Zwergenaufstand im Gitarrenland!
OK, es war abzusehen und jeder Musiker, der die Produktpolitik etablierter Hersteller im Auge hat, hat so etwas kommen sehen, aber was es dann letztendlich wurde und wie die genaue Ausführung aussieht, verwundert dann doch immer wieder. Klein, kleiner, Hughes&Kettner Nano Heads! Nano? Kasperletheater? Spielzeug? Von wegen!
Der Aufbau der Hughes & Kettner Nano Heads
Die Zeiten haben sich geändert, wobei wahrscheinlich die Liebe zum verzerrten Gitarrenklang das einzige ist, was sich in den Ohren der Nutzer bis zum heutigen Tag gehalten hat. Ansonsten ist nichts mehr im Gitarrenbereich mehr so, wie es zu den Anfängen der „verzerrten Gitarre“ einmal war. Röhrentechnik? Liebhaberei! Schwere Topteile um 20 kg? Will keiner mehr tragen! Lautsprecher? Speaker-Simulation! Floor-Monitore? Inear-Monitoring! Handwerkliches Können? Backingtracks! Intonation? Melodyne! Die Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen und wird viele Puristen die Zornesröte ins Gesicht treiben. Nichtsdestotrotz ergibt es überhaupt keinen Sinn, sich der Realität zu verweigern und über die „gute, alte Zeit“ zu schwadronieren, die nebenbei bemerkt noch ganz andere Fallstricke zu bieten hatte, aber das ist eine andere Geschichte.
Viele der oben genannten Punkte sind diskussionswürdig, über zwei Punkte hingegen herrscht bei allen Beteiligten die gleiche Meinung vor, nur der Weg dorthin wird immer noch heiß diskutiert. Die Rede ist von Transportabilität und Sound. Okay, das Thema Sound ist schon wieder ein mehr als nur heißes Eisen, aber klein und handlich wollen alle, zumindest diejenigen, die wenn auch nur rudimentär, ihren Proberaum ab und an verlassen wollen. Viele Hersteller haben bereits auf den Trend reagiert: Die Lunchbox-Amp-Klasse dürfte die zurzeit die am besten laufende Größe im Gitarren-Head-Bereich sein.
Spätestens seit der Grandmeister Serie mischt der deutsche Hersteller mit dem charakteristischen Blauton ganz vorne im Working-Musician-Bereich mit und dürfte wohl mit zu den am meisten gespielten Topteilen im Cover- und Tribute-Bereich zählen, sofern man sich nicht dem Modeling/Sampler-Bereich ergeben hat. Der letzte Streich von Hughes&Kettner, der die Firma endgültig in die erste Reihe der praxistauglichen Produkte katapultierte, war die Einführung der Black Spirit 200 Serie, die in Form von Head, Combo und Floor Amp dargeboten wird (für die entsprechenden Testberichte bitte auf die Links klicken). Alle Produkte verfügen über den Spirit-Tone-Generator, einem analogen Bauteil, das sich zum Ziel gesetzt hat, die interaktiven Aktionen eines Vollröhrenamps analog zu reproduzieren und dabei auf die günstigere Solid-State-Technologie zurückgreift.
Besagte Technologie schlug klangtechnisch ein wie eine Bombe und dürfte wohl auch wirtschaftlich das stärkste Zugpferd in St. Wendel darstellen. Aber Hughes&Kettner wäre nicht Hughes&Kettner, wenn sie nicht ständig an ihrer Produktpolitik feilen würden. Was also kann man machen, was nicht bereits nach unten von der BS200 Serie und nach oben vom Triamp MK3 abgedeckt würde? Nun, man beschreitet den Nano-Bereich in Form von drei verschiedenen Zwergen Heads, die jegliche Größe bisheriger Verstäker-Topteile auf den Kopf stellen! Nun gut, es gab bereits Experimente in dieser Klasse, vielleicht erinnert sich der eine oder andere unter euch zum Beispiel an den legendären hervorragend klingenden „1“ von Palmer, einem echten Vollröhrenamp, der aber nur 1 Watt Ausgangsleistung anbot und sich somit in keinem Bandkontext behaupten konnte. Aber einen „echten“ Gitarrenamp, mit den Abmessungen, wie man sie bisher nur von einigen Zwergen Bassamps her kennt?
