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Test: Vintage VJ74 BLK, E-Bass

Pappelbrett für Einsteiger: Hui oder pfui?

19. September 2017

Welche Auswahl hat der typische Bassanfänger mit 300,- Euro in der Tasche und viel Motivation? Nun, eine derart große, dass die Entscheidung vor allem mangels Sachkenntnis durchaus schwerfallen kann. Und im Vergleich zu den Hobeln, auf denen man vor zehn oder fünfzehn Jahren anfing zu spielen, sind inzwischen sogar für die Hälfte dieses Betrages halbwegs brauchbare Instrumente zu bekommen. So oder so landen aber am Ende gefühlt 80 % der Einsteiger bei einer Jazzbass-Kopie oder einem Ibanez Soundgear oder einer der Billigkopien davon. Und das ist auch durchaus sinnvoll – mal abgesehen von der in diesem Sektor doch deutlich schwankenden Qualität sind die genannten Typen in der Regel leicht zu bespielende, komfortable Instrumente, die mit ihren zwei Tonabnehmern auch gleich eine gewisse Flexibilität mitbringen. Man kann nach Herzenslust an den meist drei Reglern herumspielen und herausfinden, welche Sounds aus den verschiedenen Pickups und ihren Kombinationen herauskommen und somit auch gleich seine Präferenzen austesten.

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In genau die Kategorie dieser Einsteigerbässe fällt der vorliegende Vintage VJ74 BLK aus der „Reissued Series“ des Herstellers. Reissue in der Tat, sein großes Vorbild kann er keinesfalls verleugnen, das Instrument ist eine relativ direkte Kopie eines Jazz Basses, für den Preis von 289,- Euro zu haben. Nicht die allerunterste Preisregion – Harley Benton fängt inzwischen bei 79,- Euro an – aber vor allem nach dem bösen Preisanstieg bei den Squier Bässen, die eigentlich dieses Segment bedienten, doch eins der günstigeren Instrumente.

Vintage“ ist natürlich ein schönes, aber auch völlig inflationär gebrauchtes Wort für schöne, alte Instrumente, fungiert aber hier lediglich als Markenname. „Genuine Wilkinson Parts“ steht auf dem Karton, in dem der Bass ausgeliefert wird und wer lange genug im Netz sucht, wird auch Leute finden, die behaupten, dass Trev Wilkinson der absolute Edelgitarrenguru sei … In der Realität handelt es sich aber um einen Hersteller günstiger Ersatzteile für Gitarren und nicht mehr. Insgesamt sieht hier alles aus wie üblich – ein nett beworbenes Einsteigerinstrument, eine Kopie eines namhaften Produktes – und gut. Das aber muss nicht schlecht sein, schaun wir mal!

Facts & Features

Wie gesagt, das Vorbild ist klar, die Optik damit auch. Schwarz lackiert und mit rotem Tortoise-Schlagbrett hat der Vintage VJ74 eigentlich das Potenzial, mein Herz im Sturm zu erobern, sieht doch ein guter Teil meiner Instrumente auch so aus. Der Korpus des VJ74 ist aus Karolina-Pappel gefertigt – ah, ein neuer Aspirant auf den „Billigholz-Thron“. Pappel, war das nicht das Zeug, aus dem man sonst Streichhölzer macht? Der alte Witz, dass der einzige Vorteil eines Basses gegenüber der Gitarre sei, dass er länger brennt, könnte hier neuen Zunder bekommen … Spaß beiseite, bei allen Unkenrufen hat sich in den letzten Jahren doch recht eindeutig gezeigt, dass die immer wieder neu aufkommenden und stets verschrienen günstigen Hölzer am Ende doch meist besser als ihr Ruf waren. Erst war es Linde, dann Agathis, jetzt also Pappel – egal, am Sound mischen noch viele andere Faktoren mit und absolute Gurken aus „allerfeinster Erle“ gibt es auch genug. Schon mal dran gedacht, dass die Fender-Originale auch nur aus Erle waren, weil’s billig und vorhanden war? Die Sau mag wer anders durchs Dorf jagen, gerade im günstigen Segment habe ich da inzwischen jegliche Skepsis abgelegt.

Auf dem Schlagbrett finden sich erwartungsgemäß zwei Singlecoils und auf dem standesgemäß metallenen Bedienfeld zwei Volumeregler und eine Höhenblende. Jetzt soll mir allerdings mal bitte jemand die Namensgebung dieses Instruments erklären: Die 74 im Namen weckt ja Erwartungen, dass man einen 74er Jazz Bass kopiert habe – von 1974 bis 1982 baute Fender das Modell nämlich mit dem Stegtonabnehmer etwas weiter am Steg und einer dreifachen Halsverschraubung. Der Vintage VJ74 allerdings weist das klassische 60er Pickup-Spacing auf …

— Erzklassisch: Headstock mit vier offenen Mechaniken —

Im Korpus vierfach verschraubt, wie es sich für einen 60er Jazz Bass gehört, sitzt ein Ahornhals mit mitteldickem Palisandergriffbrett und 20 Bünden. Mit 42.5 mm ist der allerdings am Sattel etwas breiter als das Original und überhaupt wirkt das ganze Instrument etwas wuchtiger. Auch der Korpus scheint größer und etwas grober zugehauen. Mein ehemaliger Bandkollege in meiner Black Metal-Band, der beim Instrumentenkauf einzig nach der Maxime „Ein Bass muss ein Schlachtschiff sein“ vorging, hätte seine Freude! Und ich als eher Precision-affiner Bassist eigentlich auch, muss ich gestehen.

