DJ Freeware für den Rechner
Seit N2IT mit der ersten Version (ursprünglich auf BeOS laufend) von Final Scratch das Experiment der Timecode-gesteuerten DJ-Software gestartet hat, sind inzwischen satte 10 Jahre vergangen. Wie üblich bei einer neuen Technologie, blieben Kinderkrankheiten (insbesondere Abstürze des Programms) nicht aus. Es sollte bis etwa 2004 dauern, dass wirklich zuverlässig arbeitende Systeme auf den Markt kamen. Insbesondere Serato Scratch Live und die zweite Version des Systems von Stanton (die heute modifiziert als Traktor Scratch mit neuem Interface weiterlebt) überzeugten viele DJs, ihre Plattensammlung auf die Festplatte zu verlegen und sind heute quasi gleichwertige Quellen zu den silbernen und schwarzen Scheiben im Club-Umfeld.
Die genannten Systeme gehen für knapp 600 Euro über den Ladentisch, was nicht für jeden ein Pappenstiel ist. Daher gibt es auch eine Hand voll Lösungen, die teils weniger als halb so viel kosten und eventuell vorhandene Soundkarten nutzen können.
Gänzlich kostenlos ist nun die Open-Source-Software Mixxx, die wir in Version 1.6.0 testen.
Installation
Lediglich ein Besuch der ansprechend und übersichtlich gestalteten Webseite des Projekts ist nötig, um das Programm zu erstehen. Interessanterweise ist es für alle drei großen Plattformen (unter Mac nur auf Intel-Basis, dafür aber auch schon unter Leopard) verfügbar. Dort sind auch alle Funktionen aufgelistet, zu denen neben den absoluten Basics auch Unterstützung für populäre Timecode-Signale und DJ-MIDI-Controller gehören.
Getestet wurde es auf einem Macbook Pro mit 2,2 GHz Core 2 Duo, 2 GB RAM unter OS 10.4.10.
Die Installation gestaltet sich kinderleicht, eine Minute später sieht man sich dem einzigen Fenster des Programms gegenüber. Der erste Besuch gilt wie immer den Einstellungen, wo wir die Ausgänge festlegen. Eine Vierkanal-Soundkarte (zwei mal stereo) ist selbstverständlich Pflicht, wenn man zwei Quellen unabhängig voneinander ausgeben will. Wer einen externen Mixer anschließen will, wird zunächst stutzen, denn man kann nur Master und Vorhörsignal und nicht die zwei Decks auf die Ausgänge verteilen. Ein im Handbuch vermerkter Trick schafft Abhilfe.
Oberfläche
Mixxx kommt mit einem Set an Skins daher, die bis auf eins lediglich auf 1024 x 768 Pixel beschränkt sind. Beim Umschalten zwischen diesen kommt es öfters zu unverständlich langen Verzögerungen (15 bis 30 Sekunden), während dieser die CPU fast voll ausgelastet wird und keine Einflussnahme auf die Musik möglich ist.
Die sich Vollbild nennende Funktion sorgt unregelmäßig nur dafür, dass das Fenster in der Ecke angedockt wird. Mehr Nutzfläche (wird insbesondere für die Library gebraucht) gewinnt man dadurch nicht. Ich bleibe bei der Voreinstellung, die mir als Serato-Nutzer wegen ihrer Nüchternheit vertraut und sehr aufgeräumt vorkommt. Ebenso bekannt sind die Wellenformen angeordnet: parallel übereinander, sodass man die Titel mehr im Vergleich zueinander sieht. Obligatorisch ist auch die Gesamtübersicht der Audiodatei. Ein Zoom fehlt leider.
Darunter finden wir das nächste Zentralelement: die Library. Beim ersten Start gibt man seinen Musikordner an, der mit allen Unterverzeichnissen auf Dateien der kompatiblen Formate MP3, OGG, WAV, AIFF (nicht offiziell vermerkt, aber quasi identisch mit WAV) und FLAC untersucht wird. Essenziell für den Umgang mit Audiodateien sind für den DJ die Tags seiner Dateien. Mixxx stellt hier nur die Informationen über Künstler, Titel, Kommentar und Technisches wie Bitrate, Dauer und BPM bereit. Mehr sind nicht einstellbar und werden von der Suche (die wie bei der Konkurrenz in Echtzeit arbeitet) nicht gefunden. Manche Werte (bei VBR ohnehin) werden nicht korrekt ausgelesen. Korrekt numerisch sortieren nach Spieldauer funktioniert auch nicht (stattdessen: 10, 11, 12, 1, 2, 3 usw. Minuten). Warum man nicht einmal mit den Pfeiltasten der Tastatur in der Liste navigieren und Titel laden kann, bleibt ein Rätsel.
Workflow
Über Drag and Drop wird ein Titel auf einen der Player geladen, dessen Wellenform schon nach kurzer Zeit erscheint. Intuitiv würde man diese mit der Maus anfassen wollen und wie bei den Mitbewerbern als Pseudo-Platte unter der virtuellen Nadel hin- und herziehen. Das geht zwar, aber genau mit verkehrter Richtungslogik.
Ebenso muss der Pitchregler per Menü auf das am Plattenspieler übliche Richtungsschema umgeschaltet werden, dem die Pitchbend-Elemente leider nicht mit folgen.
Das Angleichen der Tempi kann manuell mit Pitchbend oder automatisch erfolgen, wozu das Programm die BPM des Tags nutzt oder recht ordentlich selbst ermittelt. Die dafür auf die Wellenform gesetzten Marker sind aber oft völlig neben dem Beat. Ein Warpen (siehe Traktor DJ) ist nicht möglich. Die Synchronisation bezieht sich wie zu erwarten nur auf den zu setzenden Pitchwert. Dessen Regler arbeitet mit einer ungewöhnlichen Schrittlänge von ca. 0,08%. Den bekannten Micky-Maus-Effekt des Pitch kann man mit einem Mastertempo übergehen, was recht passabel klingt.
Interessant für mich war insbesondere, wie sich das System mit Timecodes schlägt.
Man benötigt zwei Plattenspieler, die entsprechenden Vinyls und schließt die Player an die Soundkarte (nicht die Scratch-Live-Box!) an. In den meisten Fällen wird die Hardware keine eigenen Phono-Entzerrer haben, dies wird für den Fall in der Software erledigt.
Prinzipiell gelingt das. Die bekannten Modi „Absolute“ und „Relative“ sind nutzbar, sodass man wahlweise sprungfrei scratcht oder lieber im Titel mit der Nadel skippen kann. Richtungs- und Geschwindigkeitsinformationen werden nun von der Schallplatte vorgegeben. Die Pitch-Anzeige im Programm ist in dieser Betriebsart bedeutungslos.
Langsame Bewegungen und manche Scratches führen zu digitalen Artefakten, schnelles Spulen zu Aussetzern. Insgesamt ist die Steuerung darüber recht unpräzise, im Vergleich zu Serato Scratch Live arbeitet es merklich unsauberer. Im Anhang befinden sich mehrere Demo-Sounds des Systems.