Mehr als nur Hammond: Digitale Orgel aus Italien
Die Viscount Legend Soul 261 ist eine digitale Orgel, die nebst den bekannten Tone-Wheel-Modellen auch Kirchen- und Transistororgeln simuliert. Mit einem Preisschild von knapp 3.600,- Euro schickt sie sich an, einer echten Hammond Paroli zu bieten. Wir haben genauer hingeschaut und -gehört.
Inhaltsverzeichnis
Viscount Legend Soul 261: Aufbau
Das rötliche Holz verleiht der Viscount Legend Soul 261 eine edle und professionelle Erscheinung mit einer klaren Botschaft: Gewicht zu sparen, war hier nicht das Ziel. Sie gehört mit knapp 20 kg zu den schwereren Hammond-Klons auf dem Markt.
Wie auch nicht anders zu erwarten, verfügt die Viscount Legend Soul 261 über zwei fünfoktavige Waterfall-Klaviaturen und insgesamt 4 Sets à 9 Zugriegeln (zwei pro Manual) sowie einem zweifachen Set für ein etwaiges Basspedal. Der Vibrato-Scanner befindet sich links neben den Zugriegeln, die Percussion rechts davon. Alle weiteren Funktionen wie Effekte, Transposition, Display, Pitchbender und nicht zu vergessen der Leslie Half-Moon-Schalter sind am linken Rand angeordnet, so dass sie die visuelle Erscheinung des Instrumentes kaum beeinträchtigen. Man setzt auf eine klassische Formensprache, möglichst nahe am Original.
Ein Blick auf die Rückseite mit je fünf Audioausgängen und Pedalanschlüssen lässt einen kurz staunen. Hinzukommen zwei Audioeingänge, MIDI In und Out, zwei USB-Anschlüsse, wovon einer als Host ein externes Keyboard speisen kann, eine Kaltgerätebuchse sowie der 11-polige Anschluss für eine Leslie-Box. Die Kopfhörerbuchse liegt vorne links unterhalb des Halfmoon-Switches.
Zugriegel und Manuale
Die Zugriegel haben die gewohnte Größe und Form, sind jedoch ungerastert, womit ich mich bis zum Ende des Tests nicht recht anfreunden konnte. Die leichte Rasterung von Hammond-Zugriegel wäre mir lieber, da sie dem Spieler ein haptisches Feedback gibt, wie weit ein Zugriegel bewegt wird. So bleibt einem nur der Blick auf die Zahlen auf der Oberseite der Zugriegel, sofern man diese im schummrigen Bühnenlicht erkennen kann. Außerdem hätte ich nichts gegen ein bisschen mehr Zugwiderstand einzuwenden.
Ob man sich nun daran stört oder nicht, ist eine individuelle Frage. Tatsache ist aber, dass es nicht so leicht ist, bestimmte Zugriegel-Settings nachzubilden, die man üblicherweise als Zahlenkombinationen notiert, wie z. B. 803600000 („Mellow“) oder 668848588 („Shouting“, Quelle: hammondtoday.com).
Aus meiner Sicht nicht ideal sind die Tasten. Nicht etwa wegen ihrer Form: Sie sind, wie es sich für Waterfall-Tasten gehört, vorne leicht abgerundet im Gegensatz zu den überstehenden Tasten eines Klaviers – doch sind sie etwas zu straff. Erst zweifelte ich an meinen Fähigkeiten, bis ich schließlich das Tastengewicht mittels eines improvisierten Gewichtes, bestehend aus einem Kameraakku und Cent-Münzen ermittelte. Es liegt bei 91 g „Niederdruckschwere“, wie man dies im Fachjargon nennt. Auf einer Hammond B3 oder A100 beträgt dieser Wert je nach Quelle zwischen 50 und maximal 65 g.
Gewiss reagiert jeder anders. Pianisten, die schwerere Klaviaturen gewohnt sind, werden dies anders beurteilen als Hammond-Organisten. Doch wenn ich für mich selbst sprechen soll: Auch wenn man mich eher zur Fraktion Pianisten zählen könnte, störten mich die schwergängigen Tasten über die gesamte Dauer des Tests. Typische Orgelspielweisen wie Triller, „Sputter“ (schnelles Repetieren desselben Tons) oder Glissandi über die Tasten sind schwieriger umzusetzen als beispielsweise auf einer Uhl X5, dessen Niederdruckschwere bei 62 g liegt. Ein befreundeter Keyboarder, dem ich die Orgel zeigte, reagierte ähnlich. Ohne dass ich ihn darauf hingewiesen hätte, war sein erster Eindruck: „Fühlt sich schwer an.“
Für Pfeifenorgeln sind die Tasten wiederum ganz passend; dort liegt das Niederdruckgewicht meistens bei etwas über 100 g.
