Beeindruckendes Brüderpaar
Die beiden Großmembranmikrofone Oktava MK-115 und Oktava MK-117 wurden schon auf der NAMM 2019 und 2020 präsentiert und sind nun endlich lieferbar. Unter den gefühlt Abertausenden NAMM-Ankündigungen ist die neue Mikrofonlinie von Oktava fast ein wenig untergegangen. Verschiedene Fotos kursierten bereits im Netz, aber Informationen dazu waren spärlich und wenn überhaupt nur auf Russisch erhältlich. Nun hat das Warten ein Ende, denn die ersten beiden Modelle sind frisch für den Test eingetroffen. Wie können sich die Mikros in der 500,- Euro Klasse gegen die Konkurrenz behaupten?
Neues von Oktava
Oktava kennen viele von euch bestimmt von der modularen MK 012 Serie. Besonders das Stereo-Set der Kleinmembraner ist in der Klasse um 300,- Euro ein echter Geheimtipp. Es gibt etliche Mikrofonkapseln, die mit dem Vorverstärkersystem zusammenarbeiten – ich selbst nutze beispielsweise seit Jahren ein Stereo-Set mit der aufschraubbaren Großmembran-Kapsel 102, die ich wärmstens empfehlen kann.
Hergestellt werden alle Mikrofone in der russischen Stadt Tula, etwa 200 km südlich von Moskau. Tula ist das Epizentrum der russischen Rüstungsindustrie, einzelne Waffenwerke haben eine rund 300-jährige Geschichte. Daher verwundert es nicht, dass den Oktava Produkten meist ein rustikaler Charme innewohnt, gewürzt mit einem Hauch Militaria und Ostalgie. Mikrofone nehmen übrigens nur einen kleinen Teil der Produktpalette ein, die Oktava seit 1927 fertigt – in Russland ist man mittlerweile der größte Hersteller im professionellen Audiobereich.
Lieferumfang
Geliefert werden die beiden Oktavas in einem einfachen, aber stabilem Plastikkoffer mit Schaumstoffpolsterung. Darin befindet sich neben den Mikrofonen noch eine anschraubbare Halterung aus Metall sowie ein Infoblatt und ein Messdiagramm. Ich persönlich finde es sehr erfreulich, dass Oktava jedem seiner Mikrofone (und das trifft auch auf die 012 Serie zu) ein individuelles Messdiagramm beilegt. Eine Mikrofonspinne gehört ebenfalls zum Lieferumfang.
Die Mikrofone machen einen rundum hochwertigen Eindruck. Zunächst fällt das sehr hohe Gewicht auf, das ich den Mikros aufgrund der Größe nicht zugetraut hätte. Rund 600 Gramm wiegt das Oktava MK-115, der größere Bruder MK-117 bringt fast 800 Gramm auf die Waage. Die Metallverarbeitung ist sehr gut gelungen und bietet keinen Grund zur Beanstandung.
Rein von der Haptik her ist der Eindruck besser als bei jedem anderen Oktava Mikrofon, das ich bisher in Händen hatte. Es ist deutlich spürbar, dass der russische Hersteller mit der neuen Produktlinie in die Riege der qualitativ sehr hochwertigen Großmembraner einreihen will. Auch die Spinne aus Metall ist sehr gut verarbeitet, sie lässt sich sowohl mit dem MK-115 als auch mit dem MK-117 verwenden, passt optisch gut zu den Mikros und hält bombenfest, wenn man die Schraube anzieht.
Die technischen Daten der Mikrofone
Sowohl beim Oktava MK-115 als auch beim MK-117 handelt es sich um Großmembran-Kondensatormikrofone mit Nierencharakteristik. Eine Phantomspeisung mit 48 Volt ist daher für den Betrieb unabdingbar. Zwar gleichen sich die Mikrofone rein äußerlich in manchen Punkten, ihnen liegt aber eine unterschiedliche Elektronik zugrunde. Das MK-115 bietet eine für ein Großmembranmikrofon recht verhaltene Empfindlichkeit von 10,4 mV/Pa (laut Messdiagramm) und stellt eventuell etwas höhere Ansprüche an den Preamp. Der maximale Schalldruckpegel beträgt 120 dB SPL (0,5 % THD). Durch ein Eigenrauschen von weniger als 18 dB ergibt sich ein Dynamikumfang von rund 102 dB.
