Ein Mikrofon für alle Fälle?
Das brandneue sE Electronics X1 S ist der verfeinerte Nachfolger des erfolgreichen X1 und erscheint frisch geschlüpft zur Musikmesse 2017. Zum Test lag mir das Studio-Bundle mit Reflexion-Filter, Spinne und Popschutz vor. Ein 3 Meter langes Mikrofonkabel ist ebenso dabei.
Wer bin ich, was ist anders?
Das sE Electronics X1 S ist wie sein Vorgänger zuerst einmal ein universelles Kondensatormikrofon mit fester Nierencharakteristik, das preislich im Einsteigersegment angesiedelt ist. Diese Einstufung bedeutet aber nicht automatisch, dass solch ein Mikrofon nicht auch in einem gut ausgestatteten Tonstudio sein Plätzchen finden kann.
Von der Optik her ist es ein mittelgroßes Mikrofon mit seitlicher Einsprechrichtung, das ein solides Gewicht von 440 Gramm aufweist und schon einen gewissen Charme der Wichtigkeit ausstrahlt. Es wirkt eigenständig und erinnert mich an einigen Stellen an mein eigenes „Magneto“, das ja mittlerweile eingestellt wurde und das gegenüber dem X1 S das reinste Fliegengewicht ist.
Die Mikrofonkapsel ist eine 1-zöllige Großmembran und eine „echte“ Kondensatorkapsel, braucht also unbedingt 48V Phantomspeisung. Und was ist dann eine „unechte“?
Eine „unechte“ Kondensator-Kapsel ist in Electret-Kondensator-Mikrofonen zu finden, deren Membranen dauerpolarisiert sind und oft auch mit einer Batterie betrieben werden können. Diese dauerpolarisierten und meist etwas dickeren Membranen sind allerdings mittlerweile kein Makel mehr, da es auch unter dieser Mikrofon-Kategorie ganz vorzügliche Modelle gibt.
Sichtbar geändert hat sich zum Vorgänger das Low Cut-Filter, das nun zweifach schaltbar ist und zwar bei 80 Hz sowie 160 Hz. Des Weiteren wurde auch die Abschwächung nun zweistufig ausgelegt (-10 oder – 20 dB) und der XLR-Anschluss ist jetzt vergoldet.
Die stärkere Abschwächung ist deshalb sinnvoll, da manche Audiointerfaces (gerne auch ältere) Schwierigkeiten mit einem hohen Ausgangspegel des Mikrofons haben. Da diese Geräte aber immer noch im Einsatz sind und zum Teil auch gut klingen und es zudem auch billige Interfaces gibt, die hinsichtlich des Mikrofon-Vorverstärkers nicht das Gelbe vom Ei sind, kann man für diese Geräte beim sE Electronics X1 S den Ausgangspegel um 20 dB absenken. Das ist schon eine Menge Holz und sollte dann auch an der Kick oder einem fetten Bläsersatz keinen Eingangsverstärker überfordern. Das sE Electronics X1 S selbst verdaut maximal 160 dB, was unerträglich laut ist und jenseits von Gut und Böse liegt.
Laut der Aussage der sE-eigenen Produktankündigungen wurde an jeder Ecke des Mikrofons gefeilt, gehämmert und lackiert und soll nun quasi die eierlegende Wollmilchsau in Sachen Audio für den kleineren Geldbeutel sein. Dann wollen wir die kleine Sau sich doch mal in der audiophilen Milchwolle von Onkel Sigis Tonhütte suhlen lassen.
Der mitgelieferte Reflexion-Filter
ist ein imposantes Ding, das für eine trockenere Stimme in einem halligen Raum sorgen soll. Die von der Stimme ausgehenden Schallwellen werden ja von den (mehr oder weniger) nackten Wänden reflektiert und würden so ungehindert wieder in das Mikrofon gelangen. Das führt unter Umständen zu einem unguten WischiWaschi-Sound und im krassesten Fall zu hörbaren Echos. Dieses „Unbill“ soll der Schirm abdämpfen, damit man im Resultat eine trockene Stimme auf der Aufnahme hat, die sich dann gut in der Mischung platziert bzw. gut nachbearbeitet werden kann. Was der Filter aber definitiv NICHT kann: Außengeräusche stark dämpfen. Wer also neben einem Bahngleis wohnt und meint, damit den mit 300 km/h vorbeirauschenden Intercity München-Hamburg akustisch plattmachen zu können, hat nur „Bahnhof“ verstanden.
Und wie sieht es nun in der Praxis aus?
