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The Jimi Hendrix Book (12) – Jimi Hendrix in Woodstock

Jimi on Sunday 12: Woodstock, Nationalhymnen und Legenden

4. Dezember 2022

Der Auftritt von Jimi Hendrix im Kinofilm über das Woodstock-Festival ist zu einer Ikone der Rock-Geschichte geworden, und seine Interpretation der amerikanischen Nationalhymne ,Star Spangled Banner‘ zum Politikum. Dabei ist in Woodstock musikalisch noch viel mehr passiert, meint Amazona.de-Autor Lothar Trampert.

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Jimi Hendrix beim Woodstock Festival

Der auf dem Woodstock-Festival entstandene, später Oscar-prämierte Dokumentarfilm von 1970 ist wahrscheinlich verantwortlich dafür, dass heute überhaupt noch jemand von diesem Event spricht. Denn der Kinofilm und auch die beiden Album-Veröffentlichungen (mit insgesamt 5 LPs) machten aus dem amerikanischen Konzertereignis einen weltweit wirkenden Rock-Mythos. „Woodstock Music & Art Fair presents An Aquarius Exhibition – 3 Days Of Peace & Music“ hieß die Veranstaltung in Bethel im US-Bundesstaat New York, übrigens mit vollem Namen, die planmäßig vom 15. bis 17. August 1969 stattfinden sollte, aber erst am Montag, dem 18. August endete.

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Die dreistündige Film-Dokumentation (die später als Director’s Cut noch mal eine knappe Stunde drauflegte) hat ab 1970 in den Kinos der westlichen Welt einige Künstler endgültig zu Superstars und Ikonen gemacht: Joe Cocker, Alvin Lee, Santana und Hendrix wurden unsterblich. Kurios: Einige der in Woodstock aufgetretenen Künstler verweigerten die Veröffentlichungsrechte für Alben und Videos – und wurden erst mal vergessen. Kaum jemand weiß, dass auch Johnny Winter und Blood, Sweat & Tears in Woodstock auf der Bühne standen. Vor ca. 400.000 Besuchern traten an drei Tagen 32 Bands und Solisten aus Folk, Rock, Psychedelic, Latin, Funk, Blues und Country auf.

Hendrix und Gypsy Sun & Rainbows

Das Finale des letzten Festivaltags sollte eigentlich Sonntagnacht über die Bühne gehen, aber alles hatte sich wegen eines Unwetters verschoben. Erst um ca. 9:00 Uhr des folgenden Montagmorgens (dem 18.August 1969) betrat der als Top-Act engagierte Jimi Hendrix die Bühne. Mit einer neuen Band: Zu Gypsy Sun & Rainbows gehörten Mitch Mitchell (dr), Billy Cox (b), Larry Lee (g) und die Perkussionisten Jerry Velez und Juma Sultan. Mit Gitarrist Larry Lee hatte Hendrix schon 1962 bei The King Kasuals gespielt, und der aus dem Vietnamkrieg zurückgekehrte Musiker war froh über diesen Job. Die Band-Gage war mit 18.000 US-Dollar angeblich die höchste dieses Festivals; das 3-Tages-Ticket kostete übrigens 18 Dollar. Mit den Songs ,Purple Haze‘ ,Villanova Junction‘ und ,Hey Joe‘ endete das Festival kurz nach 11 Uhr vormittags. Angeblich waren an diesem Morgen nur noch ca. 25.000 bis 35.000 Besucher auf dem Gelände, über 90 Prozent der Zuschauer waren demnach also schon abgereist oder lagen im Koma. „Wer sich erinnern kann, war nicht dabei“, lautete später der Merksatz (nicht nur) für Woodstock-Veteranen. Als Erinnerungshilfe kann man auf folgende Medien zurückgreifen, die im vergangenen halben Jahrhundert erschienen sind:

