16 Gitarren in einem Body!
Wo Line6 draufsteht ist immer Modeling drin, garantiert. Nicht anders verhält es sich mit unserer Testgitarre, der Line6 Variax Acoustic 700. Was auf den ersten Eindruck als zierliche Thinline-Acoustic durchgehen könnte, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als eine mit Elektronik vollgestopfte Westerngitarre, deren Sinn es ist, ganze sechzehn unterschiedlichste Akustik-Instrumente virtuell nachzubilden, was sich im Fach-Jargon eben Modeling nennt. Der Begriff „Akustik-Instrumente“ wurde hier bewusst dem Begriff „Akustik-Gitarren“ vorgezogen, da die modulierten Sounds der Variax 700 auch exotischere Klänge, bzw. nicht ganz alltägliche Instrumententypen bieten. Sechzehn Instrumente für den Preis von einem? Mal schauen wie gut dies dem kreativen Team von Line6 gelungen ist. Der Test auf Amazona.de sollte wie immer Klarheit verschaffen.
Lieferumfang
Die in Korea gefertigte Variax Acoustic 700 wird in einem robusten und gut gepolstertem Gigbag geliefert, welcher auf der Vorderseite zwei große Staufächer beherbergt, in denen sich allerlei nützliche Dinge verstauen lassen. Bei der Lieferung des Instrumentes ist hier das Netzteil/Fussschalterpedal (XPS-Einheit) untergebracht, das zum einen die Gitarre mit dem nötigen Strom versorgt und zum anderen als Umschalter für den integrierten XLR-, bzw. Klinke-Ausgang dient. Das mitgelieferte und in seiner Länge ausreichend proportionierte Planet Waves-Kabel sorgt dabei für die Verbindung zwischen dem Pedal und der Gitarre, ein Netzteil zur Verbindung zum Stromnetz.
Zwingend notwendig ist die Nutzung dieser Box nicht, es lassen sich so aber nervige und kostspielige Batteriewechsel vermeiden, ganz zu schweigen von einem Totalausfall der Saftspender während eines Gigs. Ein Batteriesatz (6 x Typ AA oder wahlweise ein 9-Volt-Block bei Herausnehmen des AA-Adapters) gehören nicht zum Lieferumfang. Laut Line6 soll die Betriebsdauer für eine Batterieladung zwischen 10-12 Stunden liegen. Man kann also mit einem eingelegten Batteriesatz das Instrument auch ganz herkömmlich mit einem Klinkenkabel ohne Verwendung der XPS-Einheit betreiben.
Die Line6 Variax Acoustic 700 Akustik-Gitarre
Trotz ihres digitalen Innenlebens wurde bei der Variax Acoustic 700 Wert auf die Verwendung traditioneller Tonhölzer gelegt. Auf einen Korpus aus Mahagoni wurde eine Fichten-Decke aufgeleimt, der eingeleimte Hals besteht ebenfalls aus Mahagoni und besitzt 22 Mediumbünde. Na ja, eigentlich ja 24, allerdings sind die letzten beiden Bünde nicht mehr wirklich zu spielen. Das Palisander-Griffbrett wurde nämlich am unteren Ende so ausgefräst, dass nur noch die G-, H- und E-Saite spielbar sind, die anderen Saiten greifen ins Leere. Aber auch 22 Bünde sind schon gut gemeint, viel weiter kommt man trotz des hübsch anzusehenden Cutaways ohnehin nicht, ohne die Hand zu überstrecken. Die Medium-Bünde selbst sind tadellos in das Griffbrett eingebracht und abgerichtet und das trifft auch auf den Sattel zu.
Einen großen Pluspunkt stellt auch der einstellbare Steg dar. Mit Hilfe eines Inbusschlüssels, lässt sich binnen Sekunden dort ohne Mühe die bevorzugte Saitenlage einstellen. Klasse!
Weiterhin befindet sich neben der Klinkenbuchse im schmalen Zargen der Gitarre noch ein RJ45-Stecker, hier lässt sich die Gitarre direkt an weitere Line6-Produkte, wie z.B. den Vetta-Amp, ankoppeln.
Die Kopfplatte des einteiligen Halses besitzt sechs geschlossene Mechaniken, die sehr robust wirken und während der gesamten Testdauer keinen Anlass zur Kritik boten. Sie laufen weich und ohne Sprünge auf ihren Achsen und hielten die Variax Acoustic 700 (und somit auch den Autor) in bester Stimmung.
Von der Konstruktion, der Verarbeitung und der Optik macht die Variax Acoustic 700 schon mal eine sehr gute Figur. Kümmern wir uns nun aber um das digitale Innenleben, also um die emulierten Instrumentenmodelle.