— Griffbrett vorzeitig ergraut – leider bei preiswerten Bässen nicht selten —

Wenn da nicht diverse Kleinigkeiten den Eindruck sofort trüben würden. Erst mal Schleifstaub am (riesigen) Headstock. Ernsthaft? Dann sieht das Palisandergriffbrett grau und ausgetrocknet aus, nicht schön. Am Halsübergang sind die Spaltmaße zwar im Rahmen, aber nicht einheitlich. Die Bridge ist ein klassischer Bleckwinkel – an sich in Ordnung in der Preisklasse und von den modernen HiMass-Brücken bin ich überhaupt gar nicht so überzeugt. Allerdings sitzen die vier Reiter ohne Führungsschienen auf der Metallplatte und entweder sind die Reiter zu schmal oder die Bohrungen der Schrauben zu weit auseinander.

Jedenfalls bilden die Reiter einen leichten Halbmond, anstatt parallel zu sitzen. Nicht übertrieben stark, aber genug, um ins Auge zu fallen und zu indizieren, dass sich hier nicht sonderlich viel Mühe gegeben wurde. Na, das kann ja was geben … wenigstens die Lackierung ist o.k. und weist keine Unsauberkeiten auf.

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— Was bitte soll denn diese unsaubere, krumme Brückenkonstruktion? —

Zwischenfazit

Ein etwas vergrößerter Jazz Bass ist der Vintage VJ74, schön, aber leider von der Verarbeitung her nicht das Wahre. Schleifstaubrückstände, verwittertes Griffbrett, seltsame Spaltmaße, leicht schiefe Brücke – der erste Eindruck ist nicht sonderlich positiv. Und selbst, wenn das Instrument jetzt gut klingt, muss man sich doch überlegen, ob man mit so was leben will oder kann.

Praxis mit dem Vintage VJ74 BLK

Also an den Gurt mit dem Instrument. Der Vintage VJ74 wirkt riesenhaft – realistisch mag der Korpus vielleicht ein, zwei Zentimeter größer sein als beim Vorbild, aber die machen sich bemerkbar. Gott sei Dank aber nicht in der Bespielbarkeit. Der sehr helle, unlackierte Ahornhals fühlt sich gut an, das Instrument ist nicht zu schwer und hängt ausgewogen. Die Saitenlage ist nicht ganz niedrig, aber akzeptabel eingestellt – allerdings dringen auf einigen Bünden ganz leichte Schnarrgeräusche ans Ohr. Dafür stimmt die Oktavreinheit aber und die offenen Mechaniken laufen leicht und halten die Stimmung trotzdem.

— Einen klassisch schönen Rücken hat er ja —

Bespielen lässt sich der Vintage VJ74 aber auch mit der Werkseinstellung schon ganz gut. Der Hals ist zwar kein Preci-Prügel, aber doch etwas breiter und stabiler gebaut als beim Vorbild, was meinen Vorlieben entgegen kommt. Natürlich ist es wie bei den meisten Originalen auch etwas schwierig, an die höchsten Bünde zu kommen, weil der Halsfuß im Weg ist – ist halt so, normal will man da aber auch nicht hin.

Unverstärkt hört man einen ziemlich lauten, drahtigen Ton, der aber auch untenrum einen gewissen Punch verspricht. Ich bin sehr gespannt, wird sich das hässliche Entlein doch noch als klanglicher Schwan entpuppen?

Kurz gesagt, das vielleicht nicht, aber einigen Boden gut macht der Vintage VJ74 durchaus, wenn man ihn an den Verstärker hängt. In der klassischen Jazzbass-Kombi mit beiden Tonabnehmern und offener Höhenblende tut er genau das, was man von ihm erwartet. Ordentlich Draht, das übliche Mittenloch und ein knorziger Attack, das macht sowohl mit Fingern als auch mit Pick Spaß, slappen geht natürlich auch.

Die Charakteristik setzt sich auch bei Anwahl der einzelnen Tonabnehmer fort. Der Halstonabnehmer röhrt und knarzt wie er soll, könnte aber unten etwas mehr schieben. Trotzdem für rockigere Anwendungen sehr brauchbar und der klassische Fender-Attack kommt auch sehr schön zum Tragen.