  • Woodstock: Drei Tage im Zeichen von Liebe & Musik (Kinofilm, USA 1970)
  • Woodstock: Music From The Original Soundtrack And More (3 LPs, 1970)
  • Woodstock Two (2 LPs, 1971)
  • Woodstock: Three Days Of Peace And Music (4 CDs, 1994)
  • Jimi Hendrix: Woodstock (CD, 1994)
  • Jimi Hendrix: Monday Morning. Jimi At Woodstock (CD, 1995)
  • Jimi Hendrix: Live At Woodstock (2CD/2DVD, 1999)
  • Jimi Hendrix: Live At Woodstock. Definitive 2DVD Collection. Mit alternativen Kamera-Einstellungen und dem zusätzlichen Track ,Hear My Train A Comin’‘ (2 DVDs, 2005)

 

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Noch eine Anmerkung zum Line-Up von Gypsy Sun & Rainbows (die gelegentlich auch ,Sky Church‘ genannt wurden): Ich höre die beiden Percussionisten eigentlich so gut wie nie, wenn die Band spielt, und auch Gitarrist Larry Lee ist im Mix meist unauffällig‘ bis nicht vorhanden. In ,Red House‘ hört man im Hintergrund seine Begleit-Riffs. Angeblich hat Lee noch ein Medley aus ,Gypsy Woman‘ und ,Aware Of Love‘ sowie seinen eigenen Song ,Mastermind‘ gespielt – zwischen ,Red House‘ und ,Lover Man‘ bzw. ,Izabella‘ und ,Fire‘ – diese Titel wurden wohl nicht mitgeschnitten.

Bei ,Foxey Lady‘ ist die zweite Gitarre dann deutlicher zu hören, allerdings scheinen Jimi & Larry ihre Instrumente hier nicht mehr gleich gestimmt zu haben; es klingt schon etwas schräg. In ,Jam Back At The House‘ spielen beide Gitarristen dann wirklich zusammen und ihre Unisono-Parts und Larry Lees Solo sind deutlich zu hören – eine sehr eigenwillige Jazz-Rock-Nummer, die von ihrer komplexen Riff-Struktur an das über ein Jahr früher entstandene ,South Saturn Delta‘ erinnert, das Hendrix (g/b) und Mitch Mitchell (dr) mit einem vierköpfigen Bläsersatz eingespielt hatten.

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Bei einigen Tracks könnte Hendrix auch nur mit Mitch Mitchell (dr) und Billy Cox (b) gespielt haben. Oder wurden die Mitmusiker einfach nur im Mix versenkt? Bei ,Star Spangled Banner‘ und der ,Woodstock Improvisation‘ nach dem ,Purple Haze‘ Zwischenspiel hat Hendrix ganz sicher überwiegend alleine gespielt und damit seine Genialität als Instrumentalist und spontaner Improvisator mehr als bewiesen. Das muss aber schon harte Kost vor dem Frühstück gewesen sein, an diesem Morgen in Bethel.

Aber dann folgte die Versöhnung: ,Villanova Junction‘ ist eindeutig der coolste Track dieser Show und eigentlich die Chill-Out-Nummer dieses Festivals. Zur Zugabe ,Hey Joe‘ sieht man dann einzelne Besucher an der Bühne vorbeiziehen. Hendrix wirkte müde.

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Jimi Hendrix nach Woodstock

Im Abspann der 2005 erschienenen 2DVD-Version dieses Live-Mitschnitts erzählt Mitch Mitchell, dass es nach Woodstock eine Erlösung war, wieder nur mit Billy Cox und Hendrix im Trio zu spielen. Das Experiment Gypsy Sun & Rainbows ist ganz sicher nicht gescheitert, aber es war anscheinend in der Form zumindest live nicht ausbaufähig für Hendrix. Seine Plattenfirma und sein Management dürften sich gefreut haben, denn sie waren jedem Experiment abseits der Single- und Album-Erfolge eher abgeneigt. Die Band Of Gypsys war dann ein paar Monate später das nächste, ebenfalls kurze Experiment, und dann war die zweite Experience-Besetzung wieder am Start. Bis zum Ende der Geschichte …