Klangerzeugung
Wie heutzutage üblich, basiert die Klangerzeugung auf Physical-Modeling, von Viscount TMT („Tonewheel Modeling Technology“) genannt. Wie dieses genau arbeitet, wird nicht weiter dokumentiert.
Angeboten werden drei Hauptklangerzeuger mit unterschiedlichen Varianten: Tonewheel, Pfeifen- und Transistororgeln.
Tonewheel
Mit Tonewheel ist natürlich die Orgel von Laurens Hammond gemeint und da es ja nicht die Hammond gab, sind in der Viscount Legend Soul 261 sechs verschiedene Hammond-Modelle integriert, die sich klanglich leicht unterscheiden: TW30, TW50, TW70, BC 1936, B3 1956 und A100 1961. Was sich genau dahinter versteckt, wird nicht weiter dokumentiert, was ich etwas schade finde. Wenn schon so viel Aufwand betrieben wurde, um verschiedene Modelle zu simulieren, würde ich als Käufer und Spieler gerne mehr dazu erfahren.
Pfeifenorgeln
Die Viscount Legend Soul 261 bietet drei unterschiedliche Pfeifenorgeln, die mit Baroque, Romantic und Symphonic umschrieben werden. Ob es hierzu konkrete Vorbilder gibt, ist nicht in Erfahrung zu bringen, auch nicht, wie die Klänge erzeugt werden (Physical Modeling oder Samples). Wie bei Kirchenorgeln üblich, können Register nur ein- und ausgeschaltet, aber nicht wie auf einer Hammond eingeblendet werden. Folglich fungieren die Zugriegel als Schalter, die ab der Mittelstellung die Register aktivieren.
Letztere variieren von Modell zu Modell und werden in der Bedienungsanleitung aufgelistet aber nicht weiter dokumentiert. Ein bisschen mehr Informationen zu den einzelnen Orgeln und Register hätte ich mir an dieser Stelle gewünscht. Welcher B3-Spieler weiß schon, wofür „gedackt“ steht und wie das leichte Vibrato des „Unda Maris“ Registers zustande kommt?
Transistor-Orgeln
Mit den beiden Typen Vox und Farfisa vereint Viscount die beiden wichtigsten Transistor-Orgeln in der Rockmusik der 60er und 70er Jahre.
Die britische Vox basiert auf Zugriegeln, die ähnlich aber nicht ganz gleich wie eine Hammond fungieren. Von links finden sich vier Fußlagen in Oktavschritten (von 16′ bis 2′) und drei Mixturen. Doch wenn man beispielsweise nur die ersten drei Zugriegel öffnet, hört man erstmal nichts, so lange nicht zumindest eine der beiden höchsten Zugriegel aktiviert wird. Diese steuern nämlich die Lautstärken der Sinus- respektive Dreiecksoszillatoren aller Fußlagen.
Die Farfisa orientiert sich an Kirchenorgeln mit festen Registern, die bestimmte Instrumente imitieren: Streicher in drei Fußlagen, Flöten in zwei; zusätzlich ein Bass-, Trompeten- und Flötenregister sowie eine Mixtur.
Klang
Die Hammond-Simulation würde ich zu den besten am Markt zählen, mit leichten Unterschieden zwischen den verschiedenen Tone-Wheel-Modellen.
Die Leslie-Simulation lässt sich angenehm verzerren:
Ein besonderes Augenmerk verdient auch der Vibrato-Scanner, den ich als sehr gelungen bezeichnen würde:
Wie bei einer Original-Hammond, lösen die Tastenkontakte nacheinander aus, was bei langsamem Spiel auffällt:
Die Farfisa Orgel verfügt über den charakteristischen nasalen und leicht spacigen Sound. Bei Minute 1:35 wird die Leslie-Simulation aktiviert:
Die Vox-Orgel klingt insgesamt etwas voller und runder und erinnert zweifelsfrei an die Doors:
Die Barock-Orgel inspiriert zu barocken Improvisationen, veredelt durch den gut klingenden Hall:
Geradezu psychedelisch wirkt die romantische Kirchenorgel, wenn sie über die Leslie gespielt wird:
Konkurrenz
Zweimanualige digitale Tone-Wheel-Orgeln sind nicht gerade häufig anzutreffen. Die günstigste ist meines Wissens die Crumar Mojo Suitcase, die für knapp 1.600,- Euro ein schnörkelloses Tone-Wheel-Modell ohne andere Sounds anbietet.