Bedroom Amps & Lunchbox Amps von Hughes & Kettner
In der Tat muss man zumindest schmunzeln, wenn man den ersten Kontakt mit den Topteilen herstellt. Der ultimative Spaßfaktor taucht spätestens dann auf, wenn man einen der Nano Heads auf einem 412er Cabinet platziert. Wer hier nicht laut lacht, versteht definitiv keinen Spaß. Mit den Abmessungen 190 x 90 x 90 mm sind wir bei einem Volumen von ca. 3 Zigaretten-Packungen, kombiniert mit einem Gewicht von nur 725 g. Dass hier kein Platz mehr für ein internes Netzteil mit Kaltgerätesteckerbuchse vorhanden war, erklärt sich von selbst, womit sich auch das mitgelieferte Multispannungsnetzteil erklärt.
Die verschiedenen Versionen der Nano Heads sind von der Bedienung und vom Aufbau her identisch. Lediglich die Farbe der vier großen Regler auf der Vorderseite variiert von Creme über Schwarz bis hin zu Rot. Die drei Heads lauten auf die Bezeichnungen Vintage, Rock und Metal, was ihre Grundausrichtung impliziert. Die Verstärker sitzen in einem Gehäuse, das der BS200er Serie nachempfunden ist, allerdings sind die Griffe an den Außenseiten nur stilisiert, bei diesen Abmessungen braucht es nun wirklich keinen Tragegriff. Das Gehäuse besteht aus Metall, die Seitenteile und das durchsichtige Frontpanel aus Kunststoff.
Neben den vier Reglern Master, Sagging, Tone und Gain verfügt die Frontseite über den Input und einen Kopfhörerausgang. Die Rückseite bietet neben einem regulären Speaker-Output, der bei 4 Ohm bis zu 50 Watt raushaut, einen Lin- Out, einen Aux-In, den Netzschalter, einen Minischalter zum Deaktivieren des Stromsparmodus AES und die Buchse für das mitgelieferte externe Netzteil. Die bekannte Red Box wurde hier nur im Kopfhörerausgang verbaut, für den Line-Out muss für diese Nutzungsart zu einem externen Speaker-Simulator gegriffen werden. Soweit, so gut.
Die Nano Serie von Hughes & Kettner für Gitarre
Klein- und Kleinstverstärker, gerne auch als „Bedroom Amps tituliert, gibt es mittlerweile in Hülle und Fülle. Allerdings leiden die meisten zum einen an ihrer Leistungsbeschränkung, was sie für einen Proberaum- oder gar Live-Einsatz disqualifiziert. Zum anderen beziehen diese Verstärker ihre Verzerrung meist aus einer mehr oder minder gut klingenden Transistorschaltung mit einer kleinen Endstufe, was den Anwender bzgl. der klanglichen Ausbeute gerne zu dem Satz „ist halt nur ein Übungsamp“ hinreißt.
Um nicht als x-ter Vertreter dieser Spezies in den Ring zu steigen, hat Hughes&Kettner die beiden Bauelemente, die die BS200er Serie zum wohl aktuell zum bestklingenden Transistorverstärker emporhoben, auch in der Nano Reihe verbaut. Die Rede ist vom besagten Spirit Tone Generator und der Sagging-Schaltung. Ersterer bildet wie gesagt auf analoger Basis die nichtlineare Interaktion einer Röhrenschaltung nach, Zweiteres simuliert eine Röhrenendstufe, die in die Sättigung fährt und somit leichte „Einbrüche“ (SAG) in der klanglichen Konstante ermöglicht. Einfach gesagt, was einen Elektrotechniker bzgl. Linearität in den Wahnsinn treibt, lieben Gitarristen im Sound.
Dabei wirkt der Sagging-Regler auf alle Bereiche, die die drei restlichen Regler verwalten, sprich Lautstärke, Verzerrungsgrad und Klang. Mit zunehmendem Sagging nimmt zunächst die Lautstärke nebst Kompression zu, der Bassanteil wächst, um dann ab ca. 12 Uhr wieder Lautstärke zurückzunehmen, ganz im Sinne einer „einbrechenden“ Endstufe. Dabei gilt das Grundprinzip: Je mehr man am Sagging dreht, umso weniger Gain sollte man am Amp einstellen, da man sonst Gefahr läuft, im Soundmatsch zu ersaufen. Insbesondere bei der Metal-Variante sollte der Sagging-Regler maximal auf 10 – 12 Uhr stehen und am besten nur für Solo-Arbeit verwendet werden.
