Maybach Stradovari - der Blick über den Tellerrand
Zugegeben, die originale Fender Strat bietet vielen von uns schon genug Strat-Sound und all die Attribute, die man bei diesem Typ Gitarre so schätzt. Leicht, knackiger und durchsetzungsfähiger Klang, eine gute Bespielbarkeit und dank der universellen Tonabnehmerbestückung sehr flexibel in so ziemlich allen Stilen einsetzbar. Zudem ist sie in fast allen Preisklassen und damit nahezu für jedermann erschwinglich, dank Fertigung außerhalb des Fender-Stammwerks in Corona/USA. Doch ab und an kann sich ein Blick über den Tellerrand durchaus lohnen, wie wir in Tests von diversen Strat-Kopien schon feststellen konnten. Einige der von uns in Augenschein genommenen E-Gitarren dieser Kategorie können dem Original recht nahe auf die Pelle rücken – und übertrumpfen dieses sogar in einigen Attributen.
Mit der Maybach Stradovari erreicht unsere Redaktion nun erneut eine Kopie der wohl berühmtesten und meist kopierten E-Gitarre der Welt. Wollen wir doch mal schauen, was sie unter ihrem hellblauen Kleid zu bieten hat!
Maybach Stradovari – Facts & Features
Die Farben der Fender Strat spiegelten immer schon die angesagten Trends der Zeit wider, von daher wurde unsere Maybach Stradovari E-Gitarre wohl auf Basis der Instrumente gebaut, die Mitte der 50er/Anfang der 60er Jahre bei Fender hergestellt wurden. Für den Korpus dient ein Stück Sumpfesche, das mit einer dünnen Nitrolackschicht überzogen wurde und einige leichte Spuren des nach wie vor beliebten „Agings“ aufweist. Es handelt sich aber nur um eine ganz leichte Nachbearbeitung der Lackoberfläche in Form von leichten Rissen in der Lackschicht und ein paar kleineren Kratzern auf Vorder- und Rückseite. Also nichts mit tiefen, künstlich zugefügten Kerben durch Pseudo-Gürtelschnallen oder Ähnlichem, der Aging-Effekt ist wirklich nur aus nächster Nähe zu erkennen und darüber hinaus meiner Mainung nach auch sehr gut gelungen!
Maybach Stradovari – Die Hardware
Das Aging betrifft auch die Hardware, aber wie würde es auch aussehen, wenn die Metallteile in frischem Chrom erstrahlen würden? Unpassend zum Rest des Designs, klar, und aus diesem Grund scheinen das Vintage-Vibrato, die Aufnahme für die Klinkenbuchse sowie die sechs Mechaniken mit ihren Mini-Buttons mit nur ganz dezent glänzenden Oberflächen. Oh, nicht zu vergessen seien die Plastikkappen der drei Singlecoils, aber zur Elektronik kommen wir ein Stückchen später. Über das Vibrato müssen wir aber an dieser Stelle allerdings dennoch sprechen, denn auch wie beim Original von Fender, in all seinen Variationen und aus sämtlichen Baujahren, sollte man beim System der Maybach Stradovari mit etwas Vorsicht zu Werke gehen. Denn Verstimmungen sind hier ebenfalls nicht zu vermeiden, aus diesem (guten) Grund ist der Vibratoblock wohl ab Werk fest auf der Decke aufliegend, also nicht freischwebend, was das Problem zumindest ein Stück weit eindämmt.
Der Hals
Unser Arbeitsplatz – und deshalb ganz besonders wichtig! Zum Glück hat Maybach hier nicht das Profil der „Baseballschläger“ als Vorlage genommen, die Fender während dieser Zeit in seine Strats einschraubte. Der Ahornhals der Maybach Stradovari mit seinem moderaten C-Shaping kann als recht modern durchgehen, hinzu kommt eine angenehme Satinlackierung, die der Greifhand auch bei Feuchtigkeit keinen nennenswerten Widerstand entgegenbringt. Allerdings trübt der Fakt, dass der Hals nur durch Abnahme vom Korpus justiert werden kann, das bislang sehr gute Bild doch etwas. Die Bundierung hingegen entspricht eindeutig Customshop-Niveau: Die 21 Drähte wurden allesamt sauber in das Palisandergriffbrett eingesetzt, an den Kanten perfekt abgerichtet und auf ihren Oberflächen sorgfältig poliert.
Gleiches gilt für den Sattel, der mit seiner Breite von 42,8 mm exakt den Maßen der klassischen Strat entspricht. Und auch bei der Mensur von 648 mm hält sich Maybach mit der Stradovari am Original von Fender. Dezente Inlays aus hochwertigem Perlmutt weisen den Weg auf dem Griffbrett, schön dass man sich auch hier an die gute alte Strat gehalten und nicht zu dick aufgetragen hat.
Wir wandern weiter mit dem Begutachten Richtung Kopfplatte – ein besonders heikles Thema bei Kopien der Fender Stratocaster. Bei der als absolutes Markenzeichen erkennbaren Originalform versteht Fender überhaupt keinen Spaß und zögert keinesfalls, mit der harten Hand des Gesetzes und einer Menge Anwälte gegen mutmaßliche Nachbildungen vorzugehen. Von daher ist Maybach beim Design des Headstock ihrer Stradovari E-Gitarre ein recht attraktiver Kompromiss gelungen, finde ich zumindest. Leichte Spuren des „Agings“ sind ebenfalls hier oben zu finden, jedoch erst bei genauerem Blick zu erkennen. Gut zu erkennen ist jedoch das Maybach Logo und der String-Tree, der die H- und E-Saite auf ein korrektes Niveau zu deren Mechaniken bringt.