Hammond-Suzuki bietet ein transportables (SKX Pro) Modell für knapp 4.000,- Euro und vier Instrumente im klassischen Holzdesign samt Unterbau an, unter anderem die B3 Mark 2 für schlappe 22.500,- Euro.
Viscount selbst hat insgesamt sechs Modelle im Angebot, die sich aber teils nur äußerlich unterscheiden, von der Legend Live für 2.299,- Euro bis zur Legend Soul 273, die das Doppelte kostet. Wie groß die klanglichen Unterschiede sind, muss jeder für sich beantworten. Ein Kommentator meinte: „I didn’t know how much of a difference the tweaks from JDF (Joe de Francesco) would make, but it sounds so much better.“ Was daran stimmt oder doch eher Wunschdenken ist, kann ich nicht beurteilen. Ich werde aber versuchen, einen Vergleichstest zu organisieren, was logistisch nicht so einfach ist. Einen sehr guten Überblick über alle Instrumente der Viscount Legend-Serie (nicht nur der Orgeln) und des Zubehörs bekommst du hier.
Zu guter Letzt möchte ich noch die Uhl Instrumente erwähnen, die auf dem beliebten Orgel-Modul HX3 von Carsten Meyer basieren. Im Test überzeugte mich das damalige Modell X4 sehr, mittlerweile ist der Nachfolger X5 erschienen. Auch die MAG Orgeln aus Prag basieren auf dem HX3 Modul.
Die zu straffe Tastaturabstimmung war ja schon beim Vorgänger, sprich Legend ohne Soul, ein grosser Kritikpunkt.
Nix dazu gelernt, schade…..
Und die Leslie Sim eiert und leiert wie in den „besten“ Anfangszeiten der Lesliesims.
Ich werde den Eindruck nicht los, dass die KeyB Orgeln vor der Viscount Übernahme noch den fettesten Sound hatten.
Um den Preis hätte ich mehr erwartet.
Vielleicht ist meine Aussage quatsch, aber die Tastatur könnte ggf. im Laufe der Zeit immer dezent weicher werden. Diese schwere könnte lediglich der absolute Neuzustand sein. Nichtsdestotrotz: Irgendwie gefällt mir diese Orgel. Ich bin schon mit einer Transistoren Hammond bedient, aber wenn nicht, würde ich mir die Viscount Legend Soul 261 genauer anschauen. Pfeif auf die Tastatur. Ideales Fingertraining. Der Klang und die enthaltenen Instrumente wissen zu gefallen.
@Filterpad Pfeif auf die Tastatur? Naja, für „Hänschen klein“ mag es noch reichen. Bei bestimmten Techniken ist es notwendig dass sich die Tastatur wie beim Original verhält, weil sie sich ansonsten nicht wirklich (oder mit unnötig viel Kraft) realisieren lassen. Das führt zu fürchterlichen Verspannungen, und letztendlich hat ein „richtiger“ Orgelspieler irgendwann keinen Bock mehr auf das Teil.
Aber ich kenn das von früher. Kollegen die sich Gitarren aufgrund der Optik gekauft, letztendlich aber andauernd gejammert haben, weil die eine oder andere Technik einfach nicht machbar war. Und ganz ehrlich, ich mach lieber ein paar Abstriche bei den Features, vielleicht sogar beim Sound. Aber bei der Klaviatur oder Tastatur eines Instrumentes gehe ich keine Kompromisse ein. Ist schließlich ein Instrument und kein Möbelstück!
@Filterpad Das sehe ich auch eher kritisch: einige meiner Instrumente sind über 15 Jahre alt und werden (fast) täglich gespielt. Ich habe da bisher nicht feststellen können, das eine Tastatur im Laufe der Zeit „dezent weicher“ würde. Und selbst wenn es so wäre, würde dies ja nicht reichen, da der Unterschied zwischen 65 und 91 Gramm wirklich nicht als „dezent“ zu bezeichnen ist.
