist ja in Köln beim MS mit deren Hausmarke ähnlich. Aber wer eine solche Gitte kauft, kauft auch noch Zubehör und wird so erstmal als Kunde gewonnen. Und der lässt mit steigenden Ansprüchen später auch mal mehr Geld im Laden, wenn denn mal was standesgemäßes her muss/soll. Oder das eigene Homestudio lockt.
@swift Thomann verdient daran sobald man als Käufer merkt, dass man bessere Pick-Ups, bessere Mechaniken usw. benötigt.
@swift Jedenfalls nicht die Arbeiter in der Fabrik.
So ist es.
thomann verdient da nix dran. von den eur 79 sind eur 12 mwst, und der versand ist auch noch kostenlos dabei.
darum geht es aber auch nicht. es geht darum, das sortiment nach unten abzurunden. das bringt neue kunden, die später mehr kaufen. und das sichert vor allem marktanteile, dh hält die konkurrenz klein.
Ich besitze seit mehr als 10 Jahren eine „Collins“-Strat, damals auch von Thomann gekauft, damals für 69€. Ich bin ja eigentlich Keyboarder & Bassist, brauche aber ab & an ein paar sexy E-Gitarren-Parts für meine Aufnahmen. Das sind ne Menge stark verzerrte Sounds, aber auch Crunch & Clean geht recht problemlos. Die Collins macht bis heute eine verdammt gute Figur!!
Bessere Tonabnehmer hab ich nie vermisst, sie ist stimmstabil und die Elektronik klappt auch immer noch tadellos. Ich bin kein Gitarrist & deswegen auch wenig anspruchsvoll so lange es klingt & bespielbar ist. Immerhin: Es gibt etliche Platten, auf denen ich das Ding gespielt habe & bisher hat sich noch nie jemand über den Sound beschwert.
Was ich damit sagen will: ja, es geht! Man kann für sehr sehr wenig Geld eine ordentliche Gitarre bauen, die man nicht nach kurzer Zeit umtauschen möchte. Ich glaube nicht, dass es eine „extra gute Gitarre für den Test “ gewesen sein muss.
Wer jetzt noch etwas an 69/79€ verdient…. keine Ahnung, das steht sicher auf einem anderen Blatt.
Der Preis ist heiss und das Angebot richtet sich an Jugendliche und Gelegenheits-Rocker. Gerade Jugendliche sollten als Einstieg ein gutes Gerät in die Hände bekommen, sonst ist der Spaß schnell wieder vorbei. Ist das Interesse an der Musik nach dem Abi-Ball schon wieder vorbei, war die Investition verschmerzbar. Wer ernsthaft und viel auf Tour ist, wird hier sowieso nicht angesprochen.
So gefällt mir der Test besser, als manch anderer zu einem vierstelligen Klangerzeuger. In meiner vergangenen Jugend gab es so ein Angebot schon mal gar nicht und der Einstieg viel kostenintensiver. Auch wer in seiner Freizeit zur Entspannung gelegendlich rockt wird gut bedient.