Ansonsten kann man die einzelnen Varianten sehr schön für die verschiedenen Stilrichtungen verwenden, ganz wie es ihre Bezeichnungen vermuten lassen.
Der Sound der Nano Heads Vintage von Hughes & Kettner
Der einzige der drei Varianten, der einen echten Clean-Sound erzeugen kann. Insbesondere bei einem kräftigen Sagging-Anteil komprimiert der Amp wunderbar im dezenten Fender Stil und lässt sich mit starkem Gain auch zur JMP Zerre motivieren. Zwei weitere Pedale davorgeschaltet und man hat einen dreikanaligen Amp.
Der Sound der Rock Nano Heads von Hughes & Kettner Bedroom Amps
Vom Grundsound her deutlich heißer ausgelegt als der Vintage-Vertreter mit stärkerem Bassanteil und in Sachen Zerre gerne bis zum JCM 900 hochzuregeln. Viel Hard-, Classic- und Alternative-Rock Anteil.
So klingt der Metal Nano Head von Hughes & Kettner
Nomen est omen! Vom Sound her am Ultra-Kanal der BS200 Serie angelehnt, dürfte jedem klar sein, was einen mit diesem Verstärker erwartet. Für den klassischen Metal-Head, der mit nur einem Sound pro Abend auskommt, ein perfekter Amp.
Was alle Amps gleichermaßen auszeichnet, ist ihre dynamische Wiedergabe und ihre Interaktion mit dem Instrument, was bisher nur Vollröhrenverstärkern vorbehalten war. Während viele analoge Transistorverstärker gerade bei höheren Gain-Werten immer latent mit einem obertonarmen und muffigen Grundsound kämpfen, bieten die Winzlinge ein wahrlich erwachsenes, sehr weiches Klangverhalten, was sie weit aus der Bedroom-Ecke herausholt. Überhaupt, Bedroom Amp mit 50 Watt bei 4 und 20 Watt bei 8 Ohm? Das sitzt die Partnerin beim ersten Powerchord aber aufrecht im Bett.
Klanglich stellen die Amps wirklich alles in den Schatten, was es in dieser Größe gibt. Man ist umgehend geneigt, sich einen A/B/C-Schalter zu kaufen, um alle drei Amps zu einem Dreikanaler zusammenzubauen. Es würde mich nicht wundern, wenn Hughes&Kettner die Pläne nicht bereits in der Schublade liegen hätte. Auch die fehlende Dreiband-Klangregelung zugunsten eines einzelnen Tone-Reglers stört nicht wirklich, wenngleich ich persönlich mir für geringere Lautstärken noch einen Bassboost gewünscht hätte, aber das ist Geschmackssache.
Schöner Test, der die Antworten auf alle wichtigen Fragen liefert. Von mir aus kann Axel viel viel mehr aus der „guten alten Zeit“ erzählen, aber das muss ja nicht in einem Hardware-Test sein.
Spannend wird sein, ob H&K tatsächlich das Offensichtliche weiter verfolgt: Bei dem Preis ist der Gedanke, mehrere unterschiedliche Modelle zusammenzuschalten, sehr naheliegend. Die Detailfrage, wie man es vermeidet, mehrere Cabinets hinzustellen, dürfte die kniffligste sein. Denn einfach mehrere Endstufen parallel zu schalten und auf ein gemeinsames Cabinet loszulassen dürfte den Endstufen nicht gut tun.
@bluebell Nein, eine einzelne Box wird disbzgl. nicht funktionieren, wobei Palmer glaube ich mal mal einen Switch im Programm hatte, der sowohl den Eingang von dem Amp als auch die Speakerwahl gleichzeitig schaltete und den „leeren“ Amp mit einem Lastwiderstand versah.
Aber 2-3 Stck. 112er oder 212er Cabinets und davor einen A/B oder A/B/C Switch z. B. von Lehle gepackt sind doch auch keine große Belastung. Ich habe das früher mit 3 Fullstacks plus 3 Spare Heads, alle im Case gemacht, sprich ich war mit 6 Heads und 6 Cabinets unterwegs :-)
Ein Sound, der seines gleichen suchte …
Kein Effektweg? Sehr, sehr schade …
@Stephan Güte Hätte eigentlich als Minuspunkt aufgeführt werden müssen, oder?