Das Oktava MK-117 ist etwas sensibler und liefert mit 23 mV/Pa mehr Signal, wobei das Rauschen um etwa 2 dB höher liegt als beim MK-115. Der maximale Schalldruck beträgt 124 dB (0,5 % THD), wodurch sich ein Dynamikumfang von rund 104 dB ergibt.
Zusätzliche Features wie Tiefschallfilter oder Pads bieten die beiden Oktavas nicht – dafür soll der Signalweg sehr puristisch sein.
Der Frequenzgang wird bei beiden Mikros zwischen 20 Hz und 20 kHz angegeben, wobei ein Blick auf das Messdiagramm die Unterschiede offenbart.
Im Bereich zwischen 2,5 und 4 kHz sowie zwischen 8 und 12 kHz liefert das größere Oktava MK-117 etwas mehr Signal, während der Frequenzgang beim MK-115 etwas geradliniger verläuft. Die Dämpfung von rückseitig eintreffendem Schall ist beim MK-115 besonders im Bereich zwischen 80 und 500 Hz um ca. 6 dB stärker. Ab 12 kHz fällt die Kurve des MK-115 stark ab und erreicht die 20 kHz Kennlinie bei -9 dB. Dieser Abfall der Höhen ist auch beim MK-117 vorhanden, wobei er hier etwas später, bei rund 15 kHz eintritt.
Rein von den Werten her betrachtet sind beide Oktavas nichts Besonderes. In der Preisklasse gibt es sowohl rauschärmere Mikrofone (wie etwa von AKG, Rode, Lewitt, u. a.) sowie Mikrofone mit erheblich größerem Dynamikumfang (z. B. Austrian Audio OC18 mit 140 dB). Doch technische Werte sind nicht alles – wichtiger ist mir, wie ein Mikrofon klingt und sich im Studioalltag behauptet.
Innenleben der Oktava Mikros
Das “Bottle Mic Design” wurde in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts von Neumann entwickelt (CMV-3 bzw. CMV 563) und wird bis heute von einigen Herstellern wie beispielsweise Microtech Gefell, Blue etc. weitergeführt. Damals ließ sich die Kapsel abschrauben und austauschen, um verschiedene Richtcharakteristiken zu ermöglichen. Auch wenn die Vermutung aufgrund des Designs naheliegt, bei den Oktavas ist es nicht möglich, den Kapselkopf zu tauschen.
Der Blick ins Innere des Oktava MK-115 hat mich überrascht, wie klein die Platine und wie minimal die Elektronik ausfällt. Die Platine ist kaum 3 x 3 Zentimeter groß. Aufgrund des hohen Gewichts hatte ich mit einem pfundigen Übertrager gerechnet, dafür scheint aber lediglich das schwere Metallgehäuse verantwortlich zu sein. Das Oktava MK-117 wollte sich leider nicht so leicht öffnen lassen – ich konnte nur durch einen Spalt einen Blick auf die Elektronik erhaschen. Auch hier ist der Aufbau der Elektronik sehr minimalistisch und einen. Übertrager sucht man ebenfalls vergeblich.
Die Schutzgitter der Kapselköpfe lassen sich bei beiden Mikros vorne und hinten abschrauben. Damit wird der Blick auf die Mikrofonkapseln frei, die durch drei Befestigungsspanner im Gehäuse gehalten werden. Die Kapsel des MK-117 orientiert sich stark an der K67 Kapsel von Neumann, das Design der Kapsel im MK-115 ist origineller, den Lochabstand der Elektrode habe ich so noch nicht gesehen.
