Sampling und Looping im Tape-Music-Stil
Make Noise Morphagene ist ein Modul mit Sampler- und Looper-Fähigkeiten in Stereo. Es ahmt, inspiriert von „Tape Music“ und „Musique Concrète“, teilweise das Verhalten von Bandmaschinen nach, greift aber auch im wahrsten Sinne des Wortes Fragmente der Granularsynthese auf. Es kann hochauflösendes Audiomaterial von einer microSD-Karte verarbeiten und auch dorthin aufnehmen. Was die Stärken und Schwächen des Moduls sind, erfahrt ihr in diesem Testbericht.
Inhaltsverzeichnis
Für AMAZONA.de habe ich bereits den Chompi Club Sampler getestet, ein Sampling-Kreativtool, das sich ebenfalls Nähe zur „Tape Music“ auf die Fahne schreibt, über eine Million Dollar in einer Kickstarter-Kampagne einspielte und in Schulen für kreatives Sounddesign eingesetzt wird. Es hat insbesondere die Varispeed-Funktion von Morphagene adaptiert und leugnet seine Verwandtschaft auch im Design nicht.
Weniger bekannt sind auch einige, in Morphagene Firmware-Updates neu hinzugefügte Optionen, die über eine options.txt Datei eingestellt und hier kurz vorgestellt werden.
Vorgeschichte: Tape Music und Make Noise
Bekannte Vertreter des Tape Music Genres sind unter anderem William Basinski, Steve Reich oder Iannis Xenakis. Sie wandeln auch auf den Spuren der von Pierre Schaeffer ins Leben gerufenen Musique Concrète Kompositionstheorie. Man begann, Kompositionen mit auf Tonband aufgenommenem Audiomaterial zu erschaffen und auf Tonband festzuhalten, anstatt sie zu notieren. Charakteristisch für Tape Music ist das Arbeiten mit Audio-Loops, die im Verlauf Verfremdungen erfahren. Welche Art von Klängen geloopt werden, kann sehr unterschiedlich sein, z. B. ruhige musikalische Klänge (Basinski – „The Disintegration Loops 1.1“), Sprachaufnahmen (Steve Reich -„It’s gonna Rain“, 1965) oder industrielle Klänge (Xenakis – „Persepolis“).
Manche Komponenten des Arbeitens mit analogem Bandmaterials lassen sich freilich digital nicht nachbilden, etwa der „Decaying“-Effekt in Basisnskis Disintegration Loops, der aus sich selbst auflösenden alten Bandmaterial entstand, als der Komponist seine alten, via „Splicing“ (also dem Zurechtschneiden von Bandmaterial per Hand) erstellten Loops digitalisieren und eigentlich vor dem dann doch stattfindenden und live aufgenommenen Zerfall bewahren wollte. Die Kopplung dieser sich selbst auflösenden Musik mit Bildern verrauchender Trümmer in der Dämmerung des 11. September 2001 als Analogie begründete den Welterfolg des Komponisten. Morphagene bietet dagegen andere Verfremdungstechniken. Ein „Verebben“ des Audiosignals durch wiederholtes, analoges Resampling einer sich zunehmend verfremden Variante kann ebenfalls durchaus interessant klingen.
Auch Make Noise Gründer Tony Rolando wurde einst von Bandmaschinen, Tape Music, Büchern darüber (wie Curtis Roads „Microsound“) und den Ideen der Musique Concrète inspiriert. Es ging nicht zuletzt darum, aus Alltagsgeräuschen oder auch Musikfragmenten etwas Neues zu formen. Make Noise hat alleine und in Zusammenarbeit mit Programmierer Tom Erbe und dessen Firma soundhack (die auch Plug-ins anbietet) neben Morphagene weitere innovative Module auf den Markt gebracht. Das „Phonogene“-Modul war ein etwas einfacher zu bedienender Vorgänger von Morphagene mit Mono-Signalpfad und ohne Speicherkarte.
Morphagene: Basics und Äußerlichkeiten
Morphagene ist ein 20 HP breites Modul im schwarzen Make Noise Design mit farbigen Funktionsanzeigen, Stereo I/Os und einem microSD-Slot. So schön die zahlreichen Taster und durchaus sinnvolle bunten Anzeigen auch aussehen, kann die Bedienung anfangs doch verwirrend sein. Morphagene’s Handbuch macht es oft nicht einfacher, geht meiner Meinung nach zu oft den zweiten Schritt vor dem ersten und verkompliziert manches unnötig. Denn eigentlich ist die Zahl der Funktionen des Moduls limitiert und der Workflow durchaus erlernbar. Richtig verstehen kann man das Modul allerdings erst dadurch, dass man es selbst ausprobiert.
