Boogie Express 5:50+
Es gibt ja Momente im Leben eines Autors von Amazona, in denen man seinen Job ganz besonders schätzt. Nämlich dann, wenn sich Equipment von legendären oder gar „kultigen“ Firmen zum Testen ankündigt. So geschehen auch bei unserem heutigen Testkandidaten, dem Mesa Boogie Express Plus 5:50 Gitarrencombo. Was ranken sich nicht alles für Geschichten und Mythen um die von Randall Smith im Jahre 1969 im kalifornischen Städtchen Petaluma gegründete Amp-Schmiede, die auch heute noch ihre Verstärker von einer beschaulichen Anzahl Mitarbeiter weitestgehend in Handarbeit anfertigen lässt. Was einst mit dem Tuning von Fender Amps begann, ist bis heute zu einer stattlichen Linie von Röhren-Combos, Röhren-Tops, Preamps, Endstufen und Boxentypen herangewachsen. Allesamt natürlich mit dem Ziel, den perfekten Röhrensound zu produzieren. Und bei so einem Vorhaben dürfen die Kosten selbstverständlich keine Rolle spielen, was sich logischerweise auch auf den Verkaufspreis niederschlägt. So blieben und bleiben Verstärker von Mesa Boogie wohl für viele oft nur ein Wunschtraum. Aber träumen ist ja erlaubt und der Express Plus 5:50 ist zudem für knapp unter der magischen „Zweitausend-Euro-Grenze“ zu bekommen. Vielleicht doch ein Grund, um aufzuwachen?
Lieferumfang/Aufbau/Features
Geliefert wird der Express Plus 5:50 inklusive einer Staubschutzhülle, einem Handbuch und nicht zuletzt mit dem passenden Fußschalter. Dieser befindet sich im Auslieferungszustand, mit dem dazu gehörigen und ausreichend lang dimensionierten Kabel, im Innern der zu dreiviertel geöffneten Rückwand des Gehäuses. Die Maße des Combos sind gar nicht mal als beeindruckend, sondern eher sogar als zierlich zu bezeichnen. Denn mit einem Gewicht von 25 kg und einer Gehäusegröße von 570 x 470 x 293 mm ist er, im Gegensatz zu vielen anderen Röhrencombos derselben Leistungsklasse, diesbezüglich eher ein bescheiden auftretender Kollege.
Erwartungsgemäß positiv fällt der erste Eindruck beim Betrachten des Express Plus 5:50 aus. Feinste Verarbeitung und Materialien, wohin der Blick auch geht. Angefangen mit dem robusten und bestens verarbeiteten Tolex-Bezug zum Schutz des Gehäuses, über die Schalter und Knöpfe bis hin zur Rückwand, welche dem Betrachter durch ihre „Offenheit“ einen genauen Einblick auf die Röhren, die Trafos und den verbauten 12″ Celestion Speaker erlaubt. Die Rückseite des Express Plus 5:50 hat aber noch eine Menge mehr zu bieten, schauen wir uns aber zunächst mal das Bedienpanel und die Möglichkeiten an, die der Verstärker besitzt.
Das Bedienpanel
Der Combo bietet grundsätzlich zwei voneinander unabhängige Kanäle, von denen jeder mit ebenfalls zwei Grundsounds ausgestattet ist. Kanal 1 bedient die cleanen und crunchigen Sounds, Kanal 2 widmet sich ausschließlich den Distortion-Sounds. Mittels Metall Mini-Switches lassen sich die jeweiligen Modi Clean/Crunch bzw. Blues/Burn anwählen, somit stehen dem Benutzer faktisch vier Grundsounds zur Verfügung. Allerdings wird der Amp dadurch nicht wirklich zu einem echten Vierkanaler, denn man muss sich schon vorab für zwei der vier verschiedenen Grundsounds entscheiden. Hinzu kommt, dass sich über den mitgelieferten Fußschalter auch nur zwischen den beiden Kanälen wählen lässt. Dennoch bietet der Express Plus 5:50 so schon eine saftige Grundausstattung an Sounds, die vielen Ansprüchen genügen sollten. Hat man sich dann für die Auswahl von einem der vier Presets entschieden, stehen ein GAIN-Regler und eine Dreiband-Klangregelung (TREBLE, MID, BASS) zur Klangformung zur Verfügung. Ein REVERB-Regler pro Kanal bestimmt die Intensität des röhrenbetriebenen Federhalls und das Poti mit der Bezeichnung MASTER schließlich dient zum Justieren der Ausgangslautstärke.
Also alles sehr einfach und übersichtlich angeordnet. Und zudem sehr solide und wertig anfühlend, denn die Potis laufen sehr satt auf ihren Achsen und besitzen keinerlei verwirrende, bunt aufgedruckte Skalierung. Hier heißt es „drehen, hören und staunen“ – soviel sei schon mal vorab bezüglich des zu erwartenden Sounds verraten!
