Der braune Sondereditionskoffer!
Bei dem Tone King Gremlin 70th Anniversary Tweed handelt es sich um einen einkanaligen Vollröhrenverstärker, der in einer Sonderedition für das Musikhaus Thomann gefertigt wird.
Inhaltsverzeichnis
Das Konzept des Tone King Gremlin 70th Anniversary Tweed
Wer sich in den letzten Jahren mit Vollröhrenverstärkern, die unterhalb der Hygiene-Grenze arbeiten, beschäftigt hat, wird unweigerlich auf den Namen Tone King gestoßen sein. Das 1993 von Mark Bartel gegründete Unternehmen mit seinem Sitz in Baltimore, Maryland, USA hat sich auf die Röhrensounds der 50er und 60er spezialisiert und arbeitet primär mit handverdrahteten Schaltungen und hochwertigen Komponenten.
Als Besonderheit für den 70-jährigen Geburtstag des Musikhauses Thomann hat der Hersteller nun eine Sonderedition des Tone King Gremlin auf den Markt gebracht. Dieser unterscheidet sich allerdings ausschließlich in der Farbe des Bespannstoffes von dem regulären Tone King Gremlin. So ist die Musikhaus Thomann Ausführung mit einem verglejchsweise dunklen Tweed-Stoff bezogen, die einen starken Fender Tweed-Vintage-Charakter aufweisen soll. Der Vintage-Look ist wirklich gut gelungen, wenngleich natürlich die völlig kratzer- und scheuerstellenfreie Verarbeitung bei Auslieferung im krassen Gegensatz zu dem künstlich gealterten Layout steht.
Die Konstruktion des Tone King Gremlin 70th Anniversary Tweed
Bei dem Tone King Gremlin 70th Anniversary Tweed handelt es sich um einen einkanaligen Combo-Verstärker, der aber über einen vergleichsweise einfachen Schaltungskniff verfügt, der die Besitzer der Marshall Typen 2203 und 2204 die Freudentränen in die Augen treiben dürfte. Die älteren Semester unter den Lesern, die bereits die Freude hatten, einen der beiden genannten Marshall Typen zu benutzen, werden das Problem kennen.
Die sogenannten Master-Volume-Modelle verfügen beide über zwei Eingänge, die allerdings den Nachteil haben, dass man immer nur einen benutzen kann. Beide Eingänge für sich fabrizieren unterm Strich einen guten bis sehr guten Clean- bzw. Crunch-Sound, allerdings war es nicht möglich, mittels eines einfachen A/B-Pedals zwischen diesen beiden Sounds zu wechseln. Ich weiß nicht, wie viele Kollegen ich kenne, die sich händeringend etwas gewünscht haben, damit man diese Schaltung nachträglich einbauen kann. Ich bin mir sicher, dies ist auch möglich, allerdings nicht ohne den Amp zu einem echten Fachmann zu geben.
Hier war die Tone King Mannschaft um einige Portionen schlauer und hat genau das in die Tat umgesetzt. Der Verstärker verfügt über zwei Eingänge mit dem Namen Rhythm und Lead und ist tatsächlich so ausgelegt, dass der Rhythm-Kanal sich an die Fender Blackface Serie mit ihrem legendären Clean-Sound anschmiegt, kombiniert mit einem leichten Scope-Sound, während der Lead-Kanal sich an die Tweed-Serie der Fender Amps anlehnt, damit wir nachträglich mehr Mitten haben und auch gerne etwas mehr in die Sättigung gehen. Durch ein simples A/B-Pedal, beispielsweise von Lehle, kann man nun aus dem einkanaligen Amp zwei komplett unterschiedliche Sounds generieren. So einfach, so gut! Man fragt sich, warum Marshall seinerzeit nicht auch diese Lösung gewählt hatte, vielleicht aus Ermangelung an guten A/B-Pedalen?
Es dürfte sich herumgesprochen haben, dass wir es in den letzten Dekaden eine Umkehrung der Prioritäten in Sachen Leistung bei Vollröhrenverstärkern zu tun haben. Während in den 60ern Leute wie Jimi Hendrix und Pete Townshend noch händeringend bei Jim Marshall aufliefen, um ihn nach immer lauteren Verstärkern anzubetteln, (es gab noch keine PAs), haben wir heute genau das gegenteilige Problem. Jeder Verstärker, der auch nur mit einer zweistelligen Wattzahl daher kommt, wird sehr kritisch beäugt und sofern man auch nur leicht am Mastervolume-Regler dreht, wird man mit bösen Blicken und noch böseren Worten belegt, man möge bitte endlich seinen Verstärker leiser drehen. Die Jünger der digitalen Emulationen haben für derartige Klangeskapaden ohnehin nur noch ein ungläubiges Kopfschütteln übrig.