Ein sogenannter Sound-on-Sound-Regler mittig oben bestimmt, ob eingehendes Material (Reglerstellung ganz links), Morphagenes Ausgang (Stellung ganz rechts) oder eine Mischung aus externen und intern erzeugten Klängen aufgezeichnet wird und zu hören ist (alle Einstellungen dazwischen). Aufgezeichnetes Audiomaterial wird danach automatisch geloopt wiedergegeben. Was ich hier beschreibe, weist klare Parallelen zu einem klassischen Looper auf, der Overdub-Aufnahmen beherrscht. Der Unterschied zu diesem ist, dass eine originalgetreue Wiedergabe der Aufnahme mit Morphagene eher die Ausnahme darstellt. Denn Morphagene kann sich so automatisch selbst „resampeln“ und einen Klang immer weiter verfremden.
Die Wiedergabecharakteristik wird von den Parametern Varispeed, Gene Size, Morph, Slide und Organize bestimmt. Die Audioaufnahme erfolgt hingegen völlig unabhängig von diesen Parametern. Eine Verfremdung findet erst im Nachhinein statt, quasi direkt nach der Aufnahme bei der ersten Wiedergabe. Sowohl die Aufnahme als auch die Wiedergabe kann voll- oder halbautomatisch clock-gesteuert funktionieren. In einer Textdatei lassen sich einige dieser Settings auch anders konfigurieren (siehe unten). Es folgt zunächst eine Übersicht, was diese Parameter bewirken sollen, bevor wir uns im nächsten Abschnitt der Praxis und mehr Details zuwenden.
Varispeed bestimmt die Wiedergabegeschwindigkeit und -richtung. Gene Size, Morph und Slide bestimmen, ähnlich wie bei Granularsynthese, wie klein ein loopender Ausschnitt ausfällt (Gene Size), mit welchem Abstand bzw. mit wieviel Überlappungen die Schnipsel gespielt werden (Morph) und an welcher Stelle des Samples sie abgegriffen werden (Slide). Organize regelt, welches Sample bzw. welcher Ausschnitt eines Samples abgespielt wird.
Hier wird es kompliziert: Aufnahmen können mit der Splice-Taste in mehrere Schnipsel zerteilt werden. Mit dem Organize-Regler oder der Shift-Taste kann man sich dann durch die Schnipsel hindurchbewegen, was interessant klingen kann. Man kann auch ganz unterschiedliches Audiomaterial nacheinander in Splices aufnehmen. Alle Splices zusammen werden als Reel bezeichnet.
Morphagene zeigt sich im Modularsystem sehr verbindungsfreudig – alle Parameter haben Modulations-CV-Ins und (bis auf Organize und SOS) zusätzlich Attenuverter. Diese können eingehende Modulation skalieren und in beide Richtungen lenken. Zusätzlich wird zweimal CV ausgegeben – einmal auf Basis eines Envelope Followers, einmal als Gate am Ende eines Splices.
Aufnahme mit Make Noise Morphagene
In der Praxis erlaubt Morphagene interessante Verfremdungen von Audiomaterial, die sich durch zahlreiche Steuerungsmöglichkeiten auch mit Tempo-/Rhythmusbezug auslösen lassen. Das ist eines der charakteristischsten Features von Morphagene. Ein Knackpunkt bei der Arbeit mit dem Modul ist, wann etwas durch Drücken der beiden Tasten Rec und Splice aufgenommen wird. Die Konsequenzen verschiedener Funktionen sind sehr unterschiedlich. So kann Morphagene beispielsweise auch stets über eine bisherige Aufnahme recorden und diese löschen. Wenn ich nur durch Drücken der Rec-Taste in ein leeres Reel aufnehme, führt jede weitere Aufnahme dieser Art zum Überschreiben der ersten Aufnahme. Das Handbuch nennt das „Time Lag Accumulation“.