Für mich sieht das eher so aus, als wenn die Marketingabteilung zuviel Regie geführt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das ganze nicht als einen Amp mit einem Kippschalter für zwei oder drei Kanäle und einem Effektweg hätte realisieren können, für etwas mehr Geld, versteht sich. Man scheint zu hoffen, dass mit dieser willkürlichen Aufteilung ein Anreiz besteht, mehrere von diesen Dingern zu erwerben. Unternehmerisch verständlich, aber hat etwas Geschmäckle imho.
Aber ein Nano Head “Pro” wird sicher kommen… oder im Bodentreter-Format für das Board, zwei Kanäle, Effektweg, würde Sinn machen, oder?
Knuffig sehen sie ja schon aus.
@janschneider Man sollte im Hinterkopf haben, dass die Nano Heads die Spirit Tone Reihe nach unten hin abrunden, sprich es geht um einen guiten Sound deiner Wahl für vergleichsweise kleines Geld mit einer unschlagbaren Transportabilität. Wer mehr Features benötigt, muss etwas mehr Geld in die Hand nehmen und den BS200 Head wählen.
Ich überlege ernsthaft den Metal Nano Head bei Festival Shows, wo ich keinen cleanen Sound benötige, auf der Bühne einzusetzen. Vielleicht nicht unbedingt bei unserer Wacken Show kommendes Jahr ;-), aber gerade für die anstehenden Flugshows wäre das eine neue Dimension in Sachen Transportabilität.
Hmja, so putzig sie aussehen und so knackig sie pur klingen: Stephan Gütes Bedauern kann ich mich nur anschließen. Was soll man mit den Dingern – jenseits des Schlafzimmers – anfangen, wenn sie sich nicht mit nachschaltbaren Mod-FX beschicken lassen? Da gips ja dann nich’ma‘ oin kloines Dülay fürs Solo, jammerjaps!
Aber super Artikel! „Da sitzt die Partnerin (…) aber aufrecht im Bett“ made my day!
@Eibensang :-)))) … bzgl. FX-Loop, siehe Antwort oben …
leider kein FX und ob das nicht Ärger gibt wegen des Namens… https://www.zvex.com/guitar-pedals/nano-head-tube-amplifier-micro-amp
@harrymudd da die einzelnen Produkte „Spirit Of Rock“ etc. heissen und nur die Produktklasse an sich intern als Nano Heads bezeichnet werden, also kein direktes Produkt so bezeichnet wird, wird der Markenschutz Anwalt wohl die Füße still halten.
Wie wurden die Soundbeispiele erstellt?
Direkt von Amp durch den Wandler
Welche Speakerboxen könnte man anschließen?
Klingen die auch so über meine aktiven Abhörmonitore?
@eki mako Direkt durch den Line Out vom Amp durch einen Wandler würde der Sound mehr einem Rasierapparat als einem Gitarrenverstärker ähneln.
Die Sounds wurden mit einer Lim. Ed. Strat von 1993 mit Texas Special PU’s und einer Fame Firecat über ein Marshall 412 Cabinet mit Celestion G75-T erstellt, abgenommen mit 2 Stck. Shure SM 57.
Auf dem Kopfhörer Ausgang liegt bei Bedarf eine Speakersimulation namens Red Box an, welche den Sound bei Direkteinspeisung etwas verbessert, einen optimalen Sound erreichst du aber nur mit einer hochwertigen Mikrofonabnahme.
@Axel Ritt Gut zu wissen – hatte gedacht, das Ding taugt was um damit direkt in den Mixer zu gehen. Für zu Hause und im Homerecording. Der Cleansoudn hat mir gefallen.
@Sven Blau In den Mixer direkt nicht, der Line Out ist ungefiltert und liefert das „Endstufensignal“ (also inklusive Power-Amp-Sagging) und ist dafür gedacht Software-basierte Mic- und Cab-Sims oder IRs zu nutzen.
Man könnte mit dem Kopfhörerausgang direkt in den Mixer gehen, aber der hat „nur“ die Red Box-Filterung des damaligen TubeMeister 18 drin, ist zwar nicht schlecht, aber nicht so gut wie die aktuelle Red Box AE+ aus dem Black Spirit 200. Die würde halt alleine fast so viel kosten wie der ganze Amp.
ps: ja, ich arbeite für Hughes & Kettner ;-)