Wer die an dem Woodstock-Gig beteiligten Musiker wirklich mal frei jammend erleben will, sollte sich die vermutlich in der Woche vor und kurz nach dem Woodstock-Festival entstandenen Mitschnitte anhören, die unter den Titeln ,Impromptu‘ ,Home At Woodstock‘ ,Gypsys Sun And Rainbows‘ und im italienischen 3-LP-Set ,The Jimi Hendrix Story‘ aka ,Jimi Hendrix: At His Best‘ (1972), ab Anfang der 70er-Jahre, sagen wir mal „geduldet halblegal“ veröffentlicht wurden. Der Titel ,At His Best‘ ist allerdings ein frommer Wunsch, denn hier wird sehr frei gespielt, aber zwischen bekiffter Langeweile und langweiligsten Längen gibt es auch geniale Momente. Auch wenn die Liner-Notes einiger dieser Platten mit improvisierten Aufnahmen das Jahr 1964 als Entstehungsdatum angeben, ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass es sich hierbei um Sessions mit Mitgliedern der Woodstock-Band und Gästen (wie Mike Ephron) handelt. Die falschen Angaben gehen vermutlich darauf zurück, dass Hendrix seit dem Jahr 1965 ständig an Plattenverträge gebunden war, was einer Veröffentlichung dieser Aufnahmen aufgrund urheberrechtlichen Bestimmungen im Weg gestanden hätte. Mit diesem Trick konnte die vorliegende Session schon 1972 von italienischen Labels (SagaPan, Joker u.a.) auf den Markt gebracht werden. Niemand fühlte sich zuständig. Bis Supersister Janie Hendrix Mitte der 90er die Szene betrat, endlich für ihre Familie das Geschäft übernehmen konnte und ordentlich aufräumte … Aber das ist eine andere Geschichte.

The Jimi Hendrix Book (12)

Buddy Miles, Jimi Hendrix & Billy Cox

Statement: Bassist Billy Cox

Der amerikanische Bassist Billy Cox (* 1941) war Anfang der 1960er-Jahre mit Jimi Hendrix in Fort Campbell bei der US-Army stationiert. In dieser Zeit spielten sie zum ersten Mal zusammen und gründeten die R&B-Band King Kasuals mit der sie in Clubs auftraten. Cox und Hendrix trafen sich 1969 wieder, spielten mit Gypsy Sun and Rainbows zusammen in Woodstock und  gründeten die kurzlebige Band of Gypsys, zu der noch Drummer Buddy Miles gehörte. Anschließend war Billy Cox Bassist der neu formierten Jimi Hendrix Experience hervor.
Nach Hendrix‘ Tod veröffentlichte Billy Cox 1971 mit ,Nitro Function‘ ein sehr eigenwilliges Solo-Album, arbeitete als Studio- und Live-Musiker und beteiligte sich an diversen Hendrix-Tribute-Bands und -Shows.

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Billy, wie war das, als du Jimi kennengelernt hast?

Das war Ende 1961, wir waren beide in der Army (101 Luftlandetruppe in Fort Campbell, Kentucky). Ich bin in der Kaserne an einem Fenster vorbeigelaufen und hörte jemanden Gitarre spielen. Ich hörte gleich, dass etwas ganz Besonderes von ihm ausging. Das Spiel war zwar noch sehr unreif und roh, aber es ging eine fesselnde Energie davon aus. Ich bin zu ihm rein, stellte mich vor und sagte, dass ich Bass spielen würde. Und ich fragte, ob wir nicht mal jammen sollten? Als wir gespielt hatten, befand er mich für gut und wir gründeten eine Band … The King Casuals.

Du hast ihn mit deinen Riffs sehr inspiriert!

Wir haben einfach gejammt und drauflosgespielt. Manchmal sind wir bei einem Riff hängen geblieben. Jimi nahm es auf und spielte mit. Verarbeitete es. Wir spielten zusammen, unisono. Dann solierte er und kam zurück. So sind die Songs entstanden. Oft waren meine Bass-Riffs die Basis für die Songs. Aber wie gesagt, was soll ich denn auf dem Bass anderes spielen, außer Riffs?

Und du hast Hendrix nicht nur musikalisch geholfen …

Klar! Jimi war mein Freund. Ich war da, wenn er mich brauchte. Er war ein sehr sensibler Mensch, der ein intaktes liebevolles Umfeld brauchte. Wenn etwas nicht stimmte oder schlechte Stimmung war, hat ihn das fertig gemacht.