Alternativ führt die Tastenkombination Rec + Splice zur Aufnahme in ein neues Splice. Entscheidend für den Aufnahmestart ist das Loslassen, nicht das Drücken der Tasten, die richtige Reihenfolge muß zudem eingehalten werden. Man verinnerlicht dies, wenn überhaupt, erst mit etwas Praxiserfahrung. Zu allem Überfluss kann das Verhalten des Moduls im Options.txt File auch noch verdreht werden. Die Splice- und Rec-Taster (in anderer Reihenfolge gedrückt) erlauben, zwischen Reels zu wechseln oder ein neues, leeres Reel zu erstellen, ohne dass die SD-Karte entnommen werden muss. Außerdem ist noch eine Shift-Taste für Löschoperationen oder einen Wechsel zum nächsten Splice da. Da kann man schon mal durcheinanderkommen, zumal eine klare Beschriftung fehlt.
Praxis und Wiedergabeparameter
Via Varispeed sind stufenlose Änderungen der Geschwindigkeit möglich. Dabei ist in beide Richtungen eine Wiedergabe in Originalgeschwindigkeit bei einer Reglerstellung von ca. 02.30 Uhr überraschend schwer einzustellen. Sie wird durch eine grüne Beleuchtung gekennzeichnet. Es gibt nun neu die Möglichkeit, den Betriebsmodus des Varispeed-Reglers via options.txt zu ändern, so dass der gesamte Regelweg nur für die normale Abspielrichtung genutzt wird. Das habe ich ausprobiert und es fühlt sich zwar gut an, das grüne Licht für die Originalgeschwindigkeit (nun bei ca. 01.00 Uhr) ist aber gefühlt nicht leichter zu finden. Auch kann man mit Settings versuchen, Varispeed via V/Oct. zu steuern, muss dabei aber noch die richtige Einstellung des Attenuators finden.
Betrachten wir die der Granularsynthese ähnelnden Parameter Gene Size, Morph und Slide. Der Unterschied zu Clouds & Co. ist, dass Morphagene nicht so sehr für dichte Klangwolken steht, auch wenn sich Genes (das Pendant zu Grains) bei einer passenden Morph-Einstellung überlappen können. Morph regelt die Häufigkeit, in der Genes wiedergegeben werden. Voll aufgedreht (wenn mehrere Genes gleichzeitig ausgegeben werden) sind auch Transpositionen möglich (Tonhöhen sind via options.txt konfigurierbar und voreingestellt harmonisch microtonal „rein“ gestimmt). Doch auch wenn die Genes extrem kurz eingestellt sind, erhöht sich deren „Triggerhäufigkeit“. Beide Parameter sind unabhängig von der Tonhöhe. So kann es auch stotternd abgehackt oder metallisch wie mit alten Timestretching-Algorithmen klingen, insbesondere wenn noch der Sample-Startpunkt (Slide) vorwärts bewegt wird.
Clock, Rhythmik und externe Effekte
Eine besondere Komponente ist, wie erwähnt, die rhythmische Ansteuerung der Funktionen. Gekoppelt mit einer Clock wie Pamelas New Workout kann man alles, was ausgegeben wird, in ein rhythmisches Muster bringen (siehe hierzu auch das dritte Audiobeispiel und das unten verlinkte Video). Play und Record lassen sich via dediziertem Gate-In auslösen. Der Clock-Eingang kann auch dafür sorgen, dass manuelle Befehle beim nächsten Impuls gewissermassen halbautomatisch ausgeführt werden. Zudem kann die Clock sich auf andere Parameter wie Gene Size auswirken. Die Ergebnisse sind oft faszinierend.
Durch Steuerung der Splice-Taste via Clock und beim Abspielen der Organize-Funktion lässt sich sogar ein Beat choppen und anschließend wieder passend abspielen. Auch Organize oder Sound on Sound lassen sich rhythmisch modulieren oder steuern. Ein Parameter in der options.txt Datei (siehe Bild) erlaubt auch mehrere Detail-Settings, unter anderem zum Verhalten der Slices in diesem Fall (werden sie bis zum Ende abgespielt oder wird sofort das nächste Slice getriggert?). Das folgende Bild listet die Optionen der Textdatei auf, die dort angenehmerweise gleich mit erklärt werden:
Interessante rhythmische Figuren können auch leicht zufällig entstehen, wie etwa im ersten Klangbeispiel:
In der Praxis macht es mir besonders Spaß, immer wieder andere Effektgeräte hinter Morphagene zu platzieren. Diese potenzieren oft die Wirkung der Morphagene-Bearbeitung. In den folgenden Beispielen kommen zwei neuere Effekte (Knobula Echo Cinematic und Qu-Bit Mojave) zum Einsatz, einmal für Klavierklänge und einmal für Sprachschnipsel. Da kommen dann schnell „cinematisch“ klingende Ergebnisse zustande.