Den will ich nun aber gerne etwas los werden, um weichere, souligere Sounds zu erzielen. Griff zur Höhenblende – und es passiert nichts. Zumindest auf den ersten vier Fünfteln des Regelweges, danach sind die Höhen schlagartig weg und es klingt nach „unter Wasser.“ Ganz mies abgestimmte Höhenblende, eher ein Schalter eigentlich! Zwar für den Sachkundigen recht einfach zu ersetzen, aber genau der Sachkundige ist eben nicht die Zielgruppe so eines Instruments.

Mit etwas Fingerspitzengefühl lässt sich dann aber doch ein brauchbarer Sound finden – praktikabel ist allerdings anders. Stimmt die Einstellung, lässt sich der Attack etwas einfangen und damit die holzigen Noten etwas nach vorne bringen. Sowohl sanftere Töne lassen sich so auf dem Vintage VJ74 gut begleiten, als auch abgedämpfte Staccatoattacken à la Rocco Prestia propagieren, der allerdings Preci spielt, was dem Spaß aber keinen Abbruch tut.

Abgedämpft mit dem Pick, einfach nur weil es geht, mit beiden Tonabnehmern und Höhenblende auch sehr schön:

Was sagt denn jetzt aber der Stegtonabnehmer? Nun, der näselt fröhlich vor sich hin und liefert einen schlanken, sehr durchsetzungsfähigen, mittigen Sound, so, wie er das soll. Hier Jaco-Pastorius-Vergleiche zu ziehen, mag etwas hinken, aber in die Richtung geht es definitiv. Anders als bei so manchem Billigbass wirkt er im Einzelbetrieb auch nicht dünn oder kraftlos, hier macht es sich auch bemerkbar, dass das 60er Spacing vielleicht doch eine gute Idee war. Allerdings fällt beim Einzelbetrieb beider Tonabnehmer natürlich ein deutliches Brummen auf, was aber bei Singlecoils nun mal konstruktionsbedingt kaum weg zu bekommen ist.

Es bleibt also festzuhalten – klanglich gibt es am Vintage VJ74 kaum etwas auszusetzen. Man bekommt hier einen Jazz Bass, der nach Jazz Bass klingt und das trotz billigem Pappelholz. Gerade in der Preisklasse und auch in einer darüber habe ich da definitiv schon Schlechteres gehört! Klar, mit einem amerikanischen Fender in der Preisklasse von 1500,- Euro und darüber braucht der Vintage VJ74 sich nicht vergleichen, aber die günstigeren Squier-Serien – die inzwischen auch zum Großteil teurer sind – steckt er locker in die Tasche. Gerade deswegen ist es sehr schade, dass der günstige Preis hier mit Verarbeitungsschwächen erkauft wird – die Basis, die Grundkonstruktion, die stimmt nämlich!

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Fazit

Der Vintage VJ74 bewegt sich im Einsteigersegment, mit einem Preis von 289,- Euro handelt es sich hier um eine günstige Kopie eines Fender Jazz Basses. Diese besticht durch einen durchaus guten Klang, der sich recht nah am Original bewegt. Auch die Auslegung mit einem etwas breiteren und dickeren Hals als das Vorbild wird sicher seine Freunde finden, Jazz Bässe mit dickerem Hals sind bekanntlich deutlich schwieriger zu finden als Precis mit Jazz-Hals. Allerdings kann der Vintage VJ74 trotz dieser Vorteile nicht uneingeschränkt empfohlen werden.

Eine schiefe Brücke, ein verblichenes Griffbrett, ungleiche Spaltmaße und Schleifstaub am Bass lassen auf eine nachlässige Fertigung bzw. Qualitätskontrolle schließen. Das muss heutzutage auch im günstigen Segment nicht mehr sein, die Konkurrenz macht es vor. Weiterhin ist auch die Höhenblende schlecht ausgelegt und erlaubt so gut wie keine Nuancen. Damit bleibt ein ordentlich klingender Bass, bei dem sich eine Vielzahl kleiner Schwächen läppert und am Ende nur eine Wertung von einem gut gemeinten Stern für den Sound erlaubt.

Es sei an dieser Stelle bemerkt, dass sich in diesem Preissegment auch durchaus starke Schwankungen der Fertigungsqualität finden können – wer einen günstigen Jazz Bass sucht, sollte den Vintage VJ74 vielleicht trotzdem mal antesten. Die Grundkonstruktion stimmt und vielleicht hat man Glück und findet einen Ausreißer, bei dem die Verarbeitung stimmt.

Plus

  • Sound
  • Halsauslegung

Minus

  • Verarbeitung
  • schlecht abgestimmte Höhenblende

Preis

  • Ladenpreis: 289,- Euro
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Klangbeispiele
Forum
  1. Profilbild
    AMAZONA Archiv

    Vintage baut absolut phantastische Instrumente zu sehr günstigen Preisen. Hab 2x zugeschlagen und die Sachen bleiben!

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