Etwas enger geht’s allerdings dann auf der rechten Seite des Bedienpanels zu. Der Großteil des Platzes gebührt dem Fünfband-Grafic-Equalizer, welcher das Signal in den Frequenzbereichen von 80, 240, 750, 2200 und 6600 Hertz um +/-12 dB anhebt bzw. absenkt. Dieser ist übrigens ein neues Feature des Modells 5:50 PLUS, welcher in der normalen Variante des Combos nicht mit an Bord ist und hier für ein ungleich weiteres Soundspektrum sorgen soll.
Umrandet ist das Bedienfeld des Equalizers von vier Mini-Switches, mit denen sich zum einen ein vorgegebenes Preset in V-Form (kräftige Bässe, wenig Mitten und kräftige Höhen) und zum anderen ein selbst erstelltes EQ-Setting anwählen lassen. Zwei der vier Switches sind zudem dreifach belegt, um auszuwählen, ob man mit dem Fußschalter das jeweilige Preset oder aber die selbst erstellte Kreation abrufbar haben möchte. Wie stark das Gitarrensignal auf den Equalizer losgelassen wird, bestimmen die beiden PRESET DEPTH-Drehregler. Mit dem SOLO-Poti lässt sich für die ultimative Performance die Lautstärke des Amps variieren, sozusagen ein weiterer Master-Volume, der sich natürlich per Fußschalter aktivieren lässt.
Beide Kanäle lassen sich mithilfe von zwei weiteren Mini-Switches in drei verschiedenen Leistungsstufen betreiben. Neben der vollen Power von 50 Watt (Class A/B Mode) stehen Abstufungen zu 25 Watt und 5 Watt (jeweils Class A) zur Verfügung. So etwas ist natürlich immer gern gesehen, kann man so den Amp auch mal ohne Ohrenklingeln etwas besser in die Sättigung fahren bzw. den räumlichen Gegebenheiten anpassen. Der letzte Mini-Switch schließlich dient zur Anwahl der Kanäle, falls der Fußschalter mal im Proberaum aus Versehen liegen gelassen wurde. Zwei große Metallswitches dienen für Power und Standby und eine Birne in einer rubinroten Fassung informiert auch auf der dunkelsten Bühne oder im düstersten Proberaum jederzeit über den Betriebszustand des Gerätes.
Das war’s von der Front, nun schauen wir uns mal die Rückseite genauer an.
Rückseite/Anschlüsse
Zunächst findet man drei Speaker-Anschlüsse, zwei zum Anschluss von 4-Ohm-Boxen und der Dritte für einen 8-Ohm-Speaker. Dieser 8-Ohm-Speakeranschluss ist allerdings schon durch den Klinkenstecker des internen 12″ Celestion Black Shadow-Lautsprechers belegt. Die fast geöffnete Rückwand erlaubt zudem einen guten Blick auf die verbauten Röhrentypen. Für den Express Plus 5:50 wurden zwei 6L6-Röhren in der Endstufe und fünf des Typs 12AX7 für die Vorstufensektion verbaut, also eine typisch amerikanische und Boogie-typische Röhrenschaltung. Damit die Endstufenröhren (bei der fast offenen Rückwand) bei etwaigen Stößen keinen Schaden nehmen, werden sie durch ein robustes Metallgitter geschützt.
Weiter geht’s mit einem Effektweg, der allerdings nicht regelbar ist, sondern nur durch zwei Klinkenbuchsen mit Anwesenheit glänzt. Für alle Benutzer einer „Master-Control-Fußleiste bieten sich die vier Klinkenbuchsen REVERB, CHANNEL, EQ und SOLO an, mit deren Hilfe sich die einzelnen Sektionen auch einzeln und mit anderem Equipment zusammenschalten lassen. Den Abschluss bildet, neben der Netzsicherung, der Port für den Anschluss des Fußschalters.
Soweit so gut mit der Betrachtung der Facts und Features des Mesa Boogie Express Plus 5:50. Hinsichtlich der Ausstattung und vor allem der Verarbeitung bekommt man das, was man von einem „echten“ Boogie erwartet. Und das ist nicht wenig. Also dann mal ran an den Sound!