Jimi Hendrix at Woodstock

Jimi Hendrix und Star Spangled Banner

Mit seinen bekannten Gestaltungsmitteln  Lautstärke, Feedback, Verzerrung und Vibrato-Hebel arbeitete Hendrix auch bei seiner wohl bekanntesten Improvisation. ,Star Spangled Banner‘ liegt (zum Beispiel im Gegensatz zu ,EXP‘ von ,Axis: Bold As Love‘) bekanntes musikalisches Material zugrunde, und zwar die amerikanische Nationalhymne. Kein Stück, das Hendrix gespielt hat, wurde so einseitig interpretiert wie dieses, insbesondere in der Version vom Woodstock Festival. Ein Beispiel: „Dann rechnet er ab, zerfetzt die amerikanische Nationalhymne in elektronische Splitter, macht aus ihr einen apokalyptischen Abgesang auf den American way of life, um dann in eine unglaublich traurige Melodie zu gleiten, einem Abgesang auf die 60er-Jahre, die zwar Ansätze gebracht haben, die aber niedergeknüppelt werden.“ (aus Sonderhoff, Achim: Jimi Hendrix. Berg. Gladbach 1981, S.109)

Kann man so sehen, muss man aber nicht. Denn ob es sich hierbei wirklich um Hendrix‘ politisches Manifest handelt, im Sinne einer ernsthaften Abrechnung mit der amerikanischen Kultur, bleibt offen. Sicher ist eigentlich nur, dass er hier die meistgespielte Melodie der USA auf seine eigene Art interpretierte. Vergleicht man die Woodstock-Version, deren klangliche Dichte außer durch die Verzerrung auch durch die Verwendung von Echoeffekten entsteht, oder die Anfang des selben Jahres entstandenen Live-Version aus dem Konzerthuset Stockholm vom 9. Januar 1969, die aufgrund des direkteren, unveränderten Gitarrentones noch näher am Thema zu bleiben scheint, mit der dazwischen entstandenen Studioversion (vom 18. März 1969 aus den Record Plant Studios, New York; veröffentlicht auf der LP ,Rainbow Bridge‘, erschienen 10/1971), die ohne Schlagzeug, aber mit mehreren, übereinander gespielten Gitarren im Wesentlichen eine mehrstimmige Interpretation der Melodie ist, so wird die Ironie, die hinter diesen Aufnahmen steckt, deutlich. Klanglich, sowohl an schottische Dudelsackmusik als auch, aufgrund der Anschlagtechnik, an ein Mandolinenorchester erinnernd, entlarvt Hendrix hier den plumpen Pathos der Melodie und reduziert sie auf eine Nationalhymne für Disneyland. Nach Autor Arnold Shaw (Soul; Reinbek 1980, S. 15) basiert die Hymne auf einem englischen Trinklied aus dem 18. Jahrhundert, zu dem Francis Scott Key einen neuen Text geschrieben hatte. Na, das passt doch, da dann auch mal mit etwas Humor ranzugehen! Natürlich passte das nicht jedem US-Bürger.

https://youtu.be/ezI1uya213I

Dass Hendrix selbst die Interpretation vermutlich weniger verbissen sah, als seine Kommentatoren, zeigt auch seine Version der britischen Hymne, (zu hören auf dem Isle Of Wight Festival vom 30. August 1970; veröffentlich als,The Queen‘ auf der LP ,In The West‘, erschienen 01/1972). Die leitete Jimi mit der folgenden Ansage ans Festival-Publikum ein: „You can join us, start singing … stand up for your country and your believes and start thinking. If you don’t – fuck you!“ Musikalisch hält sich Hendrix hier an die ursprüngliche Melodie, die er ohne Unterbrechung durchspielt und nur am Ende eine kurze Kadenz anhängt.