MK-115 und MK-117 im Einsatz
Zunächst teste ich die Oktavas an der Akustikgitarre im Abstand von ca. 20 Zentimetern am 15. Bund sowie im Abstand von 40 Zentimetern, um den Nahbesprechungseffekt zu entschärfen. Die ersten Aufnahmen mit den neuen Oktava-Sprösslingen wissen durchaus zu begeistern. Das MK-115 überträgt den Klang des Instruments sehr gefällig und unaufgeregt und verleiht dem Klang eine hochwertige Note. Die Balance in den einzelnen Frequenzbereichen ist sehr gut getroffen, nichts wirkt ausgestellt oder gehypt. Am Klang muss man eigentlich nichts mehr ändern und ich bin erst mal wunschlos glücklich – was für die Qualität des Mikrofons spricht.
Doch auch das MK-117 überzeugt. Mit einer Prise oberer Mitten und Höhen „scheint“ die Gitarre noch mehr und würde in einem voll gepackten Mix noch besser zur Geltung kommen. Der edle Grundcharakter findet sich auch hier wieder, das Signal klingt sehr angenehm und musikalisch. Es fällt mir wirklich sehr schwer, mich hier für einen Favoriten zu entscheiden.
Nach dem positiven ersten Eindruck geht es weiter an den Kontrabass. Auch beim Bassfundament geben sich die Okatava keine Blöße und bilden die tiefen Frequenzen griffig und vollmundig ab:
Meine Messungen zeigen übrigens, dass die Rauschwerte der Mikros besser als angegeben sind. Beim Oktava MK-115 bewegt sich das Eigenrauschen im Bereich von 14 dBA, beim MK-117 sind es rund 3 dB mehr. In der Praxis fällt das also beim kleinen Oktava nicht und beim dickeren Bruder kaum ins Gewicht. Um den Grenzschalldruck und die Transientenübertragung zu testen mache ich einige Aufnahmen mit einem Tamburin aus kurzer Distanz:
Hier präsentiert sich das MK-115 etwas präziser – das MK-117 zeichnet dafür die Transienten weicher als der kleine Bruder. Unschöne Übersteuerungen konnte ich keinem der Mikrofon entlocken. Der Grenzschalldruck von mindestens 120 dB bzw. 124 dB sollte also erreicht werden.
Weiter geht’s ans Schlagzeug. Hier positioniere ich die Mikros vor der offenen Kick-Drum. Zum Vergleich habe ich die beiden Großmembraner Austrian Audio OC 818 und Aston Origin sowie die drei dynamischen Mikrofone Beyerdynamic TG88, EV-PL20 und Shure Sm7B ebenfalls aufgenommen:
Hier die gleiche Position vor der Bass-Drum nun mit dem kompletten Kit. Hier wird deutlich, wie indirekter Schall klingt und wie laut er aufgezeichnet wird:
Zum Abschluss noch ein kurzes Sprach-Sample mit Plosiv- und Frikativ-Lauten:
An meiner eigenen Stimme bevorzuge ich das MK-115 durch die etwas flachere Abbildung der S-Laute.
Eine Eigenschaft, die sehr guten, ja legendären Mikros wie einem Neumann U47 oder einem AKG C12 innewohnt, ist die Tatsache, dass sie an vielen Quellen gut klingen und der Sound einfach “passt”. Kein Geschraube, kein Ausbessern, kein EQ – mit einer halbwegs gewissenhaften Positionierung liefern diese Mikros oft von sich aus wunderbare Ergebnisse. Diese Eigenschaft vermag ich auch bei den Oktavas wahrzunehmen. Bei der Arbeit im Studio klingen beide Mikrofone an vielen unterschiedlichen Quellen einfach sehr “richtig” und das Signal lässt man in der Postproduction am besten in Ruhe, denn oft ist es perfekt, so wie es aufgenommen wurde.
Ich mag Oktava-Mikros sehr gerne, man bekommt meistens immer etwas mehr für sein Geld. Ich habe hier vier Modelle (MK-220, ML-53, 2x MK-012) bei mir im Einsatz und man muss sie mir nach meinem Tod aus den starren Fingern reißen.