Sich dessen bewusst, hat sich Tone King auf die Fahne geschrieben, möglichst viel des legendären Vollröhren-Klangcharakters in eine möglichst variable Lautstärke zu packen. Um dies umzusetzen, hat man als Vorstufenröhre zwei 12AX7 und als Endstufenröhre eine KT66 verwendet. Der entscheidende Punkt ist allerdings ein Attenuator auf der Rückseite des Verstärkers mit dem Namen Ironman, der mit Reactive-Load arbeitet und den Verstärker in seiner Lautstärke bei Bedarf stark herunterregelt, ohne die so wichtige klangbildende Endröhre zu zügeln. Die Leistung von 5 W mag dem einen oder anderen sehr gering vorkommen, man sollte sich allerdings nicht von der einstelligen Zahl verwirren lassen. Der Amp kann tatsächlich auch richtig laut, wenn er möchte. Mit einem Drummer, der im Cozy Powell Stil spielt, wird der Amp nicht mithalten können, allerdings ist er auch definitiv nicht für diese Art von Musik konzipiert worden.
Als Lautsprecher verwendet der Amp einen 1x 12″ Custom-voiced Celestion 870 Lautsprecher, der aufgrund seiner Größe auch „erwachsene“ Sounds produzieren kann und nicht nur als Bedroom-Amp sein Dasein fristen muss. Von der Aufmachung her muss man den in den USA gefertigten Amp in der Tat als richtig handlich bezeichnen. Mit den Abmessungen von 483 x 254 x 423 mm (Breite x Tiefe x Höhe) und einem Gewicht von 12,7 kg ist er genau das Richtige, um den Amp mal schnell ins Auto zu heben und schnell in einem kleinen Club eine echte Live-Show zu spielen. Natürlich, wie gesagt, kann er auch sehr schön zu Hause in sehr geringer Lautstärke den überwiegenden Teil des natürlichen Amp-Charakters einfangen.
Der Lautsprecher sitzt in einem nach hinten offenen Gehäuse, was bekanntermaßen Vor- und Nachteile hat. Die Nachteile sind darin zu suchen, dass aufgrund der Tatsache, dass ca. die Hälfte der Abstrahlungsenergie nach hinten abgestrahlt wird, der Druck, den der Lautsprecher nach vorne abgibt, etwas geringer ist als bei einem geschlossenen Gehäuse. Außerdem komprimiert der Lautsprecher nicht so stark, was aber nicht als Wertung gesehen werden sollte.
Der große Vorteil an einem offenen Gehäuse ist, dass der Combo, wenn er gut im Raum platziert ist, natürlich nicht nur nach vorne seine Schallenergie abgibt, sondern aufgrund der Tatsache, dass auch nach hinten abgestrahlt wird, die Wände bzw. andere Gegenstände als Reflektoren genutzt werden können. Dies ist insbesondere dann gut, wenn man einen kleinen Club so aufbaut, dass der Verstärker z. B. vor dem Schlagzeuger platziert ist und dieser z. B. die Gitarre dann nicht unbedingt mehr auf dem Monitor braucht, da er genug Direktschall von dem Lautsprecher nach hinten bekommt.
Der Tone King Gremlin 70th Anniversary Tweed in der Praxis
Hört man die ersten Töne des Tone King Gremlin 70th Anniversary Tweed an, fällt es einem wirklich nicht schwer sich vorzustellen, in welchem Segment dieser Verstärker seine klangliche Ausrichtung ausspielen kann. Natürlich wird jedem als erstes die Richtung Blues durch den Kopf schießen, was auch zweifelsohne das primäre Einsatzgebiet dieses Verstärkers ist. Allerdings sollte man sich nicht von diesem Ersteindruck blenden lassen und dem Amp eine weitere Chance geben. Auch in den verschiedenen Stilrichtungen von Americana macht dieser Verstärker eine hervorragende Figur, insbesondere wenn es darum geht, ganz dezent angecrunchte Sounds zu erzeugen.
Absolut perlende Clean-Sounds sind kein Problem, mir persönlich hingegen haben es allerdings die ganz leicht angezerrten Sounds angetan, die man im Prinzip sogar mit Strumming spielen kann, aber die aufgrund der Sättigung und der Verdichtung des Sounds noch mal etwas mehr Druck aufbauen, als wenn man eine glasklaren Sound aus dem Verstärker holt.
Man mag es kaum glauben, aber ein einfacher Volume- und ein einzelner Tone-Regler reichen tatsächlich aus, um alle Nuancen des Klangs abrufen zu können. Dies liegt insbesondere an der Tatsache, dass dieser Verstärker ganz hervorragend mit den Pickups und dem Volume-Regler der Gitarre interagiert. Die Interaktion ist vorbildlich und selbst angecrunchte Sounds, die bei vollem Volume-Regler eine ordentliche Sättigung abfeuern, können bei Bedarf durch Rücknahme der Lautstärke fast in den extremen Clean-Bereich zurückgefahren werden.
Dieser Verstärker wird primär als Bedroom-Amp verkauft, womit man ihm allerdings meines Erachtens mehr als nur Unrecht tut. Man sollte sich immer vor Augen halten, dass 5 W gerade einmal die Hälfte der Lautstärke von 50 W sind. So kann man sich vorstellen, dass dieser Amp durchaus auf kleinen bis mittleren Bühnen völlig ausreicht, um eine gute Show hinlegen zu können. In meinen Augen ist der Attenuator eine sehr gute Sache, die allerdings wirklich nur eine Dreingabe für den Heimbetrieb darstellt. Allerdings eine sehr gute.