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Back in the USA: Eine weitere ,Star Spangled Banner‘-Version vom Atlanta Pop Festival (das am 04. Juli 1970, also dem amerikanischen Nationalfeiertag stattfand) zeichnet sich durch eine stärkere Umspielung des Materials, sowie eine direktere Integration von Feedback und Effekten (WahWah, Octaver) aus. Hendrix definiert einzelne Melodietöne in Geräusche um, andere verziert er durch Trillerfiguren, wieder andere lässt er mit Hilfe des Feedbacks sekundenlang stehen und dann durch Einsatz des Octavers in höhere Teiltöne umkippen. Weitere Gestaltungsmittel sind die üblichen Tonveränderungen durch WahWah und Vibrato-Hebel, sowie die hier deutlich ausgespielte Schlusskadenz, über die er nach kurzem Anklingen der einzelnen Akkorde Blues-orientierte abwärts verlaufende Licks spielt. Diese Aufnahme vom Atlanta Festival (08/2015 erschienen auf dem Album ,Freedom: Atlanta Pop Festival‘) ist mit Sicherheit die interessanteste Plattenveröffentlichung von ,Star Spangled Banner‘.

Aber wieso wird dieses Stück so eng mit Hendrix verknüpft, wo doch viele seiner eigenen Kompositionen und auch Cover-Versionen die gleichen Gestaltungsmerkmale oft viel intensiver musikalisch verarbeiten? Da wird doch von allen Beteiligten vergleichsweise viel Lärm um nichts gemacht.

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Auch die berühmte Woodstock-Version von ,Star Spangled Banner‘ ist vom Aufbau weit weniger spektakulär, als ihre Interpretatoren vorgeben. Nachdem fast die ganze Melodie vorgestellt worden ist, unterbricht Hendrix den weiteren Ablauf durch Feedback, Echo, Geräuscheffekte und führt sie dann wie gewohnt weiter, unterbricht sie nochmals in der gleichen Art, beendet sie und hängt, genau wie bei ,The Queen‘, eine kurze Kadenz an den Schluss. Spieltechnisch stellt Hendrix hier sein Programm der elektrischen Gitarre vor, und wie könnte er das deutlicher tun, als es auf eine allgemein bekannte Melodie anzuwenden? Neben den genannten Effekten arbeitet er unter anderem mit dem einhändigen Spiel der Greifhand (Hammer-On/Pull-Off-Technik) und gleichzeitigem Vibratohebel-Einsatz. Während des Stückes stimmt er die Gitarre nach. Die Melodie spielt er fast ausschließlich auf der hohen E-Saite, so dass die übrigen Saiten ungegriffen, frei klingen und sich zu Rückkopplungseffekten hochschwingen können.

Der puertoricanische Sänger und Gitarrist José Feliciano war schon 1968 auf massive Proteste gestoßen, als er anlässlich der Eröffnung eines Spiels der Baseball-Weltmeisterschaften vor laufenden Fernsehkameras die Hymne interpretierte. Feliciano hatte „… ab und an eigene Akkorde eingeflochten, die Tonlage und die Notenwerte geändert. Als er sich eingesungen hatte, schmückte er die Textsilben mit mehreren kleinen Notenwerten aus … Er hatte das getan, was Jazz-Sänger, Folk-Künstler und sogar Pop-Sänger tun: Er hatte die, in der Öffentlichkeit geläufige Version seinen Gefühlen entsprechend verändert. ,Der Mensch drückt seine Vaterlandsliebe so aus, wie er sie eben fühlt‘, sagte Feliciano. (in Shaw, Arnold: Soul, Reinbek 1980 S. 150)

Im Hinblick auf die weiter oben erwähnten Improvisationskategorien handelt es sich bei José Feliciano, wie bei Jimi Hendrix, um eine im Wesentlichen auf die Melodie bezogene, improvisierte Interpretation, deren Hauptmerkmal bei Letzterem jedoch in der unüblichen klanglichen Gestaltung und Instrumentierung (Gitarre und Schlagzeug) liegt, also der individuellen, improvisatorischen Neugestaltung einer bekannten Musik. Eigentlich machte Hendrix nichts anderes mit der US-Hymne, als z.B. mit dem Blues: Er elektrifiziert das musikalische Material mit Hilfe seiner Instrumente (E-Gitarre, Effektgeräte, Verstärker und Boxen), verändert die klassische Melodieführung durch sein eigenwilliges Spiel (Bendings, Hammer-Ons etc.), und setzt die Musik durch seine modernen Sounds in einen ihr ganz fremden Kontext.