Alternativen zu Make Noise Morphagene
Es gibt andere modulare Tape- und Granulareffekte wie das oben schon erwähnte Mojave-Modul, MI Beads oder diverse Instruo-Geräte, doch die Ausrichtung ist stets ein bisschen anders. Der Hauptkaufgrund ist für mich das mögliche musikalische Ergebnis. Dass Morphagene Inhalte auf microSD-Karte aufnehmen und verwalten kann, ist ebenfalls gegenüber den meisten Konkurrenten ein Pluspunkt. Die Speicherkarte muß zwar auch entnommen werden, eine Feder, die kaputtgehen kann, gibt es hier aber zum Glück nicht.
Der Chompi-Sampler ist eine Alternative außerhalb des Euroracks mit weniger rhythmischen Optionen, dafür aber mit besserer Spielbarkeit der Instrumente, genauerer Varispeed-Justage und Effekten und zumindest gefühlt einem Tick weniger Rauschen. 4ms Stereo Triggered Sampler bietet ähnlich direkte Bedienbarkeit mit etwas vorhersehbareren Ergebnissen, auch hier kann eine microSD-Karte benutzt werden, ganz so einfach ist die Bedienung dort allerdings auch nicht.
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Lange war der Vorgänger Phonogene im Rack, wurde allerdings in Summe dann doch zu wenig genutzt. Nun machte er Platz für anderes:
Ich empfinde den Phonogene nach wie vor als schwer kontrollierbar, eher so als: mal schauen was dabei rauskommt, oder endlos Gefummel. Hatte ich aber genau das gewünschte Ergebnis schon im Kopf, und griff zu Cubase! Voila, innerhalb kurzer Zeit war es so wie ich wollte. Clouds oder Beads waren/sind im Vergleich dazu viel öfter im Einsatz.
Mein persönliches Fazit: Würde ich mir das Modul nochmal kaufen, vielleicht auch in der neuen Version = Nein!
Für mich ist Morphagene eine interessante Spielwiese, mit allen Optionen, die hier im Test beschrieben wurden. Ich habe das Blatt mit den Button-Konfigurationen immer am Case liegen, alle Kombinationen kann ich mir einfach nicht merken. Von daher unterschreibe ich diesen Minuspunkt, der sich für mich aber nur auf die komplexeren Button-Konfigurationen bezieht. Die restliche Bedienung ist kinderleicht, jedenfalls nach meiner Erfahrung. Ich möchte es nicht missen.
gestern wurde ich gefragt, welches Modul ich nennen würde, wenn ich nur eines aussuchen könnte, um den Spaß mit Modulen zu starten…… meine Antwort war Morphagene. Was man da soundmässig herausbekommen kann, ist einfach super. Aber natürlich ist es nicht mit einem polyphonen Sampler in Cubase vergleichbar, das ist ein anderes Tool, da hat man Kontrolle, mit Morphagene kann man eher spielerisch arbeiten oder Anregungen bekommen. Beads ist auch toll und besser für Klangwolken, Morphagene Ergebnisse bringen mehr Tape-Feeling und man hat mehr Optionen, interessante rhythmische Sachen zu machen.
@Heiner Kruse (TGM) Hallo Heiner, ich bezog mich beim Phonogene natürlich auf Tape Geschnippel! Eine Sprech Phrase als Audio Ausgangsmaterial schneide ich dir als Audiofile x-fach effektiver und kontrollierter in Cubase, mit all dem vorhanden wie Timestretch, Pitch, Reverse und FX. Bis die Aufnahme im Phonogene mit den passenden Genes platziert ist, habe ich in Cubase die halbe Arbeit schon geleistet. Da gehts beim PG erstmal los die passenden Modulationen zu generieren/finden. Zu oft konnte ich gewolltes überhaupt nicht kontrolliert genug umsetzen. Selbst beim treiben lassen zur Inspiration, scheiterte ich am PG dann bei der weiterführenden präzisen Ausarbeitung. Also kein Sampler, sondern Audio-File schnippeln wie ein Stück Tonband ist mein bevorzugter Ansatz. Clouds & Beads sind natürlich dem PG verschieden, und doch inspirieren mich beide mehr. Spaß mit Modulen starten mit nur einem Modul? SM Starlab vielleicht? 😉