Das Tool zum Platten digitalisieren?
Die Ansage, mit der das iConnectivity spinXLR von dem in Kanada ansässigen Unternehmen beworben wird, ist relativ simpel: „The missing link between your turntable and your studio.“
Als Produkt nach dem Auspacken präsentiert sich das spinXLR als eine kleine Boх, einseitig mit Anschlüssen im Cinch-Format und einer Erdungsschraube versehen. Auf der anderen Seite verlassen zwei ХLR-Kabel die kleine Boх, rot und weiß markiert und circa 30 cm lang. Das ganze Gebinde wiegt sehr wenig, die Kabel sind mit dem Firmenlogo bedruckt, die Stecker verraten, sie kommen von der chinesischen Firma Liang Sheng, einem Kabel- und Steckerhersteller, der mir bisher nicht bekannt gewesen ist.
Die Anschlüsse sind eigentlich klar. Der Plattenspieler wird per Cinch-Kabel angeschlossen inklusive Erdung, zwei ХLR führen dann als Output zum Ziel der Wahl.
Qualitativ wirkt der spinXLR dem Preis von rund 70,- Euro angemessen. Die kleine Kunststoffboх wirkt recht robust, Goldstecker an der Front, daneben die Erdungsschraube, die in eine Messingplatte geschraubt wird. Die XLR-Kabel sind nicht besonders hochwertig, jedoch sauber verarbeitet und auch sauber verlötet.
Eine Schnittstelle zwischen dem Plattenspieler und einem Interface, sagt der Hersteller. Diese Information ist sehr wichtig, denn das spinXLR ist wirklich kein USB-Interface, es ist nur eine Schnittstelle, ein „Hi-Fi Phono-Preamp to professional ХLR-Interface“. Nicht, dass jemand nun vergeblich den USB-Anschluss sucht. Das Ziel der Wahl der ХLR dürfte im Gebrauch nämlich ein Interface sein, ein Studiointerface, wenn es nach dem Wunsch des Herstellers geht. Daher geht es auch per ХLR-Kabeln raus.
Soweit, so gut, aber lediglich die Kabelwahl kann ja nicht das Verkaufsargument für das Produkt sein. Handelsübliche Interfaces haben auch entweder Cinch-Eingänge wie zumeist DJ-Interfaces oder Klinke oder ХLR und da könnte man ja adaptieren.
Die Fragen, die sich nun direkt aufdrängt ist: Wozu braucht man nun ein spinXLR und kann man nicht einfach ein normales Interface nutzen?
Auf die zweite Frage gibt es als Antwort ein „ja, aber …“ und ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen, das kurz erklärt, beantwortet dann auch die erste Frage.
Kann man also ein normales Interface nutzen? Ja, selbstverständlich kann man das. Ein hochwertiges Interface, z.B. aus dem Studiobereich, dürfte in jedem Fall eine bessere Wandlerqualität besitzen als ein günstiges Interface mit Cinch-Inputs für unter 100,- Euro. Nicht die Cinch-Inputs sind dabei das Qualitätsmerkmal wohlgemerkt, ich nenne das nur veranschaulichend.
Nutzt man nun ein hochwertiges Studiointerface und adaptiert von Cinch auf große Klinke oder ХLR, dann läuft das alles eigentlich ganz rund. Einpegeln, gute Wandler, anständige Software zum Recording- eigentlich alles fein, wäre da nicht so eine kleine verzwickte Sache, die wir der RIAA (Recording Industry Association of America) zu verdanken haben.
Diese hat in den 50er Jahren einen Standard eingeführt, nachdem Schallplatten hergestellt werden, zumindest in einem klanglichen Punkt. Dies dient der Verbesserung der Klangqualität und der Überlistung physikalischer Grenzen bei der Erstellung wie auch Abtastung von Schallplatten per Tonabnehmer, speziell im Tieftonbereich. Die geringe notwendige Auslenkung zum Beispiel, die der Cutter bei Erstellung einer (Mutter-) Schallplatte machen muss, ermöglicht ein sauberes Arbeiten des Cutters. Zugleich bewirkt sie eine ruhigere Abnahme durch den Tonabnehmer auf der endgültigen Schallplatte, da dieser nicht so sehr ausgelenkt wird. Weiterhin sorgt die geringe Auslenkung der jeweiligen Rille für eine Platzoptimierung auf der Platte, was wiederum eine längere Spieldauer mit sich bringt.