Die Elektronik
Die drei Singlecoils stammen vom noch recht unbekannten Hersteller Amber, der den Pickups die kurze und knappe Bezeichnung Amber ’61 Special gegeben hat. Die noch recht junge Firma stammt aus Mecklenburg-Vorpommern und stellt nach eigenen Angaben viele Spezialmodelle für diverse deutsche und europäische Gitarrenhersteller her. Auf der Website des Herstellers heißt es dazu: „Der Name AmberPickups steht für hochwertige Tonabnehmer, die durch ihre extrem guten Klangeigenschaften überzeugen. Die Grundlage unserer Arbeit sind eigene Soundvorstellungen, Visionen und Vergleiche mit historischen Instrumenten. Aus diesem Fundus schöpfen wir Ideen für neue Produkte oder gewinnen Erkenntnisse, um historische Vorbilder besser verstehen zu können.“ Man darf also gespannt sein, wie und wo uns diese Tonabnehmer in Zukunft begegnen werden.
Bei der Schaltung erwartet uns keine Überraschung, auch hier sorgt ein Fünfwegeschalter für die Auswahl der Tonabnehmer, während zwei Tone-Potis und der Volume-Regler den Rest erledigen. Die Qualität der verwendeten Bauteile ist aus dem oberen Regal, darüber besteht kein Zweifel. Schade nur, dass der Volume-Regler etwas schwergängig läuft.
Maybach Stradovari – In der Praxis
Der Sumpfeschekorpus und der geschraubte Hals erzeugen genau den Grundsound, den man von einer guten Strat erwarten darf. Die Maybach Stradovari geizt schon im unverstärkten Zustand nicht mit diesen Attributen und bietet einen knackigen, bissigen und drahtigen Klang mit einem ausreichenden Sustain. Dank der ab Werk gut eingestellten Saitenlage und der satinierten Halsrückseite „flutscht“ es vom ersten Augenblick an ganz wunderbar und mehr als vertraut! Spieler von edlen Fender USA Customshop Strats werden sich beim Erstkontakt mit dieser Gitarre sicher wundern, wie man so etwas für deutlich weniger Kohle hinbekommen kann.
Die Verwunderung dürfte sich aber dann mit dem elektrischen Sound vollends einstellen, denn was die Amber Pickups aus der Konstruktion herausholen, ist schlichtweg beeindruckend! Abgesehen davon, dass die drei Singlecoils ungewöhnlich wenig Nebengeräusche produzieren, erzeugen sie differenzierte, dynamische und extrem klare Sounds, der manchem Besitzer einer „echten“ Strat vielleicht schon zu ehrlich und zu klar rüberkommen könnten. Fakt ist aber, dass die drei Pickups eine enorme Klangvielfalt aus den beliebten und bewährten Grundsounds einer Strat herausholen und bedenkenlos von glockenklaren Cleansounds bis hin zu messerscharfen Riffs eingesetzt werden können. Besonders die verzerrten Sounds klingen für eine Strat ungewöhnlich: Gibt es doch kein schrilles, gefürchtetes „Glas schneiden“ beim Einsatz des Singlecoils am Steg, diesen Pickup könnte man fast schon für Metal benutzen!
Doch genug der Worte, den Klang einer Gitarre mit Worten zu beschreiben, ist keine so ganz einfache Sache. Deshalb nun die Klangbeispiele, für die ich die Maybach Stradovari E-Gitarre in meinen Referenz-Amp Orange Micro Dark mit angeschlossener 1×12″ Celestion Vintage 30 Box eingeklinkt habe. Effekte wurden keine verwendet, lediglich eine Pegelangleichung durch einen dezenten Einsatz eines Limiters in Logic wurde verwendet.
‚elektronik‘? in der beschreibung finde ich keinen preamp oder ähnliche platinen. also ganz normale elektrik?
@mdesign Yes, 3 x ziemlich geile Singlecoils, passiv ;)
Hallo zusammen,
schöner Artikel, gibt ziemlich gut wieder, was einen bei der Stradovari erwartet. Ich habe das gleiche Modell seit gut zweieinhalb Monaten und bin begeistert. Ja, Metal-artiges ist möglich, aber auch alles andere. Die PickUps haben richtig Zorn und Groll, wenn sie wollen.
@Stephan Güte: Zum Hals habe ich noch zwei Fragen:
1. Sie sprechen bei der Halsform von einem moderaten C. Im Vergleich zu meinem Maple-Neck von der Fender AM Pro, der auch ein C (Thick bzw. Deep) ist, ist der von der Maybach aber deutlich kräftiger. Gibt es also noch kräftigere C-Hälse?
2. Im Artikel heisst es „Satin“-Lackierung am Hals. Auch hier der Vergleich zur AM PRO, der einen Satin-Hals hat: Der Lack ist deutlich glatter und stärker. Oder gibt es Satin auch in glatt? Bin da vielleicht nicht gut informiert…
Danke aber noch mal für den tollen und umfangreichen Bericht! (War übrigens der Grund, mir die Stradovari genauer anzuschauen.)
Schon mal: Frohe Ostern!