Die emulierten Gitarren
Im oberen Zargen trägt die Variax 700 ihr eigentliches Control-Panel, welches aus drei Schiebereglern und einem Push/Pull-Poti besteht. Mit dem Poti lassen sich die sechzehn verschiedenen Modelle auswählen:
Parlor: basiert auf einer 1941er Martin 5-17
Triple O: Nachbildung einer 1946er Martin 000-28
Dread: Emulation einer 1960er Martin D-21
Jumbo: basierend auf einer 1954er Gibson J-45
C&W: emuliert eine 1951er Gibson SJ-200
Gypsy: basierend auf einer 1933er Selmer Maccaferi
Jazz: Vorbild ist hier die 1951er D´Angelico New Yorker
Nylon: Reproduktion einer 1958er Manuel Velazquez Konzertgitarre
Folk 12: Emulation der 12-saitigen Guild F412 aus dem Jahre 1973
Blues 12: wieder ein 12-saitiges Modell, hier basierend auf einer 1935er Stella Auditorium
Rnd Neck: Metallmodell No.1, eine Emulation der 1939er National Reso-Phonic Style „O“, gefolgt von
Square Neck: Metallmodell No.2, die Nachbildung der wohl hübschesten Blechgitarre der Welt, der Dobro
Banjo: Selbsterklärend, Pate war hier ein 1925er Gibson Mastertone
Mando: inspiriert vom Mandocello, einer größeren Art Mandoline
Shamisen: Emulation des japanischen Volksinstrumentes und schließlich
Sitar: mit den besten Grüßen vom indischen Kontinent.
Ein Druck auf den Knopf eröffnet zudem die Möglichkeit, das Instrument in verschiedenen Stimmungen zu betreiben. Die gebräuchlichsten Stimmungen wie open E, open A oder drop D stehen auf Abruf bereit, allerdings kann man sich auch gerne selber seine Stimmung zusammenstellen (wenn das doch nur im richtigen Leben auch so wäre). Jede Saite kann hierbei maximal eine Quinte (sieben Halbtöne) höher, bzw. eine Oktave (12 Halbtöne) tiefer in Stimmung gebracht werden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang natürlich, dass das abgenommene Signal lauter sein sollte als der „echte“ Sound des Instrumentes. Ansonsten könnte das im schlimmsten Fall zu einer herrlich schrägen Kakofonie ausarten, da die Originalstimmung der Gitarre ja erhalten bleibt.
Weiterhin ist es auch möglich, jedes der sechzehn Presets mit eigenen Einstellungen für Compressor, Tuning und MIC–POSITION, im Speicher des Instrumentes zu verändern, bzw. abzulegen.
Eine zentrale Funktion übernehmen die drei Schieberegler der Bedieneinheit. Der mittlere Regler dient lediglich zum justieren der Gesamtlautstärke des Instrumentes, interessanter sind hier die Regler links und rechts. Mit MIC POSITION lässt sich ein virtuelles Mikrofon in einem vorgegebenen Bereich um das gewählte Modell platzieren und mit dem COMPRESSOR lässt sich so ein satter, fast schon aufnahmereifer Sound zurechtbiegen. Es gibt zwar keine weiteren Zugriffsmöglichkeiten auf den Kompressor, die Parameterwerte wie Attack, Decay und Release wurden aber vom Werk aus schon passend auf das jeweilige, angewählte Instrumentenmodell voreingestellt.
Sound/Praxis
Zum Test wurde die Variax 700 an einen Studiomixer angeschlossen und die Ergebnisse waren schon nach wenigen Sekunden verblüffend. Besonders fett kommen die Simulationen der 12-saitigen Modelle rüber, insbesondere das Modell Blues 12 beeindruckt durch einen vollen, schwebenden Sound, den man direkt so auch auf Band bannen könnte. Ebenso reell: die Emulationen der Nylon-Gitarre und der Sitar, die zusammen mit den unterschiedlichsten Tunings der Gitarre wahnwitzige Sounds entstehen lassen können. Schon mal eine Sitar in drop D gespielt?
Ausfälle in den Sounds gibt es eigentlich keine, ein paar Ausrutscher hingegen schon. Hierzu zählen etwa die Modelle „Gypsy“ oder „Parlor“, die etwas charakterlos und stumpf wirken. Das gilt wohlgemerkt für den Grundsound: Was später am Mixer/Amp geschieht oder ob so ein etwas schwächerer Grundsound in einem opulenten Song-Arrangement überhaupt auffällt, ist natürlich fraglich.
Der Kompressor-Effekt wirkt sich auf jedes der emulierten Modelle sehr positiv aus, das gesamte Klangbild wird wärmer und druckvoller sodass der Compressor-Regler im Prinzip bei jedem Preset auf Maximum stehen sollte. Weniger eindrucksvoll erscheint dagegen der MIC-POSITION– Effekt, der keinen spürbaren Soundunterschied bringt, eine Frequenzkorrektur mittels einem EQ am angeschlossenen Amp/Mixer bringt hier vermutlich mehr.
Die Bespielbarkeit des Instruments ist vorzüglich. Durch die Möglichkeit die Höhe des Steges ganz fix mittels Inbus-Schrauben einzustellen, sollte jeder, egal ob Country-Schrammler oder Akustik-Virtuose, in der Lage sein das persönliche Wunsch-Setup einzustellen.