Ist der Blues ein musikalisches Genre, das in seiner Bedeutung als Medium (primär für Text-Botschaften) immer schon sehr flexibel war, so zeigt sich das Symbol „Nationalhymne“ (bzw. sein Umfeld) hier wesentlich sensibler. Hendrix hat die Reibung zwischen seiner Musik und diesem Symbol bewusst eingesetzt – das kann kein US-Amerikaner anders tun. Mit Sicherheit war seine Interpretation aber eher musikalisch und nicht als primär politische Aussage intendiert, die eine alte Ideologie mit einer neuen „zerfetzt“. Es ist im Wesentlichen das klassische Aufeinandertreffen von „hip and square“, was hier stattfand – und Hip hat keine Ideologie und keine Schubladen.

Statement: Hendrix-Fan Carlos Santana

Carlos Santana hat der Rock-Musik zu exotischenMelodien & Grooves verholfen, lange bevor man so etwas „Ethno-Rock“, „World Music“ o.ä. nannte. Und er hat einen eigenen Stil gefunden, einen Sound mit extremem Wiedererkennungswert, den man eben nur bei ganz großen Musikern findet: Miles Davis, Jimi Hendrix, John Coltrane, Allan Holdsworth, Chet Baker, Eddie Van Halen, John Scofield, Jeff Beck, B.B. King, Pat Metheny … – und es müssen wirklich nicht die vielen, sondern die ganz speziellen Töne sein, das belegen wohl alle genannten Namen.

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So unterschiedlich die beiden Gitarristen Carlos Santana und Jimi Hendrix auch klingen – sie haben tatsächlich einiges gemeinsam: Vor allem den Blick über den Horizont der End-60er Rock-Szene. Blues, Latin Music, zeitgenössischer Jazz, freie Improvisation und moderne Produktionsweisen waren beiden immer wichtig. Crossover by nature. Sie trafen sich beim Woodstock-Festival, Hendrix als internationaler Star, der fünf Jahre jüngere Santana sollte erst ein paar Tage nach Woodstock das Debüt seiner Band veröffentlichen.

The Jimi Hendrix Book (12)

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Dreizehn Monate später war Hendrix gegangen und die 70er-Jahre waren die Dekade, in der der neue Gitarristen-Star Carlos Santana seine besten Aufnahmen machte – ,Abraxas‘ (1970), ,Caravanserai‘ (1972), ,Welcome‘ (1973), ,Borboletta‘ (1974) und das Live-Meisterwerk ,Lotus‘ (1974) – nicht zu vergessen seine Kooperationen mit John McLaughlin (,Love Devotion Surrender’, 1973) und Alice Coltrane (,Illuminations’, 1974) und Ex-Band-Of-Gypsys-Drummer Buddy Miles (,Carlos Santana & Buddy Miles! Live!’, 1972). Bis heute zitiert Carlos Santana bei Konzerten immer wieder aus Hendrix-Songs. Hier Auszüge aus Interviews von 1992 und 1997:

The Jimi Hendrix Book (12)

Carlos Santana 1992 © Lothar Trampert

Carlos, der Blues ist und bleibt ein wichtiger Einfluss in deiner Musik?

Right! Der Blues ist das Fundament aller Musik, weil Blues sich in erster Linie mit Gefühlen befasst, nicht mit dem Intellekt. John Lee Hooker hat es so ausgedrückt: „Der Blues wurde geboren, als Gott Adam und Eva befahl das Paradies zu verlassen.“ Und das ist einfach, darüber muss man überhaupt nicht weiter diskutieren. Wie sollte man das auch besser ausdrücken?

Welche Blues-Musiker der heutigen Zeit hörst du dir gerne an?