Zum Test hatte ich mir den akustisch schlechtesten Raum in meinem Häuschen ausgesucht, den Heizungskeller. Dort habe ich die Sängerin Tracey Adele Cooper zwei Files einsingen lassen, einmal mit und einmal ohne den Reflexion-Filter. Das Ergebnis könnt ihr euch anhören, der Unterschied ist sehr gering. Da das sE Electronics X1 S einerseits eine gute Dämpfung zur Rückseite hat und andererseits die Nierencharakteristik nicht zu breit zu sein scheint, ist es auch ohne den Reflexion-Filter eine gut klingende Aufnahme geworden, die Unterschiede sind nicht signifikant. Es mag sein, dass in einem wirklich übel klingenden Raum der Filter seine Wirkung besser ausspielen kann, aber grundsätzlich kommt das X1 S auch ohne diesen problemlos klar. In meinen Ohren klingt die Aufnahme ohne den Reflexion-Filter luftiger und insgesamt geschmeidiger, der Filter sollte also nur eingesetzt werden, wenn es ohne ihn tatsächlich zu störenden Raumechos auf der Aufnahme kommt.
Die Klangbeispiele
wurden ohne jedes Zusatzequipment und ohne Nachbearbeitung direkt über mein Yamaha AG06 auf ein MacBook Pro und den Motu Digital Performer 9 eingespielt. Für die Mitarbeit bei den Files möchte ich mich bei Tracey Adele Cooper, Fabian Nafziger und Thomas Vanvolsem herzlich bedanken.
Der Klang
ist für meine Ohren transparent, kraftvoll und hat „Fleisch“. Zudem kann ich die Aussage des Herstellers bestätigen, dass es sich um ein ausgesprochen vielseitiges Mikrofon handelt, das sich an vielerlei Schallquellen bewährt.
Was besonders aufgefallen ist
Das Mikrofon rauscht kaum und hat einen wirklich satten Ausgangspegel, der Gain-Regler war bemerkenswert weit unten.
Was gibt es zu meckern?
Die Schalter für den Low Cut und die Dämpfung sind so leichtfüßig gerastert, dass sie sich bei der kleinsten Berührung verstellen. Sobald man das Mikrofon in der Hand hält und es in die mitgelieferte Spinne eingeführt und festgeschraubt wurde, ist mindestens ein Schalter verstellt. Man muss sich stets nach der Montage vergewissern, ob die Schalter noch in der Position sind, wo man sie haben möchte.
Der genannte Punkt ist zwar nicht der Hit, aber da das sE Electronics X1 S prima klingt und ansonsten voll überzeugt, gibt es mit zugedrücktem Hühnerauge ein „sehr gut“.
Was noch zu erwähnen wäre
Die mitgelieferte Spinne ist in ihrer Funktion sehr gelungen, gut verarbeitet und robust. Zudem ist die eingebaute Halterung für den Popschutz eine gute Idee.
Der Reflexion-Filter ist ebenso hervorragend verarbeitet und die gesamte Halterung ist mechanisch gut gelöst. Es empfiehlt sich aber dringend ein stabiles Stativ, da das Gesamtgewicht von Filter, Spinne und Mikrofon doch schon merklich das Stativ fordert.
Das sE Electronics X1 S gibt es außer dem Bundle mit Reflection Filter auch ohne diesen, nur mit der Spinne und dem Pop-Schutz. Und wer das auch nicht brauchen kann, für den gibt es das Mikrofon auch ganz „nackt“.
Die in Druckform beigelegte kurze und knappe Bedienungsanleitung hat sogar ein Kapitel in Deutsch und ist leicht verständlich geschrieben. Kleines Detail, aber erwähnenswert.
Herzlichen Dank für den ausführlichen Test. Es scheint sich wirklich um ein passables und günstiges Mikrophon zu handeln!
Hi Sigi, ein ausgangsseitiger Abschwächer? Bist Du Dir da ganz sicher? Eingangsseitig ergibt Sinn, aber ausgangsseitig, da drehe ich die Vorverstärkung zurück und es ist erledigt. Den Pegel zuerst abschwächen, den man danach um den gleichen Bereich anheben muss ergibt ja gar keinen Sinn. Und anheben muss man ihn, damit man auf Line Niveau kommt
Griass Di Gaffer,
das habe ich evtl. etwas missverständlich ausgedrückt. Ich meinte das so:
Wenn Du den Abschwächer am Mikrofon zuschaltest, erhältst Du als Ergebnis einen geringeren Ausgangspegel. Der Ausgangspegel steht ja in direkter Abhängigkeit zum Eingangspegel des Mikrofons, schwächst Du den Eingangspegel ab, geht auch der Ausgangspegel logischerweise runter.
Mit musikalischen Grüßen
Onkel Sigi
Kleine Anregung am Rande:
Klangbeispiele mit gesungenem Text wären zum Vergleich besser gewesen, als „Pa uuhh aaahhh, etc.!!!
Griass Di WaLu,
Du sprichst mir aus der Seele…..
Gerade auch, weil Tracey eine sehr schöne Stimme hat.
Leider dürfen wir Autoren aus urheberrechtlichen Gründen auf Amazona keine bekannten Songs einstellen, so behelfe ich mich eben mit dieser Lautsprache.
Musikalische Grüße
Onkel Sigi