Praxis
Das Schöne an Marshall Heads war schon immer die selbsterklärende Bedienungsoberfläche. Es gibt faktisch nichts an den Produkten, was nicht bei der ersten Begutachtung verstanden wird bzw. sich durch einen kurzen Dreh an selbigem Regler offenbart. So auch hier beim neuen DSL100H. Selbst bei einem hektischen Festivalauftritt, wo man manchmal erst eine Stunde vor Showtime den jeweiligen Amp zu Gesicht bekommt, lässt sich alles in kürzester Zeit erkennen und handhaben.
Fangen wir wie üblich mit dem cleanen Sound des Verstärkers an. Wahrscheinlich wird es jedem bekannt sein, dass Marshall in der Vergangenheit wahrlich nicht die erste Wahl für ultracleane Sounds war. Wer jedoch unvoreingenommen an die Sache heran geht, wird eines Besseren belehrt. Zwar sucht man den strahlenden 6L6 Twang auch jetzt noch vergebens, aber ein praxisgerechter unverzerrter Klang ist allemal gewährleistet. Aber im Ernst, cleane Sounds bei Marshall dienen zumeist nur dem Umstand, innerhalb eines Songs oder einer Show die cleanen Passagen der Plattenaufnahme auf die Bühnenbretter zu bringen. Diese Herausforderung besteht der DSL100H ohne Tadel.
Mit zunehmender Kappung der Halbwellen kommt langsam Stimmung in die Bude bzw. wir betreten das Terrain, das dem Hersteller zu Weltruhm verholfen hat. Schalten wir im grünen Kanal auf den Crunch-Bereich, kommen die ersten schönen klanglichen Kanten zum Zuge. Dabei geht der DSL100 aber dezenter zu Werke als seine großen Urväter im Plexi- oder JTM-Stil, die gerade bei Single Coil-Gitarre eine Schneidekraft in den Höhen einer Flex gleich kommend hatten. Klar, den Sound hat man auch noch im höchsten Woodstock Lärm wahrgenommen, aber der biss schon mächtig in die Wade.
Im Lead-Bereich schließlich merkt man, dass die Zeichen der Zeit auch an Marshall nicht spurlos vorüber gehen. Waren früher die Crunch-Sounds von Marshall immer das Highlight der Palette und ein manchmal leicht matschender High-Gain-Bereich immer nur ein Zugeständnis an die Leadgitarristen, so können moderne Marshalls auch im schweren Zerrbereich zu der einst fest in amerikanischer Hand gehaltenen Klangpalette aufschließen. Sowohl Lead 1 als auch der nur moderat anders klingende Lead 2 Bereich schaffen es eine hohe Durchsichtigkeit auch bei starker Verzerrung zu gewährleisten, alles schön gepaart mit dem klassischen „EL34 Knack“. Durch Betätigung des Tone Shift-Schalters taucht Marshall sogar in Bereiche des Scoop-Metalsounds ab. Eine nette Zugabe, praxisgerecht aufgearbeitet, aber nicht unbedingt die große Stärke des Heads. Schade nur, dass man die alles in allem sechs unterschiedlichen Sounds in nur zwei Kanäle per Fußschalter herunterbrechen muss. Schön wäre es, wenn man zumindest die Klangcharakteristiken Clean/Crunch und Lead1/Lead2 durch einen weiteren Fußschalter abrufen könnte.
Ein Test wie aus einem Werbeprospekt. Etwas kritische Distanz sollte schon vorhanden sein. Ich finde Beispielsweise bei einem Topteil dieser Preisklasse einen Seriellen Effekt-Loop reichlich dünn. Wenn Lead1 und Lead2 fast gleich klingen -warum dann? Und Marshall als bekanntesten Namen aus der Musikbranche? Sehr zweifelhaft. Bitte kritischer Testen und in den Kontext mit anderen Herstellern setzen. Warum diesen klobigen Marshall, warum nicht Engl, Laney oder Orange? Wo liegen die unterschiede?