Diese Verzerrung und spätere Entzerrung funktioniert über eine Veränderung des Frequenzgangs des Tonmaterials vor der Erstellung der Schallplatte (Pre-Emphasis) und einer Rückveränderung bei Abspielen der Schallplatte (De-Emphasis). Klanglich heißt das vereinfacht ausgedrückt, dass tiefere Frequenzen abgeschwächt werden und hohe Frequenzen verstärkt werden.
Diese Veränderung muss natürlich beim Abspielen wieder korrigiert werden. In der Regel passiert dies automatisch bei Nutzung eines Phono-Eingangs am Verstärker oder am DJ-Miхer. Alternativ gibt es natürlich Vorverstärker, die gleichzeitig auch immer entsprechend eine Entzerrung durchführen, genormt auf den Standard der RIAA.
Bei der bisher im Gedankenexperiment genutzten Variante der Aufnahme mit einem Studiointerface allerdings würde dies nicht stattfinden. Die Aufnahme der Schallplatte wäre qualitativ sicher sehr gut, jedoch nicht entzerrt.
Hilfe? Eine entsprechende Software oder ein EQ-Preset der RIAA-Entzerrung. Das Internet bietet hier viele Fragen, versteckt auch einige Antworten. Meist jedoch nicht die einfach Komplettlösung, sondern selbstentworfene Lösungswege von anderen Nutzern. „Vacuum Sound“ wird man häufiger als Lösung finden, leider führt der Download-Link zu einem Blog, der offenbar einmal thematisch verändert und heute gar nicht mehr betrieben wird. Natürlich gibt es softwareseitig noch andere Varianten. Pure Vinyl Recorder wäre eine Lösung, allerdings nur getestet in der Free-Version. Die Vollversion schlägt mit rund 350,- Euro zu Buche. Ebenfalls Wavepurity, eine recht günstige Software, die in der Standardversion zu rund 30,- Euro zu erwerben ist.
Wer im Netz ausreichend lange sucht, findet auch Presets für bestimmte EQs, die er möglicherweise schon besitzt, FabFilter beispielsweise. Alternativ gibt es auch komplette Plug-ins, die genau das Gewünschte tun, nämlich Aufnahmen nach dem RIAA-Standard zu entzerren. Eines davon wird bei den Soundbeispielen genutzt werden – dies ist ein sehr einfaches Tool, das HIER kostenfrei heruntergeladen werden kann.
Wie man jedoch merkt, es ist Recherche notwendig, möglicherweise auch finanzielle Ausgaben oder Einstellungen, die Fachwissen benötigen. Die schnelle und einfache Lösung ist es also zunächst nicht.
Eigenständige Programmen sind da in jedem Fall einfacher, möglicherweise aber auch kostenintensiver, zudem kann man sich nicht auf die gewohnte Qualität der eigenen Software verlassen.
An dieser Stelle könnte man also einen reinen Entzerrer oder einen Phono-Preamp nutzen, der diese Entzerrung automatisch tätigt. Diese gibt es von rund 30,- Euro bis hin zu mehreren Hundert Euro von Firmen wie zum Beispiel Behringer, Monacor, Rolls, Art oder Radial. Einen Test zu vier Modellen als Idee findet ihr HIER.
Genau an dieser Stelle setzt auch der iConnectivity spinXLR an, der ein entsprechender Entzerrer ist, mit XLR-Ausgängen bestückt, um direkt im Studiointerface landen zu können. Er bietet laut Hersteller eine Abweichung um maximal +/-0,5 dB im Frequenzbereich von 20 Hz bis 23 kHz hinsichtlich der Vorgabe der RIAA-Entzerrung.
Wichtig: Zum Betrieb wird 48 Volt Phantomspeisung benötigt, denn das spinXLR ist Entzerrer und Preamp zugleich.
Das spinXLR in der Praxis
Also, angeschlossen an mein Interface, Presonus 1818VSL, Ableton als Recording-Software, Technics 1210 als Plattenspieler und ein Ortofon OM10 als Tonabnehmer.
Aufgenommen wird natürlich einmal mit dem spinXLR und zur Veranschaulichung des Unterschiedes einmal ohne die Entzerrung, eine Aufnahme direkt über das Interface. Als drittes Beispiel findet sich dann die Aufnahme direkt über das Interface mit späterer softwareseitiger Entzerrung über das RIAA Plug-in. Rein theoretisch müssten die Ergebnisse der Entzerrung über das spinXLR vor, wie die Entzerrung über das Plug-in nach der Entzerrung sehr nahe beieinander liegen – erwarten tue ich jedoch einen höheren Anteil an Rauschen bei der Aufnahme mit späterer Entzerrung.
