Sound & Praxis
Spätestens jetzt ärgere ich mich noch mehr über den Verlust meines RDs, denn der kleine Music Man 112 RD 50 klingt einfach richtig, richtig gut! Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte mal, dass der Sound deutlich fetter, druckvoller und wärmer rüberkommt als es beim Original-Amp der Fall ist bzw. war. Zwar zeigt sich die Klangregelung in beiden Kanälen etwas müde in ihrem Wirkungsbereich, allerdings ist der Grundsound so wunderbar kraftvoll und durchsetzungsfreudig, dass man ohnehin nur geringfügig mit den EQs arbeiten wird. Der Clean-Channel drückt brachial und besitzt eine atemberaubende Dynamik bei gleichzeitig sehr hohem Headroom, somit sind absolut saubere, jederzeit „Vintage klingende“ Voicings und Lines auch bei sehr hohen Lautstärken möglich. Und laut ist der RD 50, sogar sehr laut!
Etwas überraschend wirkt der Sound des Overdrive-Kanals, denn dort sind wider Erwarten durchaus auch kräftigere Gain-Settings möglich! Zumindest, wenn man mit einer Humbucker-bestückten Gitarre am Start ist. Dabei ist auch hier die Dynamik begeisternd, der Amp hängt sehr direkt am Volume-Poti der Gitarre, was die Interaktion mit dem Spieler wunderbar forciert. Die Nebengeräusche halten sich in erstaunlich engen Grenzen, das war beim Original von damals nicht unbedingt so, dort rauschte es bei hohen Gain-Settings schon ganz anders.
Beeindruckend ist auch hier der enorme Schalldruck bei den stärker komprimierten Overdrive-Sounds und das kräftige Mittenbild, das den Amp garantiert in jeder noch so voll besetzten Band eine gehörige Portion Durchsetzungskraft verschafft und die zusätzlichen Lautsprecheranschlüsse auf der Rückseite eigentlich vollkommen überflüssig macht – hätte man hinter den Buchsen doch besser einen Effektweg versteckt. Der interne Federhall klingt zwar auch recht ordentlich, doch die Welt des Gitarristen besteht nicht nur aus Räumen. Und wenn wir schon bei der Kritik angelangt sind, sollte auch das Betriebsgeräusch des (dauerhaft aktivierten) Lüfters nicht unerwähnt bleiben. Was im Proberaum oder auf der Bühne noch als vernachlässigbar durchgeht, kann Sessions im Wohnzimmer doch empfindlich stören.
soviele Minuspunkte und dann noch 3 Sterne – seltsame Dinge geschehen hier.
Zur Röhrenendstufe
Endstufentransistoren waren damals(tm) sehr teuer und nicht besonders robust gegen über Misshandlung. Deshalb die Röhrenendstufe – Röhren waren billig und die Schaltungen robust und bewährt.
@harrymudd Man muss den Amp gehört haben, dann versteht man es, dass trotzdem 3 Sterne gegeben wurden (zumindest wenn er so ähnlich klingt wie das Original, das ich besitze). Der Sound ist wirklich klasse und Kritikpunkte wie Metallfüßchen, mangelnde LEDs für Umschaltung, mangelnder Standby ja auch kein so schreckliches Problem (bloß der Lüfter würde mich nerven). Übrigens ist die Haltbarkeit der Röhren in dem Amp erheblich höher als in meinen Fenders mit Standby-Schalter. Ich habe mal gehört, dass die Schaltung selbst sehr „röhrenschonend“ sein soll, keine Ahnung, ob das stimmt.
Deiner Erklärung zum Thema Röhren möchte ich ein wenig widersprechen. Auch in den 70-er Jahren war es schon wesentlich günstiger, einen 50- oder 100-Watt-Amp mit Transistoren aufzubauen statt mit Röhren und Ausgangsübertrager. Es gab genügend Hersteller, die reine Solid States mit hoher Zuverlässigkeit am Markt hatten, zum Beispiel H/H, Yamaha, Acoustic, Fender oder Music Man selbst. Der Einsatz von Röhren beim RD hatte eindeutig klangliche Gründe: Die Röhrenendstufe gibt dem eher kühlen Sound der Vorstufe (hier sind übrigens bereits recht gute Operationsverstärker der TL-Serie im Einsatz) den richtigen Schuss Wärme und Kompression mit. So ganz aus der Mode ist das ja auch heute nicht, wenn Leute ihre PODs oder gar Kempers an eine Röhrenendstufe klemmen.
Eine röhrenschonende Endstufe ist eine ausgeschaltete:) Nein, Spaß beiseite.
Endstufentransistoren z.B. waren teuer und unter Roadbedingungen Röhren unterlegen – ein Kurzschluss und ein Satz neuer Transistoren war fällig. Röhren überstehen Kurzschlüsse meist unbeschadet.
Ich hab mir grad noch mal das Schaltbild angeschaut – die haben beim Music Man 112 RD 50 ziemlich viel experimentiert: Vorstufe und Endstufe weichen ziemlich von anderen Konzepten ab, was sich auch im Klang manifestiert.
Ich selber fand den Amp immer ein bisschen zu matschig bei hohen Gain-Settings.
Noch einige kurze Anmerkungen: Ich spiele selbst einen RD112 von 1979, und das Teil bildet mit meiner 63-er Telecaster die perfekte Twangmachine für Blues, Funk, Country und ähnliche Genres. Mit einem OCD davor auch durchaus für die härtere Gangart geeignet.
Auch das Original hatte übrigens keinen Standby-Schalter und die im Test kritisierten Metallfüße. Einziger relevanter Unterschied scheinen der nervige Lüfter sowie der Klinkenanschluss für den Fußschalter Anstelle der früher verwendeten zwei fummeligen Cinch-Stecker zu sein. Leider habe ich die Reissue noch nicht testen können. Das Original (Made in USA) wird aktuell gebraucht etwa für die Hälfte des Neupreises gehandelt und ist zumindest für Cleansounds mehr als eine Alternative zu Fender-Amps.