Wie ich schrieb, wird sich nicht jeder an diesen Tasten stören, doch darauf zu hoffen, dass sie sich nach einer Zeit des Einspielens leichter bewegen lassen, ist positives Denken für Fortgeschrittene. Die Viscount Legend macht einem auf unmissverständliche Weise klar, dass das Spielgefühl Teil des Sounds ist. Auf einer leichteren Klaviatur spielt man anders, trotz intensiven Fingertrainings.
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht und die tollen Soundbeispiele. Das hat richtig Spaß gemacht!
@teletom Vielen Dank!
Bloß gut, dass ich für so ein großes Möbel keinen Platz habe. Bei dem Klang könnte ich sonst schwach werden.
Die Viscount oder Crumar Orgeln aus Italy klingen schon recht gut…
Native Instruments B4 oder die Gallileo App fürs iPad/iPhone sind aber auch nicht ohne.
Ich spiele live die Orgelsounds vom Roland VR09,
programmiert über die iPad App.
Für Hardrock schon Top für Live on Stage…
Ich hab die „kleine“ legend solo. Das mit der Tastatur kann ich bestätigen, ziemlich straff… komme damit aber ganz gut zurecht und da ich die legend auch als midimaster nutze kommt mir das da auch entgegen. Muss gestehen, das ich den internen Sound nicht groß nutze, da ich im Siderack eine hx3 mit talk&fat plus vent1 habe. Die Kombi ist schon geil zu spielen (für mich halt).
Als Mensch der hauptsächlich an Pfeifen oder Digital Orgeln unterwegs ist kann ich bei dem klassischen Hammond Feeling oder Klang nicht wirklich mitreden…
Aber gerade bei den Möglichkeiten mit den PfeifenorgelKlängen wurde hier (imho) eine große Chance vertan, nämlich genau die, die Zugriegel für die klassischen OrgelRegister zu nutzen und diese wie im Bericht erwähnt „einzublenden“, das hätte zumindest als Wahlmöglichkeit doch ein großes Potenzial – oder?
sehr schade…
Tatsächlich hatte ich als Übeorgel zuhause (ja, das war noch im letzten Jahr Tausend 😱) eine JVC Victron mit Zugriegeln – obwohl ich glaube, dass auch die gerastet waren, würde es mich sehr interessieren, ob die Zugriegel selbst aber eine stufenlose Änderung der Lautstärke erlaub(t)en…
insofern wäre die Frage welche Auflösung (4, 8, 10 oder 12 bit ?) diese neuen Zugriegel besitzen
ich habe für mich (aus Interesse) eine Digitale PfeifenOrgel aus einem bestehenden SampleSet (gibt es kostenlose) und meinem icon platform m+ Mischpult „gebastelt“, bei der nun genau dieses „Einblenden“ (Auflösung = 10 bit) möglich ist 😇 – leider bietet viscount etwas ähnliches für seine / ihre sakralorgeln nicht an, obwohl mann da mittels Editor sogar die Lautstärke jeder einzelnen „Pfeife“ einstellen kann… 😭
@EliasOrgel Danke für Deinen Kommentar. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie fein die Zugriegel der Viscount aufgelöst sind. Jedenfalls ist es fein genug, so dass keine Stufen wahrnehmbar sind.
@Martin Andersson Danke !!! das ist ja schonmal eine wichtige Information ;-)
Laut dem Video von @Classic Viscount Organs
„Legend Soul series Pipe Organ Models Stops Tour“
(www.youtube.com/watch?v=n3tOqsKRx_M vom 11.4.24)
handelt es sich bei den PfeifenOrgelKlängen um Physical Modeling
@EliasOrgel Danke
Lieber Martin,
eine Hammond Orgel möchte ich wegen Gewicht und Preis nicht haben.
ABER deine tollen Soundbeispiele regen mich an, entsprechende Klangfarben auf „normalen” Synthesizern nachzubauen.
Im Moment versuche ich das auf meinem OSMOSE. Das typische Klicken steckt im Preset „woodorgan”. Von dort aus kann man ich mich nach und nach an deine Soundbeispiele „heranpirschen”.
Vielen Dank für die Klangvorgaben.