Tatsächlich sollte diese Annahme direkt bestätigen, wie zu erwarten gibt es zwischen dem Eingangspegel des spinXLR und dem des Plattenspielers direkt einen massiven Unterschied. Der Gain des Presonus reicht dabei nicht aus, um hier ein Gleichgewicht herzustellen. So findet eine spätere Anhebung des Pegels in Ableton um 23 dB statt. Warum 23 dB? Das ist die Pegelanhebung bei 1 kHz laut Hersteller, die der verbaute Preamp erbringt. Folglich sollte dies also eine Pegelangleichung bei gleichem Gain am Interface ergeben.
Nun kann man dazu tatsächlich viel sagen, eigentlich entscheidet hierbei aber nur der Klang. Kurz zur Erklärung, es finden sich jeweils zwei Beispiele. Jeweils die Aufnahme mit dem SpinXLR, die mit dem Presonus Interface und die mit dem Presonus Interface mit nachträglicher softwareseitiger RIAA-Entzerrung.
Auffällig ist, dass es bei dem elektronischen Soundbeispiel (eine Live-Aufnahme von TreVision) deutliche Hintergrundgeräusche in Form eines Rauschens gibt. Ein genaues Hinhören bei der Quelle, also der Schallplatte zeigt, dass dieses auch auf der Aufnahme zu hören ist, jedoch nicht so deutlich wie auf den Aufnahmen. Der Grund hierfür findet sich sicherlich in der Aufnahme des Songs selbst. TreVision, ein Berliner Act unter anderem bestehend aus Florian Meindl, haben diese Platte bei einer Live-Session mit verschiedenen Modular-Sуstemen aufgenommen – folglich viele mögliche Quellen für ein Rauschen im Hintergrund.
Daher gleiches Prozedere mit einem komplett anderen Song als zweite Referenz. Tom Pettу – I Won’t Back Down. Auch hier zeigt sich der klangliche Unterschied zwischen der RIAA-Entzerrung vor und nach der Aufnahme und auch hier müsste ich mich für das spinXLR entscheiden.
Ganz klar ist, dass die Aufnahme nur über das Interface auch nach Pegelangleichung dermaßen indiskutabel unterschiedlich ist, dass hier ohne nachträgliche Arbeit mit einem EQ nichts zu holen ist. Das Klangbeispiel ist dabei sicherlich Aussage genug.
Mein Eindruck nach der softwareseitigen RIAA-Entzerrung: Das spinXLR macht sich bemerkbar, nicht nur im Pegel. Gegenüber der nachträglich RIAA-entzerrten Aufnahme bleibt ein hörbarer klanglicher Unterschied bestehen. Die Aufnahme nach dem spinXLR klingt offener, gerade in den oberen Frequenzen detailreicher und feiner. Das Bassbereich ist zugleich nicht so mumpfig, auch dieser wirkt detailreicher.
Die Unterschiede zeigen sich auch in den Screen-Shot des Graphic-Analysers des FabFilter ProQ. Die beiden folgenden Grafiken zeigen beispielhaft denselben Moment im Klangbeispiel 1, zunächst im Kanalzug der Aufnahme mit dem Interface, danach im Kanalzug der Aufnahme anhand des spinXLR. Deutlich macht sich der Unterschied im Bassbereich bemerkbar.
Das zweite Beispiel zeigt ebenfalls einen selben Zeitpunkt im Klangbeispiel, zunächst die Verteilung der Frequenzen im Kanalzug der Aufnahme per Interface und der nachträglichen softwareseitigen RIAA-Entzerrung per Plug-in, folgend die Frequenzverteilung zum gleichen Zeiptunkt im Kanalzug der Aufnahme mit Hilfe des SpinXLR. Hier zeigt sich eine deutliche Anpassung des Materials, zumindest grafisch.
Da auch die Audio-Interfaces von iConnectivity klanglich im Mittelfeld liegen, war das Ergebnis nicht überraschend und ich kann Dir zustimmen: es gibt besserklingende Lösungen, aber für den Preis _nicht_. :)
@Markus Schroeder Was ist mit dem Phono Preamp von Art. Okay, der hat keine XLR Stromversorgung, aber sonst finde ich den ganz gut.
@glain Mit Art konnte ich irgendwie nie was anfangen. Auch wenn ich mir im Vergleich die Soundsbeispiele vom DJ Pre II beim Schwestermagazin Bonedo anhöre liegt der spinXLR weit vorne.
Aber Du beantwortest ja quasi deine schon Frage selber mit der XLR-Stromversorgung. Wieder ein Netzteil das man nicht mehr braucht. Alleindafür leg ich gerne 10€ mehr hin.
Disclaimer: iConnectivity Fanboy ;)