Sound/Praxis
Für die Beschreibung des Sounds des Express Plus 5:50 gibt es eigentlich nur einen Begriff: famos! Die Presets (Clean, Crunch, Blues und Burn) sind sehr gut getroffen und bieten eine perfekte Basis, um sich durch die unglaublich vielen Soundmöglichkeiten durchzukämpfen, die dieser Amp bietet. Der Dreiband-EQ greift beherzt zu und was er nicht regeln kann, übernimmt der nicht weniger effektive Fünfband-Grafic-EQ, mit welchem sich geradezu drastische Soundverbiegungen vornehmen lassen. Und über all den verschiedenen Sounds schwebt diese wunderbare Interaktion, wie sie nur ein guter Röhrenamp dem Spieler vermitteln kann. Schon im Crunch-Mode und bei nur geringer Lautstärke kippt der Sound sehr schön und schnell in ein kontrollierbares Feedback um und glänzt dabei mit einem sehr nuancenreichen und dynamischen Ton, bei dem man am liebsten gar nicht weiterspielen, sondern nur der weiteren Entwicklung dieses Tons zuhören möchte!
Der CLEAN-Mode bietet eine breite Palette von glasklaren und fetten Clean-Sounds im guten, alten Stil der frühen und kräftigen Fender Amps, wie etwa dem TwinReverb oder dem Bassman. Im Kanal 2 geht’s dann zu den heftigeren Sounds für den Rock- und Hardrock-Bereich. Der Begriff „Metal“ soll hier bewusst nicht erwähnt werden, denn dafür dürfte den meisten Spielern die Gain-Reserven, die der Express Plus 5:50 bietet, nicht ausreichen. Man kann zwar mit einer mit kräftigen Humbuckern bestückten Gitarre auch im BURN-Mode des zweiten Kanals die Hütte zum Wackeln bringen (zumindest was den Schalldruck und die straffe Basswiedergabe betrifft), allerdings dürfte es für den High-Gain verwöhnten Metaller trotzdem eine Spur zu wenig sein. Nachhelfen könnte man natürlich in Form eines Boost-Pedals, welches man einfach dauerhaft vor den Input des Amps schaltet. Ein Boost-Pedal sollte es dann aber doch bitte ausschließlich sein, denn wer möchte schon den edlen Distortion-Sound seines 2000,- Euro-Röhrenamps durch ein 50,- Euro Distortion-Pedal färben lassen?
Trotzdem bietet der Boogie seinem neuen Besitzer auch bei voll aufgedrehtem Gain im BURST-Mode eine matschfreie und selten so gehörte nuancenreiche Tonentfaltung. Und er wird sie lieben, sollte er nicht Metal mit diesem Combo spielen wollen!
Ebenso fantastisch gelungen ist der BLUES-Mode, der mit seinem Attack und nicht zuletzt wegen dem großen Headroom, den der Amp bietet, regelrecht „atmende“ Licks hörbar macht. Dazu natürlich, ideal passend, gesellt sich der Hall, welcher allerdings bei zu stark aufgedrehtem Poti Tendenzen zum Scheppern neigt – der einzige Minuspunkt, wenn man überhaupt so etwas sagen kann, denn der Sound eines Reverbs ist letzten Endes immer Geschmackssache. Der eine schwört auf eine saubere, digitale Hallfahne (hierfür bietet sich natürlich der integrierte Effektweg an), der andere schwört auf eine Hallspirale. Und bekommt sie beim Boogie ja auch gleich im Gehäuse liegend mitgeliefert.
Ein echt toller Amp, gar keine Frage. Allerdings finde ich das „Best Buy“ Prädikat angesichts des Preises sehr fragwürdig, denn in dieser Klasse gibt es noch mehr heiße Kandidaten für die verschiedenen Geschmäcker, die ebenso überzeugend sind. Obwohl ich auch der Meinung bin dass so ein Mesa Combo für eine einigermaßen breite Zielgruppe der „Amp für’s Leben“ sein kann – und daran gemessen ist der Preis gar nicht so schlimm.
Dennoch kann man hier nicht von einem echten Preis-Leistungs Monster sprechen, was für mich ein „Best Buy“ deklarieren sollte. Die 3 Sterne sind aber ohne eine Sekunde des Zweifels angemessen.
Netter Test eines sehr schicken Verstärkers.
Ich bin glücklicher Besitzer eines 5:50 Plus Topteils und bin sehr begeistert.
Allerdings sind zwei Stellen des Testberichts nicht ganz korrekt:
1) Die Preset-Depth Regler regeln nicht global die Intensität des EQs, sondern nur die Intensität des Presets, welches pro Kanal alternativ zu den EQ-Slidern verwendet werden kann. Ist der EQ auf „Sliders“ eingestellt, haben die Preset-Depth-Potis keinerlei Funktion.
2) Es gibt keinen Brust-Mode. Der nennt sich (wie auch im restlichen Test korrekt bezeichnet) Burn.
@midifail Hey midifail,
„Brust-Mode“ klingt aber auch witzig :)
Danke für deine Ergänzungen, ist wohl im Artikel nicht so rübergekommen.
Viel Spaß noch auf Amazona!
Stephan