Ich war natürlich ein großer Fan von Stevie Ray Vaughan – wer nicht? Heute höre ich hauptsächlich Otis Rush und Buddy Guy. Aber eigentlich höre ich mir gar nicht mehr so viele Blues-Sachen an. Gary Moore ist ohne Zweifel ein sehr wichtiger Musiker dieses Bereichs: Er liebt Peter Green, er liebt überhaupt die richtigen Leute, wie z. B. Albert King. Nach Stevie Ray Vaughans Tod ist meiner Meinung nach Gary Moore der wichtigste Vorkämpfer, wenn es darum geht, den Blues weiterzuentwickeln. Natürlich darf auch jemanden wie John Mayall nicht vergessen werden. Jimi Hendrix ist natürlich auch in diesem Bereich einer der bedeutendsten Musiker, aber er hat uns ja ebenfalls schon verlassen, wenn er auch immer noch sehr gegenwärtig ist. Aber von den lebenden Blues-Leuten ist Gary Moore meiner Meinung nach der wichtigste.

Auf deinem 1990er Album ,Spirits Dancing In The Flesh‘ sind als Gastmusiker Bobby Womack und Vernon Reid zu hören, du hast Kompositionen von Curtis Mayfield und den Isley Brothers aufgenommen, ein eigenes Stück mit Themen von Coltrane und Hendrix zu einer Art Suite verbunden. Wenn eines deiner Stücke dann noch den Titel ,Soweto (Africa Libre)‘ trägt, könnte man fast vermuten, es handele sich um eine Art von Verbeugung vor der afrikanischen bzw. afroamerikanischen Kultur?

Nein, für mich ist das anders: Ich spiele zwar schwarze Musik so lange ich zurückdenken kann, aber es ist mir eigentlich egal, was schwarz und was weiß ist. Ich achte darauf, ob es Musik ist, die aus dem Herzen kommt. Es gibt ja auch genug schwarze Menschen, die keine Seele haben, die absolut kalt sind. Schwarze Menschen haben nicht das Monopol auf gute Musik oder auf die Fähigkeit, gut zu tanzen. Musik, die aus dem Herzen kommt, gehört jedem.

Gestern Abend habt ihr u. a. ,If 60’s Was 90’s‘ von Beautiful People gespielt, eine Nummer, die ursprünglich aus Hendrix-Samples zusammengebastelt wurde. Das war eine nette Überraschung, denn dieses Projekt von 1992 ist ja leider nicht sehr bekannt geworden.

Oh ja, sie gehören auch zu meinen Lieblingsmusikern. Das ist eine sehr gefühlvolle Musik, die die heutige Generation an die Musik von Jimi Hendrix heranführen kann. Yeah! Ich war in Hongkong bei Tower Records und hörte den Song und ich dachte sofort: Das ist Jimi Hendrix. Aber der Groove darunter war anders… Freut mich, dass du den Song auch magst. Mich hat diese Nummer richtig berührt.

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Nächsten Sonntag, 17 Uhr …

geht es weiter mit JIMI ON SUNDAY 13 und einem weiteren Kapitel über die Spieltechnik von Jimi Hendrix: SLIDES, CHORDS & RIFFS

Danke fürs Lesen und bis demnächst!

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Forum
  1. Profilbild
    Fredi

    Hallo Lothar,

    wie schon bei Teil 2 mit Zint bin ich auch diesmal – auch übereinstimmend mit Dir! – der Meinung, dass Journalisten aus dem linken Spektrum immer gerne Hendrix als Sozialrevolutionär vereinnahmen wollen. Hendrix muss einfach politisch und anti-establishment gewesen sein, weil das viel visionärer rüberkommt.

    Wie auch schon damals erwähnt: in der Talkshow von Dick Cavett-wurde die Hymne von Hendrix selbst als „not unorthodox, but beautiful“ beschrieben.

    Du hast das auch in Deinem heutigen Artikel sehr klar analysiert: Hendrix sieht sich vorrangig als Musiker, der die Welt beschreibt. Nicht als Politiker.

    Das hätten unsere Fußballer auch beherzigen sollen. Vielleicht hätte es dann auch mit dem Achtelfinale geklappt 😉.

    Viele Grüße
    Fredi

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